Thomas | Die Dunkelmagierchroniken | Buch | 978-3-943406-49-8 | sack.de

Buch, Deutsch, 360 Seiten, PB, Format (B × H): 1480 mm x 2100 mm

Thomas

Die Dunkelmagierchroniken

Der Erbenkrieg
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-943406-49-8
Verlag: Wölfchen Verlag

Der Erbenkrieg

Buch, Deutsch, 360 Seiten, PB, Format (B × H): 1480 mm x 2100 mm

ISBN: 978-3-943406-49-8
Verlag: Wölfchen Verlag


Kaum ist die Schlacht gegen die Dunkelmagier in der Zwergenstadt Belerock geschlagen, müssen sich die Rebellen neuen Gefahren aussetzen. Das wackelige Bündnis der Menschen und Zwerge sieht sich der Rache des Gottkönigs, des Herrn von Kyranis, gegenüber.
Der Rebellenführer Akio plant ein waghalsiges Manöver, um den Gottkönig anzugreifen. Ein vergessener Zwergentunnel soll direkt zum Herzen des Feindes führen, allerdings soll er von dämonischer Magie verflucht sein. Derweil sucht Lee gemeinsam mit dem Feuerdschinn Cherome ihre Geburtsstätte auf. Dort hoffen sie, mehr über den Ursprung des Dunklen Herrn in Erfahrung zu bringen. Sie ahnen jedoch nicht, wie nah dieser ihnen bereits gekommen ist und welche Rolle bei alledem der geheimnisvolle Dschungelelf Keygren spielt.

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1.

