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E-Book

E-Book, Deutsch, 346 Seiten

Reihe: ISSN

Steinfeld Unternehmen ohne Eigentümer

Unternehmerische Entscheidungen der Optischen Werkstätte Carl Zeiss von 1889 bis 1933
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-11-105353-0
Verlag: De Gruyter
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Unternehmerische Entscheidungen der Optischen Werkstätte Carl Zeiss von 1889 bis 1933

E-Book, Deutsch, 346 Seiten

Reihe: ISSN

ISBN: 978-3-11-105353-0
Verlag: De Gruyter
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Stiftungsunternehmen gelten als undurchsichtige Unternehmensform. Der vorliegenden Arbeit gelingt anhand der Betrachtung der Optischen Werkstätte Carl Zeiss von 1889 und 1993 ein seltener historischer Blick in diese "black box": Ohne persönlichen Eigentümer folgte Zeiss keinen kurzfristigen Gewinninteressen, sondern legte seinen Schwerpunkt auf eine nachhaltige Entwicklung, von der sowohl das Unternehmen, als auch die Öffentlichkeit profitierten.

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Zielgruppe


Historiker/-innen mit Schwerpunkt Zeitgeschichte, Wirtschaftsgesc


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2 Der Aufstieg der optischen Industrie


Die Kenntnis von den Prinzipien der Strahlenoptik war in ihren Grundzügen bereits in der Antike verbreitet. Auf dieser Kenntnis basierte die Erfindung der Brille im 13. Jahrhundert ebenso wie die Entwicklung erster Mikroskope im ausgehenden 16. Jahrhundert.105 In den darauf folgenden Jahrhunderten gab es indes keine wesentlichen Verbesserungen auf dem Feld der Optik, bis veränderte technologische und ökonomische Bedingungen ungekannte Wachstumschancen hervorbrachten. So entstand eine Nachfrage nach optischen Instrumenten mit hoher Präzision, die durch den wissenschaftlichen Entdeckungsdrang von Biologen, Medizinern und Astrologen gespeist wurde.106 Pariser und Londoner Optiker reagierten auf die Nachfrage, indem sie sich bereits im 18. Jahrhundert auf die Verbesserung der Herstellung von Mikroskopen und optischen Geräten konzentrierten, ohne dabei jedoch Berechnungen zur Beschaffenheit der Linsen zu Grunde zu legen.107 Die Optikermeister und ihre Gesellen behalfen sich daher beim Schleifen und Polieren des Rohglases zur Linse bis weit ins 19. Jahrhundert hinein mit trial-and-error-Methoden, dem sogenannten Pröbeln.108 Damit blieb es zumeist dem Zufall überlassen, wie das Endprodukt ausfiel. Die deutlich schwankende Qualität des Endprodukts wurde durch die wechselhafte Beschaffenheit des maßgeblichen Rohstoffes noch verstärkt, des damals verfügbaren optischen Glases.109

Trotz der unausgereiften Ergebnisse der Optiker entwickelte sich folglich schon vor der Entstehung der optischen Industrie110 ein Markt für optische Instrumente und Geräte. Die Anbieter waren lange Zeit Handwerker. Nur ein kleiner Teil der Produktion optischer Instrumente war in seiner Struktur Veränderungen im Zuge der Protoindustrialisierung unterworfen. So wurde die traditionell ansässige Brillenmacherzunft in einigen süddeutschen Städten zu Beginn des 19. Jahrhunderts durch im Verlagssystem arbeitende, unselbständige Arbeiter abgelöst. Sie produzierten Brillen in großer Stückzahl, die sich in Herstellungsart und Güte jedoch nicht von den vorherigen Modellen unterschieden, die von Mechanikern hergestellt worden waren.111 Erst die vom Theologen Johann Heinrich August Duncker in Rathenow hergestellten Brillengläser brachten wesentliche Fortschritte in Bezug auf die Herstellungsweise.112 Aufgrund der technischen Fähigkeiten von Duncker hatte sich die von ihm im Jahr 1801 gegründete „ Optische Industrie-Anstalt” bereits bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem Betrieb mittlerer Größe entwickelt.113 1871 wurde aus der „ Optischen Industrie-Anstalt” die Emil Busch- Aktiengesellschaft, die den Grundstein für die Stadt Rathenow als Hauptstandort der optischen Industrie legte.

