Schuster | Sternenfutter | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 200 Seiten

Schuster Sternenfutter

Roman

E-Book, Deutsch, 200 Seiten

ISBN: 978-3-946413-76-9
Verlag: mainbook Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Was wäre, wenn der Mensch nicht mehr am Ende der Nahrungskette stünde?
Die Erde in naher Zukunft. Jara wird mit anderen Menschen in einer Mast- und Zuchtstation gehalten. Sie werden überwacht und sollen für Nachwuchs sorgen. Die Phagen, eine dem Mensch überlegene Spezies, hat die Erde erobert. Ihr Heimatplanet wurde von einer Pandemie heimgesucht, sodass es dort nichts mehr zu essen gibt. Nun halten sie die Menschen wie einst die Menschen die Tiere. Plötzlich taucht ein Fremder in der Station auf. Er versucht Jara dafür zu gewinnen, nach draußen zu den Wildmenschen, einer Gruppe von Verschwörern, zu gelangen. Ihre Mission: die Erde von den Phagen zu befreien. Für Jara beginnt ein gefährliches Abenteuer ...

Im Stile von Dystopien wie "1984" oder "The Handmaid's Tale" greift "Sternenfutter" die aktuelle Diskussion um Massentierhaltung und vegetarische Ernährung auf und entwirft eine Welt, in der Menschen zu Nahrungsmitteln geworden sind – ein beklemmendes, jedoch keineswegs auswegloses Szenario.
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Teil I
Kalb
Der Mann war Jara schon seit längerem aufgefallen. Mit kaum wahrnehmbaren Zeichen – einem kurzen Blickkontakt, einem Augenzwinkern, einer zaghaften Handbewegung – hatte er allmählich auf sich aufmerksam gemacht. Zuerst hatte Jara seine zögerlichen Versuche der Kontaktaufnahme ignoriert. Er wollte sichergehen, dass sie tatsächlich ihm und niemand anderem galten. Als der Fremde jedoch beharrlich weitermachte, brachte Jara irgendwann genügend Mut auf, die Zeichen zu erwidern. Eines Tages, der Unbekannte hatte gerade sein linkes Augenlid gesenkt und schnell wieder gehoben, zwinkerte Jara zurück. Der Mann lächelte ihn kurz an, nicht ohne sich vorher mit hastigen und aufgeregten Blicken über die Schultern zu versichern, dass sie unbeobachtet waren. Dann gefror sein Lächeln wieder und er ging weiter seines Weges. Nachdem das Spiel zwischen den beiden mehrere Tage lang so weitergegangen und die Kommunikation immer intensiver geworden war, drückte er Jara einen zusammengeknüllten Zettel in die Hand, den Jara sofort in den Mund steckte. Auf möglichst schnellem Weg und den Speichelfluss unterdrückend zog sich Jara in seine Box zurück. Dort spuckte er den Zettel sofort wieder aus und entfaltete ihn mit vor Aufregung zitternden Fingern. Jara sitzt da und denkt nach. Beim Schachspielen überlegt er immer sehr lange. Plötzlich fragt er: „Kann ich noch eine Rochade machen?“ „Ich glaube nicht, du hast deinen König schon gezogen“, antwortet Leta. Immer wieder stoßen sie auf Lücken in den Schachregeln. Leta und Jara haben kein Buch, in dem sie nachschlagen könnten. Sie müssen sich auf ihre Erinnerung verlassen. Die beiden haben sich Schachfiguren aus Laib geknetet. Die schwarzen Figuren aus dunklem, die weißen aus hellem. Das Schachfeld haben sie mit der nötigen Anzahl an Strichen in den Staub auf dem Boden gemalt. Aus was genau Laib besteht, wissen sie nicht. Das weiß keiner in der Station. Sie erhalten es als Futter. Es ist fast geschmacklos, aber nahrhaft. Jara spielt heute unachtsam und zerstreut. Er muss ständig an den Zettel denken. Nach zwölf Zügen ist er schachmatt. Als Leta seinen König aufnimmt, fragt er: „Kannst du dir vorstellen, dass es da draußen Menschen gibt, die uns befreien wollen?