Osswald | Von hier betrachtet sieht das scheiße aus | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Osswald Von hier betrachtet sieht das scheiße aus

Roman
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-423-44025-7
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

ISBN: 978-3-423-44025-7
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



»Ein weiterer ereignisloser Tag in einem ereignislosen Leben. Ein Unspektakel jagt das nächste, und wenn ich nicht aufpasse, kaufe ich mir morgen einen Gartenzwerg und sortiere meine Tassen nach Farben.« Ben Schneider ist erst 29, hat aber schon genug vom Leben im Hamsterrad: aufstehen, arbeiten, Sorgen machen, sterben. Seinen Job bei einer Wirtschaftsprüfungskanzlei hasst er mindestens so sehr wie seinen Vorgesetzten. Der Kontakt zu seiner Familie ist größtenteils abgerissen, für die Liebe oder Freunde hat er schon lange keine Zeit mehr. Wenn ihm das Leben also nichts mehr zu bieten hat, findet Ben, könnte er doch zumindest über einen coolen Abgang nachdenken. Einfallsreich und überraschend sollte der sein. Sein Dealer Tobi hat die perfekte Lösung: Er kann ihm im Darknet einen Auftragskiller besorgen. Ben ist einverstanden, will aber noch 50 Tage Zeit haben bis zum großen Finale. Doch wie lebt es sich, wenn der eigene Todestag immer näher rückt?

Max Osswald, 1992 geboren, lebt als Autor und Comedian in München. >Von hier betrachtet sieht das scheiße aus< ist sein Debütroman, in dem er den Nerv einer ganzen Generation trifft, sagt seine Lektorin. Und sie muss es wissen, sie macht das beruflich. Er schreibt für verschiedene Formate (u.a. >Extra 3<), ist Teilnehmer der 34. Drehbuchwerkstatt an der HFF München (Writer's Room), war 2019 im Finale des NightWash Talent Awards, 2022 im Finale des Quatsch Comedy Hot Shots und vielleicht gewinnt er sogar irgendwann mal irgendwas.
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STETS ZU DIENSTEN


Aufstehen, arbeiten, Sorgen machen, sterben. So hat mal jemand in irgendeinem VICE-Artikel das Erwachsenenleben beschrieben. Gegen das Aufstehen kann ich mich nicht wehren und Sorgen kommen mit der Zeit sowieso: Entweder man hat zu wenig und das stresst – oder man hat zu viel und Angst, es zu verlieren.

Auf das Arbeiten habe ich mich jahrelang vorbereitet, habe meine ganze Jugend damit verbracht, irgendwas zu lernen, mich auf irgendeine Arbeit abzurichten und zu dressieren, einen Beruf, einen Job, wobei das alles sehr unterschiedliche Dinge sind. Einen Beruf haben die wenigsten, einen Job die meisten und Arbeit hat dich glücklich zu machen, dich zu erfüllen, Spaß zu machen, tut es aber nie. Die einzigen Dinge, die mit der Zeit zunehmen, sind nicht deine Zufriedenheit oder der empfundene Sinn, sondern dein Gewicht und die Länge deiner Augenringe. Willkommen in der Erwerbstätigkeit.

Wie belanglos ein Job eigentlich ist, habe ich erst festgestellt, als ich einen hatte.

Und danach einen anderen.

Und danach noch einen anderen.

Und egal, was es ist – lass genug Zeit vergehen und alles ist scheiße. Scheiße und langweilig und es saugt dir die Seele aus, lässt dich und deinen Elan zurück wie eine verschrumpelte Rosine, kaut dich durch und kotzt dich aus, zum Dank bekommst du Schlafstörungen, Depressionen, ein okayes Arbeitszeugnis und alle drei Monate ein »Danke« von Leuten, denen es genauso scheiße geht wie dir. Die wichtigen Leute sind für Dankbarkeit zu wichtig, da sie mit wichtigeren Dingen beschäftigt sind als dir. Aber man klopft sich gegenseitig auf die Schulter und freut sich, ein glänzendes, strahlendes Zahnrädchen zu sein, eins, auf das die Eltern der Freundin stolz sind, eins, das vielleicht dieses Jahr sogar in einer schlecht vorbereiteten Rede einer völlig rhetorikfernen Vorgesetzten erwähnt wird, eins, das entweder nicht weiß oder ignoriert, dass es überhaupt ein Zahnrädchen ist. Opium fürs Volk, Gehalt auch, also haltet es aus und vor allem die Fresse.

Und es ist egal, ob man beruflich Blut abnimmt, PowerPoint-Präsentationen erstellt oder Schwänze lutscht, man prostituiert sich sowieso, verkauft sich, tauscht Lebenszeit gegen Geld und hofft, einen guten Deal gemacht zu haben. Man kriecht Menschen in den Arsch, die man normalerweise mit ebenjenem nicht mal anschauen würde, dann leckt man noch dran, rubbelt ihn wieder sauber und freut sich über das Trinkgeld.

