E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Reihe: Glaube neu erleben
Teichen Roots
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-417-27059-4
Verlag: R. Brockhaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Auf der Suche nach dem Ursprung des Glaubens
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Reihe: Glaube neu erleben
ISBN: 978-3-417-27059-4
Verlag: R. Brockhaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Tobias Teichen (Jg. 1977) ist Pastor und Gründer des ICF München. Zusammen mit seiner Frau Frauke und einigen Freunden fing er 2005 an, mit dem ICF eine neue überkonfessionelle und zeitgemäße Art von Kirche in München aufzubauen, in der Menschen Gott neu erleben und in ihrer Beziehung zu Jesus wachsen können. Er hat einen Sohn und lebt in München. Mehr Infos unter www.icf-muenchen.de.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Je tiefer ein Baum seine Wurzeln in die Erde gräbt, desto besser geht es ihm. Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens wird der Baum immer stabiler, je weiter er in die unteren Erdschichten vorstößt. Er findet Halt und verwurzelt sich fest im Boden. So trotzt er Stürmen und Dürrezeiten und fällt nicht gleich beim ersten leichten Windstoß um. Das kann man eins zu eins auf unser Glaubensleben übertragen: Je tiefer und fester wir im Glauben verwurzelt sind, desto besser überstehen wir die Stürme und Herausforderungen des Lebens.
Zweitens müssen die Wurzeln des Baumes so tief wie möglich in der Erde sein, damit sie an das lebenswichtige Wasser kommen, das den Baum versorgt. Dadurch macht er sich unabhängig von dem, was oben passiert. Auch dieser Aspekt des Bildes lässt sich auf unser Glaubensleben übertragen. Das Wasser steht hier sozusagen für Gottes Wesen. Aber was bedeutet das dann? Versorgt er uns und macht uns unabhängig von äußeren Einflüssen?
Meiner Meinung nach schon, aber lass mich erklären, warum ich das denke. Eine wichtige Facette von Gottes Wesen ist theologisch unumstritten, das habe ich in der Einleitung schon erwähnt und möchte es hier noch einmal betonen: Andere bezeichnen ihn und auch er selbst bezeichnet sich an vielen Stellen als Vater. Das zieht sich durch die Bibel wie ein roter Faden und zeigt, wie wichtig Gott dieser Vergleich und diese Charaktereigenschaft ist:
Und es gibt auch nur einen Gott und Vater, der über allen steht und durch alle lebt und in uns allen ist.
Epheser 4,6
Bei Glaubensfragen ist es immer interessant, Parallelen zu deinem und meinem Leben zu ziehen. Denn wenn du vielleicht schon an dem Punkt bist, wo du Gott als deinen Vater anerkennst, kann er genauso identitätsprägend für dich sein wie deine Eltern. Vater und Mutter haben die Aufgabe, ihre Kinder emotional und physisch zu versorgen, nur leider klappt das bei uns Menschen nicht immer optimal. Warum? Weil wir Menschen sind.
