Silberer | Hotel Weitblick | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Silberer Hotel Weitblick


1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-218-01273-7
Verlag: Kremayr & Scheriau
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

ISBN: 978-3-218-01273-7
Verlag: Kremayr & Scheriau
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Vier Führungskräfte einer Werbeagentur, ein Wochenende in einem abgelegenen Hotel: Wer den Geschäftsführer-Posten bekommen soll, entscheidet der von Selbstzweifeln geplagte Consulter Marius Tankwart. Seine Auswahlseminare sind berühmt, doch der erbitterte Kampf der Manager untereinander macht eine gemeinsame Lösung unmöglich, und als er im Verhalten der Teilnehmer schließlich die Erziehungsmethoden einer Nazi-Pädagogin wiedererkennt, muss er eine Entscheidung treffen, von der sein eigenes Überleben abhängt.
Mit einem Kammerspiel der sogenannten Leistungsträger konzentriert Renate Silberer in ihrem Romandebüt die zwischenmenschlichen Konflikte in einem Punkt. Sie richtet einen entlarvenden Blick auf die erlernten Handlungsweisen unserer Gesellschaft und legt deren zutiefst beunruhigende Ursprünge frei.
"Er sieht den röhrenden Hirsch: Ach, wie wünschte ich mir, sie würden alle einmal ins Wanken geraten, jeder Mensch sollte an irgendeinem Punkt in seinem Leben wenigstens ein einziges Mal seine Standfestigkeit verlieren."

