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E-Book

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

Storck Trieb

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

ISBN: 978-3-17-033750-3
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Im ersten Band der Reihe werden Freuds Bemerkungen zum Trieb vorgestellt und kritisch erörtert, insbesondere die Charakterisierung des Triebs als "Grenzbegriff zwischen Somatischem und Psychischem". Es findet eine Einordnung verschiedener Fassungen des Konzepts in der Entwicklung des Freud'schen Werkes statt. Mit den Konzeptionen bei Melanie Klein und Jean Laplanche werden zwei Linien der Weiterentwicklung akzentuiert. Zudem findet das Verhältnis von Trieb und Affekt Erwähnung. Schließlich wird geprüft, wie sich das Triebkonzept in Relation zu psychologischen Motivationstheorien, zur Neurobiologie und zur Konzeptualisierung vergleichbarer klinischer Phänomene durch andere therapeutische Richtungen setzen lässt. Falldarstellungen dienen der Veranschaulichung der Konzeptionen.

Hierzu erhältlich: Memorystick mit Video aller fünf Vorlesungen (978-3-17-034651-2).
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3          Die Triebtheorie bei Freud
      Ich werde im Folgenden in der Prüfung des Triebkonzepts nicht chronologisch vorgehen, sondern einen Text in den Mittelpunkt stellen, den ich für zentral halte und in dem Freud (1915c) sein triebtheoretisches Verständnis entwickelt hat, nämlich Triebe und Triebschicksale. Wir finden Beispiele für »Triebhaftes« in vielen Bereichen der Kunst oder medialen Darstellung. Eine Szene aus dem Film Basic Instinct (Paul Verhoeven, USA, Frankreich 1992) etwa zeigt eine Szene in einer mit Menschen gefüllten Disco. Wir sehen einen Mann auf die Tanzfläche schreiten, eine Frau nimmt Blickkontakt zu ihm auf und tanzt offensichtlich »demonstrativ« und lasziv mit einer Frau, ihn dabei auffordernd anblickend. Ohne dass gesprochen wird, verändert sich die Szene, bald tanzen Mann und Frau miteinander. Nicht von ungefähr geht es hier titelgemäß um einen »basic instinct« (um den Unterschied zwischen Trieb und Instinkt wird es weiter unten gehen). Triebhaftes hat mit Sexualität zu tun (und im Film dann auch mit Aggression), zudem hier mit Verlangen und Ausgeschlossenheit. Triebhaftes kann aber auch eine andere Facette meinen. Wenn wir uns einige Szenen aus der TV-Serie The Walking Dead ansehen, in der es um die Welt im Anschluss an eine Zombie-Apokalypse geht (v.€a. im Hinblick auf soziale Strukturen, die sich aus sich selbst heraus bilden und regulieren müssen, wenn externe Ordnungsstrukturen weggefallen sind; vgl. Taubner, 2017), dann zeigt sich im Drängen der Zombie-Horden ebenso ein Moment, das man als Bild für Triebhaftes nehmen kann. Wenn unzählige Zombies gegen einen Zaun drängen, auf deren anderen Seite einige der überlebenden Menschen Befestigungen anbringen, damit er nicht einstürzt (»Internment«, 2014), dann zeigt es auch etwas davon, wie innerpsychisch die Vernunft (und Sozialität) mit einem unmittelbaren (destruktiven, todbringenden) Drängen fertig werden muss, das alles andere verzehrt. Wir sehen also auf der (kulturell-medialen) Ebene der Betrachtung zwei Facetten der Triebtheorie: Sexualität und Destruktivität. Eine recht lange Definition Freuds als Ausgangspunktes lautet: »Wir haben oftmals die Forderung vertreten gehört, daß eine Wissenschaft über klaren und scharf definierten Grundbegriffen aufgebaut sein soll. In Wirklichkeit beginnt keine Wissenschaft mit solchen Definitionen, auch die exaktesten nicht. Der richtige Anfang der wissenschaftlichen Tätigkeit besteht vielmehr in der Beschreibung von Erscheinungen, die dann weiterhin gruppiert, angeordnet und in Zusammenhänge eingetragen werden. […] Sie [›gewisse abstrakte Ideen‹] müssen zunächst ein gewisses Maß von Unbestimmtheit an sich tragen; von einer klaren Umzeichnung ihres Inhaltes kann keine Rede sein. […] Sie haben also streng genommen den Charakter von Konventionen, wobei aber alles darauf ankommt, daß sie doch nicht willkürlich gewählt werden, sondern durch bedeutsame Beziehungen zum empirischen Stoffe bestimmt sind, die man zu erraten vermeint, noch ehe man sie erkennen und nachweisen kann. Erst nach gründlicherer Erforschung des betreffenden Erscheinungsgebietes kann man auch dessen wissenschaftliche Grundbegriffe schärfer erfassen und sie fortschreitend so abändern, daß sie in großem Umfange brauchbar und dabei durchaus widerspruchsfrei werden. […] Wie das Beispiel der Physik in glänzender Weise lehrt, erfahren auch die in Definitionen festgelegten ›Grundbegriffe‹ einen stetigen Inhaltswandel. Ein solcher konventioneller, vorläufig noch ziemlich dunkler Grundbegriff, den wir aber in der Psychologie nicht entbehren können, ist der des Triebes.