GANZ UNTERSCHIEDLICH
»Mein Papa war superlieb, er war immer zu Hause und einfach nur großzügig. Ständig hat er Geschenke mitgebracht und ich konnte mit allen Sorgen zu ihm gehen!«
»Mein Vater war eher kühl und abweisend! Ich kann mich nicht erinnern, überhaupt mal eine kleine Aufmerksamkeit von ihm bekommen zu haben. Wenn ich etwas auf dem Herzen hatte, bin ich zu meiner Mutter gegangen.«
Was denkst du? Hier geht es um zwei verschiedene Väter, oder? Den liebevollen und den distanzierten. Weit gefehlt! Diese Aussagen kamen von Geschwistern. Besser noch: von Zwillingen. Als ich mich mit ihnen über ihren Vater unterhalten habe, war ich völlig überrascht. Sie malten jeweils ein komplett unterschiedliches Bild von ihm. Beide sind in der gleichen Familie aufgewachsen, nur wenige Minuten trennten den Zeitpunkt ihrer Geburt und doch erlebten sie ihren Vater so verschieden – fast als hätte er zwei Persönlichkeiten. Während die beiden mir von ihrem Papa erzählten, kam mir ein Blitzgedanke: »Sind wir Christen nicht genauso wie diese beiden Geschwister? Gott ist ja auch unser aller Vater und wir alle Brüder und Schwestern! Das können wir überall in der Bibel nachlesen und doch sehen und beschreiben wir ihn alle völlig anders. Wie kommt das?«
Gerade als Pastor begegne ich vielen unterschiedlichen Sichtweisen auf ein und denselben Gott. Der eine sagt: »Gott ist ein Tyrann! Immer wenn irgendetwas Spaß macht, ruft Gott: ›Sünde, Finger weg.‹ Alles, was Spaß macht, verbietet er.« Der andere sagt: »Gott ist so ein Weichei, der ist doch gar nicht relevant in der heutigen Welt. Der kümmert sich ohnehin um nichts.« Und wenn du einen Dritten fragst, kommt von ihm vielleicht die Antwort: »Gott ist pure Liebe!«1
All das sagen Menschen über Gott, doch ähnliche Aussagen könntest du auch von Kindern hören, die ihre Eltern beschreiben. Warum ist das wichtig in Zusammenhang mit deinem Gottesbild? Gott sagt, dass er dein Vater ist. Wissenschaftlich ist es erwiesen, dass Vater und Mutter deine Identität prägen und beeinflussen.2
Sogar wenn Vater oder Mutter schon lange tot sind, versucht man oft noch, ihnen etwas zu beweisen. Vielleicht hat der Vater ständig zu dir gesagt: »Das schaffst du doch eh nicht!« Und gerade deshalb rackerst du dich heute auf der Karriereleiter ab und versuchst, immer weiter emporzuklettern – wahrscheinlich in erster Linie, um vor deinem Vater gut dazustehen. Möglicherweise versuchst du durch all dein Handeln, Anerkennung von deinen Eltern zu bekommen. Nun kann es sein, dass du dieses Verhalten auf Gott überträgst. Vielleicht hast du schon mal gedacht, dass du so, wie du bist, nicht zu Gott kommen kannst. Du fragst dich: »Kann er mich wirklich so lieben, wie ich bin, hinter meiner Fassade? Besonders heilig bin ich ja leider nicht … Ich glaube, ich muss mehr leisten! Vielleicht mehr spenden, mehr beten oder einen heiligeren Lebensstil führen.« Vereinfacht gesagt: »Ich muss es mir irgendwie verdienen, dass Gott mich liebt.«
Solltest du das jemals gedacht haben, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass das mit den Wurzeln deines Glaubens zu tun hat. Eventuell könnte es damit zusammenhängen, dass du mit ihnen noch nicht tief genug am Wasser im Boden und im übertragenen Sinne an Gottes Wesen angekommen bist und sein wahres Ich und das, was unter der Oberfläche steckt, noch nicht durchschaut hast. Das ist auch nicht einfach und muss langsam entstehen – ähnlich wie bei menschlichen Beziehungen. Da passiert es ebenfalls öfters, dass wir nicht hinter die Kulissen schauen und unser Gegenüber erst einmal falsch einschätzen. Ich kann da ein Lied von singen …
IN SCHUBLADEN GESTECKT
Marmor, Stein und Eisen bricht,
aber unsere Freundschaft nicht!3
Oder besser:
Du hast gewaltig recht!
