E-Book, Deutsch, 208 Seiten
Stahl Vom Jein zum Ja!
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-641-26214-3
Verlag: Kailash
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Bindungsängste überwinden und endlich bereit sein für eine tragfähige Partnerschaft
E-Book, Deutsch, 208 Seiten
ISBN: 978-3-641-26214-3
Verlag: Kailash
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Von der Autorin von 'Das Kind in dir muss Heimat finden'. Dieses Buch ist unter demselben Titel bereits im Verlag Ellert&Richter erschienen.
Stefanie Stahl, Diplom-Psychologin und Buchautorin in freier Praxis in Trier, ist Deutschlands bekannteste Psychotherapeutin. Sie hält regelmäßig Vorträge und Seminare zu ihren Spezialgebieten Beziehungen, Selbstwertgefühl und praxisnaher Psychologie. Mit ihrem Modell vom Sonnen- und Schattenkind hat sie eine besonders bildhafte Methode zur Arbeit mit dem inneren Kind erschaffen, die über die Grenzen Deutschlands hinaus auf große Resonanz stößt. Stefanie Stahls Bücher, allen voran 'Das Kind in dir muss Heimat finden', stehen seit Jahren auf den Top-Rängen der Bestsellerlisten und haben sich millionenfach verkauft.
Die Autorin ist eine begehrte Keynote Speakerin, hostet die beiden Podcasts 'So bin ich eben' und 'Stahl aber herzlich' und wird regelmäßig als Expertin für Presse und Talkshows angefragt.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Was ist Bindungsangst?
Das Phantom Bindungsangst
Die meisten Menschen wünschen sich eine erfüllte Liebesbeziehung. Sie sehnen sich nach Sicherheit, Liebe und Geborgenheit. Und irgendwie, so denkt man, kann das doch so schwer nicht sein: Man lernt jemanden kennen, stellt viele Gemeinsamkeiten fest, verliebt sich ineinander und lebt dann glücklich bis ans Lebensende. Aber bei vielen klappt das nicht. Sie scheinen immer an die falschen Partner zu geraten. Die Beziehung fängt entweder nie richtig an, weil sie ihren Schwarm nicht einfangen können, oder sie beginnt leidenschaftlich, wird dann aber immer komplizierter, bis sie schließlich in die Brüche geht. Andere stecken über viele Jahre oder gar ihr Leben lang in einer Dauerbeziehung oder Ehe fest, die weitaus mehr Frust als Lust beschert. Manche spurten von Affäre zu Affäre, fühlen sich jedoch leer und ausgebrannt. Eine Minderheit hält sich ganz raus und bleibt dauerhaft Single.
Man könnte die Aufzählung unterschiedlicher Beziehungsformen und Beziehungsversuche noch lange fortsetzen. Eines haben alle beteiligten Protagonisten jedoch gemeinsam: Sie fühlen sich nicht wirklich in einer Liebesbeziehung angekommen. Sie sind noch auf der Suche nach dem richtigen Weg innerhalb ihrer Partnerschaft oder nach dem richtigen Partner, mit dem es endlich einmal klappen soll.
