Nedreaas | Nichts wächst im Mondschein | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

Nedreaas Nichts wächst im Mondschein

Roman
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-641-32730-9
Verlag: Luchterhand Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

ISBN: 978-3-641-32730-9
Verlag: Luchterhand Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die große Wiederentdeckung aus Norwegen, der Kult-Klassiker aus dem Jahr 1947: über Liebe und Sex, weibliches Begehren und soziale Gerechtigkeit - Neuübersetzung in 13 Sprachen.
Ein kleiner norwegischer Küstenort in den vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts: ein nächtlicher Bahnhof, eine Frau mit einem roten Koffer, ein Fremder voller Einsamkeit im Gepäck. Gemeinsam gehen sie durch die Gassen, Seite an Seite, inmitten des dichten Schnees, der fällt, und der Kälte, die an den Gliedern zerrt. Bei ihm zu Hause dann erzählt sie ihm, einer modernen Scheherazade gleich, ihr Leben. Das ist der Handel, den sie eingehen in dieser Nacht. Sie, die ihm ihre Geschichte gibt. Er, der sie bewahrt.

Was sie erzählt, und zwar schonungslos offen, ist die Geschichte einer verhängnisvollen Affäre zwischen einer jungen Frau und einem älteren Mann. Hier nahm alles seinen Anfang: das Glück, das Unglück und schließlich das Verderben. Sie, auf der Suche nach Liebe und Verbundenheit. Er, der sich aus Karrieregründen für die Tochter eines Apothekers entscheidet statt für die aus der Arbeiterschicht. Schwanger geworden steht sie vor einer Reihe von Entscheidungen, die in ihrer Zeitlosigkeit bestürzend sind - und die zu dieser Nacht in diesem Haus mit diesem Fremden führen.

Torborg Nedreaas' Roman 'Nichts wächst im Mondschein' schlug aufgrund seiner unverblümten Schilderung weiblichen Begehrens und dessen drastischen Folgen hohe Wellen bei seinem Erscheinen und zählt zu den wichtigsten Werken feministischer und sozialkritischer Literatur Norwegens. Zum Kultbuch geworden wird es in vielen Ländern auch außerhalb Skandinaviens gerade wiederentdeckt.

Torborg Nedreaas (1906-1987) ist eine der herausragendsten Schriftstellerinnen Norwegens. Ihre Romane und Erzählungen zählen zu den großen Werken der norwegischen Literatur. 'Nichts wächst im Mondschein', ihr erster Roman, erschien 1947. Er gilt als bahnbrechendes Werk, sowohl in der Darstellung weiblichen sexuellen Begehrens als auch in der Schilderung drängender sozialer Fragen, und genießt mittlerweile Kultstatus. International wird das Buch gerade wieder entdeckt und in dreizehn Sprachen neu erscheinen. Nedreaas gewann den ersten Kritikerpreis Norwegens, wurde mit dem Doubloug-Preis und dem Preis der Norwegischen Akademie ausgezeichnet. Ihr Einsatz für Frauenrechte und soziale Gerechtigkeit prägte ihre schriftstellerische Arbeit und ihre öffentlichen Auftritte. 2023 wurde 'Nichts wächst im Mondschein' von der Zeitung Klassekampen in die Liste der zehn wichtigsten Bücher des neuen 'Kanon der Linken' gewählt, neben so monumentalen Werken wie die von Marx und Engels, Pierre Bourdieu, Simone de Beauvoir und John Steinbeck.

Nedreaas Nichts wächst im Mondschein jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material




I
ch suche und suche nach jemandem. Seit dreizehn Tagen suche ich diesen Menschen nun schon. Ich bin kreuz und quer durch die Stadt gelaufen. In allen Hotelfoyers bin ich gewesen, habe dort gesessen und Ausschau gehalten. Ich bin mit der Straßenbahn gefahren, wahllos einfach irgendwohin, und habe wie selbstverständlich damit gerechnet, diesen blauen Mantel irgendwo unter den Fahrgästen hervorstechen zu sehen – überall, wo Menschen unterwegs sind, war auch ich unterwegs und habe in Gesichter geschaut, ob vielleicht gerade dieses eine Gesicht noch einmal meinem Weg kreuzt. Aber nichts. Vielleicht will ich ja nur noch einmal, für einen Moment, diese Gesichtszüge sehen, sie erkennen. Wir wissen nicht einmal voneinander, wie wir heißen. Ich will nur für einen Moment in dieses Gesicht blicken, will für eine kleine Sekunde in dieser Menschenseele versinken und sie mit mir nehmen. Will in die Tiefe eines Menschenschicksals blicken, das mir eines Nachts von zwei zitternden Händen gereicht wurde.

