E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Reihe: marixwissen
Steuernagel Die Etrusker
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-8438-0639-8
Verlag: marix Verlag ein Imprint von Verlagshaus Römerweg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ursprünge – Geschichte – Zivilisation
E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Reihe: marixwissen
ISBN: 978-3-8438-0639-8
Verlag: marix Verlag ein Imprint von Verlagshaus Römerweg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Band liefert einen Überblick zur Geschichte und Kultur der Etrusker über die Spanne eines Jahrtausends, von den vorgeschichtlichen Anfängen bis zum Aufgehen in der römischen Gesellschaft der Kaiserzeit. Die ungeklärten Ursprünge werden ebenso diskutiert wie zivilisatorische Leistungen und die ausgefeilten religiösen Praktiken, mit denen die Etrusker Zeitgenossen wie Nachwelt beeindruckten. Zugleich werden die wesentlichen Erkenntnisse über gesellschaftliche Strukturen, Handelskontakte sowie die künstlerischen Ausdrucksformen auf dem neuesten Stand der Forschung vermittelt.
So treten die Konturen einer Kultur hervor, die schon antike Beobachter und mehr sogar Reisende, Forscher und Künstler der Neuzeit in ihren Bann gezogen hat. Doch auch in den Alltag und die Konflikte einer – zu Unrecht – vielfach noch als rätselhaft geltenden antiken Kultur gewährt das Buch neue und spannende Einblicke.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1. Die Wiederentdeckung der Etrusker
