Schanetzky | 'Kanonen statt Butter' | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 6175, 273 Seiten

Reihe: Beck Paperback

Schanetzky 'Kanonen statt Butter'

Wirtschaft und Konsum im Dritten Reich

E-Book, Deutsch, Band 6175, 273 Seiten

Reihe: Beck Paperback

ISBN: 978-3-406-67516-4
Verlag: C.H.Beck
Format: PDF
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



"Auch heute gilt die Parole: Kanonen statt Butter", schärfte Rudolf Hess im Oktober 1936 den Deutschen ein und prägte damit eine Fügung, die sich schon bald verselbständigte. "Sonst aber wäre zu sagen, dass / Kanonen auf den leeren Magen / Nicht jedes Volkes Sache sind", dichtete Bertolt Brecht im Exil. In seinem glänzend geschriebenen Buch bietet Tim Schanetzky eine kompakte Einführung in die Wirtschaftsgeschichte des Dritten Reiches - so leicht zugänglich, wie es sie seit Jahrzehnten nicht gegeben hat. Dabei steht die Erfahrungsgeschichte der Deutschen im Vordergrund. Wie erlebten die "Volksgenossen" die Zwänge der Aufrüstung? Inwiefern profitierten sie von der rassistischen Politik des Regimes? Wie verhielten sich die deutschen Unternehmer in der Diktatur? Wie stark waren sie eingebunden in die Großraubwirtschaft des Weltkriegs? Und schließlich: Wie stark trugen Konsumversprechen zum Zusammenhalt der "Volksgemeinschaft" und der Stabilität der Diktatur bei?
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Weitere Infos & Material


1;Cover;1
2;Titel;3
3;Impressum;4
4;Inhalt;5
5;«Kanonen statt Butter»;7
6;I. Terror und Verheißung;15
6.1;Moralischer Zusammenbruch;17
6.2;Die Unternehmer und Hitler;30
6.3;Keine Zeit für «Blut und Boden»;42
7;II. Wege aus der Not;57
7.1;Lebensstandard und Wirtschaftswunder;59
7.2;Aufrüstung;72
7.3;Autarkie und Großwirtschaftsraum;84
8;III. Die «guten Jahre»?;99
8.1;Konsumwelten;101
8.2;Arbeiterleben;115
8.3;Landleben;128
9;IV. In den Krieg;145
9.1;«Gebt mir vier Jahre Zeit»;147
9.2;«Arisierung»;161
9.3;Nachkriegsplanung;175
10;V. Großraubwirtschaft;193
10.1;Heimatfront und Schwarzmarkt;195
10.2;Rüstungs- und Versorgungswunder?;208
10.3;Zwangsarbeit;223
11;Schluss;237
11.1;Anmerkungen;247
11.2;Auswahlbibliographie;262
11.3;Bildnachweis;268
11.4;Register;269
12;Zum Buch;273
13;Über den Autor;273


