Niemi | Das Loch in der Schwarte | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 224 Seiten

Niemi Das Loch in der Schwarte


1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-641-16000-5
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

ISBN: 978-3-641-16000-5
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Geschichten aus der fernen Zukunft: grandios komisch, ungeheuer verwegen, absolut unterhaltsam
Pajala ist überall! Der Autor des Bestsellers 'Populärmusik aus Vittula' legt nach und die schwedische Presse ist wieder begeistert: 'Wir wussten es schon immer. Nun sind die letzten Zweifel beseitigt: Mikael Niemi spinnt. Aber auf so verdammt brillante Weise, dass wir ihm bedingungslos folgen, wohin immer er geht.' Diesmal führt er uns in die ferne Zukunft, in einen Alltag, der in all seiner Skurrilität, seinen Irrungen und Wirrungen doch sehr dem Leben im nördlichen Schweden ähnelt.

Mikael Niemi, Jahrgang 1959, wuchs im hohen Norden Schwedens in Pajala auf, wo er heute noch lebt. Im Jahr 2000 erschien sein erster Roman 'Populärmusik aus Vittula', für den er den renommiertesten Literaturpreis seines Landes, den Augustpreis, bekam. Es war das spektakulärste Debüt, das Schweden je erlebt hatte. Das Buch stand monatelang auf Platz 1 der Bestsellerliste, verkaufte sich über eine Million mal, wurde in 24 Sprachen übersetzt und ebenso erfolgreich verfilmt.
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Ponoristen


Abenteurer wird es immer geben. Einzelne, versprengte Existenzen, die sich nicht anpassen können. Die ständig unterwegs sind, nie zur Ruhe kommen, die meistens schon einen Fuß angehoben haben. Wenn sie einen Berg sehen, müssen sie klettern, sehen sie einen Abgrund, müssen sie hinuntertauchen, fängt es an zu stürmen, stellen sie sich mit dem Gesicht in den Wind. Sie spüren ein ewiges Jucken. Ab und zu gelingt ihnen das Unmögliche, die Sonne wärmt ihnen plötzlich das Gesicht. Dann fühlen sie sich augenblicklich leer und erschöpft, verzweifelt vor lauter Überdruss. Sie möchten jemanden lieben, doch das Glück ödet sie an. Leben, das muss wehtun. Die Haut muss sich an Kletterseilen und Satteln scheuern. Die Haarmähne muss nach hinten geblasen werden. Die Welt ist zu klein, ständig schrumpft sie, jeder Job und jede Verpflichtung verwandelt sich sofort in eine Uniform, deren Falten und Nähte jucken.

Es ist diese Sorte Mensch, die es einst wagte, sich dem Feuer zu nähern, die anfing, größere Tiere als sich selbst zu jagen, die jede Wüste, jede Gebirgskette und jeden Ozean als eine Herausforderung ansah. Als Kitzel, dem nicht zu widerstehen war.

Als das Weltall sich öffnete, schien es, als wartete es nur auf diese Abenteurer. Anfangs schob ihnen zwar die Technik noch einen Riegel vor. Und die Kosten. Ein Raumfahrzeug kostete so viel wie ein Wolkenkratzer, und die Astronauten, das waren disziplinierte, ausgesuchte, hart gedrillte Marinecorpstypen.

Doch dann begann der Bergbau. Mond und Mars und mehrere der Asteroiden wurden erschlossen, und die Überlandfrachter begannen zu pendeln. Der Beruf des Roaders wurde geboren. Und mit der Zeit, analog zur Entwicklung der Technik und je mehr immer modernere Schiffe und Shuttle in Betrieb genommen wurden, entstand ein wachsender Gebrauchtwarenmarkt für Raumfahrtkram. Plötzlich wurde es für die Allgemeinheit möglich, sich ein Raumschiff zu kaufen. Meistens ein abgenutztes, klapprig und leckend, aber wer geschickt war, konnte das meiste reparieren. Und jetzt füllten sich die Raumschiffdocks mit sehnigen, am ganzen Körper tätowierten Jünglingen, hinkenden Kerlen mit Hemingwaybart, mageren Mädchen mit Pistolenhalfter und Injektionsnarben, stummen Frauenzimmern mit rasierten Schädeln und wegoperierten Brüsten. Alle fummelten an ihrer eigenen Karre herum. Sie lagen auf dem Rücken und schweißten in einem absolut unbequemen Winkel, standen mit einer Lupe im Auge über Heerscharen von Spinnennetzelektroniken gebeugt, sie fluchten und zerrten an irgendwelchen Hitzeschilden, die sich festgebrannt hatten und ausgetauscht werden mussten, sie installierten tragbare Gewächshäuser, Trockenduschkabinen, Gravitationskreisel, Videogeräte mit Pornofilmen, Sonnenwindfänger, Chirurgenausstattungen für die Eigenoperation mit dazugehörigem Lehrbuch, Feuchtigkeitsabsorber, die Schweiß und Körperflüssigkeiten in Trinkwasser umwandelten, und anderes Unentbehrliches für eine lange Reise.

