E-Book, Deutsch, 400 Seiten
Reihe: Binti
Okorafor Binti Sammelband
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-95981-657-1
Verlag: Cross Cult Entertainment
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 400 Seiten
Reihe: Binti
ISBN: 978-3-95981-657-1
Verlag: Cross Cult Entertainment
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Nebula-Award-Gewinner BINTI endlich in einem Sammelband, der alle drei Romane ALLEIN, HEIMAT und NACHTMASKERADE beinhaltet.
Ihr Name ist Binti und sie ist die erste Himba, die jemals an der Oomza Universität, einer der besten Lehranstalten der Galaxis, angenommen wurde. Aber diese Möglichkeit wahrzunehmen bedeutet, dass sie ihren Platz innerhalb ihrer Familie aufgeben und mit Fremden zwischen den Sternen reisen muss, die weder ihre Denkweise teilen, noch ihre Bräuche respektieren.
Die Welt, deren Teil sie werden möchte, hat einen langen Krieg gegen die Medusen hinter sich und Bintis Reise zwischen den Sternen lässt sie dieser Spezies näherkommen als ihr lieb ist. Wenn Binti das Vermächtnis eines Krieges überleben will, mit dem sie nichts zu tun hatte, wird sie die Gaben ihres Volkes brauchen und die Weisheit, die sich in der Universität verbirgt - aber zuerst muss sie es bis dorthin schaffen, lebendig.
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Ich aktivierte den Transporter und betete stumm. Ich wusste nicht, was ich tun würde, sollte er nicht funktionieren. Mein Transporter war billig, deshalb reichte ein Tropfen Feuchtigkeit oder, was wahrscheinlicher war, ein Sandkorn, um einen Kurzschluss auszulösen. Meistens aktivierte er sich erst nach zahlreichen Fehlversuchen. Bitte nicht jetzt, bitte nicht jetzt!, dachte ich. Der Transporter erbebte im Sand und ich hielt den Atem an. Er war winzig und so flach und schwarz wie ein Gebetsstein. Er summte leise und erhob sich langsam aus dem Sand. Endlich hatte er genügend Energie aufgebaut, um seine Last anzuheben. Ich grinste. Ich würde es bis zum Shuttle schaffen. Ich wischte mir mit dem Zeigefinger Otjize von der Stirn und kniete nieder. Dann berührte ich mit dem Finger den Sand und verrieb den süß riechenden roten Lehm darin. »Danke«, flüsterte ich. Der Weg über die dunkle Wüstenstraße war eine halbe Meile lang. Da der Transporter funktionierte, würde ich mein Ziel rechtzeitig erreichen. Als ich mich aufrichtete, hielt ich inne und schloss die Augen. Nun spürte ich die Last meines Lebens, die auf meinen Schultern lag. Zum ersten Mal widersetzte ich mich dem traditionellsten Teil in mir. Ich verließ sie mitten in der Nacht, und sie wussten von nichts. Meine neun Geschwister – bis auf einen Bruder und eine Schwester waren alle älter – ahnten nichts. Meine Eltern hätten sich in einer Million Jahren nicht vorstellen können, dass ich so etwas tun würde. Bis sie erkannten, was ich getan hatte und wohin ich wollte, würde ich den Planeten bereits verlassen haben. In meiner Abwesenheit würden meine Eltern knurren, dass ich nie wieder ihr Heim betreten dürfe. Meine vier Tanten und zwei Onkel, die die Straße hinunter wohnten, würden schreien und untereinander tuscheln, dass ich ein Skandal für die gesamte Blutlinie sei. Ich würde eine Ausgestoßene sein. »Los!«, flüsterte ich dem Transporter zu und stampfte mit dem Fuß auf. Die dünnen Metallringe, die ich an beiden Knöcheln trug, klirrten laut, aber ich stampfte erneut auf. Der Transporter funktionierte am besten, wenn ich ihn nicht berührte. »Los!