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E-Book

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

Reihe: Midas Sachbuch

Schütte Die Net?ix-Revolution

Wie Streaming unser Leben verändert

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

Reihe: Midas Sachbuch

ISBN: 978-3-906010-65-6
Verlag: Midas Management Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Wir alle sind Teil der dritten Revolution in Film und Fern sehen – ein Prozess, der die Welt der Medien und wie wir diese konsumieren rasant verändert.
Seit der Jahrtausendwende bietet das Internet die technischen Möglichkeiten für Videostreaming. Wer Filme, Serien oder sonstige Medieninhalte sehen will, kann dies heute auf seinem Smartphone, Tablet oder Computer jederzeit tun. Streamingdienste wie Netflix und YouTube bieten ihre Produktionen in über 130 Ländern an und haben Hunderte Millionen Abonnenten.
Oliver Schütte beleuchtet in "Die Netflix-Revolution" die Veränderungen, die Kino und Fernsehen mit sich gebracht haben, und er beschreibt die Gegenwart, die vom dritten Neubeginn geprägt ist. Er beschäftigt sich vor allem mit den gesellschaftlichen Folgen dieser Entwicklung und hinterfragt kritisch, ob wir für diese neuen Erfahrungen bereit sind. Denn wir begeben uns in die Hände von multinationalen Konzernen, die bestimmen, was wir sehen können und was nicht. Wir Zuschauer werden zu gläsernen Wesen. Die Anbieter wissen genau, wann, wo und was wir schauen. Sie wissen auch, was uns interessiert, wann wir abgeschaltet haben oder welche Momente uns besonders neugierig machen. Auf Basis dieses Wissens werden die Inhalte geplant und auf uns zugeschnitten. Dieses Buch geht der wichtigen Frage nach, welche gesellschaftlichen Konsequenzen die dritte Revolution nach dem Kino und dem Fernsehen mit sich bringen wird.
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KAPITEL
ALS DIE BILDER LAUFEN LERNTEN
Pünktlich wie jeden Tag verließ Charlotte, die junge Sekretärin in einer Rechtsanwaltskanzlei, um 18 Uhr ihren Arbeitsplatz am Kurfürstendamm. Es war bitterkalt draußen, und sie zog ihren Mantel zusammen, um nicht zu frieren. Unwillkürlich musste sie daran denken, wie sie mit ihrer Freundin Maria vor kurzem Silvester gefeiert und das neue Jahr 1927 begrüßt hatte. Vielleicht – so hoffte sie – wird noch mehr aus der Freundschaft. Heute würde sie nicht wie an den anderen Tagen die Straßenbahn nehmen, um schnell nach Hause zu kommen. Heute stand etwas Besonderes auf dem Programm. Vor dem Ufa-Palast am Zoo hatte sich eine riesige Menschentraube angesammelt, und der Verkehr staute sich auf den umliegenden Straßen, denn der Film Metropolis von Fritz Lang hatte Premiere. Natürlich gehörte Charlotte nicht zu den geladenen Gästen. Es ging ihr darum, einen Blick auf die Stars zu werfen. Und da stieg schon einer von ihnen aus seiner Limousine. Es war der berühmte Schauspieler Heinrich George, der mit seiner Leibesfülle unübersehbar war. Das Kino fasste 2000 Zuschauer und nach und nach füllte sich der rote Teppich mit den Darstellern, aber auch anderen Künstlern, und sogar die Politik war bei diesem Ereignis dabei. Der Monumentalfilm sollte ein Angriff auf Hollywood sein. Für die Effekte, Studiobauten, Statisten und die zahlreichen Kostüme hatte die Produktionsfirma mehr als fünf Millionen Reichsmark ausgegeben, hatte Charlotte in der Zeitung gelesen. Die Dreharbeiten dauerten angeblich 310 Tage und 60 Nächte. In diesem Moment stieg der Regisseur mit einem Monokel aus dem Auto, neben ihm seine Frau Thea von Harbou, die das Drehbuch geschrieben hatte. Charlotte bewunderte die Art und Weise, wie die beiden elegant ins Kinofoyer schritten. Sie wird sich den Film zusammen mit Maria in