E-Book, Deutsch, 112 Seiten
Reihe: Reclam XL - Text und Kontext
Schnitzler / Wolf Fräulein Else. Textausgabe mit Kommentar und Materialien
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-15-962431-0
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
[Reclam XL - Text und Kontext] - Schnitzler, Arthur - 16129
E-Book, Deutsch, 112 Seiten
Reihe: Reclam XL - Text und Kontext
ISBN: 978-3-15-962431-0
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Selbstbestimmung oder Selbstprostitution? Schnitzlers Monolognovelle zeigt das quälende Dilemma einer jungen Frau, die Ende des 19. Jahrhunderts ihre Familie vor dem Bankrott retten soll. Klassenlektüre und Textarbeit einfach gemacht: Die Reihe »Reclam XL - Text und Kontext« erfüllt alle Anforderungen an Schullektüre und Bedürfnisse des Deutschunterrichts: * Reclam XL bietet den sorgfältig edierten Werktext - seiten- und zeilengleich mit der entsprechenden Ausgabe aus Reclams Universal-Bibliothek. * Das Format ist größer (12,2 x 20 cm) als die gelben Klassiker der Universal-Bibliothek, mit ausreichend Platz für Notizen am Seitenrand. * Schwierige Wörter werden am Fuß jeder Seite erklärt, ausführlichere Wort- und Sacherläuterungen stehen im Anhang. * Ein Materialienteil mit Text- und Bilddokumenten erleichtert die Einordnung und Deutung des Werkes im Unterricht. * Natürlich passen auch weiterhin alle Lektüreschlüssel, Erläuterungsbände und Interpretationen dazu!
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[5] – »Nein, Paul, ich kann nicht mehr. Adieu. – Auf Wiedersehen, gnädige Frau.« – – »Auf Wiedersehen, Frau Cissy.« – – »Spielen Sie nur Ihr Single mit Paul, Frau Cissy, mit mir ist’s doch heut wahrhaftig kein Vergnügen.« – – »Bei Blau wirst du hoffentlich mehr Gnade finden, Paul. Adieu.«
Das war ein ganz guter Abgang. Hoffentlich glauben die zwei nicht, dass ich eifersüchtig bin. – Dass sie was miteinander haben, Cousin Paul und Cissy Mohr, darauf schwör ich. Nichts auf der Welt ist mir gleichgültiger. – Nun wende ich mich noch einmal um und winke ihnen zu. Winke und lächle. Sehe ich nun gnädig aus? – Ach Gott, sie spielen schon wieder. Eigentlich spiele ich besser als Cissy Mohr; und Paul ist auch nicht gerade ein Matador. Aber gut sieht er aus – mit dem offenen Kragen und dem Bösen-Jungen-Gesicht. Wenn er nur weniger affektiert wäre. Brauchst keine Angst zu haben, Tante Emma …
Was für ein wundervoller Abend! Heut wär das richtige Wetter gewesen für die Tour auf die Rosetta-Hütte. Wie herrlich der Cimone in den Himmel ragt! – Um fünf Uhr früh wär man aufgebrochen. Anfangs wär mir natürlich übel gewesen, wie gewöhnlich. Aber das verliert sich. – Nichts köstlicher als das Wandern im Morgengrauen. – Der einäugige Amerikaner auf der Rosetta hat ausgesehen wie [6]ein Boxkämpfer. Vielleicht hat ihn beim Boxen wer das Aug ausgeschlagen. Nach Amerika würd ich ganz gern heiraten, aber keinen Amerikaner. Oder ich heirat einen Amerikaner und wir leben in Europa. Villa an der Riviera. Marmorstufen ins Meer. Ich liege nackt auf dem Marmor. – Wie lang ist’s her, dass wir in Mentone waren? Sieben oder acht Jahre. Ich war dreizehn oder vierzehn. Ach ja, damals waren wir noch in besseren Verhältnissen. – Es war eigentlich ein Unsinn die Partie aufzuschieben. Jetzt wären wir jedenfalls schon zurück. – Um vier, wie ich zum Tennis gegangen bin, war der telegraphisch angekündigte Expressbrief von Mama noch nicht da. Wer weiß, ob jetzt. Ich hätt noch ganz gut ein Set spielen können. – Warum grüßen mich diese zwei jungen Leute? Ich kenn sie gar nicht. Seit gestern wohnen sie im Hotel, sitzen beim Essen links am Fenster, wo früher die Holländer gesessen sind. Hab ich ungnädig gedankt? Oder gar hochmütig? Ich bin’s ja gar nicht. Wie sagte Fred auf dem Weg vom ›Coriolan‹ nach Hause? Frohgemut. Nein, hochgemut. Hochgemut sind Sie, nicht hochmütig, Else. – Ein schönes Wort. Er findet immer schöne Worte. – Warum geh ich so langsam? Fürcht ich mich am Ende vor Mamas Brief? Nun, Angenehmes wird er wohl nicht enthalten. Express! Vielleicht muss ich wieder zurückfahren. O weh. Was für ein Leben – trotz rotem Seidensweater und Seidenstrümpfen. Drei Paar! Die arme Verwandte, von der reichen Tante eingeladen. Sicher bereut sie’s schon. Soll ich’s dir schriftlich geben, teuere Tante, dass ich an Paul nicht im Traum denke? Ach, an niemanden denke ich. Ich bin nicht verliebt. In niemanden. Und war noch nie verliebt. Auch in Albert bin ich’s nicht gewesen, obwohl ich es mir acht Tage lang eingebildet habe. Ich glaube, ich kann mich nicht verlieben. Eigentlich merkwürdig. Denn sinnlich bin ich gewiss. Aber auch hochgemut und ungnädig Gott sei Dank. Mit dreizehn war ich viel[7]leicht das einzige Mal wirklich verliebt. In den Van Dyck – oder vielmehr in den Abbé Des Grieux, und in die Renard auch. Und wie ich sechzehn war, am Wörthersee. – Ach nein, das war nichts. Wozu nachdenken, ich schreibe ja keine Memoiren. Nicht einmal ein Tagebuch wie die Bertha. Fred ist mir sympathisch, nicht mehr. Vielleicht, wenn er eleganter wäre. Ich bin ja doch ein Snob. Der Papa findet’s auch und lacht mich aus. Ach, lieber Papa, du machst mir viel Sorgen. Ob er die Mama einmal betrogen hat? Sicher. Öfters. Mama ist ziemlich dumm. Von mir hat sie keine Ahnung. Andere Menschen auch nicht. Fred? – Aber eben nur eine Ahnung. – Himmlischer Abend. Wie festlich das Hotel aussieht. Man spürt: Lauter Leute, denen es gut geht und die keine Sorgen haben. Ich zum Beispiel. Haha! Schad. Ich wär zu einem sorgenlosen Leben geboren. Es könnt so schön sein. Schad. – Auf dem Cimone liegt ein roter Glanz. Paul würde sagen: Alpenglühen. Das ist noch lang kein Alpenglühen. Es ist zum Weinen schön. Ach, warum muss man wieder zurück in die Stadt!