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Bahamas Joe Am Ende der Gerechtigkeit kann nur Leistungsgerechtigkeit stehen. Ich bin gegen Gleichmacherei, die Menschen müssen das Gefühl haben, dass sich Leistung wieder lohnt. Ständig auf Verteilungsgerechtigkeit zu schielen, da sägen wir uns nur den Ast ab, auf dem wir sitzen. Horst sendet. Ein guter Morgen beginnt mit dem ersten Posting nach dem Einloggen in das Diskussionsforum und einer Tasse Kaffee, wie lange noch, bis es Frühstück gibt, es ist erst 06:20. Wo ist mein Posting von gestern Nacht? Etwa gelöscht, eine Frechheit. Es war nichts Beleidigendes oder gar Unsittliches, diese Moderatoren sind einfach nicht objektiv. Bahamas Joe Gilt Meinungsfreiheit nichts mehr in diesem Land? Müssen die Anständigen schweigen, darf man die Wahrheit nicht mehr aussprechen und ich sage es noch einmal: Unser Sozialstaat kann nicht für alle aus der ganzen Welt geöffnet werden. Erst gehören die Grenzen geschlossen, dann kann geholfen werden. Nicht umgekehrt. Oder lassen wir es so weit kommen, dass wir einen Stacheldraht um jedes Wohnhaus errichten müssen, zum Schutze unserer Habe? Horst zieht sein dunkelblaues Sakko an, Dolce und Gabbana, die neuen Loafer. In der Teeküche bedient er den Kaffeeautomaten und holt sich einen großen Mokka. Eigenverantwortung zählt nichts mehr heutzutage, wie auch der Wille zu Leistung und persönlichem Einsatz, jeder, der etwas werden will, hat die Chance dazu. Anpacken heißt das, aber wir, wir leben in einer verweichlichten und tugendfreien Zeit. Er trinkt einen kleinen Schluck Kaffee, zu heiß. Hoffentlich schmeckt der Kaffee im Frühstücksraum besser, denkt er und trinkt die Tasse in einem Zug leer. Ein Staubfussel auf dem Boden, das darf aber nicht passieren, wird hier nicht regelmäßig gereinigt, fragt er sich und schüttelt den Kopf. Vor der Tür des Hotels weht ein kalter Wind. Er stellt den Kragen seines Sakkos auf. Nur die Beine vertreten, um den Kopf freizukriegen. Diese Wahrheitsverdreher im Forum und der Ärger mit Veronika noch dazu. Du bist sauer auf mich, stimmt doch. Ich werde dir wohl einen Antrag machen müssen, noch am Sonntagabend werde ich das tun, darauf wirst du nicht vorbereitet sein, auf meinen Heiratsantrag, und du wirst ja sagen, natürlich wirst du ja sagen, jede Frau will einmal heiraten, daran besteht doch kein Zweifel. Den Verlobungsring werde ich beim Juwelier in der Altstadt kaufen, von ihm könnte ich ein Einzelstück exklusiv für dich anfertigen lassen. Du sollst mit deinen eigenen Augen sehen, dass du mir mehr wert bist als ein Ring von der Stange. Das wird dir gefallen, Veronika, ein Heiratsantrag, du wirst das mit Sicherheit romantisch finden, so Last-Christmas-I-Gave-You-My-Heart-mäßg, wie komme ich jetzt zu einem Vorabring? Vielleicht gibt es hier in der Umgebung eine Möglichkeit. Die Dame an der Rezeption trägt Dirndl, Janker und eine große Trachtenbrosche unter ihrem Dekolleté, brauchen Sie etwas, fragt sie lächelnd. Leise Musik dringt aus dem Radio. Wie lange dauert eine Taxifahrt in den Ort? Die Musik ist nicht aufdringlich und die Rezeptionistin blickt auf die Uhr. Sie streicht eine Haarsträhne hinters Ohr, lächelt, bevor sie sagt, wissen Sie, um diese Zeit frühmorgens fährt noch kein Taxi zu uns heraus. Der lokale Taxiunternehmer ist Familienvater und es ist Samstag. Wollen Sie es sich vielleicht in der Lobby bequem machen, bis der Frühstücksraum geöffnet wird? Vorab können Sie sich gerne an unserem Obstkorb bedienen. Sie nickt ihm zu, zeigt auf den Obstkorb und hebt eine Augenbraue, dann lächelt sie. Ist der Ring echt? Dieser hier? Ja. Modeschmuck. Hören Sie, ich bin in einer Notsituation und Sie könnten meine Rettung sein. Horst strahlt, bevor er fragt, würden Sie den Ring eventuell verkaufen? Ich mache Ihnen auch einen guten Preis. Besser noch, schlagen Sie den Preis vor. Die Rezeptionistin lächelt. Elton John singt Like a candle in the wind, die Rezeptionistin sagt, tut mir leid, der Ring ist unverkäuflich. Horst lächelt zurück, ja-ja, er zwinkert ihr zu, nennen Sie eine Zahl, die Ihnen spontan einfällt, fantasieren Sie, er zwinkert ein zweites Mal. Das Telefon klingelt. Hotel Weitblick, guten Morgen, wie kann ich Ihnen weiterhelfen? Horst blickt erst auf den Ring, dann auf ihr Namensschild und sagt, bis später, Frau Janine. Sie nickt ihm zu. Wie Sie sehen, habe ich den Raum für unseren heutigen Vormittag umgestaltet. Setzen Sie sich bitte auf einen der Sessel im Kreis. Wir werden den Tag mit Ihren Blitzlichtern beginnen. Lassen Sie kurze Momente