2. Ursprünge der Etrusker und der etruskischen Gesellschaft
2.1 Die etruskische Sicht
2.2 Die Sicht der Griechen und Römer
2.3 Die Problematik der etruskischen Sprache
2.4 Die prähistorischen Anfänge der etruskischen Kultur
2.5 Der Beitrag der Humangenetik
2.6 Das Problem des Ethnos und der Ethnogenese
3. Der geographische und historische Rahmen
3.1 Das Kernland und die weiteren Siedlungsgebiete der Etrusker
3.2 Die Etrusker und ihre Nachbarn
3.3 Die Unterwerfung durch Rom und das etruskische Erbe
4. Städte, Siedlungsstruktur und wirtschaftliche Grundlagen
4.1 Die Entstehung der städtischen Zentren
4.2 Stadtraum und Architektur
4.3 Agrarwirtschaft, territoriale Herrschaft und Bodenschätze
4.4 Austausch und Handel
5. Gräber und Nekropolen
5.1 Zur Bedeutung der Gräber für die Erforschung der etruskischen Zivilisation
5.2 Gräber und Nekropolen der orientalisierenden und archaischen Zeit (7. bis 5. Jh. v. Chr.)
5.3 Gräber und Nekropolen der nacharchaisch-hellenistischen Zeit (4. bis 1. Jh. v. Chr.)
5.4 Zwischen Diesseits und Jenseits
6. Die etruskische Gesellschaft
6.1 Quellen und methodische Grundlagen einer etruskischen Sozialgeschichte
6.2 Familienstruktur und Familienverbände
6.3 Die Aristokratie
6.4 Andere gesellschaftliche Gruppen
6.5 Politische Institutionen
7. Die etruskische Religion
7.1 Die Überlieferung des religiösen Wissens
7.2 Kosmologie und die Ordnung von Raum und Zeit
7.3 Die etruskische Götterwelt
7.4 Heiligtümer, Tempel und Kulte
7.5 Totenkult und Ahnenkult
8. Kunst und Handwerk
8.1 Die orientalisierende Zeit (Ende 8. bis frühes 6. Jh. v. Chr.)
8.2 Die archaische Zeit (6. Jh. bis Mitte 5. Jh. v. Chr.)
8.3 Die nacharchaisch-frühhellenistische Zeit (Mitte 5. Jh. bis Mitte 3. Jh. v. Chr.)
8.4 Die Zeit des Hellenismus und der Romanisierung (Mitte 3. Jh. bis 1. Jh. v. Chr.)
Zum Schluss
Anhänge:
Anhang I: Namen etruskischer Städte und Stätten, modern und antik
Anhang II: Epochen
Anhang III: Bibliographie
Karte
2. URSPRÜNGE DER ETRUSKER UND DER ETRUSKISCHEN GESELLSCHAFT
2.1 Die etruskische Sicht
Wie man in der frühen Neuzeit über das Alter der etruskischen Zivilisation diskutierte und den Ursprüngen des Volkes nachspürte, so hatte es schon in der Antike eine lebhafte Debatte über die Herkunftsfrage gegeben – zumindest in der griechischen und römischen Geschichtsschreibung. Was die Etrusker darüber dachten, ist kaum bekannt. Nicht einmal den Namen, den sie sich selbst gaben, kennen wir mit Gewissheit. Dionysios von Halikarnassos, der um die Zeitenwende eine Geschichte Roms in zwanzig Büchern verfasste, sagt, die Etrusker selbst nennten sich Rasenna (Antiquitates Romanae 1, 30, 3). Tatsächlich ist derselbe Wortstamm in verschiedenen etruskischen Inschriften wiederzuerkennen, als Teil von Titeln städtischer Magistrate (zilath mechl rasnal bzw. rasnas), einmal auch zur Bezeichnung eines Territoriums auf einem Grenzstein aus Cortona (tular rasnal). Der Kontext legt hier jeweils aber nahe, dass eine Bezeichnung des Volkes nicht als ethnische, sondern als politische Einheit vorliegt (vergleichbar lat. populus). Die Angabe des Dionysios, der kaum der etruskischen Sprache mächtig gewesen sein dürfte, beruht also vielleicht auf einem Missverständnis. Tatsächlich könnte die Selbstbezeichnung der Etrusker von einem erschlossenen Wortstamm *Turs- gebildet worden sein, der sich umgeformt im griechischen Tyrsenoi bzw. Tyrrhenoi und im lateinischen Etrusci wiederfindet. Ein Selbstverständnis als Ethnos scheint jedenfalls unter den Etruskern verbreitet gewesen zu sein, obwohl sie politisch auf verschiedene Stadtstaaten verteilt lebten. Sie waren nur lose durch eine Bundesorganisation verknüpft, die »zwölf Völker Etruriens« (duodecim populi Etruriae), die sich zu Versammlungen in einem Bundesheiligtum trafen (dazu 6.5). Für das übergreifende Selbstverständnis steht der Begriff des nomen Etruscum, der sich in römischen Quellen findet, die sich auf eine religiös definierte Zeitrechnung und ein schicksalhaft vorherbestimmtes Ende des etruskischen Volksstamms beziehen. Wie verschiedentlich bezeugt, unterteilten die Etrusker ihre Geschichte in saecula, deren Dauer unterschiedlich gewesen sein und sich nach dem Todesdatum desjenigen Menschen gerichtet haben soll, der von Beginn des saeculum an am längsten gelebt hatte. Das Ende sei dann jeweils durch göttliche Vorzeichen angezeigt worden. Der antiquarische Geschichtsschreiber Marcus Terentius Varro wusste im späteren 1. Jh. v. Chr. zu berichten, dass etruskische Geschichtswerke dem etruskischen Volk insgesamt zehn saecula zumessen, acht davon seien schon abgelaufen, ein neuntes und zehntes stehe noch bevor, dann werde das Ende der etruskischen Nation (finis nominis Etrusci) gekommen sein (überliefert bei Censorinus, De die natali 17, 6). Dieses Ende rückte offenbar im Bewusstsein der Etrusker näher, als nach dem Tod Caesars im Jahr 44 v. Chr. ein Komet erschien, das sog. sidus Iulium. Augustus berichtete in seinen Memoiren (zitiert bei Servius, Commentarii in Vergili Bucolica Ecl. 9, 47), ein etruskischer Priester habe damals den Kometen als Zeichen für das Ende des neunten und den Beginn des zehnten, letzten saeculum gedeutet. Damit lässt sich, unter Berücksichtigung der bei Varro überlieferten Daten zur Dauer der früheren saecula, ungefähr abschätzen, dass die Etrusker den Anfang ihrer Geschichte nach heutiger Zeitrechnung um die Wende vom 2. zum 1. Jahrtausend