Seiterich | Später Sturm | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 184 Seiten

Seiterich Später Sturm

Eine Geschichte von Liebe und Widerstand im Dritten Reich
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-8436-1599-0
Verlag: Patmos Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Eine Geschichte von Liebe und Widerstand im Dritten Reich

E-Book, Deutsch, 184 Seiten

ISBN: 978-3-8436-1599-0
Verlag: Patmos Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die wahre Geschichte einer verbotenen Liebe, die alles überwindet

Sie verlieben sich am Vorabend des Zweiten Weltkriegs: zwei junge Nazigegner, die Studierenden Charlotte Wolfskehl und Hans Kühner. Charlotte ist Jüdin und taucht unter im Kaiserstuhl. Hans landet als politischer Häftling im KZ Dachau. Später holt ihn die Wehrmacht als Dolmetscher nach Italien. 1944 desertiert er – in den Vatikan! Der ist von den Deutschen abgeriegelt. Über den Radiosender des Papstes schickt Hans eine glühende Liebesbotschaft an seine versteckte Braut. Doch wird die Nachricht sie erreichen? Wie können die beiden wieder zueinanderfinden?

»Ein erschütterndes Buch, das nicht zulässt, dass die Unmenschen triumphieren, indem die wahren Helden dem Vergessen anheimfallen. Ein Denkmal in Buchform.«
Arnold Stadler

