Buch, Deutsch, 335 Seiten, Format (B × H): 139 mm x 215 mm, Gewicht: 476 g
Am Abgrund der Zeit
Buch, Deutsch, 335 Seiten, Format (B × H): 139 mm x 215 mm, Gewicht: 476 g
ISBN: 978-3-98942-490-6
Verlag: NOVA MD
Autoren/Hrsg.
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Meine Augen sind geschlossen, als sich der erste Gedanke seinen Weg in mein Bewusstsein bahnt. Er ist nicht erhaben oder tiefsinnig, sondern roh und ungeformt.Ich bin.Auf ihn folgt eine ganze Kaskade weiterer Gedanken, die konzentrische Kreise um diesen ersten Kontaktpunkt mit mir selbst ziehen.Wer bin ich? Wo bin ich? Warum atme ich nicht?Sie verwandeln sich in Emotionen, die einen kurzen, brutalen Kampf in meinem Herzen ausfechten.Am Ende gewinnt die Angst.Ich will einatmen, mein ganzer Körper verlangt nach Sauer- stoff, aber es ist, als wollte ich ein unsichtbares Seil erklimmen, um einem Feuer zu entkommen. Es lodert immer heißer. Der Impuls ist da, aber nichts, mit dem ich meine Lunge füllen könnte.Ein schweres Gewicht lastet auf meiner Brust, drückt immer weiter zu, während der Atemreflex stärker wird, mich beinahe um den Verstand bringt. Aus Angst wird basaler Überlebenstrieb und streicht meinen Verstand aus der Gleichung meines kurzen Lebens. Mein Körper übernimmt die Kontrolle, windet sich und krampft, will sein Fortbestehen um jeden Preis erzwingen.Ich schlage meine Augen auf, so weit, dass es schmerzt.3Die Welt ist trüb, von dunklem Blau und körnig, ungeformt, als könnte sie sich nicht entscheiden, was sie sein will: Leben oder Tod?Plötzlich geschieht etwas. Eben noch war mir warm, jetzt wird mir kalt, als sich etwas von mir löst, von dem ich nicht gewusst hatte, dass es um mich herum war. Erst jetzt, wo ich es verliere. Die Krämpfe werden schlimmer. Meine Haut prickelt, Arme und Beine werden mir schwer. Ich blicke noch immer ins Trübe, kann aber Umrisse erkennen, die eben noch nicht da waren.Ich sehe eine helle Fläche, die sich von mir entfernt. Rotes Licht über mir. Mit der Wärme verschwindet auch der Halt, den ich verspürt habe, und ich stürze vorwärts. Hände und Knie reagieren ohne mein Zutun und ich lande schmerzhaft auf hartem Untergrund. Der Boden ist kalt und unnachgiebig.Es spielt keine Rolle, weil sich der Tod in meiner Brust eingenistet hat und sich jetzt immer schneller ausbreitet.Schmerzen schießen von den Fingern und den Kniescheiben aus durch meinen ganzen Körper wie flüssiges Feuer. Ich zittere, als ich beide Hände zum Mund hochreiße. Ein letzter, verzwei- felter Versuch, das Ende doch noch aufzuhalten.Atmen. Ich muss atmen!Kalte Finger ertasten einen warmen Widerstand vor meinen Lippen. Sie halten sich nicht damit auf, herauszufinden, was es ist, sondern reißen daran. Grob und von blanker Panik getrieben. Eine Schlange windet sich in meinen Eingeweiden, wehrt sich gegen ihre Erweckung und verbeißt sich in meiner Luftröhre.Ich schreie, weil sich von den Seiten meines Blickfelds schwarze Ränder nähern, die eben noch pulsiert haben. Wie Vorhänge, die sich schließen und mein kurzes, schreckliches Dasein beenden.Ende der Vorstellung. Nein! Meine Hände finden Kraft, die ich nicht spüren kann, und zerren an der Schlange, reißen sie aus mir heraus. Der Kampf ist kurz und brutal. Sie rächt sich mit beißendem Schmerz. Ich erkenne ihre Umrisse, als sie vor mir auf den Boden fällt und zischende Laute von sich gibt. Ein Schrei löst sich aus4meiner Kehle, guttural und feucht, aber befreiend. Es ist meine urtümliche Botschaft an eine kalteWelt: Ich bin hier.Ich lebe.