einer Woche anschauen, stand für sie ab sofort fest. Denn Maria liebt Kino genauso wie sie. Gemeinsam können sie in fremden Welten eintauchen, lachen und weinen oder sich einfach unterhalten lassen und für einen Moment von der Realität draußen verabschieden. Ende des 19. Jahrhunderts veränderten wichtige Erfindungen die Welt für immer. Mehrer Tüftler experimentierten mit der Übertragung von Sprache durch das Telefon, 1888 hatte Berta Benz ihre Reise mit dem bisher unbekannten Automobil von Mannheim nach Pforzheim unternommen, und das Grammophon spielte die ersten Schallplatten. Viele Neuerungen haben den Alltag der kommenden Generationen transformiert. Und sie prägen uns heute noch. Wir können uns ein Leben ohne Auto (in Zukunft eher mit Elektromotor und im Carsharing) nicht vorstellen. Festnetztelefone sind zwar in weiten Kreisen nicht mehr angesagt, seitdem das Smartphone auch Telefonverbindungen herstellen kann, und der CD-Spieler weicht zunehmend Spotify. Aber ohne die Erfindungen der damaligen Zeit wäre dies alles nicht vorstellbar. Und eine weitere Innovation hatte die Welt ein für alle mal verändert. Die interessanteste Erfindung der Neuzeit
Am Abend des 1. November 1895 starrten die Zuschauer im Wintergarten Varieté in Berlin auf eine weiße Leinwand, die auf einer der Seitenbühnen aufgespannt war. Es war die Schlussnummer, nachdem Zauberer und andere Artisten das Publikum zum Staunen gebracht hatten. Plötzlich flimmerten zwei Männer auf der Projektionsfläche. Den Betrachtern blieb der Mund offen stehen, über das, was sich da vor ihren Augen abspielte. Bewegte Bilder, die die Realität wiedergaben. Als schließlich ein boxendes Känguru erschien, ein Tier, das die meisten der Zuschauer noch nie lebendig gesehen hatten, begleitete Applaus die Entstehung des Kinos. Am Schluss verbeugten sich die Abbilder der beiden Erfinder des von ihnen sogenannten Bioscops, die Brüder Emil und Max Skladonowsky auf der Leinwand vor dem begeisterten Publikum. In den Zeitungen wurde das Programm fortan als die »interessanteste Erfindung der Neuzeit« angekündigt. Kaum einer konnte ahnen, wie recht die Werbung damit haben würde. Vier Wochen lang zeigten die beiden Skladonowskys ihre Filme vor ausverkauftem Haus. Und schon nach kurzer Zeit führte sie eine Tournee ins Ausland. Zeitgleich befassten sich auch zwei andere Brüder mit der Idee, bewegliche Bilder aufzunehmen und in der Öffentlichkeit vorzuführen. Es waren die Franzosen Auguste und Louis Lumière. Mit ihrem Cinématographen hatten sie am 22. März des gleichen Jahres ihren Film La Sortie de l’Usine Lumière à Lyon dargeboten – allerdings vor einem geschlossenen Publikum. Die erste öffentliche Aufführung sollte zwei Monate nach der Berliner Vorführung im Januar 1896 in Paris stattfinden. Die Skladanowkys fuhren mit ihrem Bioscop Ende Dezember ebenfalls in die französische Hauptstadt. Es waren mehrere Vorstellungen in dem Varieté Folies-Bergère vereinbart. Als die Lumières davon Wind bekamen, legten sie ihre Premiere vor die Vorführung der beiden Brüder aus Deutschland auf den 28. Dezember in einen kleinen Raum im Grand Café. Zehn Filme von maximal einer Minute wurden dem zahlenden Publikum vorgeführt, darunter eine Badeszene am Meer und die Fütterung eines Babys. Als die Skladanowkys bei ihrer Ankunft von der Konkurrenzveranstaltung erfuhren, arrangierten sie einen Besuch im Grand Café, um die Technik in Augenschein zu nehmen. Was sie sahen, erschreckte sie, denn die Erfindung der Gebrüder Lumière war ihrer technisch weit überlegen. Der Direktor des Folies-Bergère sagte die geplante Aufführung des weniger ausgereiften Bioscops darauf kurzerhand ab. Wieder zurück in Berlin schwante den Skladanowkys, dass es mit