«, wiederholte ich. Schweiß trat mir auf die Stirn. Als sich nichts bewegte, wagte ich es, die beiden großen Koffer, die auf dem Kraftfeld standen, anzustupsen. Sie setzten sich in Bewegung, und ich atmete erneut erleichtert auf. Das Glück war zumindest ein bisschen auf meiner Seite. Fünfzehn Minuten später kaufte ich eine Fahrkarte und betrat das Shuttle. Die Sonne lugte gerade erst über den Horizont. Als ich an den Passagieren vorbeiging, die bereits ihre Plätze eingenommen hatten, war ich mir des Umstandes, dass die buschigen Enden meiner vielen geflochtenen Zöpfe über ihre Gesichter strichen, nur allzu bewusst. Ich senkte den Blick. Unsere Haare sind dick und meine waren schon immer sehr dick gewesen. Meine alte Tante nannte sie »Ododo«, weil sie so wild und dicht wie Ododo-Gras wuchsen. Kurz bevor ich das Haus verlassen hatte, hatte ich meine geflochtenen Haare mit frischem süß riechenden Otjize eingerieben, den ich für diese Reise angerührt hatte. Ich hatte keine Ahnung, wie ich auf diese Leute, die mein Volk nicht so gut kannten, wirkte. Eine Frau beugte sich mit verkrampft wirkendem Gesicht von mir weg zur Seite, als ich vorbeiging, so als hätte sie etwas Ekliges gerochen. »Entschuldigung!«, sagte ich, den Blick auf meine Füße gerichtet. Ich versuchte die Tatsache, dass mich fast alle Passagiere in dem Shuttle anstarrten, zu ignorieren. Doch ich konnte der Versuchung, mich umzusehen, nicht widerstehen. Zwei Mädchen, die ein paar Jahre älter als ich zu sein schienen, bedeckten ihren Mund mit Händen, die so blass wirkten, als hätte die Sonne sie noch nie berührt. Alle sahen aus, als sei die Sonne ihr Feind. Ich war die einzige Himba im Shuttle, stellte ich rasch fest, als ich zu einem freien Sitz ging. Bei dem Shuttle handelte es sich um eines der neuen, schlanken Modelle, die aussahen wie die Gewehrkugeln, mit denen meine Lehrer an der Schule ballistische Koeffizienten berechnet hatten. Sie konnten dank einer Mischung aus Auftrieb, Magnetfeldern und exponentieller Energie sehr schnell über Land fliegen und ließen sich, wenn man die Teile und die Zeit hatte, relativ leicht bauen. Sie waren außerdem praktisch in heißen Wüstenregionen, wo die Straßen, die aus den Städten führten, in einem sehr schlechten Zustand waren. Mein Volk verließ seine Heimat nicht gerne. Ich setzte mich in den hinteren Teil des Shuttles, damit ich aus dem großen Fenster sehen konnte. Ich entdeckte die Lichter, die zum Astrolabiengeschäft meines Vaters gehörten, und das Sandsturmanalysegerät, das mein Bruder auf dem Dach der Wurzel angebracht hatte – so nannten wir das große, große Haus meiner Eltern. Sechs Generationen meiner Familie hatten dort schon gelebt. Es war das älteste Haus in meinem Dorf, vielleicht das älteste der Stadt. Es bestand aus Stein und Zement, war nachts kühl und tags heiß. Solarzellen und lumineszente Pflanzen, die bis kurz vor Sonnenaufgang leuchteten, bedeckten es. Mein Zimmer befand sich im obersten Stockwerk des Hauses. Das Shuttle setzte sich in Bewegung, und ich starrte das Haus an, bis es hinter mir verschwand. »Was tue ich hier?