Jahresgespräch. Der Arsch, in den ich zu kriechen habe, ist der Puffvater des Bordells, in dem ich arbeite und das sich nach außen hin »Wirtschaftsprüfungskanzlei« nennt. Fehler zu finden ist mein Job, das habe ich seither in jedem Lebensbereich perfektioniert, unser Geschäftsmodell aber ist: Wir schauen uns Zahlen an und sagen, dass sie stimmen. Wenn sie nicht stimmen, flüstern wir das den Mandantinnen und Mandanten ganz vorsichtig zu und sie ändern es. Es gibt keine Fehler. Nie. Zumindest keine, die nicht tolerierbar wären.

Er trägt den Namen Thomas Reichardt.

Beziehungsweise Dr. Thomas Reichardt, schließlich hat er damals als geschäftsführender Partner mit Ende 40 nebenberuflich promoviert.

Klar.

Beziehungsweise Dr. Dr. Thomas Reichardt, schließlich wurde ihm von seiner alten Universität aufgrund der Verdienste für ebendiese noch der Ehrendoktortitel verliehen.

Klar.

Als ich damals als Werkstudent einmal zu ihm sagte, meine Hochschule suche noch Dozierende, meinte er: »Für Titel mach ich alles«, und kicherte dann, obwohl es kein Scherz war. Unter Kolleginnen und Kollegen, die sich tatsächlich mögen, wird oft gescherzt, dass er erst dann ruht, wenn seine Titel länger sind als sein Vor- und Nachname. Da er streng genommen noch seinen Steuerberater- und Wirtschaftsprüfertitel dazunehmen kann (»StB« und »WP«), fehlen ihm noch exakt eine Professur und ein weiterer Doktortitel, dann herrscht Buchstaben-Gleichstand und seine Seele findet Frieden. Wir fragen uns schon lange, ob er dann nett sein würde.

Er ist ein Mensch, der sich viel zu viel Zeit für seine viel zu wenigen Haare nimmt und der gerne einen über den Durst trinkt, wenn ein Projekt durch ist. Dann lässt er sich das zweite Mal blicken (das erste Mal ist ganz am Anfang des Projekts), schüttelt Hände, schwadroniert über früher und wie ausgezeichnet das hier wieder gelaufen ist und dass es im nächsten Jahr – »Sie werden sich doch nächstes Jahr wieder für uns entscheiden, oder?« – wieder mindestens genauso gut laufen wird, man kümmere sich ja viel um Personalentwicklung, was übersetzt so viel heißt wie: Er hofft, dass nächstes Jahr 60 % der Belegschaft noch dieselbe ist. Mindestens einmal pro Gespräch muss in irgendeinem willkürlichen Zusammenhang möglichst eindrucksvoll das Wort »Interdisziplinarität« fallen, denn das macht immer was her, dann nicken alle Mandantinnen und Mandaten, hauchen möglichst wissend »Aaah, sehr gut« und am Ende gehen alle möglichst lächelnd nach Hause.

Klingt langweilig und bescheuert? Ist es auch. Ich habe zu lange gebraucht, das festzustellen; wenn man sich auf der Überholspur befindet, stellt man dummerweise oft die Richtung nicht mehr infrage.

Einmal hat er mir im Suff erzählt, dass er viel Wert darauf lege, dass man seinen Nachnamen richtig schreibe, und zwar, Zitat: »Reichardt mit dt, verfickte Scheiße! Das kann doch nicht so schwer sein! Oder wieso begreifen diese behinderten Praktikanten das nicht, was lernen die eigentlich in der Schule?« Er schnaubte kurz und fuhr fort: »Entschuldigen Sie, da ging es grade ein bisschen mit mir durch. Aber das bleibt ja unter uns.« Ein richtiger Sympathieträger. Zu allem Übel zwinkerte er dann sogar noch. Ich fragte mich, ob er sich eigentlich selbst für sympathisch hält und mit sich ein Bier trinken gehen würde.

Es ist 9:25 Uhr. Fünf Minuten vor Terminbeginn stehe ich vor seinem Büro, falls er schon früher kann, denn er sagt immer »Zeit ist Geld und Geld ham’ wir nich’!« und lacht dann laut.

Ich hasse Lügner.

Er kommt den Gang entlang und huscht geschäftig an mir vorbei.

»Ah, Herr Kollege, Sie sind schon da! Na, dann mal rein in die gute Stube.«

Ich nicke, lächle bemüht und trete ein. Die gar nicht mal so gute Stube ist ein Raum mit zu vielen Quadratmetern für eine Person, zu viel Edelholz (»Palisander, Mahagoni, kein Billigscheiß«) und zu wenig Seele. Alle, dessen Namen er sich nicht merken kann, nennt er ganz pragmatisch »Herr Kollege« oder »Frau Kollegin«. Noch im Stehen schaut er auf seinen Bildschirm, um sich kurz die groben Fakten über mich in Erinnerung zu rufen: Name, Position, Notiz der Sekretärin.