«Kanonen statt Butter»
Am nasskalten Nikolaustag des Jahres 1935 besuchte Hermann Göring die Hamburger Werft Blohm & Voss. Fast die gesamte Belegschaft versammelte sich in der großen Schiffbauhalle. Der Luftfahrtminister, ausstaffiert mit der Uniform eines Generals der Flieger, muss die Unzufriedenheit unter den Arbeitern gespürt haben. Zwar hatte der Rüstungsaufschwung viele Werftarbeiter, die während der Weltwirtschaftskrise arbeitslos geworden waren, wieder in Lohn und Brot gebracht. Nun aber befand sich das Dritte Reich in einer für jeden spürbaren Versorgungskrise. Schon im November hatte man ohne großes Aufheben begonnen, Butter zu rationieren, nachdem ihr Preis binnen zwei Jahren um fast ein Drittel gestiegen war. Neben Butter und Fleisch wurde selbst das Brot so knapp, dass die Deutschen die im Spätherbst 1933 eingeführten Eintopfsonntage in einem anderen Licht betrachteten. Was ursprünglich die Not der Arbeitslosen lindern sollte, galt vielen nun als Symbol der Versorgungskrise. Entsprechend stellte die Prager Exilorganisation der SPD den «wachsenden Unmut der Bevölkerung über die Lebensmittelknappheit» an den Anfang ihres Monatsberichts vom November 1935. In den Großstädten komme der aus Krieg und Inflation bekannte Schleichhandel wieder in Gang, und auf «mehreren Wochenmärkten» musste die «Polizei den Verkauf der wenigen Fleischwaren» übernehmen, weil die Marktstände regelrecht gestürmt worden seien.[1] Vor diesem Hintergrund rief der wohlbeleibte Göring die Hamburger Werftarbeiter zum Verzicht auf: «Erz hat stets ein Reich stark gemacht, Butter und Schmalz haben höchstens ein Volk fett gemacht». Für Regimegegner war das ein gefundenes Fressen. John Heartfield verarbeitete Görings Satz im Prager Exil zu einer bitteren Satire. Der als Helmut Herzfeld geborene Graphiker galt als Erfinder der politischen Fotomontage. Nachdem ihn ein SA-Schlägertrupp in seiner Wohnung überfallen hatte, floh der Kommunist nach Prag, wo er weiter für die Arbeiter Illustrierte Zeitung arbeitete. Unterschrieben mit «Hurrah, die Butter ist alle!» karikierte er eine regimetreue Familie, deren gute Stube mit Hakenkreuztapete, Hitler-Porträt und Hindenburg-Sofakissen ausstaffiert ist. Während sich die Erwachsenen mit Wonne über die Teile eines alten Fahrrades und weitere Gegenstände aus der Alteisensammlung hermachen, kauert unter dem Tisch der Familienhund, der eine Schraube in Knochenform verspeist. Im Kinderwagen knabbert ein Baby an einem Henkersbeil. Zwar gelangte die kommunistische AIZ inzwischen kaum noch nach Deutschland und ihre Auflage war mit 12.000 Exemplaren auf einen Bruchteil ihrer früheren Verbreitung gefallen. Internationalen Beobachtern galt sie dennoch als wichtige Informationsquelle, und so wurden nun auch Blätter wie die britische Times auf die Lebensmittelknappheit in Deutschland aufmerksam. Sie berichtete nicht nur über Görings Anweisung an die Polizei, hart gegen Schwarzhändler vorzugehen, sondern mokierte sich auch über die «Schwierigkeiten für Hausfrauen» in Deutschland. In der Vorweihnachtszeit seien in Berlin kaum noch frische Eier aufzutreiben.[2] Die Versorgungskrise traf die NS-Propaganda völlig unvorbereitet. Hilflos bezeichnete sie die Knappheit zunächst als Phänomen, das gewiss bald überwunden werde. So wies Goebbels die Presse an, etwas zur «Niederschlagung der Psychose» zu unternehmen. Angesichts des wachsenden Unmuts in der Bevölkerung ließ sich diese Linie aber nicht durchhalten. Zum Jahreswechsel 1935/1936 nannte der Propagandaminister in seiner Silvesteransprache erstmals Gründe für die knappe Versorgung: Den Import von Lebensmitteln habe man «zu einem Teil einschränken» müssen, um der Einfuhr von Rohstoffen für die Aufrüstung Vorrang zu geben.[3] Zwei Wochen später wurde er auf dem Berliner Gauparteitag der NSDAP deutlicher: «Wir werden zur Not auch einmal ohne Butter fertig werden, niemals aber ohne Kanonen!» Rudolf Hess griff diese bündige Formel im Oktober 1936 auf, als er im oberfränkischen Hof die neue Adolf-Hitler-Halle einweihte: «Und wir sind bereit, auch künftig, wenn notwendig, mal etwas weniger Fett, etwas weniger Schweinefleisch, ein paar Eier weniger zu verzehren. […] Wir wissen, dass die Devisen, die wir dadurch sparen, der Aufrüstung zugutekommen. Auch heute gilt die Parole: Kanonen statt Butter.»