Als er bemerkte, wie er atmete, wusste Keygren, dass er nicht tot war. Er fühlte sich gleich einer Statue, der bewusst geworden war, dass sie nach Jahrtausenden des Verharrens endlich die Welt erkunden sollte. Nach und nach löste sich der Dschungelelf aus seiner Meditation. Das Blut pulsierte durch seine Adern, sein Herz empfing das neu erwachte Leben mit wilden Schlägen und seine Glieder pochten vor Vorfreude auf Bewegung. Noch hielt er den entflammten Körper zurück, wollte sich nicht aus den Träumen lösen, die sein Dasein die letzten Jahrhunderte erfüllt hatten, in der Hoffnung, am Ende der langen Reise doch noch die Segnung des Todes zu erhalten. Es war ihm vergönnt. Aber haderte der Dschungelelf nicht mit seinem Schicksal. Gedanken, Gefühle, Pläne. Den jugendlichen Wahn, der einem vorgaukelte, das Leben kontrollieren zu können, hatte Keygren bereits vor seinem langen Schlaf aufgegeben. Seine Augenlider zuckten. Die beginnende Wärme in Armen und Beinen wurde von klirrender Kälte umfasst, welche diese sogleich vernichten wollte.
Mit dem Leben kommt der Schmerz, alter Knabe.
Keygren blinzelte und atmete bewusst ein und aus. Das Licht brannte in seinen Augen, sein Atem bildete einen Nebel aus Wärme, der sich in der Kälte auflöste. Noch wartete er, bis sein Geist sich wieder an den Körper gewöhnt hatte und in dieser Welt verankert war. Es mochten Minuten oder Stunden vergangen sein, Zeit und Ort waren Worte, an deren Bedeutung sich Keygren erst wieder gewöhnen musste. Er wusste nicht exakt, wie viel Zeit verstrichen war, sein magisches Gespür sagte ihm, dass es fünf Jahrhunderte sein mussten. Seine Sinne begannen, die Umwelt zu erfassen, einzuschätzen und zu verstehen. Mit dem ersten klaren Blick setzte sofort das Gefühl des Verlusts und der Leere ein.
Selbst jetzt in ihrem toten, vereisten Zustand weckten die säulengleichen Wurzelarme von T’guus in Keygren das Gefühl von Wärme und Geborgenheit, wie sie sich vom Erdboden abhoben und zu dem gigantischen Weltenbaum vereinten, welcher er einst gewesen war. Innerhalb der Baumwurzeln von T‘guus befand sich ein Hohlraum, in dem Keygren die letzten Jahrhunderte geschlafen hatte. Das Wurzelgeflecht bildete eine stabile Wand, die den Schnee und die Kälte von außen abhielt. Durch die wenigen Öffnungen zwischen den Wurzelranken brach Licht in das Innere der natürlichen Baumhöhle. Die Lichtstreifen verliefen über den Boden und führten direkt zu Keygren, als wollten sie ihn aufspießen. In ihrem Schein machte der Dschungelelf die Schriftzeichen an den Holzwänden von T’guus aus, welche die Geschichte seines Volkes erzählten. Schön und erhaben zugleich waren die Symbole, damals, als er sie als Junge studiert hatte, und auch heute noch wirkten sie anmutig, während er sie nach dem Ende der Ära seines Volkes wieder betrachtete.
Die Erinnerung brannte in Keygren wie eine alte Wunde. Die letzten Eindrücke seiner Traumzeit wirkten umso schwerer, da sich dem Elf erneut die Realität präsentierte. T’guus, der Weltenbaum war bereits gebrochen, noch bevor Keygren sich hier zur Ruhe begeben hatte. Der erhabene Titan, dessen Krone selbst vom Scheidegebirge der Zwerge aus am Horizont des Dschungels zu erspähen war, war lediglich in Keygrens Erinnerung vorhanden geblieben. Nach dem Beginn des Weißen Zeitalters vor fünfhundert Jahren schaffte der Weltenbaum es nicht, dem andauernden Schneefall standzuhalten. Die Baumspitze hatte die Last nicht tragen können und der Stamm war in der Mitte entzweigebrochen. Er war nicht dabei gewesen, dennoch hatte Keygren den Schmerz seines Volkes und seiner Ahnen wie einen tausendfachen Schrei in seinem Körper gefühlt. Mit dem Ende von T’guus wurde auch das Ende der Dschungelelfen von Duskan eingeläutet. Damals hatte sein Volk den Baum als ihr Zuhause erklärt. Die Nomadenzeit mit der Wanderschaft durch die Wüste endete, die ersten Lieder erklangen durch die Tiefen des Dschungels und der Baum wurde das Zentrum ihres Lebens. Mit T’guus Sterben nach dem Schneefall hatte erneut die Wanderung der Duskaner begonnen.
