E-Book, Deutsch, 232 Seiten
Seidel / Matthias Eridanus oder die Reise zu den Ängsten
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-7481-5447-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 232 Seiten
ISBN: 978-3-7481-5447-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Drei Jungen, Tom, James und Claus, überlegen, wie sie sich die Sommerferien interessant gestalten können. Sie kommen auf die glorreiche Idee, dem "Palais de la Frankenstein", einer alten, verfallenen Villa einen nächtlichen Besuch abzustatten. Nach sorgfältiger Planung und von Opa Heiner mit dem nötigen Werkzeug ausgerüstet, machen sie sich auf den Weg. Ein schweres Gewitter zieht auf, und sie begegnen Eridanus, einem Angst. Er führt sie in eine fantastische Parallelwelt, die von seltsamen Kreaturen bevölkert wird. Plötzlich sehen sich die drei gefährlichen Kämpfen ausgesetzt und müssen nicht nur ihre eigene Haut retten. Ein spannendes Abenteuer nimmt seinen Lauf, das eigentlich ganz harmlos anfing: "Wir sind hier her gekommen, ohne zu wissen, was uns erwartet. Wir haben Dinge gesehen, die wir nicht für möglich gehalten hätten. Wir haben Abenteuer erlebt, die wir uns nicht im Traum vorzustellen wagten. Und das Wichtigste: Wir haben Freunde gefunden, wie wir sie noch nie gehabt haben und wie wir sie auch niemals wieder haben werden ..." Eine fantastische Geschichte präsentiert sich hier, in der es um Angst und deren Bewältigung, vor allem aber um Freundschaft geht. Spannend geschrieben, für Jugendliche und jung gebliebene Erwachsene.
Matthias W. Seidel, Jahrgang 1965, schreibt seit seinem 18. Lebensjahr Kurzgeschichten und Erzählungen. Nach dem Studium der Sozialpädagogik und diversen Tätigkeiten in der freien Wohlfahrtspflege widmet er sich nun ganz seiner Familie und der Schriftstellerei.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
-Dicke Freunde-
Jährlich verschwinden unzählige Menschen. Sie verschwinden einfach so, von heute auf morgen, ohne jemals wieder aufzutauchen. Niemand weiß, was mit ihnen geschehen ist. Wir möchten die Geschichte eines solchen Menschen erzählen. Gleich jetzt, nach der Werbung ... »Blödsinn! Ein Actionfilm wäre mir lieber«, grollte James, während er den Fernseher mit dem großen Zeh ausdrückte. Er lehnte sich in seine Kuschelecke zurück und legte eine CD auf. Normalerweise dröhnte seine Musik lautstark durch das ganze Haus, aber seine Mutter hatte Migräne. Des Öfteren wurde sie von starken Kopfschmerzen heimgesucht, besonders jetzt im Sommer. Kein Wunder, seit vierzehn Tagen hatte es nicht mehr geregnet und sie vertrug nun mal die Hitze nicht. Gewöhnlich schluckte sie dann über den Tag verteilt mehrere dieser kleinen weißen Tabletten, die sie vorrätig im Arzneischrank in der Küche hortete. Heute musste sein Vater allerdings zur Apotheke fahren, weil sie ihr unglücklicherweise ausgegangen waren. Nun lag seine Mutter auf der Couch im Wohnzimmer und hielt mit der Hand einen nassen Lappen fest an die Stirn gepresst, um dem Ziehen und Drücken entgegenzuwirken. Er und Papa mussten mucksmäuschenstill sein, weil ihr jetzt jedes Geräusch angeblich unglaubliche Schmerzen bereitete. »Ihr könnt euch das nicht vorstellen!