Dann machten sie sich auf den Weg. Allein. Schweigend, fast im Geheimen. Manchmal merkte man nicht einmal, dass es los ging, plötzlich waren sie einfach weg. Verschluckt vom Weltall. Ab und zu hörte man von ihnen. Viele Monate später wurde vielleicht eine rasselnde, verzweifelte Mitteilung vom Notsender aufgefangen:

»Hilfe, Hil ... Generator kaputt ... irre umh ... Wasser bald zu En ... helft mir, Hilfe, Hil ...«

Die Erde schickte ein Funksignal zu der Notstelle irgendwo im Sonnensystem und rechnete die Retourkoordinaten aus, damit der Betreffende zurückkehren konnte. Aber er ließ nie wieder von sich hören. Die Reserveenergie ging zu Ende. Armer Teufel.

Anfangs waren die Risiken ungemein groß. Wir Roader schüttelten nur den Kopf, wenn wir an ihren schlecht erleuchteten Schrotthaufen im Dunkel des Alls vorbeisegelten, vernarbt vom Weltraumkies und verbrannt von kosmischer Strahlung. In den Führerkabinen konnten wir irgendwelche halb dahindösenden Gestalten erkennen, die Füße in den Cowboystiefeln auf dem Armaturenbrett, die Kopfhörer voll mit Bob Dylan, das Gesicht glänzend vom alten Körperfett. Wir hatten unseren eigenen Spitznamen für sie, nannten sie die Pissetrinker. Ihre Entsalzungsmaschinen waren von der billigen Sorte, und das Wasser, das immer von Neuem aus den Feuchtigkeitsabsorbern wiedergewonnen wurde, bekam bereits nach wenigen Wochen einen deutlichen Beigeschmack nach Urin. Das ganze Raumschiff verwandelte sich mit der Zeit mehr und mehr in eine qualmende Sardinenbüchse. Tatsache war, dass der Gestank in einem Raumschiff, das ein paar Jahre herumdüst, so entsetzlich ist, dass jedem, der sich ihm von außen nähert, übel wird. Die Besatzung selbst wird eins mit dem Geruch. Sie gewöhnt sich dran.

In den ersten Jahren dieser Epoche gelang es nur wenigen zurückzukehren, ihre Karre wieder auf Mutter Erde zu stellen und herauszukrabbeln, schwindlig und mit zitternden Beinen. Ihr infernalischer Gestank führte dazu, dass man bald eine spezielle Baracke neben dem Haupthangar für sie einrichtete, mit Dusche und Desinfektion, wo sie sich den schlimmsten sauren Talg abschrubben konnten. Doch die allermeisten Abenteurer blieben verschwunden. Vermutlich starben sie. Ihre alten Kisten leckten und waren unzureichend ausgestattet, und sie selbst waren nur schlecht auf die Tristesse und Isolation vorbereitet. Die meisten fuhren in den sicheren Tod. Wahrscheinlich rechnete eine ganze Reihe von ihnen sogar damit. Entschlossen stellten sie den Navigator ab, sobald sie das Sonnensystem verließen, davon überzeugt, nie wieder zurückzukehren. Andere hatten sorgfältig ausgerechnet, wie sie nach einer zehnmonatigen Alleinfahrt zurückkehren wollten, erlitten dann aber dort, wo es keine Hilfe gab, Schiffbruch. Vergessen, ausradiert. Verwandelten sich in herumtreibenden Weltraumschrott.

Mit der Zeit besserten sich die Zustände. Die gebrauchten Fahrzeuge waren von immer besserer Qualität, die Ausrüstung ebenso, und vor allem lernte man aus den Erfahrungen. Mehrere der Alleinsegler, denen es gelungen war, wieder zur Erde zurückzukommen, gaben Reiseberichte heraus mit Titeln wie: Hallo Kosmos!Unter Asteroiden und Vakuumpilzen  – Eine Blase im Glas des Alls – oder, ein richtiger Bestseller: Ich schaute bei Gott vorbei, doch es war niemand zu Hause, von Ruben Stanislawski. Letzteres eine Mischung aus zarter Weltraumpoesie, Reparaturhandbuch, Midlifecrisis und nicht zuletzt einer Schilderung der Psychose, von der Stanislawski in seiner Isolation überfallen wurde. Das Kapitel darüber, wie er wochenlang alle Nieten des Schiffs zählt und es anschließend mit einem Kunstledersofa treibt, ist bereits ein literarischer Klassiker.

