Schönhardt / Day / Meier | Der Sommer trägt Queer | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 220 Seiten

Schönhardt / Day / Meier Der Sommer trägt Queer


1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-96000-318-2
Verlag: Elysion Books
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 220 Seiten

ISBN: 978-3-96000-318-2
Verlag: Elysion Books
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Humorvolle, spannend und coming-outige Sommererzählungen von der ersten Liebe, der Liebe bis zum Lebensende - und der ewigen Liebe. Aber auch Menschen, die ganz ohne körperliche Liebe auskommen, kommen in dieser Anthologie zu Wort. Genau wie die, die beides lieben - oder Beide lieben :-) Manchmal sind es eben die kleinen Alltagsgeschichten, manchmal die Alltäglichkeiten, die einen ins Gefühlschaos stürzen und das eigene Weltbild und die Liebe ins Wanken bringen - oder beides stützen. Und manchmal sind es die großen, alles verändernden Dinge. Lasst euch also entführen und verzaubern in bunten Sommergeschichten, die definitiv Lust auf mehr Liebe machen.

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Heldenreise mit Haarbürste
Marie Meier   »Jahrhunderte der Feldbestellung, Jahrzehnte sorgfältigen Sammelns sind in das Zubereiten, Auswählen und Spinnen dieses fest gedrehten Garns eingegangen. Mehr noch: wir brauchen das Abenteuer nicht allein zu wagen. Denn die Helden aller Zeiten sind uns vorangegangen, das Labyrinth ist durch und durch bekannt, und wir haben nur den Pfad des Helden als leitenden Faden zu nehmen.« Joseph Campbell über die Heldenreise   Der Frisörsalon hat geöffnet. Christina schneidet Spitzen, Natalja macht die Abrechnung. Das ist meine Welt – meine gewohnte Welt. Am Fenster steht Jelka und sehnt sich nach einer Zigarette. Ihre Finger zucken und ihre Lippen reiben übereinander, weil sie das Gefühl des Filters vermissen. Als die Sehnsucht zu groß wird, schiebt sie den Daumennagel gegen ihre Zähne und knabbert daran. Jelka sehnt sich nach einer Zigarette und ich sehne mich nach Jelka. Der Gedanke kriecht eiskalt meine Wirbelsäule hinauf und direkt in meinen Arm. Wie ein Ruf zum Abenteuer beseelt er meine Hand. »Woran erkenne ich, dass ich lesbisch bin?«, tippe ich mit zitternden Fingern in mein Handy. Google empfiehlt mir einen Vibrator. Ich stöhne, werfe das Telefon weg und verweigere mich Ruf und Realität. Christina und Natalja starren mich an. Nur Jelka, die blickt aus dem Fenster und sehnt sich nach einer Zigarette.   Aus einem grasgrünen Mai wird ein dottergelber Juli. Meine Welt schwimmt in entsättigten Farben, obwohl alles in Blüte steht. Dazwischen wandelt Jelka. Sie trägt Pflaume und Rindenbraun, ist durch und durch Herbstmensch, doch auf der Leinwand meiner Fantasie ist sie so farbenfroh wie der personifizierte Sommer. Die Türklingel reißt mich aus meinen Tagträumen. Mit den gleißenden Sonnenstrahlen tritt eine Gestalt ein. Ihre geblümte Bluse ist schreiend rot, ebenso wie ihre Lippen. Ihr folgt ein Schwall drückender Hitze, die die Klimaanlage panisch aufheulen lässt. Christina beugt sich zu mir. »Sagste zu sowas nun Herr oder Frau?« Ihr Mundwinkel schießt hämisch in die Höhe und versucht, ihre Unsicherheit zu kaschieren. Christina isst jeden Tag dasselbe. Ihre Kinder heißen Sonja und Michael. Kategorien jenseits ihrer Alltagswelt irritieren sie. »Guten Tag«, sage ich laut. »Haben Sie einen Termin?« Frau Kellner hat einen Termin. Ich bitte sie auf den Drehstuhl und werfe ihr den langen Überwurf um, der ihre Bluse davor bewahren wird, später voller Haare zu sein. »Darf ich?