“ Leta reagiert nervös. Er schaut sich um und flüstert: „Pst, sprich nicht davon!“ Anschließend tut er so, als sei nichts gewesen und schlägt eine weitere Partie vor. Jara lehnt ab. Er sagt, er sei müde. Runter, rauf, runter, rauf. „W …“, klingt es leise aus Jaras Kehle. Kreis mit Häkchen dran: „a …“ Abnehmender Halbmond: „c …“ Jara versucht sich an das zu erinnern, was ihm seine Mutter beigebracht hat. Sie hatte als Kind noch die Tage der Herrlichkeit miterlebt. Sie hatte Lesen, Schreiben und vieles mehr gelernt, was die meisten Hominiden hier in der Station nicht beherrschen oder was sie längst verlernt haben. Oder was sie verbergen, da es verboten ist. Jara erinnert sich kaum noch an seine Mutter. Manchmal zieht er heimlich das zerknitterte Foto hervor, das er in seiner Box versteckt hält. Es zeigt sie, wie er sie in Erinnerung hat: jung. Wie sie gewesen war, bevor man sie zwang, den Weg allen Fleisches zu gehen. Im Gegensatz zu Jara war sie im Lesen geübt. Nach vielen Minuten, es kommt ihm vor wie eine Ewigkeit, hat er den ersten Satz endlich zusammen: „Wacht auf!“ Er braucht lange, bis er schließlich auch den Rest der Nachricht auf dem Zettel entziffert hat: „Ihr seid Menschen! Widersetzt euch dem Weg allen Fleisches! Wehrt euch!“ Die Augen lassen Jara ohne Anstalten passieren. Sie scannen sein Gesicht, gleichen die Daten ab, erkennen ihn. Sie wissen, dass er heute dran ist, dass er seinen Tag des Beiwohnens hat. Jara tritt durch die Schleuse und geht in den Frauentrakt. Heute Nachmittag empfängt ihn Sosa. Jara darf einmal in der Woche einer Frau beiwohnen. Als Alpha halten ihn die Phagen besonders hominid. Er hat eine Einzelbox und alle paar Tage Auslauf. Alphas wird dies alles zugestanden, da ein besonders hominid gelebtes Leben für weniger Ausstoß von Schadhormonen sorgt, sodass ihr Fleisch gut, gesund und genießbar bleibt. Es gibt zwei Arten Robota in der Station: die Greifer und die Augen. Sie sind von verschiedener Gestalt und haben unterschiedliche Aufgaben, doch beide dienen nur dem einen Zweck: dem Überwachen. Heute ist wieder der Tag des Beiwohnens. Oft, besonders seitdem Sosa in freudiger Erwartung ist, sitzen sie aber auch nur beieinander, tauschen Zärtlichkeiten aus, halten Händchen und reden. Seit Sosas Bauch eine dicke Wölbung zeigt und sie einen grünen Schurz trägt, lassen die Greifer dies geschehen, mischen sich nicht ein, zwingen die beiden nicht zur Begattung. Sosa begrüßt Jara mit einem Lächeln. Seit Monaten ist sie die einzige Frau, der Jara beiwohnt. Die beiden mögen sich sehr. Sie sagen sich heimlich Ich liebe dich. Sosa erzählte ihm einmal, dass in den Zeiten der Herrlichkeit, als die Erde noch den Menschen gehörte, dies völlig normal gewesen sei. „Schön, dass du kommst“, begrüßt Sosa ihn. Sie umarmt ihn, gibt ihm einen Kuss auf den Mund. Ihre Zungen berühren sich für einen kurzen Moment. Dann schließt Jara wieder die Lippen. Er streichelt Sosa über die dicke Wölbung ihres Bauches. „Noch einen Monat und dann kommt es“, sagt Sosa leise. Sie gehen Arm