Precht | Anna, die Schule und der liebe Gott | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 352 Seiten

Precht Anna, die Schule und der liebe Gott

Der Verrat des Bildungssystems an unseren Kindern

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

ISBN: 978-3-641-09282-5
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Der Verrat des Bildungssystems an unseren Kindern.
Unsere Kinder, die heute eingeschult werden, gehen im Jahr 2070 in Rente. Doch wir überfrachten sie mit Wissensstoff, den sie für ihr Leben kaum brauchen werden. Statt ihnen dabei zu helfen, Neugier, Kreativität, Originalität, Orientierung und Teamgeist für eine immer komplexere Welt zu erwerben, dressieren wir sie zu langweiligen Anpassern. Demgegenüber stehen die Erkenntnisse der modernen Entwicklungspsychologie, der Lerntheorie und der Hirnforschung, die an unseren Schulen bis heute kaum berücksichtigt werden. Denn nur was mit Neugier gelernt wird, wird unseren Kindern wichtig und bedeutsam. Und nur was ihnen bedeutsam ist, weckt ihre Kreativität und spornt die Leistungsbereitschaft an. Der Philosoph und Bestsellerautor Richard David Precht fordert: Unsere Schulen müssen völlig anders werden als bisher. Wir brauchen andere Lehrer, andere Methoden und ein anderes Zusammenleben in der Schule. Mit einem Wort: Wir brauchen keine weitere Bildungsreform, wir brauchen eine Bildungsrevolution!
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Was ist Bildung? Bildung ist das, was zurückbleibt, wenn man das Gelernte wieder vergessen hat. Georg Kerschensteiner Das deutscheste Wort Es gibt Bildungssysteme, Bildungsinstitute, Bildungseinrichtungen, Bildungsminister, Bildungsreisen, Bildungsmiseren, Bildungskatastrophen und neuerdings sogar eine Bildungsoffensive, eine Bildungsrepublik, Bildungsfonds, Bildungskredite, Bildungsgutscheine und Bildungsschecks. Aber was ist Bildung? Und wozu und zu welchem Ende bilden wir, frei nach Schiller, unsere Kinder? Bildung ist Alles, was man wissen muss, betitelte einst der Anglist Dietrich Schwanitz einen Bestseller. Dass die Naturwissenschaften offensichtlich nicht dazugehörten, motivierte den Wissenschaftspublizisten Ernst Peter Fischer zum Gegenschlag: Die andere Bildung. Was man von den Naturwissenschaften wissen sollte. Beiden Büchern gemein ist die Vorstellung, dass Bildung gleichbedeutend ist mit Wissen. Oder genauer: mit einem konkreten Bescheidwissen über ausgewählte Dinge. Sie ist, so könnte man daraus folgern, so etwas wie die mentale Vorratsdatenspeicherung kanonisierter Sachverhalte – eine Art innere Bibliothek mit Schnellzugriff. Etwas, das man bei Günther Jauch abrufen kann, um Millionär zu werden. Etwas, woran Gebildete sich erkennen, um sich von Ungebildeten zu unterscheiden. Aufstieg und Sinn eines solchen Bildungsbegriffs stammen wesentlich aus dem 18. Jahrhundert, aus der Zeit, als das aufstrebende Bürgertum den Besitzern von Rittergütern seine Bildungsgüter entgegensetzte. »Wissen ist Macht« – die alte Formel des englischen Renaissancephilosophen Francis Bacon bekam nun eine breite gesellschaftliche Bedeutung. Von nun an galt dem Bürgertum Bildung als Synonym für den sozialen Aufstieg – aber auch als Standesprivileg des sogenannten Bildungsbürgertums gegenüber dem Kleinbürgertum, den Bauern und der Arbeiterschaft. Wer gebildet war, wurde geachtet, wenn auch auf einem schmalen Grad an Bildungsetikette. Wie der Adel das Halbseidene, so verachtet der wahrhaft Gebildete den Bildungsphilister und den Bildungsspießer ob seiner Bildungshuberei. Im Zweifelsfall gilt ihm der aufrecht Ungebildete mehr als der Halbgebildete. Was für ein »herrlich unverbildeter Typ« rühmte einst der Sportmoderator Dieter Kürten den Fußballtrainer Michael Lorkowski. Das Wort »Bildung« ist heute in aller