Sands Ein Vampir für alle Sinne
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-8025-9355-0
Verlag: LYX
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, Band 17, 336 Seiten
Reihe: Argeneau
ISBN: 978-3-8025-9355-0
Verlag: LYX
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
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1
»Tja, letzter Tag heute, Fred«, sagte Jeanne Louise und lächelte den Sicherheitsmann an, während sie sich der Wachstation näherte. Der Sterbliche hatte fast fünf Jahre lang den Ausgang der Forschungsabteilung von Argeneau Enterprises bewacht, nun wurde er in einen anderen Bereich des Unternehmens versetzt, damit ihm nicht auffiel, dass etliche Mitarbeiter der Abteilung nicht alterten. Ihr würde Fred fehlen. Er war stets freundlich gewesen, ob er ihr am Abend eine gute Nacht wünschte oder sich nach ihrer Familie erkundigte. »Ja, Miss Jeanie, letzter Tag am alten Arbeitsplatz. Ab nächster Woche dann in einer der Blutbanken.« Jeanne Louise nickte und ihr Gesichtsausdruck wurde ernst, als sie erwiderte: »Man wird sich dort glücklich schätzen, Sie zu haben. Sie werden uns hier fehlen.« »Oh, Sie alle werden mir auch sehr fehlen«, versicherte er ihr und kam um den Tresen herum, damit er ihr aufschließen konnte. Er drückte die Tür auf und hielt sie fest, wobei er sich zur Seite drehte, damit Jeanne Louise an ihm vorbeigehen konnte.« Kommen Sie gut nach Hause, Miss Jeanie. Genießen Sie das lange Wochenende.« »Das werde ich. Und Sie auch«, sagte sie und musste einmal mehr lächeln, als sie hörte, wie er sie »Miss Jeanie« nannte. Es gab ihr das Gefühl, ein junges Mädchen zu sein, was insofern bemerkenswert war, als er immerhin Ende fünfzig und sie über vierzig Jahre älter war als er. Natürlich hätte er ihr das nie geglaubt, da sie nicht älter als fünfundzwanzig aussah, was einer der Vorteile war, wenn man eine Vampirin oder – wie die Älteren unter ihnen sich lieber nannten – eine Unsterbliche war. Es gab noch etliche andere erfreuliche Aspekte, und sie war dankbar für jeden einzelnen davon. Und umso mehr verspürte sie immer wieder Mitleid mit Sterblichen, denen solche Dinge verwehrt blieben. Na, großartig, eine Vampirin mit Schuldgefühlen, dachte sie ironisch und musste innerlich über dieses Klischee schmunzeln. Als Nächstes würde sie sich wohl noch darüber beklagen, dass ein so langes Leben vor ihr lag. »So weit kommt’s noch«, murmelte sie zu sich selbst und horchte auf, als sie hörte, wie ein Kieselstein über den Asphalt kullerte. Sie schaute sich um und entdeckte einen Mitarbeiter aus der Blutabteilung, der hinter ihr das Parkhaus betrat. Nachdem sie ihm zum Gruß zugenickt hatte, ging sie weiter zu ihrem Wagen. Als sie hinter dem Steuer Platz genommen hatte, ließ sie den Motor an und rangierte rückwärts aus der Parklücke. Ihre Gedanken kreisten dabei um die Frage, ob sie noch aufbleiben und verschiedene Arbeiten erledigen oder nach Hause fahren und sich schlafen legen sollte. Das war in der Tat ein Problem für einen Vampir, musste Jeanne Louise einräumen, während sie das Parkhaus verließ und die Straße entlangfuhr. Ihr Tagesablauf stand im völligen Widerspruch zum Rest der Welt. Ihre Schicht endete üblicherweise um sieben Uhr morgens, aber heute war sie etwas länger geblieben, um noch das eine oder andere wegzuräumen. Inzwischen war es halb acht, was für sie bedeutete, dass sie erst noch zwei Stunden aufbleiben musste, ehe die Geschäfte öffneten, zu denen sie fahren wollte. Bis dahin würde die Sonne aufgegangen sein und erbarmungslos vom Himmel brennen. Im Augenblick fühlte sie sich jedoch einfach zu müde, um noch zwei Stunden wach zu bleiben. Nein, sie würde heimfahren und sich ins Bett legen, entschied sie und hielt sich eine Hand vor den Mund, als sie den Wagen auf eine rote Ampel zurollen ließ und herzhaft gähnen musste. Der Wagen war eben zum Stehen gekommen, da bemerkte sie im Rückspiegel eine Bewegung. Sie sah genauer hin und machte auf dem Rücksitz einen dunklen Schemen aus, der sich plötzlich aufrichtete. Noch bevor sie wusste, wie ihr geschah, hörte sie ein leises Zischen, und ein stechender Schmerz bohrte sich in ihren Hals. »Aber was …?« Sie griff sich an den Hals und drehte sich um, da hörte sie, wie die hintere Tür geöffnet und wieder geschlossen wurde. Gleich darauf wurde die Fahrertür aufgerissen, die düstere Gestalt griff an ihr vorbei und stellte den Wahlhebel auf Parken. »Was ist …?«, fragte Jeanne Louise und wunderte sich, wieso sie so nuschelte und wieso ihr Verstand mit einem Mal so schwerfällig war. Der unbekannte Mann hob sie auf den Beifahrersitz und nahm selbst hinter dem Lenkrad Platz. Sie sah alles nur noch verschwommen, und als der Mann mit ihrem Wagen losfuhr, verlor sie schließlich das Bewusstsein. Jeanne Louise regte sich schläfrig und versuchte sich auf die Seite zu drehen, doch das wollte ihr nicht gelingen. Verwundert machte sie die Augen auf und sah zur Decke, die weiß war, nicht blassrosa. Also war das hier auch nicht ihr Schlafzimmer. Sie wollte sich aufrichten, aber das war auch nicht möglich, da sie gefesselt war, wie sie mit Schrecken feststellen musste. Dicke Ketten waren von den Schultern bis zu den Füßen um ihren Körper gewickelt. Großer Gott! »Das ist Stahl, den kriegen Sie nicht kaputt.