« Sie nickt. Ich hebe ihre Perücke vom Kopf und lasse die Finger durch die kurzen, graumelierten Locken fahren. »Spitzenschneiden, bitte. Ich habe später einen wichtigen Termin.« Ihre Stimme ist sanft. »Im Büro. In meiner beliebtesten Rolle, als Herr Kellner.« Diesmal ist es an mir, zu nicken. Ich schneide Frau Kellner das Haar, das sie in ihrer schauspielerischen Performance als Herr Kellner darbieten muss. Sie spiele dort, so erzählt sie mir, einen langweiligen IT-Fachmann. Ich drücke mein Mitleid aus, denn Computer sind das Letzte. Frau Kellner ist mir sympathisch, dennoch komme ich nicht umher, immer wieder zu Jelka zu schauen, die gerade die Bürsten reinigt. Ihr Blick geht hoch und trifft meinen. Mein Herz summt eine helle Note, die sich vibrierend ausbreitet und mich schwindeln lässt. Rasch sehe ich fort. »Zwischen Ihnen stimmt die Chemie.« Frau Kellners Worte erschallen so unvermittelt, dass ich kurz innehalte. »Quatsch«, grolle ich. Nach jenem Moment im Mai mache ich mir nicht mehr die Mühe, mein Begehren zu leugnen. Dazu ergibt es zu viel Sinn. Von spätjugendlichen Schwärmereien für weibliche Popsternchen bis hin zu sanften Küssen mit Freundinnen, die ich vehement als typisches Teenager-Gehabe abgetan habe: Ich mag Frauen. Sehr. Und für keinen meiner männlichen Freunde habe ich je so gefühlt wie für Jelka, so voller roher Zärtlichkeit und verzweifeltem Begehren. Es reicht von dem Wunsch, jedem ihrer Leberflecke einen Namen zu geben, bis hin zu jenem, sie jetzt und hier raus auf eine blühende Sommerwiese zu zerren, raus aus dem pflaumenfarbenen Longsleeve, den sie trägt. »Ich spüre sowas.« Frau Kellner schielt mir über ihre Nasenspitze hinweg entgegen. Zwischen all dem Braun in ihren Augen sehe ich kleine, schwarze Flecken. »Sie sollten handeln. Sonst müssen Sie auch irgendwann eine fürchterlich langweilige Rolle in Ihrem eigenen Leben spielen.« »Als IT-Fachfrau?« »Zum Beispiel.« Sie grinst. Ich wünschte, wir wären Freunde, Frau Kellner und ich. Aber stattdessen ist sie etwas anderes: Sie ist die Mentorin, die mir den Weg auf meiner Reise weist. Ich hadere und Frau Kellner ergreift erneut das Wort, diesmal leise und verschwörerisch: »Ich war gestern im Kino. Dieser neue Musical-Film ist ziemlich gut.« In meinem Magen dreht sich alles. Mir wird heiß und kalt zugleich. Dann bringe ich Luft in meine Lungen, mehr und mehr, als ob ich ein Rockkonzert anstimmen wollte. »Jelka.« Ihr Kopf hebt sich. Ich schreie innerlich, kreische in meine Seelenwelt, die seit Mai so wund ist von den Postern mit Jelkas Abbild, die ich dort aufgehängt habe. »Willste später ins Kino? Gibt’n Film. Leute singen.« Jelkas Nicken ist fest. Ich stolpere über die erste Schwelle, statt sie zu überschreiten. Ich habe Angst. Irgendjemand hat mein Leben auf doppelte Geschwindigkeit gestellt. Ich erinnere mich später, wie das Kinobild Jelkas Gesicht in Pastelltöne gekleidet hat und wie sie lächelte, als wir beim Burgerladen die falschen Gerichte serviert bekamen. Am Ende schmeckte es trotzdem. Sie hat Ketchup im Mundwinkel und ich strecke gedankenlos die Hand aus, um mit dem Daumen den Fleck wegzuwischen. Wir sehen uns an. Frau Kellners Worte kommen mir in den Sinn und dann, für eine kleine Sekunde, für den Bruchteil eines Herzschlags, meine ich sie auch zu sehen: die Chemie zwischen uns. Ein Handy klingelt – es ist Jelkas. Sie blinzelt und reißt uns beide aus dem Moment, der der Anfang von etwas Wunderbarem hätte werden können. »Mein Freund«, sagt sie mit einem Blick aufs Display. »Ich muss ran.