[4] Die Phrase begann sich nun zu verselbständigen und galt bald schon überall als Ausspruch Hermann Görings. Dieser gebrauchte sie jedoch gar nicht, als er wenige Tage nach der Hess-Rede an die Opferbereitschaft der Deutschen appellierte. Er behauptete im Berliner Sportpalast vor einem Massenpublikum, auf Butter inzwischen gänzlich zu verzichten und dadurch bereits tüchtig abgenommen zu haben. Die Zuhörer jubelten. In Hamburg hörte der irische Schriftsteller Samuel Beckett die «endlose Tirade» im Radio und notierte in sein Tagebuch: «Sehr volkstümlich. Kolonien, Rohstoffe, Fettwaren. Er hat X Kilo verloren».[5] Auch in Svendborg, einem beschaulichen Hafenstädtchen an der Südküste der Insel Fünen, kam die Botschaft an. Bertolt Brecht, der 1933 aus Deutschland geflohen war, dichtete in seinem dänischen Exil: «Sonst aber wäre zu sagen, dass/Kanonen auf den leeren Magen/Nicht jedes Volkes Sache sind.»[6] Ob im Spottvers oder auf der Massenkundgebung, bei linken Exilanten oder als sarkastische Reaktion auf die Widrigkeiten des Alltags – spätestens im Herbst 1936 war die Formel «Kanonen statt Butter» überall fest etabliert. Eigentlich kennzeichnete sie die Handlungsalternativen einer Nation im Krieg, und so verstanden viele das offensive Bekenntnis zur staatlichen Machtpolitik als Flucht nach vorn. Hitler sah sich im Februar 1937 ebenfalls zur Stellungnahme genötigt, wenngleich nicht in der breiten Öffentlichkeit, sondern vor einem Publikum handverlesener Nationalsozialisten. Auf dem «17. Jahrestag des Beginns der nationalen Erhebung» betonte er gleich mehrfach, dass ihm die Versorgungsprobleme «gänzlich gleichgültig» seien – und bewies damit das genaue Gegenteil. Einerseits sei die Lage nicht schlecht, denn wegen der Erfolge auf dem Arbeitsmarkt kämen inzwischen «nahezu 20 Millionen Menschen» in den Genuss eines «anderen Lebensstandards» als zur Zeit der Weltwirtschaftskrise: «Und sie essen nun wieder. Und es gibt keine Zweifel, das deutsche Volk sieht heute besser genährt aus als vor vier oder fünf oder sechs Jahren.» Andererseits laute die politische Alternative nicht «Kanonen oder Butter», sondern «Kanonen oder Versklavung», und da gebe es nur eine Antwort: «Dann schon lieber Kanonen!»[7] Ironischerweise versuchten die Spitzen des Regimes, die Deutschen auf eine Weise zu beeinflussen, die Hitler ein Jahrzehnt zuvor noch für völlig aussichtslos gehalten hatte. In seinem zweiten Buch, der unveröffentlichten Fortsetzung von «Mein Kampf», hatte er 1928 festgestellt, dass sich der Anspruch an den eigenen Lebensstandard stets an den verfügbaren Vorbildern orientiere und dabei die amerikanische Konsumgesellschaft der «Roaring Twenties» im Sinn gehabt. Demnach führte die moderne Technik zwangsläufig dazu, dass «Lebensverhältnisse aufeinander abfärben» und sich international «anzugleichen versuchen». Darum sei es auf Dauer unmöglich, ein «Volk […] durch einen Appell an Erkenntnisse oder auch an Ideale unter einem sonst allgemein gültigen Lebensstandard» zu halten.[8] Diese Überlegungen bestärkten ihn damals in seiner Überzeugung, dass mehr Wohlstand nur vom machtpolitischen Streben nach «Lebensraum» ermöglicht werde, und Machtpolitik benötigte Waffen. Einschränkungen beim Lebensstandard waren also nur für eine politisch notwenige Übergangsphase hinzunehmen. Der Alarmismus, mit dem das Regime auf die Versorgungskrise reagierte, unterstreicht, wie aufmerksam Hitler die Konsumchancen der Deutschen beobachtete. Dahinter stand die Erfahrung der Niederlage im Ersten Weltkrieg. Sie war in der Wahrnehmung vieler Nationalsozialisten nicht Folge einer wirtschaftlich-militärischen Unterlegenheit, sondern vorrangig auf den Zusammenbruch der «Heimatfront» zurückzuführen. Einen Hungerwinter wie 1916/17 galt es künftig ebenso zu vermeiden wie die Auswirkungen der Seeblockade oder die administrative Überforderung durch den totalen Krieg. Bündig resümierte das Reichswirtschaftsministerium im September 1934: «Noch ist die Erinnerung lebendig daran, wie fürchterlich sich im Weltkrieg das Fehlen jeglicher wirtschaftlicher Kriegsvorbereitung gerächt hat.»[9] Schon angesichts dieser zeitgenössischen Perspektive muss unter der Wirtschaft des Nationalsozialismus mehr verstanden werden als lediglich die Fragen von Aufrüstung und Überwindung der Weltwirtschaftskrise, freiem Unternehmertum und staatlicher Lenkung, Kriegswirtschaft, Raubökonomie und Zwangsarbeit. Begreift man das Dritte Reich als Produkt der Industriemoderne, gilt es auch, die Dynamisierung der Gesellschaft und die...


Tim Schanetzky ist Privatdozent für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Jena.


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