Das Beispiel Dunckers verweist auf das Potential reproduzierbarer Herstellung, welches durch das Einbringen technischer Kenntnisse entfaltet werden konnte. Voraussetzung für ein reproduzierbares Ergebnis der Produktion optischer Instrumente war die Verwendung von optischem Glas mit verlässlichen Eigenschaften, das zu Anfang des 19. Jahrhunderts jedoch nicht existierte. Daher widmeten sich die Unternehmer Joseph von Utzschneider und der Optiker Joseph von Fraunhofer seit 1804 den arbeitsorganisatorischen Möglichkeiten zur standardisierten Herstellung sowie der Entwicklung qualitativ hochwertigen optischen Glases. Der frühe Tod Fraunhofers verhinderte die Fortführung der erfolgsversprechenden Unternehmung, die bereits erste geglückte Versuche zur Glasherstellung gezeitigt hatte.114 Deutsche Optiker und Mechaniker bezogen deshalb das von ihnen benötigte Glas weiterhin aus dem Ausland, vor allem aus England und Frankreich.115 Rund 40 Jahre nach Fraunhofer stellte der an der Wiener Universität lehrende Mathematiker Joseph Petzval Berechnungen zu photographischen Linsen an, auf deren Grundlage der Optiker Friedrich Voigtländer Linsen für das so genannte Petzval-Porträt-Objektiv anfertigte. Durch dieses Objektiv konnte die Präzision von photographischen Aufnahmen deutlich erhöht und die Belichtungszeit der Kamera auf wenige Sekunden herabsetzt werden. Die im Januar 1841 in den Verkauf gelangte Kamera wurde bereits im Jahr darauf 600-mal verkauft. Schließlich wurde das Unternehmen 1849 von Voigtländer nach Braunschweig verlegt, wo es sich zu einem bedeutenden Kamera-Unternehmen entwickelte.116

Die Situation um 1850 stellte sich daher wie folgt dar: Das Gros der optischen und mechanischen Handwerker arbeitete für den jungen Markt für optische Instrumente und Geräte auf der Grundlage ihres Erfahrungswissens. Erste unternehmerische Schritte führten aufgrund der pröbelnden Herstellungsweise und der schlechten Glasbeschaffenheit nur bedingt zu Erfolgen. Während es den Mechanikern zwar möglich war, durch Geschicklichkeit und Fleiß mechanische Verbesserungen der Instrumente wie beispielweise ihre Handhabung vorzunehmen, stießen alle nicht-wissenschaftlich fundierten Bemühungen zur Verbesserung der Linsen rasch an ihre Grenzen. Die englischen und französischen Optiker waren mit der pröbelnden Herstellungsweise und den in ihrer Qualität eingeschränkten optischen Geräten am erfolgreichsten. Sie dominierten zu Anfang des 19. Jahrhunderts den Markt und konnten die kontinuierlich steigende Nachfrage nach optischen Geräten zumindest quantitativ befriedigen. Das Potential der Zusammenarbeit von Wissenschaftlern und Optikern bzw. Unternehmern hatte sich bereits bei Fraunhofers und Voigtländers Unternehmungen gezeigt. Dieses Potential machten sich auch Optiker und Mechaniker zunutze, als viele von ihnen ihre Handwerkstätten zu industriellen Unternehmen weiterentwickelten. So entstand die optische Industrie als eine der Branchen der seit den 1870er Jahren einsetzenden zweiten Industriellen Revolution.117 Voraussetzung dafür waren einerseits allgemeine Errungenschaften der Industrialisierung wie arbeitsorganisatorische und technologische Verbesserungen.118 Für die Entstehung der optischen Industrie grundlegend war jedoch die theoretische Durchdringung der Eigenschaften von Linsen und die Umstellung der Technik der praktischen Optik: „Es mussten neue Maschinen, Kontroll- und Arbeitsmethoden erfunden werden, um die Krümmung und Dicke der Linsen mit grösster Genauigkeit den Resultaten der Theorie entsprechend zu gestalten”, resümierte der Personalchef der Optischen Werkstätte Friedrich Schomerus.119 Viele der Optiker – unter ihnen auch Carl Zeiss –, deren Werkstätten zu Unternehmen heranwuchsen, waren dafür durch mathematische oder physikalische akademische Weiterbildung zumindest einigermaßen gerüstet.120 Beispielhaft für diesen Prozess steht der gelernte Mechaniker Carl Bamberg, aus dessen Werkstätte ein namhaftes Unternehmen hervorging. Bamberg absolvierte seine Lehre in der Optischen Werkstätte zwischen den Jahren 1862 und 1866. Bamberg vertiefte sein Wissen in Jena und Berlin mit Mathematik- und Physikstudien, unter anderem bei Ernst Abbe, deren Kern die Astronomie und Optik bildeten.121 Ein außergewöhnliches Beispiel für einen Autodidakten war Josef Rodenstock, der, ohne zuvor in die Lehre gegangen zu sein, im Jahr 1877 in Würzburg eine kleine feinmechanische Werkstätte gründete, die sich später zu einem bedeutenden Unternehmen mit einem großen Vertriebsnetz entwickelte.122