Jetzt war Keygren der letzte verbliebene Dschungelelf Duskans. Während jedes Wesen von Kyranis, das die Schneestürme überlebt hatte, in den Höhlen Zuflucht suchte, verweigerten die Elfen es, unter die Erde zu kriechen. Die Kinder der Erdenmutter Arda beschlossen, mit ihrer Mutter zu leben und mit ihr zu sterben. Selbst diejenigen, die nicht mit ihren Familien in die Ferne auszogen, um ihr Glück zu suchen, und im Dickicht des Dschungels verharrten, wurden von dem Weißen Zeitalter dahingerafft. Die Kälte hatte jeden einzelnen Duskaner eingefordert, ob Mann, Frau oder Kind.
Nur ihn nicht. Keygren streckte ein Bein aus der Mulde, die er sich in der Höhle des geborstenen T’guus-Stammes gegraben hatte und erhob sich. Arda sah es nicht vor, ihren letzten Sohn zu sich zu holen. Er wusste nicht, wieso sie ihm übernatürlich langes Leben geschenkt hatte oder weshalb er die Jahrhunderte überdauerte. Hatte es damit zu tun, dass er wieder erwacht war, würde Keygren sich allerdings seinem Schicksal fügen. Der Dschungelelf knetete die klammen Finger, schüttelte die Arme und trat mit den Füßen auf, damit das Blut zirkulierte. Schließlich betrachtete er seine blassgraue Hand, in der sich Jahrhunderte seines Lebens widerspiegelten. Alt war sie, allerdings nicht verschrumpelt wie die eines Greisen des Duskan-Volkes. Sein schwarzes Haar hatte weiße Strähnen gewonnen, doch fühlte er, dass sein Körper selbst in den Jahren nichts an Lebensenergie verloren hatte. Keygren machte sich aber nichts vor: Äußerlich wirkte er wie ein Duskan-Elf im besten Mannesalter, innerlich machte sich in ihm aber eine uralte Müdigkeit breit. Sein Blick geriet abermals in die Höhe, dort wo sich die Wurzeln zum Baumstumpf von T’guus verwuchsen.
'Arda …'
Es war merkwürdig, seine eigene Stimme nach der langen Zeit wieder zu hören. Keygren liebte die Erdenmutter, und doch waren ihre Prüfungen, die sie sein Leben lang für ihn ersonnen hatte, mehr, als eine einzige Seele zu tragen vermochte. Er stand in den Überresten des Baumes, der seine Kindheit und Jugend eingenommen hatte, und fühlte lediglich Pein. Nachdem Keygren vor wenigen Augenblicken noch auf Traumpfaden gewandert war und mit seinen Liebsten am Grunde eines in voller Blüte stehenden T’guus im Frühling gemeinsam gegessen, gelacht und gefeiert hatte, umgab ihn nun Kälte und Tod.
Umgehend verließ Keygren den gebrochenen Weltenbaum durch einen seiner lichtdurchfluteten Öffnungen. Die Schneewüste von Kyranis erstreckte sich wie ein weißgewordener Albtraum über die Welt. Sie hatte sich während der Zeit seiner Abwesenheit nicht verändert. Der Himmel erschien Keygren wie eine tiefliegende graue Masse. Er musste zweimal hinschauen, um sich zu vergewissern, dass er sich auf und nicht unter der Erde befand und auf eine Höhlendecke starrte. Wenn einer von Kyranis‘ zwei Sonnen jene Wolkenbarriere durchdrang, dann höchstens für Augenblicke. Der Tag- und Nachtwechsel war kaum wahrnehmbar, schien allemal in der Farbe der Trübnis zu wechseln. Die zahllosen Baumstümpfe um Keygren herum waren das einzige Merkmal, das von dem einstmals vor Leben sprühenden Dschungel von Duskan zeugte. Die Baumkrone des Weltenbaums, die dereinst wegen der Schneelasten zur Erde gestürzt war, lag wie ein zugeschneiter Berg hinter T’guus‘ gewaltigem Stumpf, der in den Himmel aufragte.
Trotz Schnee und Eis erkannte Keygren sofort vertraute Strukturen im Gelände wieder; eine krummgewachsene Akazie, den einstigen Hain, in welchem die Feste stattgefunden hatten und die Senke mit dem Fluss. Abermals wollten ihn die Bilder seiner Träume in die Vergangenheit zurückziehen und diesen trostlosen Ort mit ihrer Liebe verwandeln. Er sah die alte Nhascha am glitzernden Flusslauf Fische mit einem Speer aufspießen, das Lied der Orai singend und er verfolgte Fanji, wie der junge Baumspringer sich gleich einer Feder im funkelnden Blätterdach von Ast zu Ast hangelte. Dann lachte Keygren, weil er seine Schwester in seinen Gedanken im Hain erspäht hatte. Sala übte wieder einmal mit ihren Krummschwertern an dieser albernen Puppe, die sie selbst zusammengebastelt und zwischen zwei Bäumen aufgehängt hatte. Während sie mit den Klingen wie zu einer unhörbaren Melodie tanzte und ihren Stoffgegner bearbeitete, trat Lhassra zu ihr.
