Trompeter | Die Mittlerin | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 216 Seiten

Trompeter Die Mittlerin


1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-7317-6042-9
Verlag: Schöffling
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 216 Seiten

ISBN: 978-3-7317-6042-9
Verlag: Schöffling
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Was macht man, wenn man von einer Literaturagentin den Auftrag bekommt, einen Roman zu schreiben - jedoch gar nichts erzählen will? Die junge Frau, die sich voller Bedenken an die Aufgabe der Mittlerin herantastet, gerät dabei ins Schwitzen. Sie stürzt sich in Gedanken, Gefühle und immer absurder werdende Ereignisse. Drei Geistesgrößen beeinflussen sie: der österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard, der antike Philosoph Aristoteles sowie besagte Mittlerin. Doch bevor die Protagonistin die Konfrontation mit dem Eigenen zulassen kann, muss sie sich der Außenwelt stellen. Auf dem Weg zu sich selbst begegnen ihr der fischgraue Oskar, der fabelhafte Bear, sowie Köfte-Belmondo, der attraktive Mann der Mittlerin. Dabei wird sie in reger Auseinandersetzung mit der literarischen Tradition immer bewusster zur Erzählerin ihrer eigenen Geschichte.Julia Trompeter wirft in ihrem Debüt einen Blick auf den Literaturbetrieb und die Berliner Szene, nimmt es mutig mit literarischen Vorbildern auf und erzählt dabei eine unterhaltsame Selbstfindungsgeschichte ganz eigener Art.

Julia Trompeter, geboren 1980 in Siegburg, studierte Philosophie und Germanistik in Ko?ln. Nach ihrer Promotion lehrte sie Philosophie in Deutschland und den Niederlanden. Seit Kurzem ist sie an einer Schule in Berlin ta?tig, wo sie seit der Geburt ihres Kindes lebt. Sie schreibt Lyrik und Romane und arbeitet frei für die FAZ und den WDR. Für ihr Werk wurde sie u. a. mit dem Rolf-Dieter- Brinkmann-Stipendium der Stadt Ko?ln und dem Fo?rderpreis des Landes NRW ausgezeichnet. Ihr erster Gedichtband Zum Begreifen nah erhielt den Poesie-Debüt-Preis der Stadt Düsseldorf.
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Lyrik schreibe ich immer zu Hause, sammle meine Wörter tagsüber im Geiste, memoriere sie dann und stehe auf dem Standpunkt, dass das, was ich am Abend heimbringe, völlig ausreicht, schon die gefilterte Variante dessen ist, was mir wertvoll und bemerkenswert erschien, und somit ein Extrakt darstellt, das übrig bleibt und aus welchem dann, im nächsten Filterungsprozess, langsam, Schritt für Schritt, wieder etwas hinausgesiebt werden muss, und immer so weiter, bis letztlich ein Gerüst dasteht, ein Gerüst aus fünf, vielleicht sechs Wörtern, das nun mit der Sprache des Augenblicks aufgefüllt werden darf, ja, mit der Sprache des Augenblicks, und nicht mit der bereits fixierten Sprache irgendwelcher Zettel, die man über den Tag verteilt bekritzelt hat.

Bei der Prosa ist das etwas anderes, nicht wahr, da ballen sich die Wörter zusammen wie Schneeflocken, die, sobald sie gefallen sind, eine Landschaft bedecken und diese Landschaft unter sich begraben, bis nur noch vage Schemen dieser Landschaft unter der Fülle des Schnees erkennbar sind. Und so wird diese Landschaft zugleich romantisch, denn nur, was man nicht richtig erkennen kann, ist dazu geeignet, als romantisch wahrgenommen zu werden, wie ein Kuss am Ende eines Films romantisch erscheint, solange man nicht weiß, wie die Ehe danach aussehen wird oder ob die Küssenden vielleicht Mundgeruch haben, so wie der bear und ich einen romantischen Abend verbracht hatten, kurzzeitig, und nur bis zu dem Moment, wo wir die Hüllen fallen lassen sollten.

Und ich stellte mir vor, worüber ich mein Mantra kurzzeitig aufgab, wie schön es wäre, wenn es noch einen anderen Begriff von Romantik, eine andere Art von Schnee gäbe, eine, unter der man die Landschaft noch in all ihren Einzelheiten erkennen könnte und welche die Dinge, die einem nicht gefielen, unverborgen, also wahrhaftig zeigen würde. Einen reichhaltigen Begriff von Romantik also, der die Menschen nicht zu enttäuschen brauchte, weil er nämlich darauf verzichtete, sie vorher zu täuschen, einen Begriff, der sich nicht scheuen würde, auch die weniger ansehnlichen Dinge anschaulich und schön darzustellen, so dass man sie deutlich und klar erkennen könnte.