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Konzentrationslager Dachau
Es ist ein eisiger, jedoch besonnter Wintertag, als ich auf den Spuren von Hans Kühner das ehemalige Konzentrationslager Dachau besuche, rund 20 Kilometer nordwestlich von München. Kalter Wind fegt über die Weite des Feldes, auf dem, getrennt durch eine hohe Pappelallee, die mehr als 40 Baracken standen, in denen die Häftlinge damals eng gedrängt untergebracht waren. Heute ist das Feld der Gedenkstätte Dachau leergeräumt. Gekieste Rechtecke mit leicht gehobener Umrandung aus Steinschwellen markieren die Grundrisse der Lagerbaracken. Jeweils rund hundert mal zehn Meter. Jede der Baracken zählte vier sogenannte »Stuben«. Ich gehe zu Block 7, »Stube 3«. Dort halte ich inne. Eine Zeit lang im aufgewirbelten Staub. Stille, ein einsamer Moment zwischen den Zeiten; einzig das Gekrächze der Raben in der kalten Winterluft: Hier war in einem rohen, mehrstöckigen, offenen Holzverschlag, der den stickigen Raum fast zur Gänze ausfüllte, der Häftling Hans Kühner untergebracht. Der junge Mann mit der Lager-Nummer 11448. Aus der Person, aus einem Menschen mit Namen, wird bei der brutal entwürdigenden Aufnahmeprozedur eine KZ-Nummer. Hans Kühners Kennzeichen auf dem längsgestreiften Drillichanzug: der blaue Winkel wegen verbotener Ausreise, das Kainsmal eines Emigranten aus Hitlers Deutschland. Die Haft des Musikwissenschaftsstudenten währte vom 13. Februar bis Anfang November 1937. Achteinhalb Monate, 236 Tage lang, lebte Hans Kühner in Händen der SS: Gewalt, Erniedrigung, Qual, straffreies Morden durch die der SS angehörenden Herren über Leben und Tod, Terror, immerwährende Unsicherheit und Lebensgefahr. Das Dreivierteljahr im Konzentrationslager brachte eine unauslöschliche Erfahrung: die allgegenwärtige Herrschaft des gewaltsamen Todes. In Kühners Lagerzeit, ab Jahresbeginn 1937, begannen unter dem SS-Lagerkommandanten Hans Loritz die Bauarbeiten für das größer geplante, neue Häftlingsgelände. Nahezu sämtliche Häftlinge mussten dafür schuften. Gearbeitet wurde mit schwerstem körperlichem Einsatz. Vermutlich war Kühner einer von jenen Zwangsbauarbeitern. Das neue Gelände maß 538 mal 278 Meter. Geplant für 6000 Gefangene. Nach dem »Anschluss« an das Deutsche Reich 1938 wurden im Jahr darauf an die 11.000 jüdische Männer aus Österreich in das Konzentrationslager Dachau eingeliefert. Dachau und seine im Laufe des Nationalsozialismus bis 1945 errichteten 140 Nebenlager dienten als »Ausbildungsstätten« für das ganze System der Konzentrationslager. Rund 6000 KZ-Wächtern der SS im gesamten Hitlerreich wurde bei Lehrgängen und Praktika im Dachauer Konzentrationslager das Quälen, Entmenschlichen, Erniedrigen, Terror-Ausüben und Töten beigebracht. Dachau war kein Vernichtungslager, doch in keinem anderen KZ wurden ähnlich viele politische Morde verübt wie hier. Häftling Kühners Tag begann um 4.00 Uhr in der Frühe mit dem Wecken. Danach Waschen und penibel rechteckiges Bettenbauen. Ersatzkaffee oder undefinierbare Brühe trinken im großen Gedränge der Häftlinge. In Kühners »Stube 3«, einer von den vier Stuben im Block 7, vegetierten 1937 über 52 Menschen, 208 im Block insgesamt. In den folgenden Jahren bis 1945, als das Lager überfüllt wird, sind es viel mehr, gegen Kriegsende bis zu 1600 Menschen. Zählappell um 5.15 Uhr: Gezählt wird morgens vor der Arbeit und abends nach der Arbeit. Nur der Sonntag ist appellfrei. Beim letzten Appell in Dachau, am 29. März 1945 vor der Befreiung durch die US-amerikanische Armee – die bei der Befreiung aus Empörung über die SS-Barbarei zahlreiche zurückgebliebene SS-Schergen erschoss – mussten 32.335 Gefangene antreten. Die Häftlinge mussten sich im Freien aufstellen, stubenweise und blockweise, in strammer Haltung mit den Händen an der Hosennaht. Bei einem Appell ohne besondere Vorkommnisse dauerte das Zählen 45 bis 60 Minuten. Fehlte ein Häftling, etwa durch Fluchtversuch, mussten alle Gefangenen so lange stehen, bis der Flüchtige von der SS aufgegriffen worden war. Der mörderische längste Zählappell in Dachau dauerte 20 Stunden. Arbeit von 6.00 bis 12.00 Uhr, Mittagspause von 12.00 bis 13.00 Uhr, darin eingeschlossen die Wege von der Arbeitsstätte ins Lager und wieder zurück zur Arbeitsstätte. Arbeit bis 18.30 Uhr. Um 19.00 Uhr Zählappell. 