Ihrer Befindlichkeit aufleuchten und uns teilhaben an dem, was Sie beschäftigt. Helmut, als Ersten möchte ich Sie einladen, sich zu äußern. Noch während ich spreche, hole ich einen Kugelschreiber aus der Hemdtasche, öffne mein Begleitheft und sehe ihn an. Er weicht meinem Blick aus. Helmut nickt in die Runde. In seinem Magen rumort es. Es ist der Hunger. Die Körperempfindung des Hungers ist ihm vertraut. Er bereut seinen Verzicht auf das Frühstück nicht. Stattdessen hat er ausführlich geduscht und am Ende noch sehr kaltes Wasser über seinen Körper fließen lassen. Ich notiere, ein konturlos wirkendes Gesicht sehe ich vor mir, es gibt wenig unkontrollierte Bewegung darin. Zuckt etwa der Mundwinkel? Nein, und die Augen, ich kann nicht in sie hineinsehen, da ist eine Sperre, als wäre ein Tatortband um sie herum gespannt, das mir sagt, nicht weiter, nur bis hierher. Ich sehe Augen, die mich drängen, ihnen fernzubleiben, während ich ihn sagen höre, unsere Agentur ist modern und dynamisch. Wir alle lachen auf unseren Teambildern, wir sind glücklich, wir zeigen, dass wir gerne arbeiten. Helmut hält einen Moment inne. Denn Arbeit, so sagt er, soll in unserer Agentur keinen Zwang darstellen. Wenn ich hier beispielsweise aus dem großen Fenster blicke, sehe ich Wald und Felder und ich finde mich in der Natur wieder. Auch mein Büro ist lichtdurchflutet und ich habe es mit viel Grün gestaltet. Der Griegler und seine angebliche Naturfreude, denkt Franz, mir hätte das einfallen sollen, nicht dem, bei dem ist alles nur Show, Griegler-Griegler, pass du nur auf. Während des Sprechens wird dieses Gesicht weicher, schreibe ich in mein Begleitheft, jedoch gibt es nichts von sich preis. Vielleicht ist weich das falsche Wort, es wird feingliedriger. Doch der Ausdruck wirkt einstudiert. Das Lächeln maskenhaft. Helmut spricht indessen von Pflanzen, er sagt, Palmen stehen vor dem großen Fenster in meinem Büro, und auch im Eingangsbereich der Agentur wuchert es Grün. Ich mag das, es bewirkt, dass ich zwar weiß, ich bin hier, um zu arbeiten, aber das Büro selbst erinnert mich nicht ans Arbeitenmüssen. Kein Müssen drängt sich nach vorne und das ist mir wichtig, er lächelt, ja, es gibt mir die Freiheit, die ich schätze. Als Geschäftsführer der Agentur würde ich mich für diese Freiheit einsetzen. Danke, ich gebe das Wort weiter. Sie können entscheiden, wer an der Reihe ist. Gut, sagt Helmut ohne aufzublicken, ich wähle den mir am nächsten Sitzenden, das ist Franz. Franz sagt, bevor ich hergefahren bin, habe ich noch die Umsätze des vergangenen Jahres studiert. Ich blättere eine Seite weiter, schreibe, Gesichtsvermerk Franz. Ist da eine Traurigkeit in den Augen, eine Niedergeschlagenheit, ich meine ein verwundetes Gesicht zu sehen, eines, das wohl oft an überdimensionale Ansprüche und Forderungen gebunden war. Ich muss sagen, wir haben viel erreicht, referiert Franz. Aber jetzt ist ein neues Jahr und ich finde, wir sollten darüber sprechen, was wir erreichen wollen und wie wir es erreichen wollen. Ich denke an einen Spirit der Mega-Wachstumsmentalität. Was hinter diesen Augen vorgehen mag, ist wohl seit der Kindheit mit der Schuld der Heimlichtuerei gebrandmarkt. Ich entdecke es sofort, erkenne es wieder, wie erinnert es mich nur an mich selbst, da ist dieses Vertraute, die Art und Weise, wie er die Stirn runzelt, sich kleine Schweißtropfen bilden, während er spricht. Sein Lächeln ist nur scheinbar echt. In ihm ist wohl auch die Angst verborgen, Unzulässiges zu tun, ohne zu wissen, was das Unzulässige nun eigentlich ist. Einen Käfer zertreten, aus dem Fenster springen, sich auf die Straße legen und ein Lied singen. Sehe ich etwas von mir in diesen Gesichtsvermerken oder sehe ich Franz, Helmut, Horst, Annette, ich weiß es nicht. Frau Mundgold würde jetzt ohne Zögern sagen, lass dich auf den Gedanken ein, Marius, geh hinein und sieh, was geschehen wird. Franz, sein Mund spricht die Worte, aber die Augen, sie schweigen. Wir wollen am Markt gewinnen, wir wollen unser Geschäft verdoppeln, Franz’ Stimme wird...


Renate Silberer, geboren 1975, lebt in Linz. Für ihre Gedichte und Prosaarbeiten wurde sie mit diversen Stipendien ausgezeichnet, u. a. mit dem Rauriser Förderungspreis 2013. 2017 erschien ihr Erzählband "Das Wetter hat viele Haare" bei Kremayr & Scheriau. Die Arbeit an ihrem Debüt-Roman "Hotel Weitblick" wurde mit einem Jubiläumsfondsstipendium der Literar-Mechana und einem Projektstipendium des Bundeskanzleramtes gefördert.



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