«, flüsterte ich. Anderthalb Stunden später traf das Shuttle am Raumhafen ein. Ich verließ es als Letzte, was gut war, da mich der Anblick des Raumhafens so überwältigte, dass ich einige Momente lang nur reglos dastand. Ich trug einen langen roten Rock, der sich so seidig wie Wasser anfühlte, ein helloranges Top, das ein wenig steif war und den Wind abhielt, dünne Ledersandalen und meine Knöchelringe. Niemand außer mir trug solche Sachen. Ich sah nur leichte weite Kleidung und Schleier; man konnte bei keiner Frau die Knöchel sehen und schon gar keine Knöchelringe aus Stahl, die bei jedem Schritt klimperten. Ich atmete durch den Mund und spürte, wie ich errötete. »Dumm, dumm, dumm«, flüsterte ich. Wir Himba reisen nicht. Wir bleiben. Das Land unserer Vorfahren ist unser Leben. Wer sich davon entfernt, verdorrt. Wir bedecken sogar unseren Körper mit ihm. Otjize ist rotes Land. Hier am Raumhafen sah ich hauptsächlich Khoush und ein paar andere Menschen, die keine Himba waren. Hier war ich eine Außenseiterin; ich war draußen. »Was habe ich mir dabei gedacht?«, flüsterte ich. Ich war sechzehn Jahre alt, war noch nie außerhalb meiner Stadt gewesen und hatte noch nie einen Raumhafen gesehen. Ich war allein und hatte gerade meine Familie verlassen. Meine Heiratsaussichten hatten bei hundert Prozent gelegen, nun lagen sie bei null. Kein Mann würde eine Frau heiraten, die davongelaufen war. Ich würde kein normales Leben führen. Doch ich hatte bei den planetaren Prüfungen eine so gute Note in Mathematik erzielt, dass die Oomza-Universität mich nicht nur angenommen, sondern versprochen hatte, alles zu bezahlen, was ich brauchte, um mein Studium dort zu absolvieren. Egal welche Entscheidung ich traf, ein normales Leben würde ich sowieso nicht führen. Ich sah mich um und wusste sofort, was ich zu tun hatte. Ich ging zum Informationsschalter. Der Reisesicherheitsbeamte scannte mein Astrolabium, und zwar komplett. Ich war so schockiert, dass mir schwindelig wurde. Also schloss ich die Augen und atmete durch den Mund, um mich zu beruhigen. Ich musste ihnen, nur um den Planeten verlassen zu können, Zugriff auf mein gesamtes Leben gewähren – auf mich, meine Familie und all meine Zukunftsaussichten. Ich stand wie erstarrt da, während ich die Stimme meiner Mutter in meinem Kopf hörte: »Unser Volk besucht aus gutem Grund nie diese Universität. Oomza Uni will sich an dir bereichern, Binti. Wenn du diese Schule besuchst, wirst du zu ihrer Sklavin.« Unwillkürlich fragte ich mich, ob das vielleicht stimmte. Ich war dort noch nicht einmal angekommen, musste ihnen aber schon mein gesamtes Leben überlassen. Ich wollte den Beamten fragen, ob er das bei jedem machte, aber da er bereits fertig war, traute ich mich nicht. In dieser Situation konnten sie mit mir machen, was sie wollten. Es war besser, sie nicht zu provozieren. Als der Beamte mir mein Astrolabium reichte, wollte ich es ihm aus der Hand reißen. Er war ein alter Khoush, so alt, dass er den schwärzesten Turban und den schwärzesten Schleier tragen durfte. Seine zitternden Hände hatte Arthritis so verkrümmt, dass er das Astrolabium beinahe fallen gelassen hätte. Er war so krumm wie eine verdorrende Palme, und als er »Du bist noch nie gereist. Ich muss einen vollständigen Scan durchführen. Warte hier!« sagte, war seine Stimme trockener als die rote Wüste, die meine Stadt umgab. Doch er las mein Astrolabium so schnell aus wie mein Vater, was mich auf der einen Seite beeindruckte, auf der anderen jedoch verängstigte. Er öffnete es geschickt, indem er ein paar ausgesuchte Gleichungen murmelte, und seine auf einmal ruhigen Hände bedienten die Regler so sicher, als sei dies sein eigenes Astrolabium. Als er fertig...