E-Book, Deutsch, 192 Seiten
Straub Wir gehen dann mal vor
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-451-82485-2
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Zeit für einen Mutausbruch
E-Book, Deutsch, 192 Seiten
ISBN: 978-3-451-82485-2
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Jacqueline Straub, Jg. 1990, studierte in Freiburg, Fribourg und Luzern katholische Theologie. Heute arbeitet sie als Journalistin. Seit ihrer Jugend setzt sie sich dafür ein, dass Frauen Priesterinnen werden dürfen. 2018 wählte der BBC sie deshalb zu den 100 einflussreichsten und inspiriendsten Frauen (100 Women-List). Ihre Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt. Sie lebt in der Schweiz.
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Angst überwinden
Mut zur Wut
Wut ist ein Wort, das in der katholischen Welt gerne ausgesperrt wird. Die letzten Jahre zeigen aber, dass die Basis sehr wohl wütend und fordernd sein kann. Doch: Wut darf es anscheinend in der Kirche nicht geben – schon gar nicht bei Frauen, die doch die «Erdbeeren auf der Torte» sind, wie Papst Franziskus einst betonte. Sicherlich würden gewisse Kleriker ihre Lai*innen gerne dazu aufrufen, liebenswerte, bescheidene und gefügige «Lämmer» zu sein. Der eigenen Wut wird gerne Frömmigkeit entgegengestellt. Wer fromm ist, ist normalerweise nicht wütend, sondern demütig und nimmt die Umstände so an, wie sie sind. Die katholische Amtskirche setzt bis heute voraus, dass nicht-geweihte Gläubige ihre Wut durch Beten in den Griff kriegen. Doch die Wut der Gläubigen ist inzwischen sichtbar geworden und schüchtert immer wieder Bischöfe und Priester ein. Wut impliziert, dass es laut ist, und wer wütend ist, macht auf einen Missstand aufmerksam oder zeigt einfach bloß, dass er anderer Meinung ist und endlich gehört werden möchte.
Papst Franziskus hat im Oktober 2014 im Vorfeld zur Familiensynode mit diesem Tabu gebrochen. Dass er sich in der Kirche eine offene Gesprächskultur wünscht, zeigt, dass er versucht, die Angststrukturen, über bestimmte Themen zu sprechen, nach und nach abzubauen: «Eine Grundbedingung dafür ist es, offen zu sprechen. Keiner soll sagen: ‹Das kann man nicht sagen, sonst könnte man ja schlecht über mich denken …› Alles, was sich jemand zu sagen gedrängt fühlt, darf mit Parrhesia (Freimut) ausgesprochen werden. Nach dem letzten Konsistorium (Februar 2014), bei dem über die Familie gesprochen wurde, hat mir ein Kardinal geschrieben: ‹Schade, dass einige Kardinäle aus Respekt vor dem Papst nicht den Mut gehabt haben, gewisse Dinge zu sagen, weil sie meinten, dass der Papst vielleicht anders denken könnte.› Das ist nicht in Ordnung, das ist keine Synodalität, weil man alles sagen soll, wozu man sich im Herrn zu sprechen gedrängt fühlt: ohne menschliche Rücksichten, ohne Furcht!»[1] Und auch beim Abschluss der Weltbischofssynode über Ehe und Familie im Jahr 2015 hat er die Bischöfe dazu aufgerufen, mehr Realitätssinn zu zeigen. Sie müssten das sehen, «was wirklich los ist», und nicht nur das, «was wir wirklich sehen wollen».[2]
Auf der Jugendsynode, im Jahr 2018, ermutigte Papst Franziskus die jungen Menschen, ihre Stimme zu erheben und ihre Meinung den Bischöfen kundzutun: «Ich lade euch dazu ein, euch in dieser kommenden Woche offen und voller Freiheit auszudrücken.»[3] Immerhin ermutigt der argentinische Papst regelmäßig, im Gespräch die Realität des kirchlichen Lebens darzulegen und nicht ein Wunschkonstrukt von Kirche zu entwerfen. Ob ihm dabei bewusst ist, dass immer mehr Gläubige nicht nur vorsichtig darauf hinweisen, wie ihre Lebenswelt aussieht, sondern inzwischen auch wütend sind, weil es nach wie vor eine große Anzahl von Bischöfen gibt, die nicht verstehen wollen, dass die Welt des Lehramts nicht ihre Realität abbildet?
