E-Book, Deutsch, 508 Seiten
Müller TimTom Guerilla
2. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7494-4055-9
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 508 Seiten
ISBN: 978-3-7494-4055-9
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Rockband TimTom Guerilla fehlt der durchschlagende Erfolg. Deshalb beschließen die vier Musiker, noch einmal alles dranzusetzen, um ihn zu erzwingen. Und das hat schlimme Folgen. Dieses Abenteuer führt seine Helden auf eine Odyssee quer durch das Deutschland des Jahres 2011. Es ist eine Geschichte über den Traum, ein Rockstar zu sein, über die Liebe und den Sinn des Lebens. Es ist eine Geschichte über das Erwachsenwerden. Es ist die Geschichte von TimTom Guerilla.
Gofi Müller wurde 1970 in Bremen geboren und hat in Bielefeld Literaturwissenschaften studiert. Er ist Autor, Musiker und Podcaster und lebt mit seiner Familie in Marburg an der Lahn. In den vergangenen Jahren veröffentlichte er mehrere Bücher und Musikalben.
Autoren/Hrsg.
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FÜNF
Jetzt stehe ich an der Haltestelle Landgericht in Sichtweite des Miles und warte auf die 1 Richtung Schildesche. Von der erhöhten Plattform blicke ich über die Straßenbahnschienen auf den Niederwall. Direkt gegenüber ist eine große Ampel, da wo Hermannstraße und Niederwall sich kreuzen. Autos rauschen vorbei, sie halten, sie fahren an. Der an- und abschwellende Klang der Motoren hat etwas Einlullendes, so ähnlich wie Kneipen-Jazz, Rolltreppen-Jazz, Kaufhaus-Jazz – ein Sound, dazu geschaffen, um wegzuhören. Wichser! Die 1 kommt, hält an und öffnet ihre Türen. Ich lasse mich auf eine der hässlichen polyesterbezogenen Sitzbänke fallen und starre aus dem Fenster. Der Second-Hand-Laden, das Piercingstudio, das Hotel, das Theater und die Haltestelle Rathaus. Dann geht es unter die Erde, Richtung Jahnplatz. Ich fahre raus zu Foo. Wir müssen uns überlegen, wie es weitergeht. Jetzt ist es kurz nach halb zwölf. Er könnte schon wach sein. Von Schildesche, der Endstation der Linie 1, fahre ich mit dem Bus weiter raus aus der Stadt, vorbei am Obersee Richtung Brake. Foo bewohnt einen ehemaligen kleinen Bauernhof im Kerksiekweg, zwischen dem Industriegebiet auf der einen und der spießigen Einfamilienhaussiedlung auf der anderen Seite, umgeben von Feldern. An der Haltestelle Langeoogweg steige ich aus und gehe die restlichen zehn Minuten zu Fuß. Es ist ein herrlicher Frühlingstag, und während ich an den Äckern vorbeilaufe, öffne ich den Reißverschluss meiner Kapuzenjacke. Foos Hof erkenne ich schon aus ein paar Hundert Metern Entfernung. Er liegt da, wo die Straße eine Kurve nach rechts macht, und besteht aus zwei Gebäuden. Aber erst als ich direkt davor stehe, entdecke ich Foo im Garten. Ich bleibe kurz stehen und beobachte ihn. Das kleinere Gebäude, eine Art Schuppen oder Speicher, steht näher zur Straße, so dass ich das Grundstück betreten kann, ohne sofort bemerkt zu werden. Foo steht regungslos auf dem ungemähten Rasen und fuchtelt wild mit den Händen vor seinen Augen herum. Während die linke Hand immer nur kleine, rhythmische Bewegungen macht, fährt der rechte Arm wieder und wieder heraus, so dass der Zeigefinger Bögen