E-Book, Deutsch, 433 Seiten
Swindells Die Insel des Mistrals
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-96655-344-5
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Roman
E-Book, Deutsch, 433 Seiten
ISBN: 978-3-96655-344-5
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Madge Swindells wuchs in England auf und zog für ihr Studium der Archäologie, Anthropologie und Wirtschaftswissenschaften nach Cape Town, Südafrika. Später gründete sie einen Verlag und brachte vier neue Zeitschriften heraus, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. Bereits ihr erster Roman, »Ein Sommer in Afrika«, wurde ein internationaler Bestseller, dem viele weitere folgten. Die Website der Autorin: www.madgeswindells.com Bei dotbooks veröffentlichte Madge Swindells ihre großen Familien- und Schicksalsromane »Ein Sommer in Afrika«, »Die Sterne über Namibia« und »Die Löwin von Johannesburg« - auch als Sammelband erhältlich -, »Eine Liebe auf Korsika«, »Die Rose von Dover«, »Liebe in Zeiten des Sturms« und »Das Geheimnis von Bourne-on-Sea« sowie ihre Spannungsromane »Zeit der Entscheidung«, »Im Schatten der Angst«, »Gegen alle Widerstände« und »Der kalte Glanz des Bösen«.
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Kapitel 7
Die Kirche St. Augustin war erst zweihundert Jahre alt, ein Baby angesichts der normalen korsischen Architektur. Sie bestand aus mächtigen gelblichen Granitblöcken und enthielt keine berühmten Kunstwerke, aber schöne alte Schnitzereien und Statuen, in Weiß, Blau und Gold bemalt. Die schönste stellte den heiligen Augustin von Hippo dar, in imposanter Bischofsrobe, mit kalkweißem Gesicht. Für die Hochzeit war die Kirche mit Blumen geschmückt worden, und Vater Andrews trug sein goldenes Meßhemd mit passendem Chormantel und Stola. Die Farbe des Gewands bildete einen krassen Kontrast zu seinem schwarzen Haar und der dunklen Haut. Die ernsten Augen schimmerten in einem undefinierbaren bräunlichen Grün, das sich mit dem Licht zu verändern schien. Manchmal wirkte er jung und scheu, aber diese Augen konnten auch zornig blitzen, und dann sah er viel älter und sogar bedrohlich aus.
Erst seit sieben Monaten lebte er in Taita. Im ganzen sollte er achtzehn Monate bleiben, zu Forschungszwecken, und währenddessen den Gemeindepriester von Taita unterstützen, Vater Delon. Dieser hatte vor vier Monaten einen Schlaganfall erlitten, und nun mußte der junge Ire alle kirchlichen Pflichten allein erfüllen. Für die Forschung blieb kaum noch Zeit. Doch er war ein Idealist und hielt die praktischen Erfahrungen, die er im Dorf sammeln konnte, für unschätzbar. Vielleicht fand er hier seine einzige Gelegenheit, für Menschen aus Fleisch und Blut zu arbeiten, denn als brillanter Gelehrter war er für eine Forschungstätigkeit im Vatikan vorgesehen.
Nun mußte er seine erste Trauung vornehmen, der er ziemlich nervös entgegenblickte. Es war ein Uhr, und schon zum fünftenmal an diesem Tag stieg er die steinerne Wendeltreppe des Glockenturms hinauf, der eine meilenweite Aussicht bot. Der Nebel löste sich auf, und er sah Staubwolken am Fuß des Hangs. »Das müssen sie sein«, flüsterte er erleichtert und bekreuzigte sich. Er hatte nicht gedacht, daß die Hochzeit tatsächlich stattfinden würde. In Taita hatte er bald gelernt, wie wichtig und einflußreich Xavier Rocca war, mächtiger als die Kirche und die französischen Behörden. Seit dem Begräbnis seiner Mutter hatte Rocca die Kirche nicht mehr besucht und auch beabsichtigt, seinen Sohn auf die traditionelle korsische Weise zu verheiraten. Die Braut küßte den Bräutigam in ihrem Elternhaus, vor den Augen der Verwandten und reichte ihm einen Teller mit fritelli (Fettgebackenes aus Kastanienmehl). Während die Hochzeitsgäste fritelli aßen, führte der Bräutigam die Braut in ihr Zimmer, und die Ehe wurde sofort vollzogen.