Auch wenn heute noch immer gerne gesagt wird, dass Wut etwas Schlechtes und Unwürdiges sei, entdecken mehr und mehr Menschen in der Kirche die Wut für sich. Denn positive Wut kann so viel Energie freisetzen, um Dinge zu verändern. Wut gehört zur menschlichen Gefühlswelt und ist enorm wichtig. Wer wütend ist und dies zum Ausdruck bringt, zeigt, dass seine Grenzen verletzt wurden. Der oder die Wütende will seinen oder ihren Selbstwert verteidigen.
Wenn Männer ihrer Wut freien Lauf lassen, wird das – geschlechtertypologisch – als rationale Reaktion gesehen, bei Frauen hingegen ist es eine emotionale Nicht-Kontrolle. Victoria Brescoll und Eric Uhlmann von der Yale University und der Northwestern University haben in einer Studie zeigen können, dass die gleiche Wut-Situation bei Männern und Frauen unterschiedlich bewertet wird. Wütenden Frauen wird unprofessioneller Kontrollverlust zugesprochen, Männern hingegen Durchsetzungsvermögen.[4] Bei Männern wird in ihrer Wut eine äußere Ursache vermutet, bei Frauen hingegen gingen die Probanden davon aus, dass sie von inneren Ursachen getrieben seien und sie beispielsweise unausgeglichene oder gar rachsüchtige Personen seien. Dass wir Männer und Frauen, die wütend sind, unterbewusst anders beurteilen, zeigt, dass noch immer ein struktureller Sexismus in unseren Köpfen existiert.
Einmal erzählte mir eine Frau von einer Begebenheit in der Sakristei: Ein Bischof sollte bei einem Jubiläum einer Frauengemeinschaft einen Gottesdienst halten. Als er in die Sakristei trat, dachte er, dass er nur unter Männern sei. Eine Frau befand sich aber um die Ecke und zündete die Kerzen an. Sie konnte hören, dass der Bischof sagte: «Ach, jetzt muss ich auch noch mit den keifenden Frauen einen Gottesdienst feiern.» Ich glaube, dass er die Wut der Frauen, die sich seit Jahren für Reformen einsetzen, mit Aggressivität verwechselt hat. Nichtsdestotrotz: Wut ist nichts Schlechtes. Und für mich passt es auch zusammen, wütend und fromm zu sein. Denn ich finde, dass man seine Wut – und kein Mensch ist davon befreit – nicht einfach herunterschlucken darf, nur weil manch einer in stereotypischen Klischees denkt und die Begegnung mit verärgerten Frauen scheut.
Ich spüre, wie die Wut innerhalb der katholischen Kirche immer größer wird und dass daraus eine positive Kraft entsteht, die viele vorantreibt und zum Nachdenken anregt, wie sie sich für ihre Kirche stark machen können. Die Lai*innen schweigen nicht mehr und nehmen die Worte und Vertröstungen ihrer Bischöfe nicht mehr einfach so hin. Aussagen wie «Ich bin doch nur ein Bischof und kann nichts ändern» werden nicht mehr widerstandslos hingenommen, sondern mit einem klaren «Doch, können Sie!» begegnet.