in Arm hinaus auf den Rasen. Sie haben Auslauf. Es heißt, dass die Station früher, in den Zeiten der Herrlichkeit, bevor die Phagen die Macht übernahmen, einmal eine Sportstätte gewesen sei. Auf den Laufbahnen, die nun für den Ausgang der Alphas bestimmt sind, hätten die Menschen einst Wettläufe veranstaltet. Und im Innern des Ovals, auf dem Rasen, hätten sie mit Füßen einen Ball getreten. Jara und Sosa beobachten, wie die Alpha-Kinder auf dem Gras herumtollen. Nur wenige von ihnen werden ein langes Leben führen, denkt Jara. Nur diejenigen, die für die Zucht bestimmt sind. So wie er und Sosa. Alle anderen werden früh den Weg allen Fleisches gehen müssen. „Wie lange wird unser Kind leben dürfen?“, flüstert Sosa. Sie hat plötzlich einen feuchten Glanz in den Augen. „Vielleicht haben wir Glück und es wird für die Zucht bestimmt“, sagt Jara. Er streichelt ihr erneut zärtlich über den Bauch und küsst dabei eine Träne von ihrer Wange. „Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Wie ich dieses Ausgeliefertsein hasse“, sagt Sosa. Jara beobachtet, wie sie dabei die Hände zu Fäusten ballt. Wütend fährt sie fort: „Ich hab mal gehört, Betas würden schon als Babys von ihren Eltern getrennt. Und von den Gammas würden manche sogar schon als Babys …“ Sosa bricht den Satz ab. Stattdessen macht sie mit der Hand vor ihrem Hals eine Bewegung, die aussieht, als ob ihr jemand die Kehle durchschneidet. Sie findet ihre Sprache wieder und sagt: „Es heißt, die Phagen lieben ihr zartes Fleisch.“ „Ich glaube, das stimmt nicht“, sagt Jara. Er küsst eine nächste Träne weg und streichelt weiter ihren gewölbten Bauch. „Ich bin schon ganz schön dick“, flüstert Sosa. „Ich hoffe, es wird nur ein Kind. Ist dir schon mal aufgefallen, dass fast alle Frauen in der Station Zwillinge bekommen? Glaubst du, es stimmt, was man sagt? Dass die Phagen uns Frauen etwas in den Laib tun, damit wir Mehrlinge kriegen?“ Jara wechselt das Thema. „Du“, fragt er. „Ja?“ „Kannst du dir vorstellen, dass es da draußen Menschen gibt, die uns befreien wollen?“ Sosa blickt sich um. Ihre Augen verengen sich zu Schlitzen. Als sie Jara wieder anschaut, ist ihr Ausdruck ernst und klar. Keine Spur mehr von dem verweinten, gläsernen Blick. „Wie meinst du das?“ Jara erzählt ihr von dem Zettel, leise. Er blickt sich dabei mehrfach um. 75 Kilo. Jara hat sein Gewicht gehalten. Der Nächste in der Reihe, der auf die Waage tritt, ist Kuro. Der Summer ertönt. Kuro hat an Gewicht verloren. Wenn er das erste oder zweite Mal dabei ertappt wird, wird weiter nichts passieren. Dann muss er nur aufpassen, dass er genügend Laib in sich hineinstopft. Ein drittes Mal lassen die Phagen einen Gewichtsverlust nicht zu. Dann droht ihm die Mast. Das bedeutet,...


Frank Schuster, Jahrgang 1969, lebt als Journalist und freier Autor in Darmstadt. Er ist Redakteur des ÖKO-TEST-Magazins und ehemaliger Redakteur der FRANKFURTER RUNDSCHAU. Veröffentlichungen: "Das Haus hinter dem Spiegel", Jugendroman (2014, mainbook, Frankfurt/M.), "If 6 Was 9", Roman (2003, Grübeltäter Verlag, Oldenburg), Kurzgeschichten u.a. in der Literaturzeitschrift "Am Erker" sowie in der Anthologie "Fotosynthesen" (Pahino, Frankfurt/M., 2006) mit u.a. Feridun Zaimoglu und Dietmar Dath


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