Bindungsangst ist etwas, was die meisten Menschen nicht haben wollen. Weder bei sich selbst noch beim Partner oder der Partnerin. Bei vielen löst dieses Wort Widerstand und Abwehr aus: Ich bin doch nicht bindungsängstlich! Mir muss nur endlich mal der oder die Richtige begegnen! Ich bin oft überrascht, wie viel Betroffenheit und Abwehr die »Diagnose« hervorruft. Dabei ist Bindungsangst an sich doch nichts Schlimmes. Bindungsangst ist schließlich nichts anderes als ein Selbstschutz, den die Betroffenen in ihrer Kindheit (unbewusst) aufgebaut haben, um in ihrer Familie klarzukommen. Dieser Selbstschutz war für sie als Kind ganz wichtig und wird als Prägung mit in das Erwachsenenalter genommen. Hierauf werde ich in späteren Kapiteln noch eingehen. Die Bindungsangst als solche ist nicht das eigentliche Problem, sondern eher die Strategien, die Betroffene unbewusst wählen, um ihre Bindungsangst zu kontrollieren und mit ihr umzugehen. Bildlich gesprochen können sie ganz schön um sich schlagen, wenn ihnen der Partner zu nah kommt, oder sie lassen ihn einfach gegen die Wand laufen, was für den anderen auch sehr schmerzhaft sein kann. Es ist das Ziel dieses Buches, Betroffenen dabei zu helfen, diese Strategien aufzulösen und sie durch einen gesunden Selbstschutz zu ersetzen, mit dem sie eine Liebesbeziehung genießen können. Aber dafür müssen die Betroffenen zunächst einmal erkennen, dass sie solche sind. Denn viele Betroffene und ihre Partner oder Möchtegern-Partner erkennen die eigentliche Ursache für ihren Beziehungsfrust nicht. Nicht wenige sind schon relativ alt, bevor sie feststellen, dass sie bindungsängstlich sind. Viele bemerken es nie. Manche sind sogar ein Leben lang mit einem Partner verheiratet, ohne zu entdecken, dass die wenig befriedigende Ehe bindungsängstliche Strukturen aufweist. Bindungsängste sind für die Betroffenen und ihre Partner nicht leicht zu durchschauen. Die Partner sind zumeist verwirrt von dem widersprüchlichen Verhalten ihrer Zielperson. Und auch die Betroffenen selbst können sich ihre konfusen Gefühle und Gedanken in Bezug auf ihren Partner nicht erklären.
Sehr häufig erhalte ich E-Mails, in denen mir sowohl Bindungsängstliche als auch deren Partner oder Partnerinnen danken, weil sie endlich eine Erklärung für das »Hin und Her« und »Kreuz und Quer« in ihrer Beziehung gefunden haben. Es sind die krassen Wechsel zwischen Nähe und Distanz, die bindungsängstliche Beziehungen für die Beteiligten so anstrengend machen. Und diese hängen mit dem notorischen Jein zusammen, in dem die Betroffenen sich gefangen fühlen. Es ist die Ambivalenz zwischen Nähe-Wunsch und Nähe-Angst, die die Bindungsängstlichen nicht zu einer klaren Entscheidung für oder gegen die Beziehung finden lässt. Oder sie haben sich scheinbar entschieden, wie die oben erwähnten Verheirateten, halten sich aber innerhalb der Ehe oder der Dauerbeziehung den Partner mehr oder minder chronisch auf Distanz. Also auch hinter einer scheinbar klaren Entscheidung für eine Beziehung kann sich ein Jein verbergen.
Woran erkenne ich, ob ich bindungsängstlich bin?
Viele Bindungsängstliche verspüren eine starke Sehnsucht nach Liebe und Beziehung. Andere verspüren keinen so starken Bindungswunsch, sondern eher ein ausgeprägtes Freiheitsbedürfnis. Vor allem die Ersteren beschäftigt deswegen häufig die Frage, ob es an ihnen liegt, dass sie sich immer wieder in schwierige Beziehungen verrennen, oder eher daran, dass der Partner beziehungsweise die Partnerin doch nicht die oder der Richtige ist? Die Freiheitsbezogenen kauen hingegen häufig an der Frage, ob Liebe und Beziehung überhaupt so erstrebenswert und wichtig sind, dass man dafür so viele persönliche Kompromisse eingehen sollte. In beiden Fällen neigen Bindungsängstliche dazu, nach einer mehr oder minder kurzen Anfangsphase an der Beziehung, also an ihrem Partner oder ihrer Partnerin, zu (ver-)zweifeln. Sie sehen die realen oder auch vermeintlichen Schwächen ihres Partners und reiben sich an der Frage auf, ob nicht doch ein anderer Partner besser passen würde. Diese Zweifel werden gefüttert durch den Umstand, dass vielen Bindungsängstlichen immer wieder das liebende Gefühl für ihren Partner abhandenkommt. Nicht wenige können eigentlich nur in der Anfangsphase der Beziehung Liebe empfinden, oder wenn sie sich in jemanden verlieben, der ihnen keine Beziehungssicherheit vermittelt.