So ist mein Plädoyer: Habt Mut zur Wut! Denn positive, konstruktive Wut kann etwas verändern.[5] Wer wütend ist, stellt etwas infrage, ist bereit, für seine Visionen zu kämpfen. Die Wut kann Mut mit sich bringen, Dinge neu zu gestalten. Es braucht unbedingt mehr wütende und mutige Menschen. In den letzten Jahren ist in der Kirche eine Kultur der Wut erwacht. Diese wird hoffentlich auch nicht so schnell wieder verschwinden. Die Angstspirale in der katholischen Kirche kann durch Wut, viel Mut und beherztes Handeln durchbrochen werden. Denn viele Gläubige, die früher aus Angst um ihr Seelenheil geschwiegen haben, tun dies heute nicht mehr. Es ist nun an der Zeit, dass die Bischöfe von mutigen Wutausbrüchen angesteckt werden und selbst beginnen, sich für eine Veränderung der Kirche stark zu machen.
Streikende und kämpfende Marias und Josefs
«Jacqueline Straub, wir streiken für dich», stand auf einem Plakat, das eine Frau fröhlich in die Kamera hielt. Das Foto schickte sie mir während einer der ersten Maria-2.0-Demonstrationen per E-Mail. «Auch wenn ich selbst keine Priesterin werden möchte, ich kämpfe für dich», schrieb mir die streikende Maria. «Es wird Zeit, dass wir Frauen endlich gleichberechtigt werden. Ohne die Basis und insbesondere ohne die Frauen kann unsere Kirche einpacken.» Ich war tief berührt über diese Solidarität und hatte Freudentränen in den Augen. Gleichzeitig hat es mir neue Kraft auf meinem Weg gegeben. Es dürfte wohl klar sein, dass sich kein vernünftig denkender Mensch eine Kirche ohne Frauen vorstellen kann. Frauen beleben die Pfarreien ungemein und vermitteln den Glauben an die Kinder weiter. Inzwischen sehen sie sich aber kaum mehr nur in der dienenden Position derjenigen, die daheim den Kindern brav aus der Bibel vorlesen und sonntags nach der Messe noch einen Rosenkranz für die Enkelkinder beten. Viele Frauen schmücken den Kirchenraum mit Blumen, kümmern sich um die Alten und Kranken in der Gemeinde, organisieren Pfarreifeste, Ministrantenausflüge und Erstkommunionstreffen. Sie wirken aktiv im Pfarrgemeinderat mit, unterrichten Kinder und Jugendliche in der Religionslehre, sind Seelsorgerinnen, dozieren an theologischen Fakultäten oder haben ihren Platz in den bischöflichen Ordinariaten oder in der Römischen Kurie. Die Katholik*innen in den deutschsprachigen Ländern sind laut, sie haben ein Programm und handeln beherzt. Sie wollen gehört werden und rebellieren für Gleichberechtigung in der Kirche. So standen im Mai 2019 plötzlich viele treue Kirchgänger*innen mit Plakaten vor den Kirchenhäusern, feierten auf den Plätzen und Wiesen Gottesdienste, sangen gemeinsam und machten öffentlich auf den Reformstau in der Kirche aufmerksam. Frauen legten hierfür ihre Ehrenämter für eine Woche nieder. Sie wollten aufzeigen, was sie alles für die Kirche tun und wie die Amtskirche dennoch mit dem Weiblichen umgeht, obwohl es gerade die vielen Frauen sind, die die Kirche in den letzten Jahrzehnten am Leben erhalten haben. Auch in Zeiten von sexuellem und geistlichem Missbrauch, der überwiegend von geweihten Männern verübt wurde[6], sind es die Frauen, die ein gutes Bild von gelebter Kirche vermitteln und so manche Menschen davon abhalten, die Kirche zu verlassen. «Solange es noch Menschen wie euch in der Kirche gibt, werde ich nicht gehen», habe ich in der Maria-2.0-Aktionswoche unzählige Male gehört. Der Aufstand der frommen Katholikinnen sorgte für Wirbel. Sogar die internationale Presse berichtete über die mit Plakaten «bewaffneten» Frauen. Medien aus aller Welt, darunter die polnische, die bosnische, kroatische, griechische, englische und amerikanische Presse berichteten darüber. Sogar bis nach Russland drang die Nachricht der...