Und ich stellte mir weiterhin vor, wie ich selbst, wenn ich der Mittlerin zur Freude gereichen und einen Roman verfassen würde, einen solchen Begriff von Romantik umsetzen würde, und ich sah mich mit einer gehissten Fahne in die Wörtersee stechen, wie Robert Gernhardt es ausdrücken würde, und mich in meiner kleinen, vom Wind geschüttelten Barke gegen die Wellen ansteuern, die das Traumschiff vor mir, das überladen war mit herkömmlichen Romanzen, verursachte. Thomas Bernhard ist sicher auch ein romantischer Mensch gewesen, natürlich nur, wenn man meinen Begriff von Romantik zugrunde legt, zugrunde legen mag, der nahezu alles beinhaltet, was auf dieser Welt geschieht.

Und wenn jemand der Ansicht ist, gemeinsames Zähneputzen am Abend sei der Killer einer jeden Beziehung und töte jede Romantik, dann ist das nur insofern wahr, als dass natürlich in den herkömmlichen Liebesromanen selten bis nie die Sprache auf beispielsweise das gemeinsame Zähneputzen am Abend kommt, weil, verständlicherweise, wie die Verlagslektorin sagen würde, in solchen Schreiben mehr Wert auf das nächtliche Beisammensein, die Kopulation der Liebenden gelegt wird und nicht auf die Reinigung der Zähne, obwohl es doch klar ist und auch jeder ahnt, dass gerade die schönsten Paare mit den appetitlichsten Küssen auch am meisten Zeit auf die Zahnpflege verwenden dürften, und zwar regelmäßig. Nun gibt es aber eben in den meisten Zwei-Personen-Haushalten nur ein Bad und ein vom Kalk des Leitungswassers milchig beschlagenes Glas mit den Zahnbürsten darin, deren Borsten sich oft bereits nach ein paar Verwendungen nach außen biegen, so dass die Chance, dass an manchen Tagen, wenn beide Beziehungspartner spät von der Arbeit nach Hause kommen und die wenige ihnen verbleibende Zeit im Bett nicht noch weiter einschränken wollen, als es ihnen der gesellschaftliche Zwang als Lohnarbeiter ohnehin gebietet, dass also an manchen Tagen die Beziehungspartner aus lauter Liebe, auch wenn es vielleicht eine recht pragmatische Ausdrucksweise dieser Liebe sein mag, gemeinsam zum Zähneputzen schreiten und, Schulter an Schulter, mit dem Blick in den Spiegel und in und auf den herrlich schäumenden Mund des anderen, ihren Dienst am Gebiss verrichten, damit, ja, damit diese Episode nicht doppelt so viel Zeit verschlingt wie sie verschlingen würde, wenn das Badezimmer zum Zeitpunkt des Zähneputzens nur für jeweils einen der beiden Partner bereitstünde. Man könnte sogar so weit gehen, den Frauenzeitschriften einen ernsthaften Vorwurf zu machen dafür, dass sie wegen der Propagierung des Gemeinsam-Zähneputz-Verbots Millionen junger Menschen um eine ganze Menge gemeinsamer Zeit betrügen. Während nämlich getrennt zähneputzenden Paaren nicht nur die jeweils drei Minuten des Putzens des jeweils anderen Beziehungspartners und somit, absolut gesehen, sogar sechs Minuten von der gemeinsamen Zeit verloren gehen, gewinnen gemeinsam zähneputzende Paare täglich drei zusätzliche Minuten gemeinsamer Zeit vor dem Spiegel hinzu.

Thomas Bernhard hat sich nun in seinen Werken gewiss nicht ausführlich dem Zähneputzen, jedoch, und das ist das Entscheidende, einer ganzen Reihe anderer Nebensächlichkeiten gewidmet, die der sonstige ereignisgeschichtlich orientierte, der ernsthafte Romancier niemals zu erwähnen sich herablassen würde, wie der Neuen Zürcher Zeitung, Leitzordnern, stinkenden Schuhkammern und den Eingangsbereichen irgendwelcher Museen oder ranzigen Gaststätten, und hat somit eine Tradition fortgeführt, die ich das Verdrängen der Ereignisgeschichte auf literarischer Ebene nennen möchte.

Denn wenn man den herkömmlichen Abenteuer- oder Liebesroman ablehnt, was Bernhard ja tut, indem er sagt, dass man die Liebe gar nicht beschreiben könne und dass sie in Liebesfilmen bloß verkitscht werde, und sich stattdessen auf die Begriffe konzentriert, dann bedeutet Romantik vielleicht eher ein Kramen in den Begriffen und damit zugleich in den Sprachkippen, ist ein Umschiffen der Sprachklippen, und erzeugt Sprachklappern. Was ich natürlich mit aller mir zur Verfügung stehenden Affirmation sage, und wenn man es so liest, wie es hier steht, ist man fast schon wieder bei Friederike Mayröcker und ihrem Liebling, den sie schüttelt, wobei sich ja nahezu die gesamte Literaturszene, bis auf Ernst Jandl und Marcel Beyer, bis heute fragt, was oder wer dieser Liebling wohl sein mag.