Munde. Niemand spricht sich in einer öffentlichen Debatte gegen Bildung aus. Politiker, Popstars, Poeten, Propheten und Professoren plädieren für mehr Bildung. Wirtschaftskreise haben einen »Aktionsrat Bildung« gegründet. Und dass die Bildung unserer Kinder das Wichtigste überhaupt sei für die Zukunft unseres Landes, daran lässt niemand einen Zweifel. Wer eine große Investition in die Bildung fordert, hat das Publikum auf seiner Seite. Das Problem ist nur: Jeder denkt dabei an etwas anderes! Für die einen bedeutet ein Mehr an Bildung ein Mehr an Fachkräften für den Standort Deutschland. Für andere ist Bildung in erster Linie Gewaltprävention, weil gebildete Menschen sich in der Regel seltener körperliche Gewalt antun als ungebildete. Wiederum andere fahnden eifrig und verzweifelt nach den optimalen Bildungschancen ihrer Kinder, um sie auf einem angeblich immer heißer umkämpften globalen Weltmarkt mit jenem Kapital auszustatten, das sich am besten durch Erfolg verzinst. Und während die einen weniger Filter durch Klausuren, Tests und Noten verlangen, wünschen sich die anderen ein Leistungsniveau so hoch wie möglich. Passen alle diese Vorstellungen in ein einziges Wort? Die alten Germanen hatten wahrscheinlich keine Ahnung davon, was für ein Ungetüm sie gebaren, als sie das Wort bildunga prägten, um damit das zu bezeichnen, was erschaffen war und gestaltet. Explizit auf den Menschen wurde Bildung allerdings erst im Mittelalter von Meister Eckhart angewendet: Wer sich bildet, der strebt Gott nach und ergibt sich darein, sich mit Gottes Hilfe zu vervollkommnen. Gebildet wird der Mensch demnach nicht allein durch eigene Kraft, sondern dadurch, dass Gott ihn formt. Menschlich ist die Anstrengung, göttlich das Resultat. Erst in der Renaissance schwindet der Anteil Gottes an der Selbstschöpfung des Menschen durch Bildung zugunsten des mühseligen Eigenanteils. Sich bilden wird fortwährende Arbeit an sich selbst. Durch den stückweisen Erwerb von Bildung zeichnet der Mensch sein Gesicht. Die Fortsetzung und zugleich seinen Höhepunkt erreicht das Bildungsziel »Bildung« im 18. Jahrhundert. Das moderne säkulare Menschenbild gebiert den Gedanken, dass alle Menschen »bildsam« seien. Alle können gebildet werden, insofern sie sich Mühe geben. Ob jemand Bildung erwirbt, ist demnach vor allem eine Frage des Umgangs mit sich selbst. Der Gebildete setzt sich zu sich selbst in ein Verhältnis. Das Ich wird, in einer Formulierung des Philosophen Johann Gottlieb Fichte (1762 –1814), zum »Werk meiner Selbst«. Man expandiert seinen Horizont. Denn der gebildete Mensch hat mehr vom Leben – jedenfalls im Prinzip. Jean-Jacques Rousseaus Satz, dass nicht diejenigen am meisten gelebt haben, die am ältesten werden, sondern diejenigen, die am meisten gefühlt haben, bildet dafür eine gute Basis. Erst eine umfassende Bildung differenziert unsere Gedanken, unsere Vorstellungen und mit ihnen unsere Gefühle. Das gesellschaftliche Endziel der Bildung ist dann der souveräne Umgang mit der eigenen Freiheit in der Gesellschaft. In diesem Sinne ist die Pädagogik, wie Immanuel Kant (1724 –1804) schreibt, »Erziehung zur Persönlichkeit, Erziehung eines frei handelnden Wesens, das sich selbst erhalten, und in der Gesellschaft ein Glied ausmachen, für sich selbst aber einen innern Wert haben kann«. Sich bilden ist also nicht mehr nur eine Sache, die der Gebildete allein mit sich und Gott in seiner Studierstube ausmacht. Man muss sich auch fragen, was für eine Rolle man in der Gesellschaft spielen möchte. Es ist, in einer Formulierung Georg Wilhelm Friedrich Hegels über Goethes Bildungsroman Wilhelm Meister, ein »Spagat zwischen der Poesie des Herzens und der Prosa der Verhältnisse«. Vergleichbare Bildungskonzepte gibt es bei Johann Gottfried Herder, Johann