»Setzen Sie sich. Auch einen Espresso?«

»Gern.«

Zu angebotenen Dingen immer Ja sagen. Soll eine positive Grundstimmung erzeugen, war mal ein Tipp für Bewerbungsgespräche in irgendeinem Studienheftchen. Ich empfinde das Leben als permanentes Bewerbungsgespräch.

Ich schlängele mich gekonnt durch das initiale Smalltalk-Blabla, bis es richtig losgeht.

Ob ich zufrieden sei.

»Klar.«

Meine Antwort ist so knapp wie unehrlich, aber mir fällt nichts Besseres ein. Ehrlich gesagt ist es mir auch völlig egal.

Er grübelt, legt seinen Zeigefinger auf den Mund und lehnt sich in seinem pompösen Sessel zurück; die Hintern von Arschgesichtern sind meistens bequem gepolstert. Er schaut mich erwartungsvoll an. Ich sage nichts und versuche, zu lächeln. Ich bin mir sicher, dass es wahnsinnig künstlich wirkt.

Er lehnt sich wieder nach vorne und wischt imaginäre Krümel von seinem riesigen und perfekt aufgeräumten Schreibtisch.

»Schön, schön. Also Herr …«, Blick auf den Bildschirm, »… Schneider. Jetzt haben Sie also ein Jahr lang Prüfungsteams geleitet. Wie war das für Sie?«

»Gut.«

Lüge. Ich bin sehr anpassungsfähig und hasse mich dafür.

»Ja?«

»Sehr gut. Die Zusammenarbeit mit den Assistentinnen und Assistenten ist super gelaufen …«

Dem nächsten Juhu-ich-darf-einen-Anzug-tragen-aber-hab-in-der-Uni-überhaupt-nicht-aufgepasst-Praktikanten, dem ich den Anlagenspiegel erklären muss, drehe ich den Hals um.

»… und die Mandate waren super angenehm.«

haha, ja, fick dich.

»Gerade Freiburg hat mir sehr gut gefallen. Wirklich, sehr, sehr gut.«

Stimmt.

»Ich freu mich schon aufs nächste Jahr.«

Lüge.

»Sehr gut«, schließt er das Thema ab und glaubt mir. Ich mir selbst beinahe auch. Tief in meinem Herzen stirbt gerade ein kleiner Punk.

»Mein Vorstandskollege Herr …«, Blick auf den Bildschirm, »Melano – der hält ja auch große Stücke auf Sie.«

Ich glaube, darauf soll ich jetzt demonstrativ stolz sein, denn er taxiert mich, lehnt sich zurück und wippt etwas mit dem Stuhl vor und zurück, während er sich den Zeigefinger auf die Oberlippe legt. Es sieht aus, als würde er an seinem Finger riechen und daraus seine nächsten Worte extrahieren.

Ich nicke und lächle pflichtbewusst.

»Mal ein kleines Gedankenspiel: Wenn Sie es sich komplett aussuchen könnten, wie würde Ihre ideale berufliche Zukunft aussehen?«

Anders als die Gegenwart. Aber so was kann man ja nicht antworten. Ist auch eine selten bescheuerte Frage. Wir beide kennen den nun aufzuführenden Affentanz, die einstudierten und...


Osswald, Max
Max Osswald, 1992 geboren, lebt als Autor und Comedian in München. ›Von hier betrachtet sieht das scheiße aus‹ ist sein Debütroman, in dem er den Nerv einer ganzen Generation trifft, sagt seine Lektorin. Und sie muss es wissen, sie macht das beruflich. Er schreibt für verschiedene Formate (u.a. ›Extra 3‹), ist Teilnehmer der 34. Drehbuchwerkstatt an der HFF München (Writer’s Room), war 2019 im Finale des NightWash Talent Awards, 2022 im Finale des Quatsch Comedy Hot Shots und vielleicht gewinnt er sogar irgendwann mal irgendwas.

Max Osswald, 1992 geboren, lebt als Autor und Comedian in München. ›Von hier betrachtet sieht das scheiße aus‹ ist sein Debütroman, in dem er den Nerv einer ganzen Generation trifft, sagt seine Lektorin. Und sie muss es wissen, sie macht das beruflich. Er schreibt für verschiedene Formate (u.a. ›Extra 3‹), ist Teilnehmer der 34. Drehbuchwerkstatt an der HFF München (Writer's Room), war 2019 im Finale des NightWash Talent Awards, 2022 im Finale des Quatsch Comedy Hot Shots und vielleicht gewinnt er sogar irgendwann mal irgendwas.



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