und Linien in die Luft malt. Sein Rücken ist gerade durchgestreckt, jeder Muskel ist gespannt. Ich habe schon öfter gesehen, dass er merkwürdige, ruckartige Handbewegungen macht, immer dann, wenn er sich unbeobachtet glaubt. Doch jedes Mal, wenn man zu ihm herüberschaut, hört er sofort damit auf. Ich fühle mich wie ein Voyeur, während ich so im Schatten des Schuppens stehe und ihn beobachte. Schließlich halte ich es nicht mehr aus. Ich verlasse mein Versteck und gehe auf ihn zu. »Hey!«, sage ich. Er hört sofort mit seinen autistischen Bewegungen auf und blickt mir scheinbar gelangweilt entgegen. Nur an seinen leicht geröteten Wangen bemerke ich, dass er erregt ist. »Alter«, sagt er, »hast du mich erschreckt. Wieso schleichst du dich denn so an?« »Wieso anschleichen? Ich bin gerade von der Bushaltestelle hierher gelatscht. Ganz schön warm heute.« »Willst du n Bier oder n Kaffee?« Er schlurft in Richtung des größeren Gebäudes, das er immer als Kotten bezeichnet. Jetzt ist er wieder ganz cool, ein Cowboy auf seiner Ranch, ein Rockstar vor seiner Villa. Nichts an seinem schlaksigen Körper deutet darauf hin, dass er noch vor wenigen Minuten unter Hochspannung gestanden hat. »Kaffee ist gut.« Wir treten durch eine Glastür direkt in die vermüllte Küche des Hauses. Durch die dreckigen Fenster bescheint die Mittagssonne ein Chaos aus schmutzigem Geschirr, Essensresten, Unmengen leerer Bierflaschen, einer Akustikgitarre mit gerissener e-Saite, einem Mountainbike und zwei Hanteln. »Mach dir irgendwo Platz.« Er spült zwei schmutzige Kaffeetassen mit kaltem Wasser aus. Ich räume einen Stapel Musikzeitschriften und mehrere CDs zur Seite und klemme mich hinter einen Tisch auf eine Eckbank am Fenster. »Und wie gehts sonst so?«, fragt Foo über seine Schulter, während er den Kaffee aufsetzt. »Geht so. Ich war gerade im Miles.« »Und?« »Haben mich ausgelacht.« »Wichser. Hab ichs mir doch gedacht.« »Wieso?« »Naja«, sagt Foo, dreht sich zu mir um und zuckt mit den Schultern. »Ist doch n Jazz-Laden.« »Das wusstest du?« Ich werde wütend. »Türlich, das weiß doch jeder.« »Aber wieso sagst du mir denn, ich soll im Miles ein Demo abgeben und mal nachhaken, ob wir da spielen können, wenn du ganz genau weißt, dass das ein Jazz-Laden ist? Ich hab mich total zum Affen gemacht!« Foo ist erstaunt. »Ey, was weiß ich. Ich dachte, du weißt, dass das ein Jazz-Laden ist, weil das ja wohl jeder weiß. »Ach, vergiss es.« »Hätte ich bei denen nachfragen sollen?« »Nein!« »Hätte ICH in den Bus steigen sollen und zum Niederwall fahren sollen und bei denen nachfragen, obwohl DU da direkt gegenüber wohnst? Oder was?« »Nein, weder du noch ich hätten in einem Jazz-Laden nachfragen sollen! Wir sollten im Falkendom nachfragen, du Depp. Oder im Forum. Oder im AJZ. Oder im Plan B.« »Ja, machen wir doch. Jetzt reg dich doch nicht auf. Machen wir doch alles.« Die Kaffeemaschine röchelt. Foo dreht sich um, nimmt die Kanne heraus und gießt Kaffee in die zwei halbwegs sauberen Tassen. Er trägt sie zum Tisch, schiebt die Neue Westfälische zur Seite, die auf ihrer Titelseite schlechte Nachrichten aus Fukushima verkündet, und setzt sich. »Danke. Hast du Milch?«, frage ich, als Foo eine Tasse zu mir rüberschiebt. »Nee, glaub nicht. Die ist schlecht.