Häufig ist es auch so, dass die Liebesgefühle des Bindungsängstlichen mit der jeweiligen Nähe und Distanz in der Beziehung schwanken. Wenn der Bindungsängstliche also genügend Abstand zu seinem Partner verspürt, weil beispielsweise gerade mal wieder Schluss ist oder weil man sich länger nicht gesehen hat, dann können seine Gefühle recht intensiv werden. Ist die Beziehung hingegen in einer Phase der Nähe und Sicherheit, also eigentlich gerade am schönsten, dann erleben viele Bindungsängstliche den plötzlichen Gefühlstod. Warum das so ist, werde ich später noch erklären. Hier soll erst einmal nur die »symptomatische« Ebene beschrieben werden. Das Jein, das die Bindungsängstlichen verspüren, ist also sowohl gedanklicher (Zweifel) als auch emotionaler (Gefühlsschwund) Natur. Sind die Gedanken und die Gefühle jedoch zwiespältig, dann werden es die Handlungen zwangsläufig auch. Der Zickzackkurs von Nähe und Distanz, den die Bindungsängstlichen hinlegen, spiegelt also schlicht die innere Zerrissenheit der Betroffenen auf der Handlungsebene. Ein Hauptmerkmal bindungsängstlichen Erlebens ist eine starke Amplitude zwischen Nähe- und Distanzwünschen und eine nagende Unentschlossenheit, wenn sie darüber nachdenken, ob sie eine Beziehung fortführen oder überhaupt anfangen möchten. Ein Beispiel einer bindungsängstlichen Beziehung:
Julius (38 Jahre) hat schon einige Beziehungen hinter sich. Er erklärt öfter, er sei verliebt in die Liebe. Er mag die Aufregung und das Abenteuer, wenn sich noch alles so frisch anfühlt. Sobald eine Beziehung jedoch in ein sicheres Fahrwasser kommt, wird es ihm schnell langweilig. Seine bislang größte Liebe war Swetlana (34 Jahre). Swetlana war kompliziert und schwierig: Zuckerbrot und Peitsche. Sie konnte leidenschaftlich und hingebungsvoll sein, aber auch zickig und fordernd. Die Beziehung mit ihr war eine einzige Achterbahnfahrt von gegenseitigen Verletzungen und leidenschaftlichem Sex. Ein ruhiges Gefühl der Sicherheit hat sich für Julius bei Swetlana nie eingestellt. Schließlich hat sie ihn auch wegen ihres Tanzlehrers verlassen. Julius war damals total verzweifelt. Und auch noch heute, drei Jahre später, fühlt er sich nicht ganz gelöst von ihr. Er vergleicht sie auch immer wieder mit seiner aktuellen Freundin Manu. Sie ist das Gegenteil von Swetlana: ausgeglichen und lieb. Julius weiß, dass Manu ihm viel besser tut als Swetlana, aber seine Gefühle für Manu sind im Vergleich zu jenen für Swetlana lauwarm. Ihre Anhänglichkeit törnt ihn eher ab. Deswegen überlegt er auch, die Beziehung mit Manu zu beenden.
Julius ist ein typisches Beispiel für einen bindungsängstlichen Beziehungsstil: Die größte Leidenschaft empfindet er, wenn die Beziehung eher unsicher ist. Gerät der Bindungsängstliche hingegen an einen Menschen, der sich auf ihn einlässt und mit dem eine verbindliche Beziehung möglich wäre, dann wird es ihm entweder zu eng oder zu langweilig. Deshalb sucht Julius regelrecht, wenn auch unbewusst, nach Partnerinnen, die sich eher abweisend oder wankelmütig verhalten. Was ihm dabei überhaupt nicht bewusst ist: Seinem »Beuteschema« liegt ein Selbstwertproblem zugrunde: Julius sucht Bestätigung in der Eroberung. Swetlana hat er nie richtig an die Angel bekommen, und genau deshalb konnte er nicht von ihr lassen. Dass sie ihn schließlich sogar wegen eines anderen verließ, hat seinen Selbstwert maximal angekratzt. Deswegen kommt er auch nicht richtig über sie hinweg. Manu hingegen hat er sicher – sie »hängt fest an der Angel«. Er kann sich ihrer Zuneigung sicher sein. Doch genau deswegen langweilt ihn die Beziehung mit Manu schon wieder. Er braucht...