Keygren hörte die Worte ihrer beider Mutter, als würde sie neben ihm stehen: Es gehört sich nicht für eine Jüngerin Ardas, mit Schwertern zu hantieren.
'Hat nichts gebracht.' Keygren schmunzelte, als er weiterhin an Sala dachte. Seine Stimme klang rau und verloren, so wie er sich jetzt in der Eiswelt Kyranis‘ fühlte, als er sich an seine Schwester erinnerte. Im Erbenkrieg hatte er sie verloren, kurz nachdem das ewige Weiß die Welt überzogen hatte.
Innerlich wie äußerlich schüttelte Keygren sich und konzentrierte sich auf das Jetzt. Er durfte sich nicht mehr von der Vergangenheit übermannen lassen. Auch wenn er so gern bei seinem Volk wäre – bei seiner Familie – musste er seine Pflicht erfüllen. Arda hatte ihn geweckt. Wie einen Stich in seiner schlummernden Seele hatte er es gespürt. Sein Blick ging nach Norden. Am kaum mehr wahrzunehmenden Horizont lagen die ersten Ausläufer des Scheidegebirges, dem Hort der Zwerge: Belerock. Dort lag der Grund, der ihn aus seinem Totenschlaf gerissen hatte.
Eine Erschütterung im Magiegefüge der Welt hatte Keygren aus seiner meditativen Starre in T’guus’ Innerem gelöst, als ob ihm jemand eiskaltes Wasser ins Gesicht geschüttet hätte. Demnach hatte Er ihn gefunden, den Erben von Bela’Thur. Keygren spürte die Magie in ihm wie ein Brodeln, ein warmer Schauer umspülte seinen Körper. Mit dem Aufwallen seiner arkanen Kräfte kamen die blitzartigen Erinnerungen an Kämpfe, magische Duelle … und der Hass.
'Du hast es noch einmal gewagt', flüsterte Keygren, während sein Blick sich verhärtete.
Der Gottkönig hatte einen Flammenmagier aus der Linie der Familie von Bela’Thur gefunden, einen direkten Nachfahren und Träger des Ringes von Lum. Der Versuch des Gottkönigs einen Riss, ein Portal, in diese Welt zu öffnen, hatte Keygren aus seiner fünfhundert Jahre andauernden Meditation geworfen.
'Nach all der Zeit …' Eine blaue Kugel aus Magie bildete sich um Keygrens Faust. Die Luft um sie herum flirrte, die herumwirbelnden Schneeflocken verdampften in ihrer Nähe.
Seine heiße Wut in dieser eiskalten Umgebung richtete sich jedoch nicht gegen den dunklen Herrn dieser Welt, sondern gegen ihn selbst. Er war ein Narr. Nachdem der Gottkönig vor Ewigkeiten nach der Schlacht um die Menschenstadt Holm aus seiner Wahrnehmung verschwunden war, hatte Keygren entschieden, zu warten. Warten darauf, ob der Eine jemals wiederkehrte und sie die Entscheidung im Magieduell suchen würden … oder ob Arda ihn zu sich rief. Letzteres war seine Sehnsucht – und sein Fehler gewesen. Der Gottkönig hatte nach einem Erben der Flammenmagier gesucht, jedoch wurde Keygren jetzt klar, dass er ihn hatte suchen lassen. Während der Dschungelelf sich in seiner Meditationsstarre in Duskan vollends auf die Präsenz des Gottkönigs und dessen Handeln konzentriert hatte, hatte es einer seiner Lakaien vollbracht, den Nachfahren Bela’Thurs aufzuspüren. Und ein Portal zu öffnen.
Unerwartet richtete sich Keygrens Aufmerksamkeit wieder nach Norden. Es war, als ob ein veränderter Windzug aufgekommen wäre. Wärmer, auf geheimnisvolle Weise … vertrauter. Der Dschungelelf kniff die Augen zusammen. Es war nichts zu sehen. Mehrmals rieb sich Keygren über die Nasenwurzel. Sein Traumleben hatte seinen Verstand doch mehr vernebelt, als er sich eingestehen wollte.
Zielstrebig marschierte er los. Die Reste von T’guus stellten sich ihm wie zugeschneite Wächter in den Weg, doch gelang es dem Dschungelelf geschickt, die zerborstenen Äste und Zweige zu überwinden. Als er die Friedhofstätte der Duskaner überwunden hatte, präsentierte sich ihm das ewige Weiß von Kyranis. Jeder seiner Schritte knirschte verräterisch im Schnee. Außer diesen war nichts und niemand zu hören. Keygren beschleunigte seinen Gang. Der Gottkönig hatte versagt. Das Portal war geschlossen worden. Auf welche Weise wusste Keygren nicht, doch ergab sich für ihn damit eine ungeahnte Gelegenheit.