Für eine grundlegende Reform der Linsenherstellung war jedoch die Expertise eines Wissenschaftlers unabdingbar – eine Voraussetzung, die im Unternehmen Carl Zeiss Jena erfüllt war.123 So ist der Erfolg der Optischen Werkstätte seit den 1870er Jahren zu großen Teilen Abbes außergewöhnlichen wissenschaftlichen Fähigkeiten zuzuschreiben. Durch die Zusammenarbeit mit Abbe erlangte die Firma Zeiss, aber auch die optische Industrie insgesamt, eine völlig neue Wissensbasis. Die fortschreitende Verwissenschaftlichung der Produktentwicklung und -herstellung sowie die Reform der optischen Praxis lösten das Pröbeln nach und nach ab. Die neuen Kenntnisse verbreiteten sich ebenso unter Optikern und Mechanikern, die nach ihrer Ausbildung aus den optischen Unternehmen ausschieden und sich selbständig machten.124 Ferner trugen Zeitschriften zur Verbreitung des Wissens bei. Darüber hinaus setzte die Gründung des Kaiserlichen Patentamts im Jahr 1877 Anreize, Produktentwicklungen auf wissenschaftlicher Basis voranzutreiben, da die Neuentwicklung von Maschinen oder Verfahren nun durch Patentanmeldungen geschützt werden konnte.125

Nicht zuletzt hatten die Forschungen zu den Eigenschaften von optischem Glas durch Ernst Abbe und den Chemiker Otto Schott wesentliche Bedeutung für die Herstellung hochqualitativer Linsen, deren erfolgreiche Entwicklung eine fehlerfreie Funktionsweise optischer Geräte mit hohem Präzisionsniveau ermöglichte.126 Um ihre bahnbrechenden Versuche zu verwerten, gründeten Schott und Abbe im Jahr 1884 paritätisch ein Glaswerk in Jena, das Glastechnische Laboratorium Schott & Genossen. Das Glaswerk schuf zugleich einen deutschen Markt für optisches Glas und machte die deutsche optische Industrie von weiteren Importen aus dem Ausland unabhängig.127

Zeitgleich zur in den 1870er Jahren einsetzenden Verwissenschaftlichung sowie den Qualitätssprüngen in der Glasherstellung erweiterte...


Johanna Steinfeld, Goethe-Universität, Frankfurt/M.



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