« »Egal«, sag ich und nehme einen Schluck. Der Kaffee ist verdammt stark. »Es ist doch sowieso alles Scheiße. Solange die anderen nicht hier sind, können wir eh nichts machen. Wie willst du denn so ein Band-Ding durchziehen, wenn die Band überhaupt nicht da ist? Das bringt doch nichts!« Ich habe schon seit dem Besuch beim Miles schlechte Laune. Jetzt rede ich mich in Rage. »Ich frag mich allmählich, was ich hier überhaupt soll in dieser Scheißstadt. BoingBoing sitzt schön in Hamburg und lässt sich von seiner Frau durchfüttern, Hannibal macht in Friedberg einen auf Tanz-Mucker. Und wir beiden sollen uns hier den Arsch aufreißen, oder was? Und wenn dann mal was läuft, dann kommen die hier auf nen Gig vorbei, oder wie stellen die sich das vor? Das ist doch Amateur-Kacke!« Foo steckt sich eine Zigarette an und guckt dem aufsteigenden Qualm hinterher. »Ist doch so!« »Ja«, sagt er schließlich. »Mich kotzt das Rumgeeiere ja auch an.« Er nimmt noch einen tiefen Zug, legt die Zigarette auf dem Aschenbecher ab, steht auf und fängt an, auf dem Küchentisch herumzukramen. »Was suchst du denn?«, frage ich. »Mein iPhone. Muss hier irgendwo sein.« »Wieso? Wen willst du anrufen?« »Hannibal.« Foo hat sein Smartphone entdeckt, ruft Hannibals Telefonnummer auf und tippt mit dem Finger auf den Screen. Er wartet einen Augenblick »Ja, hi, ich bins«, sagt er dann. »Na, wie läufts? – Hm-hm. – Ah, super. – Ja, geht so. Ich sitze hier gerade mit TimTom. – Nee, der ist stinkig. – Naja, weil er meint, dass es mal endlich mit uns losgehen sollte. Und ich seh das auch so.« Ich gestikuliere. Foo versteht erst nicht, was ich will. Dann begreift er, und kurz darauf ertönt Hannibals Stimme aus dem Lautsprecher. »... aber ich hab hier den Arsch voll Arbeit! Die nächsten Wochenenden hab ich Jobs, und die MUSS ich machen, weil ich das Geld einfach BRAUCHE. Und außerdem spiel ich für ne Produktion, die KANN ich mir nicht entgehen lassen! Die verschafft mir gleich wieder ein paar Folgeaufträge. Und das kann ja auch nicht sein, dass Frieda das Geld ALLEINE reinholt, und ich spiel hier den Rockstar und verwirkliche meine Träume, weil, da kommt sowieso nichts dabei rum, also, sorry, Jungs, wenn ich das einfach mal so sage, aber ich glaub, ich bin für die Punk-Nummer irgendwie zu alt, ich muss sehen, wo ich bleibe, und Frieda sieht das genau so ...« Während ich Hannibals Redeschwall zuhöre, spüre ich ein zunehmendes Kribbeln im Nacken, meine Beine wippen auf den Fußballen auf und ab, und ich atme heftig durch die Nase. Irgendwann platzt mir der Kragen. »Hey!«, rufe ich ziemlich laut, so dass Foo erschrocken zusammenzuckt. Hannibal unterbricht seinen Monolog und ist ruhig. »Ist ja gut, wir haben es kapiert!« »Ja«, setzt Hannibal neu an, »das hab ich euch ja schon letztes Mal ...« »Ja, genau. Und letztes Mal haben wir zu dir gesagt, dass wir das alles verstehen und so, aber dann sollst du doch bitteschön einen Schnitt machen und die Band knicken.« »Nee, das haben wir so nicht ...« »Das haben wir GENAUSO gesagt«, kanzele ich ihn ab, »und da hast du gesagt, dass du das ja so auch wieder nicht gemeint hast.« Am anderen Ende zieht Hannibal es vor zu schweigen. Ich...