'Wenn es dich gibt, werde ich dich finden', sprach er und richtete den Blick zum Scheidegebirge, als würde er den Gesuchten von der Entfernung erspähen können. Wenn der Erbe Bela’Thurs nach dem Ergreifen durch den Gottkönig noch lebte, dann musste er dort sein. In Belerock. Das Portal wurde von dort geöffnet. Außerdem war es der einzige Ort in der Eiswelt, an dem Leben überhaupt möglich war.
'Nochmal schaffst du es nicht', schwor der letzte Dschungelelf seinem Feind. Ein weiteres Portal würde es nicht geben. Und Keygren würde den Nachfahren der Flammenmagier davor bewahren, in die Klauen des Gottkönigs zu gelangen.
Die Schwere, die sich mit einem Mal auf seine Seele legte, war ihm nicht unbekannt. Keygren spannte alle Muskeln in seinem Körper an. Als wäre nicht eine Ewigkeit vergangen, schrie sein Gespür für Gefahr in seinen Geist auf, als ob sich Wurzelranken in ihn hineinbohren wollten. Keygrens Blick fixierte abermals die nördliche Ebene. Erneut zog der Wind auf. Im Schneetreiben tauchten schwache Umrisse auf, die sich zu einem Schatten vereinten, der rasant an Fahrt zunahm. Je mehr es sich näherte, verwandelte sich das unbekannte Ding in ein Ungetüm mit blitzenden Augen. Keygrens Hände leuchteten bereits in hellen Farben, ein Angriffszauber lief über seine Lippen. Das Wesen kam in gewaltigen Sätzen näher. Für Keygren, der kaum den tiefen Sphären seiner Meditation entrungen war, explodierten die Sinne bei der Wahrnehmung des Geschöpfes. Licht, Geruch und Geräusch wirkten wie messerscharfe Stiche in seinem Inneren. Das Maul des Untiers gab scharfe Zähne preis und die Augen funkelten wie gelbe Kristalle. Die wolfsähnliche Kreatur, dessen Körper von schwarzen, beständig um seinen Körper kreisenden Magieschlieren umspielt wurde, nahm Anlauf und setzte vom Boden ab. Keygren wollte seine Hände bereits von sich stoßen, um einen Lichtblitz auf seinen Gegner niederfahren zu lassen. Doch in jenem Moment, als ihr Zweikampf entbrennen sollte, hielten beide Kontrahenten inne. Gleich einer unsichtbaren Mauer, die zwischen sie beide niedergefahren war. Der Schattenwolf war ein paar Meter vor Keygren wieder im Schnee gelandet. Seine Blutgier war verflogen, er schaute Keygren unverwandt an, schnüffelte und fing dann an zu wimmern.
'Jazu …'
Keygren war bereits im Schnee in die Knie gesunken, als er den Namen wieder flüsterte und der Schattenwolf auf ihn zustürmte, jedoch nicht, um ihn anzugreifen, sondern ihn aus Wiedersehensfreude anzuspringen. Keygren hatte alle Mühe damit, das Ungetüm davon abzuhalten, ihn zu erdrücken. Wie einer von Jazus Stöckchen lag Keygren am Boden, die er früher im Dschungel von Duskan geworfen hatte, damit der Schattenwolf sie ihm zurückbrachte und das Spiel wiederholt werden konnte. Keygren lachte, als Jazus Zunge wie ein feuchtwarmer Lappen über seinen Körper und Gesicht strich.
'Schon gut, schon gut.'
Obwohl er den Wolfskopf immer wieder zur Seite drückte, schaffte Jazu es, sich durch seine Armbarriere zu drücken und Keygrens Gesicht abzulecken. Die magische Aura des Schattenwolfs hüllte sie beide mit ihren grauen und schwarzen Formen ein. Es gelang dem Duskaner endlich, sich aufzurichten. Mehrmals strich er über das Fell und zwischen die spitzen Ohren des Tiers und schaute in die gelben Augen, die ihm nun nicht mehr wild, sondern sanft entgegenblickten. Salas Schattenwolf war zu ihm zurückgekehrt. Die Geschichte um Jazu war so unglaublich, dass sie unter den Duskanern längst als Legende abgetan wäre – würde das Elfenvolk noch existieren. Sie trug sich damals bei der Initiationsweihe zu, als Sala ihre Berufung als Jüngerin von Arda antreten sollte und diese sich dagegen wehrte.
'Nein, mein Weg ist der des Abenteurers!'