ihrer Erfindung nicht einfach werden würde. Denn nicht nur war ihre Technik komplexer und von geringerer Qualität, zudem hatten sie es bei ihren Konkurrenten mit vermögende Fabrikanten zu tun, während sie arme Schausteller waren. Dennoch gaben sie sich Mühe, ihren Apparat noch weiter zu verbessern. Jedoch fehlte es an Kapital, sodass der Siegeszug der Erfindung aus Frankreich schließlich nicht mehr aufzuhalten war. Wenig später zogen sich die Gebrüder Skladanowsky aus dem Geschäft zurück. Trotzdem gebührt den Berlinern die Anerkennung, dass ihnen die erste öffentliche Vorführung eines Films gelungen war. Ein paar Jahre blieb das Kino oder »Kintopp«, wie es damals genannt wurde, ein Vergnügen, das Varietés und Gaststätten vorbehalten war. In dieser Zeit reichte es den Zuschauern oft, dokumentarische Szenen von kurzer Dauer aus unterschiedlichen Zusammenhängen vorgeführt zu bekommen. Das Spektakel an sich, bewegte Bilder zu sehen, war schon groß genug. Die Filmemacher investierten deshalb noch nicht in aufwendige Geschichten. Dies kam erst später, als der Reiz des Neuen verflogen war. Ab der Jahrhundertwende wurden nach und nach Kinos eröffnet – also Räume, die der regelmäßigen Vorführung von Filmen dienten. Die ersten Lichtspiele zeigten den Zuschauern alltägliche Szenen, die nicht selten in fremde Welten führten. So konnte das Publikum von 1895 in einem 44 Sekunden langen Film die Place des Cordeliers à Lyon begutachten. Menschen gehen über den Platz, eine Straßenbahn fährt vorbei – Alltag also. Es war für die Anwesenden vor der Leinwand etwas Besonderes, denn die wenigsten kannten die Stadt Lyon oder waren dort gewesen. Das Kino ermöglichte ihnen damit eine vollkommen neue Erfahrung. Zwar hatte jahrhundertelang die Malerei den Menschen in die Lage versetzt Dinge wahrzunehmen, die ihnen fremd waren, und die Fotografie tat dies in weit dokumentarischer Form, aber die bewegten Bilder steigerten die Qualität des Erlebnisses noch einmal grundlegend. Der eigene Erfahrungshorizont erweiterte sich sprunghaft. Es waren wieder die Gebrüder Lumière, die über ihre dokumentarischen Arbeiten hinaus die ersten fiktionalen Geschichten erzählten. Ihr L’enfant au ballon ist ein 42-sekündiger Kurzfilm aus dem Jahre 1896. Er handelt von einem kleinen Jungen, der mit seiner Mutter in einem Garten spazieren geht. Als die Frau sich auf eine Parkbank setzt, spielt das Kind mit einem Luftballon. Zwei Arbeiter nähern sich von hinten. Dabei erschrickt der Junge und lässt sein Spielzeug los. Die Aufregung ist groß, und alle schauen dem aufsteigenden Ballon hinterher. Noch weiter ging der Zauberkünstler Georges Méliès, der den Film intensiv nutzte, um Fiktion zu erzählen. Sein Le Voyage dans la Lune aus dem Jahr 1902 basiert auf dem gleichnamigen Roman von Jules Verne. Darin wird die Geschichte einer Expedition zum Mond erzählt. Sechs Astronauten werden auf den Weg zum Erdtrabanten geschossen und landen auf der zerklüfteten Oberfläche. Nach einer kurzen Besichtigung und einem erholsamen Schlaf geraten sie in eine Höhle, in der sie die Aufmerksamkeit der Mondbewohner auf sich ziehen. Das wilde Volk greift die Fremden an und...


OLIVER SCHÜTTE studierte Film- und Theaterwissenschaften in Berlin und arbeitet seit 1986 als Autor für Film und Fernsehen. Er ist als Publizist, Dozent an internationalen Filmhochschulen, Dramaturg und Filmproduzent tätig. Er ist Autor mehrerer Bücher, darunter "Die Kunst des Drehbuchlesens" (4. Auflage) und "Schau mir in die Augen, Kleines" (3. Auflage) sowie zweier Romane. Oliver Schütte ist Gründungsmitglied der Deutschen Filmakademie und lebt abwechselnd in Berlin und in San Francisco.


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