« Ich bilde mir ein, dass sie unglücklich wirkt. Zur selben Zeit bin ich mir nicht sicher. In mir heult ein Gefühl, roh und verletzt. Es verbrennt bei lebendigem Leibe und ich leide, während Jelka mit unbewegter Miene den Anruf entgegennimmt und immer mal ein gleichgültiges »Mh« von sich gibt. Dann legt sie auf. Sie sieht mich nicht an und ich blicke auf meinen Daumen, der noch immer rot vom Ketchup ist. »Wir waren getrennt.« Warum sie mir das sagt, weiß ich nicht. »Aber wir leben zusammen. Und es ist unmöglich, eine bezahlbare Wohnung hier in Hamburg zu finden, so allein. Freundschaft wollte er nicht. Da hat es sich so ergeben, dass …« Wir sehen einander in die Augen. »Morgen wieder?«, fragt sie. »Kino?« »Irgendetwas.« Ihre Lippen rühren sich, als ob sie sich nach einer Zigarette sehnen, doch ihr Blick ist starr auf mich gerichtet. Das gehäutete Gefühl in meinem Herzen wirft sich einen Mantel über. Es leidet und ich liebe. »Okay.« Meine Stimme ist so dünn wie der Hoffnungsfaden, den ich zwischen uns spanne.   Wer hätte gedacht, dass der erste Drache, den ich bekämpfen muss, ein cholerischer Mechatroniker ist. Aber ich bin zu weit gekommen, um jetzt vor den Bewährungsproben und Feinden zu fliehen, die mich auf meinem Weg erwarten. Am fünften Kinoabend in Folge steht er vor mir, eine verweinte Jelka im Rücken. Grillen zirpen in der Hitze eines überreifen Sommerabends. »Und ich dachte, sie geht mir fremd«, höhnt der Mechatroniker. »Aber du bist nur ne anhängliche Freundin.« Ich sehe an ihm vorbei zu Jelka. Das Gefühl in meinem Herzen zündet sich eine Fackel an, um ganz tief in die Höhle des Löwen vorzudringen. »Gehst du ihm fremd?« Die Stimme, die die Worte sagt, klingt nicht nach meiner. Sie klingt, als würde sie von jemandem stammen, der viel mutiger ist als ich. Jelka stutzt. Ich glaube zu sehen, wie auch in ihren Augen ein Licht aufleuchtet, das irgendeinem Gefühl den Weg weist. Aber sie ist noch nicht so tief drin wie ich in dem Urwald aus Schmerz, Sehnsucht und Selbsterkenntnis. »Mit mir?«, schubse ich sie in meinen emotionalen Dschungel. Mir ist schlecht und ich habe das Bedürfnis, nach Hause zu rennen, um mich unter meinem Bett zu verstecken. Zugleich sind meine Füße am Boden festgefroren und harren einer Antwort, die ich zu selben Teilen hören und überhaupt nicht hören will. »Ja.« Ihre Stimme ist fester als meine. Ich wusste immer, dass sie die Mutigere ist. »Verdammte Homos!«, keift ihr Freund und greift nach Jelkas Jacke. Meine Gelenke sind schneller als mein Gehirn: Ich stürze mich mit wirbelnden Fäusten auf ihn. Fünfundsechzig Kilo Frau ringen mit neunzig Kilo Mann. Der Entscheidungskampf hat begonnen und es sieht nicht gut für mich aus. Er schlägt und tritt, dann bin ich am Grund der Dinge, der heiß ist von der Sonne eines schwülen Sommertages. Der Inhalt meiner Handtasche verteilt sich über den Boden und ich greife nach irgendetwas, das vertraut in meinen Händen liegt. Mir ist, als ob ich das Artusschwert aus dem Stein gezogen hätte, doch als ich ihm die Haarbürste über den Kopf brate, fühlt es sich weit weniger befriedigend an als ein Schwerthieb. Die Wirkung ist ähnlich: Er heult auf und greift sich an den Kopf, der nun eine blutige Platzwunde und die Abdrücke des Bürstenbesatzes zur Schau stellt. Jelkas Freund (Ex-Freund?) weicht zurück, dann greift die Kino-Security ein. Der Abend wird zur Nacht. Jelka macht eine Aussage, die Stimme leise aber fest. Ich sitze...



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