E-Book, Deutsch, 248 Seiten
Reihe: Ross-Thomas-Edition
Thomas Keine weiteren Fragen
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-89581-575-1
Verlag: Alexander
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Philip-St.?Ives-Fall
E-Book, Deutsch, 248 Seiten
Reihe: Ross-Thomas-Edition
ISBN: 978-3-89581-575-1
Verlag: Alexander
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Washington in den 1970er-Jahren. Aus der Kongressbibliothek ist eine seltene fünfhundert Jahre alte Erstausgabe spurlos verschwunden - und mit ihr Jack Marsh, der beste Privatdetektiv der ganzen Westküste, der das wertvolle Buch nach Kalifornien schaffen sollte. Ein Fall für Philip St.?Ives:
Der pokernde Dandy in chronischer Geldnot und professionelle Vermittler zwischen Gaunern und Gesetz soll das Buch und Marsh für 250?000 Dollar freikaufen, doch irgendjemand spielt ein falsches Spiel.
Die amerikanische Originalausgabe 'No Questions Asked' erschien 1976 unter Ross Thomas' Pseudonym Oliver Bleeck.
Ross Thomas, geboren 1926 in Oklahoma, verarbeitete seine vielfältigen beruflichen Erfahrungen in seinen Politthrillern, in denen er vor allem die Hintergründe des (amerikanischen) Politikbetriebs entlarvt und bloßstellt. Ihm wurde zweimal der Edgar Allan Poe Award und mehrmals der Deutsche Krimipreis verliehen. Bis zu seinem Tod 1995 entstanden 25 Romane.
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1
Das einzig Interessante in der Post an diesem Morgen war der Räumungsbescheid für meine Mietwohnung. Daneben gab es ein Schreiben vom Wall Street Journal, das mir plötzlichen Reichtum versprach, falls ich mich zu einem Abonnement von lediglich einem halben Jahr entschließen würde, und einen Brief von Julian Bond aus Atlanta mit der Bitte, nochmals mit fünfundzwanzig Dollar dazu beizutragen, unsere Demokratie wehrhaft zu erhalten. Die Versprechungen des Wall Street Journal entsorgte ich im Papierkorb und nahm mir vor, Julian Bond mit zehn Dollar abzuspeisen. Den Räumungsbescheid gab ich meinem Anwalt Myron Greene. Er hatte gerade meine Wohnung betreten und mir die Post mit nach oben gebracht. Myron Greene studierte den Kündigungsbrief langsam und mit einem skeptischen Gesichtsausdruck, wie ihn alle Anwälte zeigen, wenn sie etwas lesen, und sei es nur die Warnung auf einer Streichholzschachtel, diese vor dem Anzünden zu schließen. Er las ihn erst mit ausgestrecktem Arm, dann setzte er seine grau getönte Pilotenbrille auf und las ihn ein weiteres Mal. Schließlich zuckte er mit den Schultern und gab mir den Brief zurück. »Es ist ein Räumungsbescheid«, sagte er. »Ich weiß, was es ist«, sagte ich. »Was ich nicht weiß, ist, was ich dagegen tun kann.« Myron Greene schaute sich im Raum um, wobei es ihm nicht gelang, den Ausdruck einer gewissen Missbilligung vor mir zu verbergen. Dann schüttelte er den Kopf und sagte: »Es gibt nur eins, was Sie tun können.« »Was denn?« »Ausziehen.« Ich blickte um mich und versuchte, meine Wohnung durch die Augen eines wohlwollenden Christen zu betrachten, den die Wohlfahrt vorbeigeschickt hatte und der sie zum ersten Mal sah. Was man mich gerade zu räumen aufgefordert hatte, war eine »Luxus«-Einzimmerwohnung im achten Stock des Adelphi in der East 46th Street. Sie war ungefähr 40 Quadratmeter groß und mit Zentralheizung ausgestattet. Darin befand sich praktisch alles, was ich auf dieser Welt besaß, mit Ausnahme der 9215 Dollar und 26 Cent, über die die Chase Manhattan Bank ihr wachsames Auge hatte. Ich kam zu dem Schluss, dass selbst ein wohlwollender Vertreter der Wohlfahrt, der seine Karriere darauf aufgebaut hatte, frohgemut einzusammeln, was andere wegwarfen, sich nur zaudernd und unter Seufzen bereit erklärt hätte, meine Besitztümer anzunehmen. Eine Wand bestand nur aus Büchern, wobei es sich fast ausschließlich um zerlesene Taschenbücher handelte, bis auf eine in Leder gebundene Ausgabe von Dickens – auch wenn Dickens kaum noch jemand liest. Mein Bett bezeichnete man wohl als Schlafcouch, und es hing schon merklich durch. Ferner gab es einen Ledersessel mit breiten Lehnen, den ich sehr mochte, und einen kleinen Sony-Farbfernseher, dessen dominanter Gelbstich jeden, vor allem Sevareid, immer leicht cholerisch aussehen ließ. Vor der langen, schmalen Kücheneinheit befand sich ein einhunderteinundzwanzig Jahre alter Metzger-Block, auf dem ich meine Steaks flachklopfte. Nicht weit davon entfernt stand an der Wand eine Hi-Fi-Anlage, die bestens funktionierte, obwohl ich beim Aufbau ein paar Drähte unverbunden gelassen hatte. Auf dem Boden lag ein Teppich, und an den Wänden hingen ein paar Farbdrucke, die ich mir nach wie vor gern ansah. Mitten im Zimmer, umringt von sechs unterschiedlichen Stühlen mit gerader Lehne, stand der Tisch, wo ich meine Mahlzeiten einnahm und manchmal mein Geld ablegte. Es handelte sich dabei um einen sechseckigen Pokertisch, dessen grüner Filzbezug von einem dunklen Fleck verunstaltet wurde, den ein Detective vom Morddezernat Süd verschuldet hatte, als er eines Sonntagmorgens um viertel nach fünf vor Begeisterung über einen Straight Flush seine Bloody Mary umgestoßen hatte. An diesem Tisch saßen Myron Greene und ich; er in seinem dreiteiligen dunkelblauen Nadelstreifenanzug, ich in meinem Frottee-Bademantel. »Sie haben heute einen Auftritt vor Gericht, oder?