Reich-Ranicki | Thomas Mann und die Seinen | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 464 Seiten

Reich-Ranicki Thomas Mann und die Seinen


1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-641-13574-4
Verlag: DVA
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 464 Seiten

ISBN: 978-3-641-13574-4
Verlag: DVA
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Marcel Reich-Ranicki gehörte zu den besten Kennern der an herausragenden Begabungen und Persönlichkeiten reichen Familie Mann. "Thomas Mann und die Seinen" vereint Aufsätze und Beiträge aus fünf Jahrzehnten. In seinen essayistischen Porträts schildert Marcel Reich-Ranicki in gewohnt lebendiger Weise die Gegensätze und Abhängigkeiten, die Kämpfe und den Zusammenhalt innerhalb der Familie sowie ihr literarisches Schaffen.

„Ich weiß, daß er, Thomas Mann, mich beeindruckt und beeinflußt, vielleicht sogar geprägt hat wie kein anderer deutscher Schriftsteller unseres Jahrhunderts. Ich weiß, daß es seit Heine keinen Schriftsteller gegeben hat, dem ich in so hohem Maße und auf so tiefe Weise verbunden bin.“ MRR
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Die Geschäfte des Großschriftstellers

Ist es schon so weit, gibt es die von manchen seit Jahren gewünschte Thomas-Mann-Renaissance? Allerlei Zeichen, die darauf hinzudeuten scheinen – von Viscontis »Tod in Venedig«-Verfilmung bis zu Benjamin Brittens neuer Oper –, kommen freilich aus dem Ausland. Aber es wäre nicht das erste Mal, daß hierzulande das erneute Interesse für einen großen deutschen Schriftsteller oder gar seine Wiederentdeckung durch Impulse ausgelöst wird, die von Paris oder Rom, London oder New York ausgehen. So war es ja, um gleich das bekannteste Beispiel anzuführen, in den fünfziger Jahren mit Kafka, so in den Sechzigern, also in einer anderen literarischen Situation, mit Hermann Hesse.

Dabei sind die Ursachen der eher außerhalb des deutschen Sprachraums bemerkbaren Hinwendung zum Werk Thomas Manns schwer auszumachen: Sie mögen zu einem Teil mit jenem zwielichtigen Phänomen zusammenhängen, das sich nicht ganz ernst nehmen und gleichwohl nicht ignorieren läßt und das man mit dem Schlagwort »Nostalgiewelle« zu bezeichnen pflegt. Was sich dahinter verbirgt, ist vermutlich nichts anderes als, kurz gesagt, die Sehnsucht nach einer im Gegensatz zum Heutigen stehenden Welt, nach dem verlorenen Paradies, das allerdings nie ein Paradies war. Ein vollkommenes, in sich geschlossenes episches Universum, das, mit größter Liebe gezeichnet und mit schärfstem Kritizismus beglaubigt, als eine derartige Kontrastwelt aufgefaßt werden kann, haben wohl nur zwei Romanciers unseres Jahrhunderts zu bieten: Marcel Proust und eben er, Thomas Mann.

Indes kommt es weniger auf die Umstände an, die diesen Rezeptionsprozeß ausgelöst haben, als vor allem auf die Resultate, zu denen er führen kann und führen sollte. Mit anderen Worten: Es ist nicht sehr wichtig, warum Thomas Mann neuerdings wieder Mode wird – auch Zufälle können hier im Spiel sein –, wenn sich daraus nur eine intensivere Beschäftigung mit seinem Werk ergibt und dies zur Revision mancher Urteile und Vorurteile beiträgt.

Von dem Schriftsteller Gustav Aschenbach im »Tod in Venedig« (1912) heißt es, er habe »gelernt, von seinem Schreibtisch aus zu repräsentieren, seinen Ruhm zu verwalten, in einem Briefsatz, der kurz sein mußte (denn viele Ansprüche dringen auf den Erfolgreichen, den Vertrauenswürdigen ein), gütig und bedeutend zu sein«. Wenige Jahre später, 1916, schreibt Thomas Mann an Ernst Bertram, daß er das Verhängnis Deutschlands »längst in meinem Bruder und mir symbolisiert und personifiziert sehe«.1 Was sich damals schon unmißverständlich ankündigte, kam in der Zeit der Weimarer Republik – es ließe sich mit vielen Zitaten belegen – vollends zum Vorschein: Thomas Mann war überzeugt, den deutschen Geist im umfassendsten Sinne zu personifizieren und zusammen mit seinem eigenen Ruhm auch jenen der Nation zu verwalten.