Dinge gehen kaputt. Diese Erfahrung war allen Reisenden gemein. Aber im Unterschied zur Erde konnte man nicht einfach in den nächsten Laden gehen und sich eine neue Lötlampe kaufen. Jeder lockere Kontakt, jede kleine Korrosion kann schicksalsentscheidend sein. Eine Luftschleuse, die nur ein klein wenig leckt, kann in einem halben Jahr das gesamte Schiff leeren. Ein einziger Kreis, der zusammenbricht, und die komplette Navigationsausrüstung wird unbrauchbar. Man musste also ein Reservesystem haben. Das war das A und O. Reserveteile und Reparaturwerkzeug. Funktionierte die Wasserklärung nicht, starb man. So einfach war das. Ohne Gewächshaus gab es keine Fotosynthese, und ohne Fotosynthese gab es keinen Sauerstoff. Das haben diverse Geisterschiffe dort draußen erfahren müssen.

Ruben Stanislawski wurde von verschiedenen Katastrophen heimgesucht, doch es gelang ihm, die meisten abzuwenden. Lebensgefährlich wurde es, als ein Raumbrocken einen Riss in die Kabinenwand schlug und die Luft mit einem Zischen austrat. Ruben warf sich seinen Raumanzug über und aalte sich hinaus in die Schwerelosigkeit, mitten hinein in den funkelnden Sternenhimmel, nur mit Sauerstoff für sieben Minuten versehen. Wie ein Marienkäfer auf einem Grashalm kroch er die Stagleine entlang zu den Sonnenpaneelen. Plötzlich kippte das Schiff zur Seite, und er verlor den Halt. Mit einem Mal kreiselte er im Weltall umher. Ein wehrloser, zappelnder Käfer. Oder mit seinen eigenen Worten:

Mit augenblicklicher Klarheit wurde ich von Panik ergriffen. Ich war verloren. Vor mir sah ich, wie sich der dunkle Achterspiegel des Schiffes erhob. Unbeirrbar trieb es in die Nacht hinein. Ich war ein Matrose, der über Bord gespült worden war und nun sah, wie sein Fahrzeug verschwand. Das letzte Sonnenpaneel glitt nur einen Meter von mir entfernt vorbei, die letzte holprige Rettungsboje. Ich streckte mich, schwamm fieberhaft in dem leeren Raum. Doch ich erreichte es nicht. In wenigen Minuten würde ich tot sein. Ich hoffte nur, dass es schnell gehen würde. Ich beschloss, einen Todeskampf zu vermeiden. Wenn der Sauerstoff zu Ende gehen würde, bevor die Schmerzen mich durch die Krämpfe hilflos machen würden, wollte ich den Kragen aufschrauben, mir den Helm abreißen und das Vakuum mein Gehirn zerplatzen lassen. Vielleicht würde mein Schiff in ferner Zukunft gefunden werden. Aufgegeben, ohne jede Spur von Besatzung. Und ich selbst würde verschwinden, verschluckt wie das kleinste aller Staubkörner zwischen den Sternen.

Diese Gedanken durchströmten mich und erfüllten mich mit Verzweiflung. Ich dachte an meine dahingeschiedenen Eltern, die daheim auf der Karelischen Halbinsel im Lehmboden begraben lagen. Ich dachte an meinen schweigsamen, mageren Sohn, den ich vernachlässigt hatte, und sah ein, dass wir nie wieder die Loipe um den See herum laufen könnten. Ich dachte an frisch gefangene Lachsfilets, in Ei und Roggenmehl gewendet, in heißer Butter in der Bratpfanne mit frischem Dill gebraten, dieser göttliche Dillgeschmack.

Und da...


Niemi, Mikael
Mikael Niemi, Jahrgang 1959, wuchs im hohen Norden Schwedens in Pajala auf, wo er heute noch lebt. Im Jahr 2000 erschien sein erster Roman »Populärmusik aus Vittula«, für den er den renommiertesten Literaturpreis seines Landes, den Augustpreis, bekam. Es war das spektakulärste Debüt, das Schweden je erlebt hatte. Das Buch stand monatelang auf Platz 1 der Bestsellerliste, verkaufte sich über eine Million mal, wurde in 24 Sprachen übersetzt und ebenso erfolgreich verfilmt.



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