Diese kaltblütige heidnische Methode beleidigte Vater Andrews' sentimentales irisches Herz. Deshalb hatte er Rocca eines Nachmittags in sicherer Entfernung von Taita aufgelauert und ihn angefleht, dem jungen Paar eine kirchliche Hochzeit zu gönnen. Unerklärlicherweise hatte Xavier nicht protestiert, und so war die Trauung vorbereitet worden.
Als Vater Andrews die Treppe hinabgeeilt war, sah er Xaviers Frau in die Kirche kommen, die Arme voller Zweige, von denen Rinde und welke Blätter auf die makellos sauberen Fliesen fielen. Wie das absonderliche Geschwätz ihrer wöchentlichen Beichten verriet, war sie geistesgestört, aber sie hatte auch ihre lichten Momente. Dieser zählte offensichtlich nicht dazu. Der Priester beauftragte einen Ministranten, den Schmutz zu entfernen, und nahm der Frau das Bündel ab. »Das ist sehr freundlich von Ihnen, Madame«, sagte er in seinem bedächtigen Französisch mit dem starken irischen Akzent und musterte sie. Die durchdringenden hellblauen Augen waren das einzig Schöne an ihrem fahlen Gesicht.
»Wilde Blumen – viel schöner als Gartenblumen«, stammelte sie. »So natürlich – anders als das da ...« Verächtlich zeigte sie auf die üppigen Blumenarrangements, um die er sich persönlich gekümmert hatte.
»Das ist ein großer Tag für Sie, Madame Rocca«, bemerkte er jovial.
»In einer Stunde werden sie da sein.«
In einer Stunde ... Dieser Gedanke erschreckte Maria. Würde alles gutgehen? Und die Katze? Warum hatte sie die Katze vergessen? O Gott, die Hochzeitsbuffets ... Tagelang hatte sie hart gearbeitet. Es gab keine Töchter, die ihr halfen. Und in letzter Zeit war sie so vergeßlich, ihr Geist flatterte umher wie ein Schmetterling, hielt sich nirgends lange auf. Auch ihre Mutter hatte darüber geklagt, aber damals war sie schon achtzig gewesen und ein so hohes Alter entschuldigte natürlich eine wachsende Vergeßlichkeit. Maria erinnerte sich an den Tag, da die Mutter in den Garten gegangen war, um Zwiebeln zu holen, und statt dessen Lavendel in die Küche gebracht hatte. Sie war ausgelacht worden, hatte aber so getan, als wollte sie mit dem Lavendel die Fliegen fernhalten. Und das hatte sogar funktioniert.
»Mit Lavendel kann man Fliegen verscheuchen«, erklärte sie dem jungen Priester. »Das weiß ich aus Erfahrung. Aber nun habe ich schon wieder die Katze vergessen.«
Sie eilte davon. und Vater Andrews beobachtete von der Kirchentür aus. wie sie den Platz überquerte. Er runzelte die Stirn. Wie würde sie mit einer Schwiegertochter im Haus zurechtkommen? War sie wirklich so verrückt, wie es aussah. oder nur schüchtern und geistesabwesend?
Das Rocca-Haus war eine imposante Granitfestung. Drei Stockwerke hoch. ragte es auf einem Felsvorsprung über dem See empor, wie alle anderen Häuser in Taita vor fünfhundert Jahren von fleißigen Genuesern erbaut, mit dicken Mauern, massiven Türen und Fensterläden.
Von außen wirkte es verfallen, mit abblätternder Tünche und morschem Holz. Aber um die Außenseite kümmerte sich Maria nicht, nur um die makellos sauberen Innenräume, die glänzend polierten Holzböden, die frischgestrichenen Wände, die handbestickten Musselinvorhänge, die schönen Möbel. Voller Stolz schaute sie sich um. Vor dem Fest fand sie noch Zeit für eine letzte Inspektion.