Im Grunde ist es schwer zu verstehen, warum ich auf sie aufmerksam wurde. Aber es waren wohl mehrere Dinge – meine eigene Stimmung, das Wetter, die Leere gerade dieses Tages. Was weiß ich. Einige Tage sind eben so – leer. Sie arbeiten in uns, zerren an einem und halten uns auf Distanz. Und ich ließ mich umhertreiben, ohne Lust, irgendwo einzukehren, aber auch ohne Lust, nach Hause zu gehen. Es war diese Art von Frühlingsabend, die mit etwas Regen einhergeht, nur so wenig Regen, den man wie feine Nadelstiche auf dem Bürgersteig bemerkt, aber doch eine blaue Dämmerung mit milder, klarer Luft. Die Straßenlaternen waren gerade angezündet worden, helle Kerzen hoben sich vom blauen Zwielicht ab. Es duftete nach Märzabend und feuchtem Asphalt. Ich ließ mich in die Bahnhofshalle treiben. Eigentlich hatte ich dort nichts zu tun, aber ich kaufte mir am Kiosk eine Zeitung, damit es so aussah, als hätte ich dort etwas zu tun.

Und da entdeckte ich sie. Gerade, als ich die Zeitung in die Tasche steckte und mich zum Gehen wandte, sah ich die Frau dort stehen und nach jemandem Ausschau halten, auf jemanden warten. Durch das Glasdach über uns sickerte perlmuttartige Dämmerung, während gelbes Laternenlicht auf ihre Schultern und Haare fiel. Sie trug keine Kopfbedeckung. Ihr Gesicht lag im Schatten, ich sah es nur undeutlich.

Die Stimmen in der Bahnhofshalle klangen wie singende Hammerschläge, alle Geräusche kamen zurück und umhüllten uns und brachten uns zueinander. Vielleicht lag es daran, und auch an ihrem suchenden Blick. Ich hatte das Gefühl, dass sie gerade mich suchte, oder zumindest nach irgendetwas auf der Suche war, es ist schwer zu sagen, denn sie sah doch recht durchschnittlich aus, und ich hatte keinen Bedarf an einem Mädchen an diesem Abend, ich hatte kein Abenteuer im Sinn. Aber hier muss ich kurz innehalten, denn dies ist eine Erinnerung, die sich mir wirklich eingebrannt hat. Ich muss ein wenig bei ihr verweilen und sie auskosten, auch wenn sie unerheblich erscheinen mag.

Dort stand ein junges Mädchen, ich hielt sie für vielleicht neunzehn, zwanzig Jahre alt. Ein mir absolut fremdes junges Mädchen, deren Gesicht ich nicht einmal sehen konnte. Sie stand da mit einem kleinen roten Koffer in der Hand und sah aus, als wisse sie nicht, wohin. Der Mantel hing offen und locker an ihr, sie hatte eine Hand in die Tasche gesteckt. Die Hand, die den Koffer hielt, war nackt, ohne Handschuhe. Glattes Haar, flache Schuhe. Ich ging um sie herum und näherte mich ihr von hinten, sie hielt den Kopf ein wenig gesenkt. Ich sprach die Haare an, die weich auf ihre Schultern fielen, ich hatte keine Absichten und verschwendete keinen Gedanken daran, was ich sagen wollte oder dass ich überhaupt etwas sagen müsste.

»Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein, mein Fräulein.« Die Wärme in meiner Stimme überraschte mich ein wenig, es war ja möglich, dass ich abgewiesen würde – oder dass sie ein Straßenmädchen war. Sie schüttelte langsam den Kopf, drehte sich aber nicht einmal um, um zu sehen, wer sie da angesprochen hatte, oder mir einen eiskalten Blick zuzuwerfen. Noch immer hatte ich ihr Gesicht nicht gesehen. Ich sagte: »Ich kann den Koffer für Sie tragen.« Nun ging sie los, langsam, mit gesenktem Kopf. Sie ging auf den Ausgang zu. Ich folgte ihr dicht danach. Sie blieb stehen, als ob sie sich nicht richtig entschließen könnte. Ich sagte: »Wir nehmen den anderen Ausgang.« Und ich ging an ihr vorbei, ohne sie anzusehen – ich wusste, dass sie da war, dass sie mir auf dem Fuße folgte. Ich registrierte, dass in ihrem Koffer etwas raschelte, ich spürte ihren Atem, und das Geräusch ihrer Schuhe gleich hinter mir klang so vertraut und nahe, als ob sie mir etwas zuflüsterte.

In meinen Gedanken herrschte Chaos. Wo sollten wir hin, was in aller Welt sollte ich mit diesem fremden Mädchen, wer war sie, wie war sie – wie sollte dieser Abend enden? Ich sagte einfach: »Zu Ihnen oder zu mir.« Sie zögerte kurz mit der Antwort. »Lassen Sie uns zuerst ein bisschen gehen«, sagte sie dann. Nun drehte ich mich zu ihr um und ließ sie neben mich treten. Erst jetzt sah ich sie an, sah zum ersten Mal ihr Gesicht. Und hier muss ich wieder kurz innehalten, denn es hat etwas Besonderes, wenn man das Gesicht eines Menschen zum ersten Mal sieht. Man kehrt gern zu dem Augenblick zurück, um den Faden zu finden, der zur nächsten Phase führt: Dann sieht man den Menschen, dem dieses Gesicht gehört, den eigentlichen Menschen. Wir gingen auf eine Laterne zu, es war schon etwas dunkler geworden. Das Licht fiel ihr voll ins Gesicht, entblößte es für mich. Dann waren wir an der Laterne vorbei, und ihr Gesicht lag wieder im Schatten. Es war so, als habe sie sich wieder versteckt. Aber in dem kurzen Moment, in dem das Licht auf ihre Züge fiel, hatte ich gesehen, dass sie um einiges älter war, als ich gedacht hatte, vielleicht Mitte zwanzig, vielleicht fast dreißig. Ihre Züge hatten etwas Kindliches, etwas noch Unverbrauchtes, aber die feinen Fältchen um die Augen und eine ziemlich ausgeprägte Furche über der Nasenwurzel hatten ihre Zeit gebraucht, um sich zu entwickeln. Sie sagte, wir können doch einfach ein bisschen umherlaufen.

Wir gingen schweigend weiter. Die Autos glitten leise auf dem Asphalt vorüber, die Scheinwerfer spielten mit unseren Schatten und ließen sie um uns herumtanzen. Ich sah sie ab und zu an, sie schaute geradeaus und hatte etwas Düster-Grübelndes in ihren Augen. Ihr Mund war groß und sinnlich, aber ohne jede Farbe und gab nichts von ihren Gedanken preis. Falls sie irgendwelche Gedanken hatte. Ich wusste das nicht, dachte vielleicht auch nicht weiter darüber nach. Ich war erstaunt von der Tatsache, dass ich sie nicht begehrte. Aber mein Herz schlug flatternd, ihre Schritte flüsterten mir zu, und ihre Nähe kam mir vor wie eine beunruhigende Berührung.