Dieses Bewußtsein der von ihm konsequent angestrebten, bisweilen gewiß als Last empfundenen, doch viel häufiger als grandiose Auszeichnung und stolze Lebensaufgabe verstandenen Repräsentanz hat einen großen Teil seiner bisher publizierten Briefe aus den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg und erst recht nach 1933 geprägt. Ja, sogar in seiner Korrespondenz mit den nächsten Angehörigen, etwa mit dem Bruder Heinrich oder mit der Tochter Erika, scheint er die nationale und epochale Rolle, die er so virtuos zu spielen wußte, nie ganz vergessen zu können.

So fühlte sich Thomas Mann, wie er es seinem Geschöpf Gustav Aschenbach mit leiser Ironie nachgesagt hatte, verpflichtet, womöglich immer »gütig und bedeutend zu sein«. Es liegt nahe, sich darüber lustig zu machen. Aber ihm dies verübeln hieße bedauern, daß er Hunderte, wenn nicht vielleicht Tausende von Briefen verfaßt hat, die zum Besten gehören, was in deutscher Sprache, jedenfalls in unserem Jahrhundert, geschrieben wurde.

Doch hatte diese Korrespondenz gleichzeitig zur Folge, was sich wohl gar nicht verhindern ließ: Indem sie stets aufs neue den Klassiker und den Olympier, den genialen Zeitgenossen und den bürgerlichen Dichterfürsten, den souveränen Repräsentanten der deutschen Nation und der europäischen Kultur ins Blickfeld rückte, suggerierte sie der Leserschaft ein überaus feierliches, ein würdevollmächtiges Thomas-Mann-Bild, dessen Umrisse, befürchte ich, längst erstarrt sind. Während man aus Kafka ein Mysterium gemacht hat, wurde aus Thomas Mann ein Monument. Während jenen die Dunkelheit gefährdet, bedroht diesen das Museale – und ich weiß nicht, was schlimmer ist. Das dringlichste Gebot scheint daher in dem einen Fall die Entmystifizierung und in dem anderen die Entmonumentalisierung. Hierbei kann ein Buch behilflich sein, das gerade im rechten Augenblick erschienen ist: Thomas Manns Briefwechsel mit seinem Verleger Bermann Fischer.2

Der erste Eindruck mag etwas enttäuschend sein: Mit den Briefen Thomas Manns an Bertram oder an Heinrich Mann oder gar mit jenen, die zwischen 1961 und 1965 von Erika Mann in drei umfangreichen Bänden herausgegeben wurden, läßt sich dieses Buch kaum vergleichen. Gewiß, das vollendete stilistische Raffinement, das die früher veröffentlichte Korrespondenz in geradezu verschwenderischer Fülle offerierte, ist auch hier bemerkbar, aber doch nur gelegentlich. An Äußerungen und Reflexionen über literarische, zeitgeschichtliche und sonstige allgemeinere Fragen mangelt es nicht, nur sind sie auffallend knapp und wiederholen oft, was man schon in den Schriften Thomas Manns und auch in seinen Briefen an andere Adressaten ausführlicher und genauer gelesen hatte.

Wer Meisterwerke der Epistolographie erwartet, wird nicht auf seine Rechnung kommen. Geniales läßt sich in dieser Sammlung nicht finden – und ebendeshalb ist sie, mag es auch paradox klingen, so aufschlußreich, so wertvoll. Denn im Unterschied zu sehr vielen Briefen Thomas Manns sind die hier gedruckten weder für die Mitwelt noch für die Nachwelt bestimmt, sondern tatsächlich nur für den Verleger Bermann Fischer. Es handelt sich um gewöhnliche Geschäftsbriefe, und sie bleiben es offensichtlich auch dann, wenn Mann (meist rasch und doch nur am Rande) Persönliches einbezieht oder beschreibt. Immer will er etwas Konkretes erledigen, auch die Verweise auf Privates sollen in der Regel nur die beruflichen Vorschläge oder Wünsche unterstützen.

Da also sachliche Mitteilungen und Fragen, nachdrückliche Beanstandungen und trockene Darlegungen dominieren, da Wiederholungen sich in einer derartigen Korrespondenz von selbst verstehen und überdies vieles besprochen wird, was uns heute beim besten Willen nicht interessieren kann, erfordert die Lektüre mancher Teile des Briefwechsels einige Geduld. Aber er dokumentiert gerade die Aspekte des Porträts und der Biographie Thomas Manns, die bisher zu kurz gekommen waren: Der Alltag des professionellen Schriftstellers wird sichtbar. Dank dieser, zugegeben, überaus profanen Dimension verliert das Bild des literarischen Würdenträgers viel von seiner Klassizität, von seinem Pathos, und es gewinnt zugleich an Wahrhaftigkeit und Anschaulichkeit, an barer Menschlichkeit: Die Einschüchterung läßt nach, die Annäherung wird möglich.