«, hatte sie seinen Vater angefahren, weil er den Krimi sehen wollte. Daraufhin hatte dieser seine Pfeife aus dem Wohnzimmerschrank geholt und ein Buch aus dem Regal und war beleidigt in sein Arbeitszimmer getrottet. Ihr!, hatte sie gesagt. James wusste Bescheid. Immer wenn sie die Mehrzahl benutzte, war es besser zu verduften. So war er die Treppe hoch zu seinem Zimmer geschlendert. Im Fernsehen lief wie immer nichts Ansprechendes. Also, was blieb ihm anderes übrig, als Musik zu hören? Er atmete tief durch, kramte den Kopfhörer zwischen den Kissen hervor und platzierte die Hörmuscheln gelangweilt an seinen Ohren. Er startete den CD-Player und kurz darauf hämmerte ein Technosong angenehm gegen seine Schläfen. James ließ den Blick durchs Zimmer gleiten: Vorbei am Schreibtisch, auf dem sein nagelneuer PC stand, vorbei am Bücherregal, in dem Jules Verne und Michael Ende neben langweiligen Schulbüchern ihr Dasein fristeten, vorbei am Kleiderschrank, dessen rechte Tür schief hing, weil Mama mit der Konstruktion eines modernen Scharniers nichts anzufangen wusste, schließlich hinauf zur kahlen Zimmerdecke, wo sein Modellsegelflieger schlapp in den Schnüren hing. Meine Eltern führen eine gute Ehe, dachte er bei sich. Erst neulich hatte er die dicke Metzgersfrau darüber reden hören, als er sich auf dem Weg zum Ausgang befunden hatte. »Das ist wirklich eine nette Familie, nicht wahr?«, hatte sie gesagt, wobei die anwesenden Kunden aus der Nachbarschaft beifällig gebrummelt hatten. Er konnte solches Gerede nicht ertragen; er wurde immer so betont als Baby dargestellt, dabei war er vierzehneinhalb und der zweitbeste Schüler in seiner Klasse. James brachte aber nicht nur gute Noten mit nach Hause. Er war auch ansonsten ein aufgeweckter blonder Wuschelkopf. Er hatte graue Augen und die gleiche Stupsnase wie seine Mutter. Für sein Alter war James zwar nicht besonders groß, aber im Sportunterricht dennoch ein Ass. Federleicht ließ er sich beim Hochsprung über die Latte gleiten. Andreas, der Größte seiner Klasse, riss dabei stets die Stange mit. James war wirklich kaum zu bremsen, wenn es darum ging, gegen die Lehrer Streiche auszuhecken. Wenn er manchmal ertappt vor seinen Mitschülern stand und für seine Schandtaten gerügt wurde, legte er seinen besonderen Blick auf. Es war ein Ausdruck echter Reue, der ihm im Gesicht geschrieben stand. Die Lehrer verziehen ihm noch einmal, wie sie sich auszudrücken pflegten. Daheim klappte die Masche mit dem Blick allerdings fast nie. Da konnte er sich in besonders schweren Fällen eine Woche Hausarrest einhandeln. Mit seinen Eltern hatte James wirklich einen guten Fang gemacht, und das wusste er auch ohne die dicke Metzgersfrau. Sein Vater war Bauleiter; jedenfalls wurde er bei der Arbeit nie schmutzig. Als James in den Kindergarten gegangen war und seine Mutter ihn nachmittags mit dem Auto abgeholt hatte, besuchten sie ihn oft auf Baustellen, wo sie über Ziegel, Eimer und Kabel klettern mussten, um ihn zu erreichen. Seine Mutter war Krankenschwester gewesen, aber seit James auf der Welt war, hatte sie sich ausschließlich um ihn und den Haushalt gekümmert – und um ihren Mann, versteht sich. Jetzt im Sommer saß James die meiste Zeit über im Sattel seines Mountainbikes. Dazu summte und pfiff er unablässig. »Er ist eben musikalisch«, hatte Tante Mine vor kurzem gesagt. »Man muss sein Talent unbedingt fördern!« Fördern, oh nein, das klang James allzu sehr nach fordern. Dennoch hatte Mine zwei Tage später dem Jungen eine Blockflöte geschenkt. Zu allem Überfluss war Onkel Cornelius nun drauf und dran, ihm die Flötentöne beizubringen. Ekelhaft! James hieß nicht immer James. Eigentlich war er auf den Namen Marcel getauft, aber der Spitzname hatte sich in kürzester Zeit derart eingebürgert, dass selbst seinen Eltern nichts anderes übrig geblieben war als sich diesen Amerikanismus (wie sich sein Vater geringschätzig auszudrücken pflegte) anzueignen. Marcel hatte sich einfach angewöhnt, auf nichts anderes mehr zu reagieren. James klang das gleichmäßige Schlagen des Techno