Rauchensteiner | Zwischen den Blöcken | Buch | 978-3-205-78469-2 | sack.de

Buch, Deutsch, Band Band 036, 817 Seiten, Format (B × H): 178 mm x 245 mm, Gewicht: 1504 g

Reihe: Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek

Rauchensteiner

Zwischen den Blöcken

Buch, Deutsch, Band Band 036, 817 Seiten, Format (B × H): 178 mm x 245 mm, Gewicht: 1504 g

Reihe: Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek

ISBN: 978-3-205-78469-2
Verlag: Böhlau


Jahrzehnte hindurch beherrschte die Existenz zweier Militärblöcke das politische Handeln und militärische Denken Europas. Die theoretische Möglichkeit der gegenseitigen totalen Vernichtung ließ das Bild vom Gleichgewicht des Schreckens entstehen. Und Österreich lag exakt an der Schnittlinie der Blöcke. Die Wahrnehmung war allerdings unterschiedlich. Während man in der NATO meist ein freundliches Militärbündnis sah, wurde immer wieder spekuliert, ob nicht der Warschauer Pakt jenseits aller Beteuerungen aggressive Absichten hegte. Mittlerweile ist klar geworden, dass Österreich in den Planungen von Ost und West eine sehr wesentliche Rolle zukam, und dass es auf Grund seiner eigenen militärischen Schwäche einer Art Vielfachbedrohung ausgesetzt war. 12 Autoren, Wissensträger und namhafte Wissenschafter, gehen dem Bedrohungsbild, der Wahrnehmung und den Schlussfolgerungen nach, die Österreich aus seiner Existenz zwischen den Blöcken zog.
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Weitere Infos & Material


Manfried Rauchensteiner
Die Rahmenhandlung – eine Einführung
Bruno Thoß
Osterreich in der Entstehungs- und Konsolidierungsphase des westlichen Bündnissystems (1947–1967)
Michael Gehler
'to guarantee a country which was a military vacuum'
Die Westmachte und Osterreichs territoriale Integrität 1955–1957
Wolfgang Mueller
Der Warschauer Pakt und Osterreich 1955–1991
Hans Rudolf Fuhrer
Neutral zwischen den Blocken: Osterreich und die Schweiz
Manfried Rauchensteiner
Sandkasten und Übungsraume.
Operative Annahmen und Manöver des Bundesheers 1955–1979
Hannes Philipp
Der Operationsfall 'A'. Gesamtbedrohung im Zeichen der Raumverteidigung, 1973–1991
Friedrich Korkisch
Die atomare Komponente. Überlegungen für einen Atomwaffen-Einsatz in Osterreich
Peter Jankowitsch
Das Problem der Aquidistanz. Die Suche der Zweiten Republik nach außenpolitischen
Leitlinien
Andreas Resch
Der österreichische Osthandel im Spannungsfeld der Blocke
Martin Malek
Osterreich und der Auflosungsprozess des Warschauer Pakts (1989–1991)
Horst Pleiner
Österreich und die NATO am Ende des 20. Jahrhunderts
Berthold Molden
Die Ost-West-Drehscheibe. Osterreichs Medien im Kalten Krieg
Bibliografie (Auswahl)
Personenregister
Abkürzungsverzeichnis
Autorenverzeichnis