Im Keller. der im hinteren Trakt ins Erdgeschoß überging, stand ein Holzofen. wo Wasser erhitzt wurde. Hier wusch sich die Familie und badete in einer großen Kupferwanne. Direkt darüber lag die Küche. zu der eine breite Steintreppe hinaufführte. Im Salon neben der Küche prangte ein langer Tisch aus Kirschbaumholz mit zwölf Stühlen, alles Erbstücke von Marias Mutter. Die Kissen auf den Stühlen und der blauen Couch waren von der Hausherrin eigenhändig bestickt. An den Wänden hingen gerahmte Familienfotos und die Reproduktion eines Gemäldes von Edward Lear, das den Monte Cinto zeigte. Sie hatte es in Ajaccio in einem Antiquitätengeschäft entdeckt und gekauft, weil es dem Ausblick aus ihrem Schlafzimmerfenster glich. Auf dem Kaminsims stand eine Marienstatue, neben der Tür ein altes Klavier. das ebenfalls ihrer Mutter gehört hatte. Nun füllten mehrere Buffettische den Raum, mit Speisen beladen.
Im Stockwerk über dem Salon befanden sich das große Schlafzimmer und Xaviers Privatraum, darüber zwei Zimmer, wo Sybilia und Michel wohnen sollten. Sämtliche Deckenbalken des Hauses bestanden aus gelbem Holz, das abends im Schein der Öllampen golden schimmerte.
Maria ging in die Wohnung des jungen Paars hinauf und blickte sich liebevoll um. Das Schlafgemach hatte sie mit den Möbeln aus Michels Zimmer eingerichtet, abgesehen von dem breiten Doppelbett aus Messing, und der Braut ihren eigenen Toilettentisch zur Verfügung gestellt. Natürlich würde Sybilia Bettwäsche mitbringen, aber Maria hatte ihr welche geliehen und das Bett gemacht. Duftende Kräuter aus der Macchia schmückten die Vasen.
Würde das Mädchen hier glücklich und gut zu Michel sein? Maria wußte nur sehr wenig über Sybilia, denn Xavier schwärmte immer nur von den Feldern, die sie dem Familienvermögen hinzufügen würde.
Nun, sie hatte wahrlich keinen Grund, sich über arrangierte Ehen zu beklagen. Plötzlich schien sich die Zeit zurückzudrehen, und Maria war wieder ein achtzehnjähriges Mädchen, fest entschlossen, ins Kloster zu gehen. An einem schönen Frühlingstag wurde sie von Xavier Rocca gepackt – gerade auf Urlaub daheim und sehr schneidig in seiner Marineuniform – und auf der Kirchentreppe geküßt, vor den Augen des ganzen Dorfes. Diese Tat, in der korsischen Gesellschaft unverzeihlich, kompromittierte sie rettungslos und hätte ihn das Leben kosten müssen. Aber er gab vor, die Sitten und Gebräuche nicht mehr zu kennen, weil er so lange im Ausland gewesen sei. Und sekundenlang habe er vergessen, daß er sich in Korsika befinde. Sie wurden sofort verheiratet. Die Mutter weinte, der Vater tobte vor Zorn über die Mitgift, die der unverschämte Xavier verlangte. Natürlich fand sie später heraus, daß er an jenem Tag gelogen hatte und niemals Fehler beging. Aber sie bedauerte die Eheschließung nicht.
Wenn bloß ihr Kopf nicht so schmerzen würde ... Diese Qualen jagten ihr Angst ein, denn meistens führten sie zu Alpträumen. O Gott – nicht heute ... Sie mußte sich zusammenreißen.
Abrupt erinnerte sie sich an das Essen und eilte die Stufen hinab. Natürlich – ein Brathuhn fehlte, und bald fand sie die fettige Spur, wo die Katze ihre Beute in den Garten geschleift hatte. Glücklicherweise waren die Buffets immer noch reichlich gedeckt, aber wenn der Beweis für den Diebstahl vor Xaviers Ankunft nicht beseitigt wurde, würde es die Katze den Kopf kosten.
Maria lief in den Garten, um die Hühnerknochen in sicherer Entfernung vom Haus zu verscharren. Aber die fauchende Katze floh damit in die Brennesseln, und ihre Herrin zuckte die Achseln und machte kehrt.
Gerade wollte sie den Platz vor der Kirche überqueren, als sie stechende Schmerzen in den Schläfen spürte. Das grelle Sonnenlicht blendete, und sie legte die Hände über ihre Augen. Stöhnend ging sie weiter und betete: »Heilige Maria,...