Wenn wir etwas erleben – ein Geschehnis oder einen Menschen –, das sich in unser Dasein drängt und ihm Bedeutung gibt, dann hängen wir uns oft an den kleinen Dingen auf. Alles, was uns mit diesem Geschehnis verbindet, entwickelt in uns sein eigenes Leben und verlangt etwas von uns, sogar die kleinsten Belanglosigkeiten. Hier ging ich an einem regennassen Märzabend mit einem fremden Mädchen durch die Straßen, wir sagten nichts, ich wusste ihren Namen nicht, aber alles, was passierte, brannte sich in mir ein und wird immer ein Teil von mir sein, ein Teil meines tiefsten Inneren. Wir gingen zum Hafen hinunter, ich nahm den Geruch des Meeres und der dort liegenden Fischkutter wahr, und eine Möwe schrie. Ich werde dieses starke Gefühl immer wieder haben, wenn ich den Geruch des Meeres wahrnehme, und ich fand es seltsam, abends den Schrei einer Möwe zu hören. Es war nur ein einziger Schrei, dann hupte ein Auto, und dann fuhr eine Straßenbahn vorbei und kreischte in den Schienen. Ihr Haar war nass geworden und klebte jetzt an ihrer Kopfhaut. Es war aus der Stirn gestrichen und hing gerade nach unten. Wenn das Licht darauf fiel, war es gelb, ansonsten war es aschblond. Licht und Schatten fielen abwechselnd auf sie, als wir weitergingen, ihr Gesicht leuchtete langsam auf und zog sich dann wieder in den Schatten zurück. Wir erreichten die alten Stadtteile, dort gab es nur die eine oder andere Gaslaterne, die mit flackerndem Licht Zickzackstriche aus Phosphor auf die regennassen alten Pflastersteine malte. Die kleinen Häuser standen dicht an der Straße oder verborgen in winzigen Gärten, ohne jede Ordnung, ohne jede Symmetrie. Sie versteckten sich hinter neueren Lagerhallen und lugten ängstlich hervor, die kleinen Fenster vollgestellt mit Blumen, die im Licht der Gaslaternen schlummerten.

Sie blieb vor einem dieser kleinen Häuser stehen und berührte das Gitter, das den Rest des winzigen Gartens beschützte. Ihre Stimme war warm, die einer reifen Frau.

»In so einem Haus wollte ich immer schon wohnen«, sagte sie. »In so einem kleinen Haus mit kleinen neugierigen Fenstern und vielen Blumen.«

Ich sagte nichts. Mädchen, die mit fremden Männern losziehen, sagen so viel, und man weiß nicht, was man davon halten soll.

Wir gingen zurück in Richtung Stadt. Später sagte sie, im Garten solle Wäsche an einer kleinen Leine zum Trocknen hängen. Wäsche, die sauber und glatt rieche und im Sonnenschein mit dem Wind spielt.

Ich hörte ihr zu. Das, was sie sagte, verströmte eine ganz eigene Stimmung, das Wenige, was sie über Kleider auf der Leine und ein winzig kleines Haus erzählte. Manche können über Kunst oder Literatur reden oder eine interessante Anekdote erzählen, der man lauscht, die aber nicht weiter als bis zum Gehirn, ins Bewusstsein...


Nedreaas, Torborg
Torborg Nedreaas (1906–1987) ist eine der herausragendsten Schriftstellerinnen Norwegens. Ihre Romane und Erzählungen zählen zu den großen Werken der norwegischen Literatur. "Nichts wächst im Mondschein", ihr erster Roman, erschien 1947. Er gilt als bahnbrechendes Werk, sowohl in der Darstellung weiblichen sexuellen Begehrens als auch in der Schilderung drängender sozialer Fragen, und genießt mittlerweile Kultstatus. International wird das Buch gerade wieder entdeckt und in dreizehn Sprachen neu erscheinen. Nedreaas gewann den ersten Kritikerpreis Norwegens, wurde mit dem Doubloug-Preis und dem Preis der Norwegischen Akademie ausgezeichnet. Ihr Einsatz für Frauenrechte und soziale Gerechtigkeit prägte ihre schriftstellerische Arbeit und ihre öffentlichen Auftritte. 2023 wurde "Nichts wächst im Mondschein" von der Zeitung Klassekampen in die Liste der zehn wichtigsten Bücher des neuen "Kanon der Linken" gewählt, neben so monumentalen Werken wie die von Marx und Engels, Pierre Bourdieu, Simone de Beauvoir und John Steinbeck.

Haefs, Gabriele
Dr. Gabriele Haefs studierte in Bonn und Hamburg Sprachwissenschaft. Seit 25 Jahren übersetzt sie u.a. aus dem Dänischen, Englischen, Niederländischen und Irischen. Sie wurde dafür u.a. mit dem »Gustav-Heinemann-Friedenspreis« und dem »Deutschen Jugendliteraturpreis« ausgezeichnet, zuletzt 2008 mit dem Sonderpreis des »Deutschen Jugendliteraturpreises« für ihr übersetzerisches Gesamtwerk. Sie hat u.a. Werke von Jostein Gaarder, Camilla Grebe und Anne Holt übersetzt. Zusammen mit verschiedenen Kolleginnen hat sie mehrere Anthologien skandinavischer Schriftsteller herausgegeben.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.