Über meinem Spaziergang hatte sich das Licht verändert, war noch mehr in die Breite gegangen und verlieh dem Park, zu dem ich inzwischen Zutritt gefunden hatte, den dramatischen Charakter einer Theaterbühne. Die Menschen, die auf den Steinen des wetterunbeständigen Restkunstwerks saßen, welches einmal ein riesiger Brunnen hatte werden sollen, schienen das zu spüren, denn sie sahen aus, als hätten sie auf diesen Auftritt, der ja eigentlich mein Auftritt war, hingearbeitet, und die Szene, die wir spielten, hieß: Das Mädchen beschnuppert den Garten, und sie waren der Hofstaat der in der Szene noch abwesenden Königin, die sie anstelle des Mädchens eigentlich erwarteten. Doch einen kurzen und nervösen Augenblick lang waren sie von dem schrägen Licht getäuscht und irritiert und dachten, dass das Mädchen, also ich, ihre Königin sei, und ein Raunen ging durch ihre Spiegelsäle und füllte meinen Kopf mit dem Echo unzähliger Stimmen.

Mein Ruhm währte nur kurz, denn als der Hofstaat erkannte, dass nur ein Mädchen und nicht die Königin auf das Spielfeld getreten war, gaben sie sich wieder ihren gängigen Beschäftigungen hin und warfen ihre Kugeln wie zuvor in den Sand, schlugen eine Seite in ihrem Roman um, nahmen einen Schluck aus der Flasche, beendeten einen Satz, strichen ein paar Haare zurück oder setzten ihre Jagd nach einem der in Kreuzberg seltenen Schmetterlinge fort. Ja, selbst ein Flugzeug, das eine winzige Atempause lang am Himmel gestanden hatte, flog nun weiter, in dieselbe Richtung wie zuvor. Es war so friedlich im Park, die Sprache frei von schwierigen Spezialwörtern oder unsinnigen grammatischen Konstruktionen, die Lesestimme im Kopf der besseren Verständlichkeit halber nur minimal angehoben, dass ich beschloss, mich noch eine Weile auf die Parkbank zu setzen, auf der ich auch mit der Mittlerin gesessen hatte, und die schwebende und nichtssagende Stimmung dieses Nachmittags auszukosten.

Natürlich konnte die friedliche Atmosphäre auch etwas damit zu tun haben, dass Sonntag war, dass heute der Tag war, an dem Gott beschlossen hatte, dass es gut sei, gut, sich von der ganzen Schöpferei der letzten Tage auszuruhen, sich eine Auszeit zu gönnen und als einzige Beschäftigung, höchstens dann und wann, voll Freude und Genugtuung, auf das eigene Werk zu schauen, auf die Kriechtiere in der Erde und die Flugtiere am Himmel und die Punkte und Kommata und alles, was an Buchstaben dazwischen stand. Und so streckte ich, bei der Bank, die frei war, angekommen, meine Beine weit von mir, breitete die Arme auf der Rückenlehne aus wie ein Maharadscha, der seine Kamelherde umarmen will, und betrachtete eine Weile lang mit dem geistigen Auge mein bisheriges Werk.

Nun kann man sich fragen, ob Gott, als er am siebenten Tag seine Schöpfung begutachtete, genauso unzufrieden und kritisch mit seiner Kreation umging wie der herkömmliche Prosaschriftsteller mit seiner Prosa und ob er sich tatsächlich seinen einzigen freien Tag damit versaut hat, überflüssigerweise an sich selbst und seinem Tun herumzumäkeln. Hierauf könnte man natürlich einwenden, dass Gott es nicht nötig hatte, an seinem Tun zu...


Trompeter, Julia
Julia Trompeter, geboren 1980 in Siegburg, studierte Philosophie und Germanistik in Ko¨ln. Nach ihrer Promotion lehrte sie Philosophie in Deutschland und den Niederlanden. Seit Kurzem ist sie an einer Schule in Berlin ta¨tig, wo sie seit der Geburt ihres Kindes lebt. Sie schreibt Lyrik und Romane und arbeitet frei für die FAZ und den WDR. Für ihr Werk wurde sie u. a. mit dem Rolf-Dieter- Brinkmann-Stipendium der Stadt Ko¨ln und dem Fo¨rderpreis des Landes NRW ausgezeichnet. Ihr erster Gedichtband Zum Begreifen nah erhielt den Poesie-Debüt-Preis der Stadt Düsseldorf.

Julia Trompeter wurde 1980 in Siegburg geboren. Sie studierte Philosophie, Germanistik und Klassische Literaturwissenschaft in Köln und promovierte in Berlin und Bochum. Seit 2009 tritt sie in dem performativen Projekt Sprechduette zusammen mit Xaver Römer auf. 2010 war sie Finalistin des open mike, 2012 erhielt sie das Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium der Stadt Köln, 2013 für ihren Debütroman eine Förderung der Kunststiftung NRW.



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