Friedrich Herbart, Friedrich Schiller, Johann Heinrich Pestalozzi oder Friedrich Schleiermacher. Immer geht es um den Prozess, in dem der Mensch seinen Horizont stückweise erweitert und sich dabei selbst vervollkommnet. Und das Ziel ist erreicht, wenn er dabei sein eigenes Wesen mit der Welt in Harmonie bringt. In seiner prätentiösen Verwaschenheit und seiner bewussten Innerlichkeit ist der Bildungsbegriff eine spezifisch deutsche Erfindung. Vergleichbares existiert in Frankreich und England nicht. Wo Nationalstaaten vorherrschten – statt eines Gebietsteppichs wie in Deutschland –, war der Bildungsbegriff in einem gesellschaftlichen Stand aufgehoben und in Institutionen konfektioniert. Der Homme de lettres, wie er im 18. Jahrhundert in Frankreich auftrat, war nicht allein durch seine Bildung und seine damit verbundene gesellschaftliche Rolle als Erzieher gekennzeichnet. Er war ein moderner Berufsintellektueller, dessen Stand durch die Mitgliedschaft in Akademien und Gesellschaften markiert und dessen Gedankengut urheberrechtlich geschützt war. Berufsintellektuelle solchen Zuschnitts fand man in Deutschland im 18. Jahrhundert kaum, und sie haben, anders als in Frankreich, bei uns bis heute keine echte Tradition. Eine andere Spielart des gebildeten Menschen ist der englische Gentleman. Zunächst war er so etwas wie ein tadelloser Adeliger. Doch seit der Aufklärung beanspruchten auch Geistesaristokraten Mitglieder dieser exklusiven Kaste zu sein, die mehr als alles andere durch eine Haltung gekennzeichnet war: viel zu wissen, viel zu können, die richtigen Schulen besucht zu haben, viel zu beeinflussen und immer die nötige Würde zu bewahren und sich nobel zu benehmen. Um ein solches Konzept wie die deutsche »Bildung« hervorzubringen, spielten viele unterschiedliche Faktoren zusammen. Der Mangel an einer breiten und institutionalisierten Öffentlichkeit wie in Frankreich oder England dürfte ein wichtiger Grund gewesen sein. Statt Streitschriften zu verfassen und Debatten anzuheizen, zielte die deutsche Bildung mangels einer gesamtdeutschen öffentlichen Streitkultur eher nach innen, auf die individuelle Gesinnung. Unterstützt wurde diese Tendenz zur Innerlichkeit durch den starken Einfluss des Protestantismus auf das deutsche Bildungsideal. Für den Protestanten war Bildung das Ergebnis einer beständigen Arbeit an sich selbst. Und sich bilden bedeutete, sich einer beständigen intellektuellen Gewissensprüfung auf Herz und Geist zu unterziehen. Bildung errang man also nicht, indem man sich in Debatten, Zirkeln und Akademien intellektuell bewährte, sondern indem man sich weitgehend privat selbst veredelte. Hegel (1770 –1831) hat diesen Innerlichkeitskult schon in dessen Blütezeit kritisiert, als er zu Anfang des 19. Jahrhunderts schrieb, dass das »Fürsichsein« den »Verlust seiner selbst« bedeute, weil es ohne echten Austausch mit anderen auch gar kein echtes Wissen und erst recht gar keine Bildung gibt.7 Eine wohlverstandene Bildung, so...


Precht, Richard David
Richard David Precht, geboren 1964, ist Philosoph, Publizist und Autor und einer der profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum. Er ist Honorarprofessor für Philosophie und Ästhetik an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin. Seit seinem sensationellen Erfolg mit »Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?« waren alle seine Bücher zu philosophischen oder gesellschaftspolitischen Themen große Bestseller und wurden in mehr als 40 Sprachen übersetzt. Seit 2012 moderiert er die Philosophiesendung »Precht« im ZDF und diskutiert zusammen mit Markus Lanz im Nr.1-Podcast »LANZ & PRECHT« im wöchentlichen Rhythmus gesellschaftliche, politische und philosophische Entwicklungen.


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