«, sagte ich. »Woher wissen Sie das?« »Entweder gehen Sie zu einer Gerichtsverhandlung oder einer Beerdigung. Sonst hätten Sie gewagtere Klamotten an. Vielleicht etwas aus Samt mit ein paar aufgenähten Blümchen auf dem Rücken.« Myron Greene betrachtete sich gern als Dandy, war sich aber nicht allzu sicher in seinem Geschmack und schätzte es, wenn ich ihn ermutigte. Er musterte seinen Anzug und entfernte einen imaginären Fussel. »Fünf Jahre alt und sitzt nach wie vor wie angegossen.« »Sie haben kein bisschen abgenommen in dieser Zeit.« »Sie können ganz schön pampig sein am frühen Morgen.« »Ich bin morgens immer pampig, wenn man mir vor dem ersten Kaffee die Wohnung kündigt. Möchten Sie auch welchen?« »Ist es Pulverkaffee?« »Wie immer.« Myron Greene schüttelte den Kopf. »Dann lieber nicht.« »Wie wär’s mit einem Tee?« Darüber musste er nachdenken, weil es eine Entscheidung bedeutete und er niemals Entscheidungen traf, ohne das Pro und Contra sorgfältig abzuwägen. Seine angeborene Vorsicht, gepaart mit einem brillanten juristischen Verstand, hatte seine Mandanten vor Ärger bewahrt und ihn selbst ziemlich wohlhabend gemacht, wenn auch nicht richtig reich, obwohl er das in ein paar Jahren vermutlich sein würde. »Also gut«, sagte er. »Dann Tee. Ohne Zucker. Mit Zitrone, wenn Sie welche haben.« »Hab ich.« Ich ging hinüber in die Küche, füllte den Wasserkessel und setzte ihn auf. Dann kam ich zurück, verlor wieder mal eine Schlacht gegen meine guten Vorsätze und zündete mir eine Zigarette an. Myron Greene versuchte diesmal erst gar nicht, seine Missbilligung zu verbergen. »Sie sollten vor dem Frühstück nicht rauchen«, sagte er. »Ich sollte überhaupt nicht rauchen.« »Warum hören Sie dann nicht auf? So schwierig ist es nicht. Ich habe es geschafft.« »Sie haben mit fünf Zigaretten am Tag aufgehört, höchstens, und dann zehn Kilo zugelegt. Da bleib ich lieber schlank und huste dafür.« Myron Greene seufzte. In meiner Gegenwart tat er das oft und tief. Er seufzte wegen meiner Verschwendungssucht, meiner trägen Natur und der Leute, mit denen ich verkehrte. Er seufzte, weil ich nicht zu sein versuchte wie er, und dann seufzte er wieder, weil ihm klar wurde, dass ich dann nicht sein Mandant wäre und dass er damit seinen einzigen Kontakt verlieren würde zu jemandem, der seiner Vorstellung nach in einer Unterwelt lebte, bevölkert von modernen Robin Hoods und ihren tollkühnen Gesellen, die durch das Leben rasten, eine Menge Blondinen kannten und sich über Knöllchen fürs Falschparken lustig machten, weil sie genau wussten, wie man straflos davonkommen konnte. Ginge es nicht um seine Frau, die Kinder und das Geld, vor allem um das Geld, wäre er am liebsten ein aalglatter Strafverteidiger gewesen, der auffällige Anzüge trug und dessen Name ständig in der Zeitung stand. Stattdessen hatte er sich für Mandanten entschieden, die ihn vor seinem vierzigsten Geburtstag zum Millionär gemacht hatten, wodurch er es sich erlauben konnte, in Darien zu leben, ein Ferienhaus in Kennebunkport zu besitzen, einen Mercedes 450 SLC im Wert von zwanzigtausend Dollar zu fahren und mich als Mandanten zu behalten. In Wirklichkeit war ich wahrscheinlich niemals sein Mandant gewesen, dachte ich, eher sein Hobby. Ich stellte den Teekessel und eine Tasse samt Untertasse vor ihn auf den Pokertisch. Dann ging ich zurück, holte meinen Kaffee und eine Zitrone und setzte mich zu ihm. Er goss sich Tee ein, presste ein paar Tropfen Zitrone dazu, probierte und zeigte ein Lächeln. »Sehr gut«, sagte er. »Twinings Irish Breakfast Tea. Der hat es in sich.« »Wie ist es eigentlich zu erklären, dass Sie sich bemühen, einen hervorragenden Tee zu machen, aber wenn es um Kaffee geht, dieses schauderhafte Instant-Zeug vorziehen?« Ich zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Es mag damit zusammenhängen, dass ich mal in England gelebt habe.« »Als Sie für die Zeitung gearbeitet haben.« »Genau.« »Das muss jetzt zehn Jahre her sein.« »Eher zwölf oder dreizehn.« Ich hatte seinerzeit dreimal die Woche eine Kolumne für eine der vielen New Yorker Zeitungen geschrieben, die Mitte der sechziger Jahre ihr Erscheinen eingestellt hatten. Meistens schrieb ich über die seltsamen Methoden von New Yorker Scharlatanen, Gaunern und Hochstaplern, über Polizisten, die ehrlich und tapfer waren, und solche, auf die...