« (1915c, S. 210f.). Dabei ist eine Sache entscheidend, nämlich dass »Trieb« ein Begriff sei, den »wir in der Psychologie nicht entbehren können«. Freud spricht nicht über Ethologie oder über Biologie, sondern er versteht den Trieb, das Triebkonzept als einen Begriff, der sich auf Psychisches beziehen soll und der in einer Theorie des Psychischen unverzichtbar ist. Er eignet sich auch deshalb besonders als erstes unter den »Grundelementen« psychoanalytischen bzw. psychodynamischen Denkens. Ein ähnliches Zitat, in dem Freud sich auf das Verhältnis von Trieb und Psychologie bezieht, lautet: »Die Psychoanalyse, die bald erkannte, daß sie alles seelische Geschehen über dem Kräftespiel der elementaren Triebe aufbauen müsse, sah sich in der übelsten Lage, da es in der Psychologie eine Trieblehre nicht gab und ihr niemand sagen konnte, was ein Trieb eigentlich ist. Es herrschte vollste Willkür, jeder Psychologe pflegte solche und so viele Triebe anzunehmen, als ihm beliebte.« (Freud, 1923a, S. 229f) Was ist nun Freuds Antwort auf diese Befunde? 3.1       Der psychosomatische und sozialisatorische Trieb
»Trieb« als Konzept kann bei Freud psychosomatisch verstanden werden. Er steht zwischen Psyche und Soma, zwischen Psychischem und Körperlichem. Das ist deshalb der entscheidende Punkt, weil sich der Trieb damit vom Instinktbegriff (der Verhaltenslehre) unterscheidet. Das Konzept bezieht sich nicht auf irgendeine Art von ins Psychische gehobenem Reiz-Reaktions-Mechanismus. Es ist allerdings auch mehr als ein psychologischer Motivationsbegriff ( Kap. 6). In seiner Entstehung steht er zwischen Psyche und Soma. Freuds Theoriebildung ist nicht immer ganz eindeutig oder linear voranschreitend gewesen, sondern sie hat sich über den Verlauf von mehr als 40 Jahren zum Teil auch sehr deutlich verändert und ist erweitert worden (kritischer Überblick bei Zepf, 2005, oder Zepf & Seel, 2016; mit dem Ziel einer Reformulierung auch bei Schmidt-Hellerau, 2003). Aber ein Aspekt der Triebtheorie, der zu verschiedenen Zeitpunkten von Freuds Überlegungen im Kern gleich bleibt, ist das, was ich psychosomatisch am Trieb genannt habe. Freud meint, der Trieb sei ein »Grenzbegriff zwischen Seelischem und Somatischem, als psychischer Repräsentant der aus dem Körperinnern stammenden, in die Seele gelangenden Reize, als ein Maß der Arbeitsanforderung, die dem Seelischen infolge seines Zusammenhanges mit dem Körperlichen auferlegt ist.« (1915c, S. 214) In ähnlicher Weise formuliert er bereits etwas früher, der Trieb sei die »psychische Repräsentanz einer kontinuierlich fließenden, innersomatischen Reizquelle« (1905d, S. 67), oder er bezeichnet den Trieb als »den Grenzbegriff des Somatischen gegen das Seelische […, als] den psychischen Repräsentanten organischer Mächte« (1911c, S. 311). Freud (1915c, S. 212f.) formuliert drei zentrale Merkmale des Triebes: Zunächst die »Herkunft von Reizquellen im Innern des Organismus« und als Weiterführung dessen: »Da er nicht von außen, sondern vom Körperinnern her angreift, kann auch keine Flucht gegen ihn nützen. Wir heißen den Triebreiz besser ›Bedürfnis‹; was dieses Bedürfnis aufhebt, ist die ›Befriedigung‹. Sie kann nur durch eine zielgerechte (adäquate) Veränderung der inneren Reizquelle gewonnen werden.« Es wird eine Art von Reiz beschrieben, der sich zum Beispiel vom Lichtreiz oder einem anderen von außen kommenden Reiz unterscheidet. Im Wesentlichen heißt das zunächst, dass ich mich vor ihm zunächst (!) nicht schützen kann: Wenn mich eine Lampe blendet, dann drehe ich mich weg, oder ich halte mir die Augen zu. Mit einem Triebreiz und einem Bedürfnis kann ich das nicht tun, gegen diese »kann […] keine Flucht […] nützen«. Ich kann zwar innerlich meine Augen davor verschließen, aber da ist man dann schon mittendrin in der psychoanalytischen Konflikttheorie des Psychischen. Außer diesen beiden Merkmalen – die Herkunft aus dem »Inneren des Organismus« und die »Unbezwingbarkeit durch Fluchtaktionen« – nennt Freud als drittes noch das »Auftreten« des Triebes »als konstante Kraft« (a. a. O.). Es soll etwas sein, das beständig wirkt, nicht als »momentane Stoßkraft«, so Freud, sondern es gibt etwas Konstantes oder Kontinuierliches am Trieb. Für Freud entsteht aus diesen Merkmalen ein ziemliches Problem zwischen Innen und Außen in der Triebtheorie. Noch deutlicher wird das in der Betrachtung des Verhältnisses von Erregung und Lust/Befriedigung. Freud meint, die »Herabsetzung eines Reizes« führe zur »Lustempfindung« und die Steigerung eines Reizes zu Unlust (a. a. O., S. 214). D. h., je größer meine Erregung wird, ohne dass ich eine Art von Befriedigung erfahre, desto unangenehmer wird es, desto unlustvoller. Erregung und Lust werden...


Timo Storck ist Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Psychologischen Hochschule Berlin und psychologischer Psychotherapeut (AP/TP).


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