– »Küss die Hand gnädige Frau.« – – Sie sieht’s doch, warum fragt sie? »Ja, gnädige Frau. Beinah drei Stunden lang haben wir gespielt. – Und gnädige Frau machen noch einen Spaziergang?« – – »Ja, die Wiesen hier sind herrlich. Besonders im Mondenschein von meinem Fenster aus.« –
– »Guten Abend, Herr von Dorsday.« – – »Was für ein Scharfblick, Herr von Dorsday.« – – Warum sagt er nicht ›Fräulein Else?‹ – [8] – Esel, darauf antworte ich gar nicht. »Den ganzen Nachmittag haben wir gespielt. Wir waren leider nur drei. Paul, Frau Mohr und ich.« – – »Und jetzt nicht mehr?« – – »Ach, alt, in Marienlyst, da war ein fünfundsechzigjähriger Schwede, der spielte jeden Abend von sechs bis acht Uhr. Und im Jahr vorher hat er sogar noch bei einem Turnier mitgespielt.« – – Warum leider? Das hält er wohl für einen Witz. Das Beste, ich lächle höflich und gehe. »Küss die Hand, gnädige Frau. Adieu, Herr von Dorsday.« Wie tief er sich verbeugt und was für Augen er macht. Kalbsaugen. Hab ich ihn am Ende verletzt mit dem fünfundsechzigjährigen Schweden? Schad’t auch nichts. Frau Winawer muss eine unglückliche Frau sein. Gewiss schon nah an fünfzig. Diese Tränensäcke, – als wenn sie viel geweint hätte. Ach wie furchtbar, so alt zu sein. Herr von Dorsday nimmt sich ihrer an. Da geht er an ihrer Seite. Er sieht noch immer ganz gut aus mit dem graumelierten Spitzbart. Aber sympathisch ist er nicht. Schraubt sich künstlich hinauf. Was hilft Ihnen Ihr erster Schneider, Herr von Dorsday? Dorsday! Sie haben sicher einmal anders geheißen. – Da kommt das süße kleine Mädel von Cissy mit ihrem Fräulein. – »Grüß dich Gott, Fritzi. Bon soir, Mademoiselle. Vous allez bien?« – – »Was seh ich, Fritzi, du hast ja einen Bergstock. Willst du am End den Cimone besteigen?« – – »Im nächsten Jahr wirst du es schon dürfen. Pah, Fritzi. A bientôt, Mademoiselle.« –
Eine hübsche Person. Warum ist sie eigentlich Bonne? Noch dazu bei Cissy. Ein bitteres Los. Ach Gott, kann mir auch noch blühen. Nein, ich wüsste mir jedesfalls was Bes[9]seres. Besseres? – Köstlicher Abend. ›Die Luft ist wie Champagner‹, sagte gestern Doktor Waldberg. Vorgestern hat es auch einer gesagt. – Warum die Leute bei dem wundervollen Wetter in der Halle sitzen? Unbegreiflich. Oder wartet jeder auf einen Expressbrief? Der Portier hat mich schon gesehen; – wenn ein Expressbrief für mich da wäre, hätte er mir ihn sofort hergebracht. Also keiner da. Gott sei Dank. Ich werde mich noch ein bissl hinlegen vor dem Diner. Warum sagt Cissy ›Dinner‹? Dumme Affektation. Passen zusammen, Cissy und Paul. – Ach, wär der Brief lieber schon da. Am Ende kommt er während des ›Dinner‹. Und wenn er nicht kommt, hab ich eine unruhige Nacht. Auch die vorige Nacht hab ich so miserabel geschlafen. Freilich, es sind gerade diese Tage. Drum hab ich auch das Ziehen in den Beinen. Dritter September ist heute. Also wahrscheinlich am sechsten. Ich werde heute Veronal nehmen. O, ich werde mich nicht daran gewöhnen. Nein, lieber Fred, du musst nicht besorgt sein. In Gedanken bin ich immer per Du mit ihm. – Versuchen sollte man alles, – auch Haschisch. Der Marinefähnrich Brandel hat sich aus China, glaub ich, Haschisch mitgebracht....