Hans Rudolf Fuhrer*

Neutral zwischen den Blocken: Osterreich und die Schweiz

Die Ausgangslage
Der im 'Moskauer Memorandum' vom 5. April 1955 gefundene Kompromiss, wonach Osterreich neutral wie die Schweiz werden sollte, hat den Weg zu Osterreichs Staatsvertrag freigemacht. Gerald Stourzh nennt ein lange geheim gehaltenes Gespräch zwischen dem sowjetischen Außenminister Wjatscheslaw M. Molotow und dem amerikanischen Staatssekretar John Foster Dulles vom 13. Februar 1954 in Berlin als Zäsur und Wendepunkt in der Vorgeschichte des Staatsvertrags. Dulles soll seinem Amtskollegen die Zustimmung der USA zu einem Osterreich, das mit frei gewählter Neutralität 'eine Schweiz zu sein wünscht', signalisiert haben. Nach Hinterlegung der Ratifikationsurkunden des Staatsvertrags durch die Signatarmachte in Moskau und nachdem der letzte alliierte Soldat das Land verlassen haben sollte, verabschiedete das österreichische Parlament das Bundesverfassungsgesetz vom 26. Oktober 1955 über die immerwährende Neutralität Osterreichs. Dieser Tag ist zum Nationalfeiertag erklärt worden, was die Bedeutung auch für kommende Generationen unterstreichen sollte.
Die österreichische Bundesregierung war nun beauftragt, eine Außen- und Sicherheitspolitik nach dem Vorbild der Schweiz zu fuhren. Das war nicht unproblematisch. Zu vieles war anders als in der Schweiz und alles war neu. Wohl hatten sich bereits 1947 78 % der befragten Österreicherinnen und Osterreicher für eine strikte Neutralität nach dem Muster der Schweiz ausgesprochen, doch wussten wirklich alle, was dies bedeutete ? Der Chefredakteur der 'Neuen Zürcher Zeitung', Hugo Butler, wusste von Hans Thalberg, dem österreichischen Botschafter in Bern, zu berichten, dass dieser gesagt habe: 'Das Erstaunlichste ist, dass die Bewohner dieser beiden Nachbarlander überzeugt davon sind, dass sie sich bestens kennen und in Wirklichkeit weniger voneinander wissen als Länder, die durch einen Ozean voneinander getrennt sind. Die Vorurteile diesseits und jenseits des Arlbergs sitzen sehr tief.' Thalberg wird auch das Bild von den 'beiden gleichen, aber einander doch so unähnlichen Alpenbrüdern, die mit dem Rucken gegeneinander sitzen', zugeschrieben. Wenn er dies viele Jahre nach dem Staatsvertrag noch so feststellte, wie muss es dann um das Wissen über die Neutralität im Allgemeinen und über die schweizerische Neutralität im Speziellen nach dem Zweiten Weltkrieg bestellt gewesen sein ? Da wir dies nicht mehr konkret nachfragen können, wollen wir für eine vergleichende Beurteilung der mehr als fünfzigjährigen österreichischen Neutralität 'zwischen den Blocken' zunächst einmal den beiden Fragen nachgehen: Was ist Neutralität im Allgemeinen und was ist schweizerische Neutralität im Speziellen ? Des Weiteren wäre nach der Haltung der Regierung in Moskau zur Neutralität im 20. Jahrhundert zu fragen. Ein dritter Schritt dient der Analyse der Berichte des schweizerischen Gesandten in Wien über die Rolle der Blocksysteme in West und Ost, und schließlich waren noch einige Fragen zur Gleichheit und Ungleichheit der österreichischen und schweizerischen Neutralität zu stellen.

Eine Neutralität 'nach dem Vorbild der Schweiz'

Skizze

Die zentrale Lage in Europa im Allgemeinen sowie die Zugehörigkeit zur europäischen Zwischenzone West im Speziellen bestimmen seit 1291 die militaärgeografische Situation der Eidgenossenschaft. Die beiden Machtzentren – im Westen irgendeine Form von Frankreich (Haus Valois, später Bourbon) und im Osten irgendeine Form des Römisch-Deutschen Reiches (Haus Habsburg) – liessen ein machtpolitisches Spannungsgeflecht in Westeuropa entstehen.
Das spiegelbildliche System prägte auch die Zwischenzone Ost, in der das heutige Osterreich liegt. Hier befand sich auch das deutsche Machtzentrum im Nordwesten und irgendeine Form von Russland (Haus Romanow) bzw. die Sowjetunion im Osten. Geografisch gehören zudem Osterreich und die Schweiz zum Alpenriegel zwischen Nord- und Sudeuropa, aber sie sitzen, wie Thalberg es richtig sieht, Rucken an Rucken. Die Eidgenossenschaft ist nach Norden, Westen und Suden gewandt und Osterreich eher nach Osten. Verbindend ist nur der Kultur- und Wirtschaftsraum Vorarlberg.
Diese geopolitischen Gegebenheiten bestimmten das Entstehen und die Ausformung der schweizerischen Neutralität seit 1515. Die Eidgenossenschaft versuchte, sich nach der Niederlage von Marignano 1515 zunehmend aus den europäischen Machtkämpfen herauszuhalten und nur Söldner zur Verfügung zu stellen. Sie blickt also auf eine rund fünfhundertährige Neutralitätsgeschichte zurück. Als außenpolitische Maxime steht die Neutralität in der schweizerischen Bevölkerung wie eh und je hoch im Kurs. Die Militärakademie und die Forschungsstelle für Sicherheitspolitik an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich untersuchen seit 1993 diese Problematik mit einer jährlichen repräsentativen Befragung. Im Trend der letzten Jahre sind es unverändert rund neun von zehn Schweizerinnen und Schweizern – 2008 und 2009 waren es 93 %, so viele wie nie zuvor seit Beginn der Messreihe -, die an der 'ständigen' Neutralität festhalten wollen. Die Befürwortung der 'differentiellen Neutralität', ermittelt durch die Stellungnahme zur Aussage 'Die Schweiz sollte bei politischen Konflikten im Ausland klar Stellung für die eine oder andere Seite beziehen, bei militärischen Konflikten aber neutral bleiben', bleibt relativ konstant bei 60 %. Weniger als 10 % wollen ganz auf die Neutralität verzichten. Bei diesen Prozentzahlen stellt sich die Frage, ob wohl alle unter 'Neutralitat' das Gleiche verstehen. Drei Aspekte scheinen dabei besonders wichtig zu sein.