« Sie sah in die Richtung, aus der die Stimme kam, und stellte dabei fest, dass sie sich in einem winzigen Raum befand, der außer dem Bett, auf dem sie lag, keinerlei Einrichtung aufwies. Das einzig Bemerkenswerte in dem Raum war der Mann, der an der Tür stand und sie angesprochen hatte. Er war nicht sonderlich groß, vielleicht zehn oder zwölf Zentimeter größer als Jeanne Louise, die es auf nicht ganz eins siebzig brachte, aber er hatte bemerkenswert breite Schultern und eine schmale Taille. Sein braunes Haar, der kantige Kiefer und seine extrem leuchtend grünen Augen machten ihn dabei zu einem durchaus attraktiven Mann. In den bislang fast hundertdrei Jahren ihres Lebens hatte sie schon in die Augen vieler Sterblicher geschaut, aber er unterschied sich von ihnen allen auf eine einzigartige Weise. »Wie fühlen Sie sich?«, fragte er, als sei er tatsächlich um ihr Wohl besorgt. »Es ging mir schon besser«, gab sie mürrisch zurück und betrachtete erneut die Ketten. Stahl, hatte er gesagt. Himmel, sie war gefesselt wie ein Elefant, bei dem man verhindern wollte, dass er Amok läuft. »Das Betäubungsmittel, das ich Ihnen gegeben habe, kann Kopfschmerzen auslösen, wenn die Wirkung nachlässt, aber auch ein Gefühl von Benommenheit«, erklärte er entschuldigend. »Haben Sie irgendwelche Symptome in dieser Richtung? Möchten Sie eine Schmerztablette haben?« »Nein«, erwiderte sie schroff. Sie wusste, solche Nebenwirkungen würden sich dank der Nanos schnell von selbst erledigen. Dann kniff sie die Augen zusammen und sah dem Mann konzentriert ins Gesicht, während sie versuchte, seine Gedanken zu durchdringen und die Kontrolle über ihn zu erlangen. Dann würde sie ihn dazu veranlassen, ihr die Ketten abzunehmen und zu erklären, was das alles sollte – ehe sie ihn zu Onkel Lucian schickte, damit der sich den Kerl vornehmen konnte. Zumindest war das ihr Plan, aber so lief es nicht, da sie weder in seine Gedanken eindringen noch ihm befehlen konnte, sie zu befreien. Muss an dem Mittel liegen, das er mir injiziert hat, überlegte Jeanne Louise und schüttelte leicht den Kopf, ehe sie einen zweiten Anlauf wagte. »Nichts«, murmelte sie gleich darauf. Die Injektion schien noch immer zu wirken. Sie sah den Mann finster an. »Was haben Sie mir da gespritzt?« »Das neueste Betäubungsmittel, an dem wir in der Forschungsabteilung arbeiten«, antwortete er und verließ den Raum, sodass Jeanne Louise ihn nicht mehr sehen konnte. Irritiert betrachtete sie die Stelle, an der er eben noch gestanden hatte. In welcher Forschungsabteilung arbeitete er, dass dort ein solches Betäubungsmittel entwickelt wurde? Für Sterbliche konnte das eigentlich nicht bestimmt sein, denn dann hätte es bei ihr kaum Wirkung gezeigt und sie erst recht nicht bewusstlos werden lassen. Aber … Ihr Gedankengang wurde unterbrochen, da er zurück ins Zimmer kam und sich dem Bett näherte. »Arbeiten Sie für Argeneau Enterprises?«, fragte sie und musterte interessiert, was er in der Hand hielt – ein großes Glas, in dem sich eiskaltes Wasser zu befinden schien. Auf einmal wurde ihr bewusst, wie ausgedörrt ihr Mund und Hals waren. »Richtig. Ich arbeite so wie Sie in der Forschung, nur entwickle ich neue Medikamente, während Sie nach genetischen Anomalien suchen, wenn ich das richtig mitbekommen habe«, sagte er im Plauderton, während er sich neben das Bett stellte. Jeanne Louise zog die Stirn in Falten. Bastien Argeneau, ihr Cousin und Chef von Argeneau Enterprises, hatte sie gleich nach ihrem Universitätsabschluss vor rund fünfundsiebzig Jahren eingestellt, und seitdem arbeitete sie für Argeneau Enterprises. Anfangs war sie in der Abteilung tätig gewesen, in der dieser Mann angeblich arbeitete, aber vor fünfundzwanzig Jahren hatte Bastien sie gebeten, ein paar Leute aus der Forschungsabteilung auszuwählen, mit denen sie ein Team bilden wollte. Sie sollte einen neuen Bereich leiten, der sich ausschließlich dem Thema widmete, wie ihr Cousin Vincent und ihr Onkel Victor sich ernähren konnten, ohne dafür Sterbliche beißen zu müssen. Sie wollten unbedingt so wie jeder andere ihrer Art Blutkonserven trinken, weil es das Leben ganz erheblich erleichterte. Aber beide litten an einer genetischen Anomalie, sodass Blut aus dem Plastikbeutel für sie genauso nahrhaft war wie Wasser. Hätten ihnen nur Blutkonserven zur Verfügung gestanden, wären sie über kurz oder lang gestorben. Sie sollte herausfinden, was genau diese Reaktion hervorrief, um dann in einem zweiten Schritt zu erforschen, ob man den beiden irgendein Medikament verabreichen...