Salas Worte lagen Keygren noch in den Ohren, er war anwesend, am Eingang zur Höhle der Ahnen, als Sala sich gegen ihre Mutter Lhassra wandte. Stets hatte Keygren seine Schwester wegen ihrer Pläne, auf Abenteuer zu gehen, verlacht, doch an dem Tag der Weihe hatte Sala ihn, Lhassra und das versammelte Volk von Duskan eines Besseren belehrt. Der Streit zwischen Mutter und Tochter eskalierte, Keygren sah sich als Bruder und Sohn versucht, einzugreifen, seine Freunde allerdings hatten ihn abgehalten. Als Sala sich schließlich - voller Wut – dem Willen der Mutter fügte und in die Höhle der Ahnen ging, um dort ihre Prüfung als Jüngerin abzuschließen, war sie erfolgreich zurückgekehrt; zu aller Überraschung jedoch mit Jazu an ihrer Seite.
Ein weiteres Mal drückte Keygren Jazus breiten Kopf an sich, was den Schattenwolf dazu veranlasste, den Dschungelelf erneut mit seiner Zunge von oben bis unten abzuschlecken. Nie hatte Sala ihm verraten, was in der Ahnenhöhle geschehen war. Viele Duskaner munkelten, dass seine Schwester eine Begegnung mit der Erdenmutter selbst erfahren hatte, eine Ardas Prüfung, ob Sala ihr Leben wahrhaft dem Gleichgewicht der Natur von Kyranis widmete oder nicht. Dies war natürlich Gerede, unzweifelbar war jedoch Jazu da gewesen. Ein Schattenwolf, ein uraltes Wesen, das zwischen der Welt der Lebenden und Toten wandern konnte und das in alten Schriften der Nomadenzeit erwähnt wurde. Wie alle Tiere von Kyranis waren Schattenwölfe treue Anhänger der Erdenmutter. Ein Lied aus den Grauen Vorzeiten, das in den Innenwänden von T’guus von den ersten Duskanern ins Holz geritzt worden war, erzählte von den Wolfswächtern der Erdenmutter, die in jenen Zeiten gesandt wurden, wenn Ardas Kinder Hilfe brauchten.
'Du bist also gekommen, um auf mich aufzupassen, ja?', sagte Keygren und klopfte Jazu auf seine Flanke. Als Antwort drückte der Schattenwolf seinen Körper gegen den des Dschungelelfs, sodass dieser lachend darum kämpfen musste, nicht umzufallen. Damals als Sala in den Wirren des Erbenkrieges gestorben war, war Jazu verschwunden. Keygren hatte gehofft, dass Salas Begleiter nach dem Einsetzen des Schneefalls mit Beginn des Weißen Zeitalter zu seinem Volk in den südlichen Dschungel zurückfinden würde. Er hatte es allerdings nie erfahren.
Während Jazu ihn beobachtete, als ob er ein Fresschen in der Tasche versteckt hätte, kam in Keygren ein neuer Gedanke auf.
Hast du ihn zu mir geschickt, Sala-mir, damit er mich beschützt?
Keygrens Blick wanderte über Kyranis’ Ebene, als ob seine Schwester jeden Moment am Horizont auftauchen würde. Wie froh wäre er jetzt um ihren Beistand in dieser Mission. Mit einem Satz war Keygren auf Jazus Rücken. Seine Zweifel, ob Salas Wolf ihren neuen Reiter akzeptieren würde, verflüchtigten sich sofort, als Jazu ohne Kommando lospreschte. Keygren konnte einen Jubelschrei nicht unterdrücken. Nachdem er so lange Zeit fern von dieser Welt geschlafen hatte, fühlte er sich wie neu geboren. Jazus Aura flirrte um ihn, hüllte Reiter und Reittier in einen wärmenden Kokon. Seine Sorge, dass er sich den langen Weg über mit seiner Magie hätte wärmen müssen und dadurch wertvolle Zeit verlor, war dahin. Obendrein würde er dank Jazu schneller ans Ziel kommen. Dank dem Schattenwolf an seiner Seite könnte er es innerhalb eines Tages schaffen.
Der eiskalte Wind, für den sein Erzfeind, der Gottkönig, verantwortlich war, biss in Keygrens Wangen, während Jazu immer schneller über die Schneelandschaft stapfte. Keygren griff in das zottelige, pechschwarze Fell und hielt sich fest. Das Scheidegebirge, in dessen Zentrum die Stadt der Zwerge lag, war sein Ziel.
'Rasch, mein alter Freund', flüsterte Keygren in Jazus Ohr. Der Schattenwolf schien zu verstehen und hastete in noch größerer Geschwindigkeit über den Schnee. Der Gottkönig würde nicht lange warten, nachdem er eine Niederlage mit dem Portal eingefahren hatte. Bela’Thurs Kind lebte und solange dies der Fall war, konnte der Dunkle Herr wieder versuchen, mittels diesem ein Portal zu errichten und sich Kyranis‘ zu bemächtigen.
'Nicht, wenn ich da noch ein Wörtchen mitrede.'
Ein ungeahntes Gefühl machte sich in Keygren breit. Der Dschungelelf lachte über sein Schicksal. Nachdem er Jahrhunderte geschlafen hatte, lief ihm jetzt die Zeit davon.



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