im Ohr, als er aus den Augenwinkeln heraus erkannte, wie seine Zimmertür geöffnet wurde. Kann man heute nicht einmal in Ruhe Musik hören?, dachte er verärgert. Er riss den Kopfhörer herunter, warf ihn achtlos neben sich und wollte eben beginnen, seiner Wut in Form von Worten Ausdruck zu verleihen, als zwei stets willkommene Gesichter vorsichtig ins Zimmer lugten: Tom der Große und Indianerclaus. Tom ging mit James in eine Klasse. Bis vor kurzem hatten die beiden zusammen auf einer Bank gesessen. Bis vor kurzem deshalb, weil den Lehrern die Streiche der zwei einfach zu viel geworden waren. Die Störenfriede mussten auseinander, das war klar gewesen. Tom und James hatte die Entscheidung wie ein Faustschlag getroffen, aber seit sie nur noch in Sichtkontakt beisammen waren, klappte vieles besser. Ein ungestörter Unterricht ergab sich jetzt fast wie von selbst. Tom war gut zehn Zentimeter größer als James, aber bei weitem kein so geschickter Sportler. Er hatte braunes, kurzes Haar, das er in der Mitte gescheitelt trug. Die Brille mit dem runden Gestell rutschte ihm oft viel zu tief auf die Nase. Wenn er den Kopf leicht senkte, um sein Gegenüber ansehen zu können, wirkte er wie ein richtiger zerstreuter Professor. Tom der Große wusste wie kein Zweiter in der Klasse über geschichtliche Dinge Bescheid. Zuhause in seinem Zimmer türmten sich Geschichtsbücher über Geschichtsbücher. Auf dem Schreibtisch thronte neben einem Totenschädel (den sein Opa bei seiner Pensionierung als Volksschulrektor eigens für seinen Enkel abgezweigt hatte) eine Nachbildung des Steines von Rosette, mit dem es damals Champollion gelungen war, die Hieroglyphen zu entschlüsseln. Gänzlich unsichtbar war der Junge geworden, als vor zwei Jahren am Stadtrand eine Handvoll Archäologen sich darangemacht hatte, eine dort entdeckte keltische Viereckschanze freizulegen. Tom hatte so lange gebettelt, bis er schließlich, sowohl vonseiten der Eltern als auch der Wissenschaftler, die Genehmigung erhalten hatte, vor Ort bei den Ausgrabungen dabei sein zu dürfen. Indianerclaus war der kleinste der drei. Er war mit seinen dreizehn Jahren auch der Jüngste. Claus wohnte mit seinen Eltern in einem Mietshaus in Toms Nachbarschaft. Der Junge hatte genau die gleichen braunen Augen wie Tom. Sein Haar war beinahe schwarz und seine Frisur meist völlig zerzaust. Man erzählte sich, dass Claus sich morgens nach dem Aufstehen nie die Haare kämmte. Er ging einfach so in die Schule, wie er aufgewacht war, und man konnte genau sehen, auf welcher Seite er die vergangene Nacht im Bett gelegen hatte. Den ganzen Sommer über sah man ihn mit ausgewaschenen Jeans herumlaufen, deren Knie nicht selten ausgefranste Löcher aufwiesen. Meist trug er einen roten Pulli, seinen Lieblingspulli, der ihm viel zu weit war und ihn aussehen ließ, als würde er mit hängenden Schultern herumlaufen. Auch die Turnschuhe, durch die nicht selten der eine oder andere Zeh blinzelte, weil die Socke an der gleichen Stelle ein Loch aufwies, trug er das ganze Jahr über. Seinen Eltern war die Kleidungsordnung ihres Sohnes zwar ein Dorn im Auge, aber er ließ sich einfach nicht von deren Argumenten überzeugen. Er ging erst in die siebte Klasse, weil er ein Jahr später eingeschult worden war. Im Unterricht war er trotz des schläfrigen Gesamteindrucks, den er bei den meisten hinterließ, ein aufmerksamer Schüler. Er erledigte seine Aufgaben nie mit penibler Sorgfalt, eher mit einer ihm angeborenen Gelassenheit, die von seiner Umwelt nie wirklich gewürdigt wurde. Sein Zimmer musste er sich mit seiner kleinen Schwester teilen, und nicht selten gab es Krach,...