v. Chr. angesetzt haben dürften. Auf der Lehre von den saecula und dem Anfang der Geschichte fußt auch ein in Kompilationen der Schriften römischer Feldmesser enthaltener Text (Gromatici veteres, ed. K. Lachmann 1848, p. 350), der wörtlich aus dem Etruskischen ins Lateinische übersetzt zu sein scheint. Als Sprecherin tritt eine Prophetin namens Vegoia auf, die vor Verstößen gegen sakralrechtlich garantierte Grenzziehungen warnt, die im achten saeculum begangen würden. Diese Warnung ist verknüpft mit einer nur kurz angerissenen Weltschöpfungsgeschichte, in der Jupiter das Gebiet von Etrurien (terra Aetruriae) für sich beansprucht. Damit wird nahegelegt, dass der betreffende Teil Italiens schon von Anbeginn der Zeiten etruskisch gewesen sei. Wenngleich dies einer leicht durchschaubaren Strategie des Textes entspricht, privates Eigentum an Grund und Boden als göttlich gegeben erscheinen zu lassen, könnte dahinter sehr wohl ein Verständnis der Etrusker als Ureinwohner Italiens stehen. Ähnliches deutet sich an in der Gestalt eines »Propheten« namens Tages, eines mit Weisheit und körperlichen Merkmalen des Alters versehenen Knaben. Er soll nahe der etruskischen Stadt Tarquinii (heute Tarquinia) einer Ackerscholle entstiegen sein und die Menschen in religiösen Praktiken, insbesondere der typisch etruskischen Vorzeichendeutung unterwiesen haben (Cicero, De divinatione 2, 50; vgl. 7.1). Auch diese Überlieferung lässt auf ein Selbstbild als Ureinwohner schließen, wenn man den »erdgeborenen« Tages etwa mit den Heroen und Urkönigen Erichtonios und Erechtheus vergleicht, in denen die antiken Athener ihre eigene Autochthonie verkörpert sahen. Allerdings steht dem entgegen, dass jener Herrscher von Tarquinii, den Tages unterrichtet haben soll, ein gewisser Tarchon war, der als Sohn oder Bruder des Tyrrhenos (oder Tyrsenos) galt, der wiederum ein aus Kleinasien stammender Lyder war (Ioannes Lydus, De ostentis 2–3; vgl. 2.2). Überhaupt sind Geschichten über eingewanderte Gründungsheroen in Etrurien wohl seit dem 5. Jh. v. Chr. recht verbreitet gewesen, wie verstreute Überlieferungen beweisen. Eine ganze Reihe etruskischer Städte führte sich auf griechische Helden zurück, die vor Troja gekämpft hatten (Iustinus, Epitome historiarum Philippicarum 20, 1), oder auch, wie die Römer, auf Aineas – das legen vor allem Bildzeugnisse nahe. Dem nach der Eroberung Trojas umherirrenden Odysseus und seiner Nachkommenschaft kam wohl eine besondere Rolle zu (Servius, Comentarii in Vergilii Aeneidos 8, 479; 10, 167). Dem griechischen Historiker Theopomp zufolge wurde bei Cortona sogar das Grab des Odysseus verehrt, der dorthin noch nach seiner Rückkehr nach Ithaka ausgewandert sei (Scholion ad Lycophrontem 806 = FGH 115 F 354). Migrationsgeschichten und die Behauptung von Bodenständigkeit scheinen also in der etruskischen Sicht der eigenen Wurzeln nebeneinandergestanden bzw. konkurriert zu haben. 2.2 Die Sicht der Griechen und Römer
Besser einzuordnen als die bruchstückhaften und nur indirekt auf uns gekommenen Zeugnisse der etruskischen Überlieferung sind Erzählungen, die in Griechenland und Rom über den Ursprung der Etrusker kursierten. Auch diese präsentieren divergierende Sichtweisen. Die Überlieferung dazu setzt allerdings relativ spät ein; die Verse der Theogonie des böotischen Dichters Hesiod, in denen Leute namens Tyrsenoi als Nachfahren von Odysseus und Kirke erscheinen (1011–1016), sind möglicherweise erst nachträglich dem Werk aus dem frühen 7. Jh. v. Chr. angefügt worden. Die frühesten sicher datierbaren Belege stammen aus dem späteren 5. Jh. v. Chr., aus den Geschichtswerken des Hellanikos von Lesbos und des Herodot. Beide berichten von Wanderungsbewegungen. Hellanikos wird von Dionysios von Halikarnassos zitiert (Antiquitates Romanae 1, 28, 3). Demzufolge waren die Etrusker von ihrer Herkunft her Pelasger, also Angehörige eines frühgeschichtlichen, vor- oder wenigstens nicht-griechischen Volkes, das weite Teile des ägäischen Mittelmeerraums besiedelt haben soll. Von den Griechen aus ihrer Heimat vertrieben, hätten sie sich in Italien niedergelassen und dort den Namen »Tyrrhener« angenommen. Eine andere Geschichte erzählt Herodot (Historiae 1, 94): Die Tyrsener (so nennt er sie) seien eigentlich Lyder, also ein Volksstamm des westlichen Kleinasiens gewesen. Als eine Hungersnot ihre Heimat heimsuchte, sei die Hälfte der Lyder unter Führung des Tyrsenos, des Sohnes von König Atys, ausgezogen, um neues Land zu gewinnen, und habe sich schließlich in Mittelitalien niedergelassen. Diese beiden einander widersprechenden Versionen sind, mit Varianten, die am weitesten verbreiteten in der griechischen und römischen Geschichtsschreibung. Manche Autoren versuchen sie miteinander zu versöhnen, beispielsweise Plutarch, der in seiner Biographie des Romulus (2, 1) behauptet, die Tyrrhener stammten aus Thessalien (also aus einem der Siedlungsgebiete der Pelasger) und seien zunächst nach Lydien und von dort nach Italien ausgewandert. Strabon (Geographica 5, 2, 2–3) hingegen berichtet, dass Lyder, damals schon in Italien ansässig und Tyrrhener genannt, die Stadt Caere (heute Cerveteri, in Südetrurien) eingenommen hätten, die bis dahin von aus Thessalien eingewanderten Pelasgern bewohnt gewesen sei. Strabon referiert jedoch auch den frühhellenistischen Historiographen Antikleides (5, 2, 4), der von den Inseln Lemnos und Imbros kommende...