1. Der strategische Aspekt: Staaten, welche die Neutralität anstreben, müssen strategische Guter besitzen, die im Interesse der umliegenden Hegemonialmachte liegen. Deren Nutzung soll im Kriegsfall weiterhin allen oder niemandem zur Verfügung stehen.
2. Der instrumentelle Aspekt: Teile der schweizerischen Bevölkerung interpretieren die Staatsmaxime Neutralität hauptsachlich final, d. h. sie stellt einen Wert an sich dar, eine Art 'swiss way of life', und ist nicht nur eines der Mittel der Außenpolitik, auf das man verzichten kann, wenn es nicht mehr opportun erscheint.
3. Der rechtliche Aspekt: Neutralität im Völkerrecht ist die Politik der Nichtbeteiligung an einem Krieg. Es ist zunächst zwischen gewöhnlicher und ständiger Neutralität zu unterscheiden. Als gewöhnliche Neutralität bezeichnet man das Rechtsverhältnis, das im Kriegsfall zwischen dem neutralen Staat und den Krieg führenden Machten besteht. Oberster Grundsatz dieses Rechtsverhältnisses ist das Interventionsverbot, welches keine staatliche Maßnahme zugunsten oder zu Lasten einer Krieg führenden Partei zulässt. Die ständige oder immerwährende Neutralität (zwischen ständiger, immerwährender oder ewiger Neutralität besteht kein rechtlicher Unterschied) ist ein völkerrechtliches Statut, welches auf ein besonderes Land zugeschnitten ist. Sinn der ständigen Neutralität ist die Erhaltung der Unabhängigkeit für den Neutralen und die Berechenbarkeit für die Krieg führenden Machte, die sie anerkannt haben. Letzteren bietet sie insbesondere Gewahr, dass der ständig neutrale Staat dem Einfluss der gegnerischen Partei entzogen bleibt. Sie finden darin die Gegenleistung des Neutralen. Umgekehrt ist die Unabhängigkeit aber auch Voraussetzung zur Neutralität; ohne staatliche Souveränität ist keine Neutralität denkbar.

Zusammenfassend und wertend kann gesagt werden, dass aufgrund dieser drei Aspekte zu erwarten ist, dass die Schweiz 1955 für Osterreich höchstens als 'Referenzland ' (Francois Pictet) betrachtet werden konnte. Die strategische Lage Osterreichs unmittelbar am 'Eisernen Vorhang', die innere politische und gesellschaftliche Konstellation und insbesondere die Geschichte waren völlig verschieden von der Schweiz. Nur der völkerrechtliche Ausgangspunkt war mit der je selbst gewählten dauernden Neutralität derselbe.

Die marxistisch-leninistischen Auffassungen von Neutralität
Da zu Beginn der Diskussion über eine allfällige österreichische Neutralität in den Medien und im Parlament immer wieder von einem kommunistischen Verständnis der Neutralität im Sinne der indirekten Kriegführung gesprochen wurde, das sich von der völkerrechtlichen Definition grundsätzlich unterscheide, sollte wohl auch diesem Aspekt Aufmerksamkeit geschenkt werden.
Die Vater des Marxismus-Leninismus hatten für das Konzept der Neutralität in ihrer Ideologie keinen Platz. Ihrer Auffassung nach konnte im unausweichlichen Kampf zwischen unterschiedlichen sozialen Klassen keine neutrale Position eingenommen werden; alle Menschen mussten entweder die eine oder die andere Seite


Mueller, Wolfgang
Wolfgang Mueller, geb. 1970 in Wien, Professor für Russische Geschichte an der Universität Wien, korr. Mitglied der Österr. Akademie der Wissenschaften, Professorial Lecturer der Diplomatischen Akademie. Zuvor stellv. Direktor des Instituts für Neuzeit- und Zeitgeschichtsforschung der ÖAW, Forschungstätigkeit an der Russischen Akademie der Wissenschaften und Stanford University.

Molden, Berthold
Berthold Molden arbeitet als Historiker in Wien.

Kriechbaumer, Robert
Robert Kriechbaumer, Dr. Phil., Mag. phil., Univ.-Prof. für Neuere Österreichische Geschichte, geb. 1948 in Wels, Studium der Geschichte, Philosophie, Psychologie und Politikwissenschaft an den Universitäten Salzburg und München, Stipendiat der Görres-Gesellschaft, der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Humboldt-Gesellschaft. Seit 1992 Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek.

Rauchensteiner, Manfried
Manfried Rauchensteiner ist Historiker, Universitätsprofessor und Autor zahlreicher Bücher, darunter das Standardwerk "Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914–1918". Er lebt und arbeitet in Wien.

Manfried Rauchensteiner ist Professor für Österreichische Geschichte an der Universität Wien und war bis 2005 Direktor des Heeresgeschichtlichen Museums.


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