Die Welt ist ganz erbärmlich schlecht,
denn jeder ist ein Bösewicht,
nur du und ich natürlich nicht!4
Oh, ne – das kann ich so echt nicht schreiben … Besser, ich nehme den Klassiker, mit dem kann ich nichts falsch machen:
Ein Häuschen aus Zucker, aus Zimt die Tür,
den Riegel aus Bratwurst, das wünsche ich dir!5
– Alles Gute wünscht dein Lehrer Tobias Teichen
So lasse ich es jetzt! Jetzt noch einen kleinen, niedlichen, glitzernden Sticker aus der Bastelkiste meiner Frau unter den Text klatschen – fertig! In Poesiealben schreiben, das war mit das Schlimmste, was man mir in meiner Laufbahn als Lehrer antun konnte. Es kam aber zum Glück nicht oft vor, da ich selten in den fünften Klassen unterrichten musste, in denen Poesiealben noch im Umlauf waren. Mir war zwar bewusst, dass diese Alben eine Art Liebesbezeugung der Kids waren, aber ich war und bin einfach nicht der Typ für solche niedlichen Sprüchlein.
Einmal hatte ich eine Schülerin, bei der ich anfangs fast froh gewesen wäre, wenn ich nur in ihr Poesiealbum hätte schreiben müssen. Warum? Sie war unglaublich anhänglich. Ich hatte sozusagen meinen Schatten immer dabei. Wohin ich auch ging – sie stand neben mir. Das war, ehrlich gesagt, alles etwas viel, ich fühlte mich fast schon ein wenig bedrängt und erdrückt von ihren Liebesbezeugungen. Ständig musste ich mir die Bilder ihrer Hamster ansehen, und wer mich kennt, der lacht sich kaputt, wenn er sich vorstellt, wie Tobias in Begeisterungsstürme wegen niedlicher kleiner Hamster ausbricht. Das geht komplett wider meine Natur. Als sie mir dann ihr Poesiealbum in die Hand drückte und mich mit großen Augen bat, etwas hineinzuschreiben, schickte ich ein Stoßgebet zum Himmel: »Gott! Warum hast du mir bloß eine fünfte Klasse gegeben und warum muss ich mich jetzt mit diesem ganzen Mädchenkram herumschlagen?«
Die Antwort bekam ich schneller als gedacht. Als ich meiner Schülerin das Poesiealbum zurückgab, freute sie sich sehr: »Herr Teichen, darf ich Sie was fragen? Können Sie mein Papa sein? Sie sind so nett zu mir und immer da! Geht das?« Ich war leicht irritiert und habe nachgehakt. Nach einem langen Gespräch mit ihr kannte ich auf einmal den Grund oder, besser gesagt: die Wurzel für ihr aufdringliches und anhängliches Verhalten. Ihre Mutter hatte ständig neue Partner, sodass es keinerlei Konstanz im Familienleben gab. Wechselnde Bezugspersonen hatten ihr den Halt im Leben genommen. Irgendwie hat sie wohl das Gefühl gehabt, dass ich ihr die fehlende Stabilität geben könnte, denn ich war (zumindest in der Schule) immer da und in ihren Augen sehr freundlich zu ihr. Auf einmal hatte ich Verständnis für ihre extremen und bedrängenden Liebesbeweise. Meine Sichtweise auf sie hat sich komplett geändert. Denn erst als ich hinter ihre Fassade geblickt habe, verstand ich den Grund dafür, dass sie so massiv meine Nähe gesucht hat. Und auch wenn dieser Vergleich ein wenig hinkt – auf ähnliche Weise müssen wir bei Gott hinter die Fassade schauen, um sein wahres Wesen zu ergründen. Vielleicht sagst du jetzt: »Okay, das ist alles schön und gut, ich versuche ja, mich Gottes Wesen zu nähern und unter die Oberfläche zu blicken. Ich möchte meine Vorurteile und mein Schubladendenken gegenüber Gott aufgeben. Aber trotzdem: Ich bringe den Gott des neuen Teils der Bibel mit dem des alten Teils nicht zusammen. Wie passt dieser liebevolle Jesus mit einem Gott-Vater zusammen, der zum Beispiel von Abraham verlangt, seinen Sohn zu opfern? Was soll daran gut sein? Jesus hätte das bestimmt nicht von ihm verlangt!«
Vielleicht könnten auch die folgenden Worte aus deinem Mund kommen: »Im Neuen Testament, da finde ich einen liebevollen Vater und einen gütigen Sohn. Aber im Alten, da sehe ich nur...