So zeigen die Briefe, daß derjenige, der von Robert Musil ein »Großschriftsteller« genannt wurde, zugleich eine Art Großkaufmann war, der seine mitunter komplizierten geschäftlichen Angelegenheiten nüchtern und umsichtig zu überwachen wußte: Streitbar pochte er auf sein Recht, hartnäckig überprüfte er die Abrechnungen, stets nach Fehlern und Irrtümern ausspähend. Auch die geringsten Unklarheiten riefen sein nicht immer unbegründetes Mißtrauen hervor.

Befürchtete etwa Thomas Mann, daß der Schwiegersohn und Nachfolger Samuel Fischers, der seit 1928 als Geschäftsführer des berühmten Verlages tätige Gottfried Bermann Fischer, ihn, den in den Jahren der Emigration (und natürlich auch später) prominentesten Autor des Hauses, schlechterdings übervorteilen wollte? Aber sicher. In einem 1954 an Bermann Fischer gerichteten Brief sagte er ohne Umschweife, daß er »die psychologische Mischung von wahrer Anhänglichkeit und der Neigung, mich übers Ohr zu hauen, bei einem Geschäftsmann jetzt wohl für möglich halte«. Damit aber hatte der Neunundsiebzigjährige nur ausgesprochen, was seiner Korrespondenz oft genug zu entnehmen war: »Von Geld ist allzu wenig zwischen uns die Rede …« – warnte er seinen Verleger 1938. Und: »Ich kann nur wiederholen, was ich schon in meinen Briefen aus Californien andeutete: daß es schön wäre, wenn Sie auch an meine geschäftlichen Interessen etwas dächten und auf diese Dinge von sich aus zu sprechen kämen, statt mir die Rolle des Fordernden und Drängenden zu überlassen.«

Unwillig und verärgert äußerte er sich 1946 »über die Unbegreiflichkeiten, die alles Vertrauen erschütternde Unordnung und Unstimmigkeit in unseren geschäftlichen Beziehungen«. Er habe »sich in guten, unbedingt zuverlässigen Händen« geglaubt und sehe nun, »daß dies nicht der Fall ist«. Als ihm die Herabsetzung des Honorars für eine Auslandsausgabe »eine einseitige Maßnahme Ihrerseits« schien, fragte er ganz ungeniert: »Haben Sie einen Zustimmungsbrief von mir bei Ihren Akten? Dann möchte ich ihn sehen, denn ich bin einfach mißtrauisch geworden gegen die geschäftliche Behandlung, die Sie mir angedeihen lassen.«

Mit zunehmendem Alter wurde Thomas Mann in seinen finanziellen Angelegenheiten weder nachlässiger noch nachsichtiger. 1950 teilte er Bermann Fischer sehr direkt mit, daß er ihm nicht mehr über den Weg traue: »Ich hatte noch keine Möglichkeit...


Reich-Ranicki, Marcel
Marcel Reich-Ranicki, geboren 1920 in Polen, lebte von 1929 bis 1938 in Berlin. Nach der Deportation durch die Nazis überlebte er nur knapp das Warschauer Ghetto und kehrte nach dem Krieg nach Deutschland zurück, wo er seine Karriere als Literaturkritiker begann: Er war von 1960 bis 1973 Literaturkritiker der „Zeit" und leitete von 1973 bis 1988 den Literaturteil der „FAZ“, wo er noch bis zu seinem Tod als Kritiker und Redakteur der „Frankfurter Anthologie“ tätig war. Von 1988 bis 2001 leitete er „Das Literarische Quartett“ des ZDF. Nahezu alle Deutschen kennen Marcel Reich-Ranicki - er war „der“ Kritiker und enfant terrible der Medienlandschaft. In seinem geschriebenen wie gesprochenen Wort spürte man jederzeit die Leidenschaft und Konsequenz, mit der er sich für Literatur einsetzte. Seine 1999 erschienene Autobiographie "Mein Leben" wurde zum Millionenbestseller und 2008 von Dror Zahavi mit Matthias Schweighöfer in der Hauptrolle verfilmt. Er erhielt zahlreiche literarische und akademische Auszeichnungen. Marcel Reich-Ranicki verstarb 2013 in Frankfurt am Main.



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