20.00 Uhr Abendessen in der Baracke. Bettruhe um 20.45 Uhr. Licht aus um 21.00 Uhr. Abweichungen, beispielsweise beim Bettenbau oder in der »Spind-Ordnung«, wurden mit Prügeln durch die SS-Wachmänner bestraft oder mit Pfahlhängen, einzelnem oder kollektivem Essensentzug, Strafe-Stehen oder der Qual in den Stehzellen im »Bunker«, dem Lagergefängnis. Es gab viele Tötungen. Von den zahlreichen Berichten von Häftlingen sei nur einer stellvertretend erwähnt. Der packende Text stammt von Abbé René Fraysse aus der Ardèche im Süden Frankreichs. Der 31-jährige Arbeiterpriester begleitet ab dem 30. April 1943 junge französische Zwangsarbeiter in die Fabriken des Kriegszulieferers VDM in Frankfurt am Main. Knapp ein Jahr später wird er an die Gestapo verraten, am 20. April 1944. Im Konzentrationslager Dachau erhält er die Häftlingsnummer 113095. Er lebt im Priesterblock 26, auf engstem Raum mit 400 in der großen Mehrheit katholischen Geistlichen aus 25 Nationen. Abbé René Fraysse übersteht die Typhus-Epidemie, die ab Mitte Dezember 1944 binnen drei Monaten etwa 10.000 der 35.000 Häftlinge das Leben kostet. Und er berichtet, wie die SS die überlebenden jüdischen Gefangenen am 26. April 1945 in einen Zug mit ungedeckten Güterwagen zusammentreibt. Als die Befreier von der US Army kommen, am 29. April, sind von den 2400 Menschen nur noch 60 am Leben. Doch es gibt neben all den Gräueltaten der Nationalsozialisten auch großartigen humanen Widerstand im KZ Dachau: Wenige Monate, nachdem Hans Kühner entlassen wird, kommt der aus Charkow in der Ukraine stammende jüdische linke Schriftsteller Jura Soyfer nach Dachau. Er sitzt drei Monate, vom 23. Juni bis 23. September 1938, als Häftling im KZ. Darauf wird er in das Konzentrationslager Buchenwald verfrachtet. Jura Soyfer stirbt dort an Typhus ein knappes halbes Jahr später, am 16. Februar 1939. In seinen wenigen Wochen in Dachau dichtet Soyfer das »Dachau-Lied«. Die Melodie des Marsch- und Durchhalte-Lieds komponiert Herbert Zipper, der Chef des Wiener Konzertorchesters. Als Jude wurde Zipper nach Dachau verschleppt. Er gründete das Häftlingsorchester. Und er überlebte. Herbert Zipper kam 1939 aus dem KZ Buchenwald frei. Er hatte ein von Nazi-Deutschland gefordertes Lösegeld bezahlt und erhielt ein Visum für Guatemala. Ein Hoch auf die Freundschaft! Freunde aus Österreich hatten ihn mit ihrem Geld gerettet. Am 30. Mai 1939 legte der italienische Übersee-Dampfer Conte Biancamano vom Kai in Genua ab. Es begann eine Reise, die 23 Tage lang dauerte. In deren Verlauf legte das weiße Schiff in vielen Häfen an: Port Said, Aden, Bombay, Colombo im damaligen Ceylon, wo Zipper für einige Stunden an Land ging, um am Stadtrand die ersten Elefanten seines Lebens zu betrachten. Für einen Überlebenden eines deutschen Konzentrationslagers war diese Reise ins Leben von einer Aura der Unwirklichkeit und des Phantastischen erfüllt. Sie nahm Zippers Denken und Wahrnehmen so stark in Anspruch, dass er die Qualen im KZ Buchenwald zumindest zeitweise vergaß – und ebenso die bevorstehende Freude des Wiedersehens mit seiner Frau Trude. Sie wartete seit 1937 auf ihn in Manila. Dort hatte sie das Tanzdepartment der Universität der Philippinen eröffnet. Zipper, von neuen Lebenskräften erfüllt, gründete auf den Philippinen alsbald das Manila Symphony Orchestra. Diesen Musikern blieb er zeitlebens in Freundschaft verbunden. Nach der Besetzung der Philippinen und Manilas am 2. Januar 1942 durch das mit Deutschland verbündete japanische Kaiserreich wurde Zipper kurzzeitig durch die Japaner inhaftiert. Nach seiner Freilassung war er im Großraum Manila im Untergrund aktiv und betrieb geheime nachrichtendienstliche Aufklärungsarbeit für die US-Streitkräfte. In den folgenden Jahren ab 1946 feierte er Erfolge als Dirigent, Orchestergründer und Musikpädagoge in den USA. Zurück nach Dachau: Im Spätsommer 1938 lässt der Textdichter Soyfer den Komponisten Zipper den Text des Dachau-Lieds auswendig lernen, um dem Risiko einer Entdeckung des geschriebenen Textes und damit verbundener Strafen zu entgehen. Zipper komponiert dazu die Melodie aus dem Kopf. Er bringt sie einem Geiger und zwei Gitarristen unter den Mithäftlingen bei. Das Lied deutet die Folter, Quälereien und Gewalt des Lageralltags nur an, trifft aber die Gefühlslage der gequälten Zwangsgemeinschaft. Es persifliert und ironisiert den Spruch auf dem Eingangstor »Arbeit macht frei«. Zipper: »Es war meine Absicht, sowohl harmonisch als auch melodisch Klischees zu vermeiden, unter Beibehaltung des Charakters eines Marschliedes, das die Härte des geistigen und physischen Widerstandes ausdrückt.« Der Text:
Stacheldraht, mit Tod geladen, ist um unsre Welt gespannt. Drauf ein Himmel ohne Gnaden sendet Frost und Sonnenbrand. Fern von uns sind alle Freuden, fern die Heimat, fern die Frau’n, wenn wir stumm zur Arbeit schreiten, Tausende im Morgengrau’n. Refrain: Doch wir haben die Losung von Dachau gelernt und wurden stahlhart dabei: Sei ein Mann, Kamerad, ...


Dr. Thomas Seiterich ist Theologe und Historiker. Von 1980 bis 2020 arbeitete der Journalist bei der Zeitschrift Publik-Forum. Zuvor promovierte er über die Linkskatholiken in der Weimarer Republik, ab 1994 tätigte er kritische Berichterstattung aus Rom. 2023 erschien sein Buch »Letzte Wege in die Freiheit. Sechs Elsässer Pfadfinderinnen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus«.



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