Turjman | Der Geruch der Seele | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Turjman Der Geruch der Seele

Eine Liebesgeschichte in Zeiten von Krieg und Revolution
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7017-4666-8
Verlag: Residenz
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Eine Liebesgeschichte in Zeiten von Krieg und Revolution

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

ISBN: 978-3-7017-4666-8
Verlag: Residenz
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Eine bewegende Liebesgeschichte im syrischen Bürgerkrieg –und zugleich ein authentischer Bericht über Unterdrückung, Revolution und den Terror des IS.

In der vibrierenden Stadt Damaskus herrscht 2010 die Ruhe vor dem Sturm. Hier verliebt sich der Sunnit Tarek in die alawitische Sanaa, und trotz aller Widerstände und Verbote werden die beiden ein Paar. Ihre heimlichen Treffen finden ein jähes Ende, als Tarek eingezogen und beim Militär in Gewaltaktionen und Antiquitätenschmuggel verwickelt wird. Es gelingt ihm, nach Europa zu fliehen, doch als Sanaa ihm folgen will, wird die junge Frau vom IS verschleppt und gefangen genommen. Was Sanaa in den Kerkern des IS erleiden muss, beruht auf authentischen Erlebnissen, wie auch Turjman in "Geruch der Seele" geschickt Bericht und Fiktion zu einem atemberaubend aktuellen Roman verdichtet.

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Damaskus, Juni 2010
Um acht Uhr wäre Tareks erste Vorlesung auf der Uni gewesen. Um Punkt acht Uhr öffnet er die Augen. Er hat schon wieder verschlafen. Kaffeearoma erfüllt den Raum und strömt in seine Nase. Seine Mutter hat wie jeden Tag den Mokka mit Kardamom nach ihrer Geheimmethode gekocht. Der Geruch hat auf ihn eine magische Wirkung, er ist blitzschnell hellwach und gleichzeitig von einer tiefen Ruhe erfüllt. Er hört Gesprächsgeräusche vom Balkon her. Die Nachbarinnen trinken den Mokka heute bei seiner Mutter. Sie wechseln sich jeden Tag bei ihrem festen Ritual ab, morgens gemeinsam Kaffee zu trinken, über die Nachbarinnen der anderen Wohnblocks zu lästern und neueste Informationen auszutauschen. Langsam steht er auf, ohne sich zu beeilen. Seit einiger Zeit lässt er die erste Vorlesung gerne ausfallen. Er hat die Begeisterung für das Studium der arabischen Literatur mittlerweile verloren, obwohl er als Jugendlicher große Liebe und Leidenschaft für die arabische Sprache und ihre Schrift empfunden hatte. Doch Arabischlehrer will Tarek nicht werden. Dafür hasst er die Schule zu sehr. Und er hat langsam begriffen, dass er vom Gedichteschreiben nicht einmal einen Hund ernähren kann. Früher schrieb er viele Gedichte über Liebe, Sehnsucht und Ekstase an eine fiktive Frau, häufig in der Mathematikstunde. Leider erwischte ihn der Lehrer ab und zu und es gab Schläge mit einer Holzstange auf die Hände für seine Unaufmerksamkeit. Nicht nur vom Lehrer wurde er ertappt, auch von seinem Vater. Einmal, vor dem Freitagsgebet, suchte sein Vater nach einer Nagelschere. Dabei öffnete Basam eine der Schubladen und fand die zusammengefalteten Zettel mit den Gedichten. Basam las den ersten Text, in dem er sich darüber lustig machte, dass der verstorbene Vater des Präsidenten stets als ewiger Führer bezeichnet wurde. Basam stürzte in Tareks Zimmer und gab ihm wortlos eine solche Ohrfeige, dass Tarek minutenlang ein Klingen im Ohr hörte. Sein Vater zerriss den Zettel mit dem Text, drehte sich zu Tareks Bücherregal und riss einige Bücher heraus, die ihm Onkel Nisar geschenkt hatte. »Dieser Blödsinn verdirbt deinen Kopf! Oder willst du dasselbe Schicksal wie Onkel Nisar erleiden?«, brüllte Basam, als er mit den Büchern das Zimmer verließ. Nisar war vor drei Jahren verhaftet worden, und Basams Nerven waren deswegen auf das Allerhöchste angespannt. Denn als sein Bruder sich 2002 nach Abschluss seines Chemiestudiums mit seiner französischen Frau in Damaskus niedergelassen hatte, hatte er sich öffentlich zu Menschenrechten und journalistischer Freiheit geäußert. Er war daraufhin in einer Nacht-und-Nebel-Aktion verhaftet worden und seither fehlte jede Nachricht von ihm und seinem Schicksal. Basam verbrannte die Bücher und Tareks Texte. Seit diesem Abend schrieb Tarek nur mehr wenige Gedichte, jedenfalls nichts Politisches mehr, und Romane will er schon gar nicht verfassen. Er hält Schriftsteller für einsame Einzelgänger, die kein Sozialleben haben. Außerdem lesen Araber nicht viel, und wenn, dann meistens Werke von ausländischen Autoren. Die syrischen Autoren und ihre Werke verschwinden in den Kellern der Geheimdienste. In Baramkeh gibt es einen Buchbasar, das ist der beliebteste Ort in Damaskus, um Bücher zu kaufen. Die Händler dort verkaufen haufenweise ins Arabische übersetzte Trivialromane. Onkel Nisar ist Tareks Vorbild. Er stellte sich oft vor, was der Onkel im Gefängnis gerade machte. Salma sitzt schon seit einer Stunde mit Wisal, Maisaa und Fardous, ihren Nachbarinnen, auf dem Balkon mit Ausblick auf die Stadt. Sie trinken ihren Mokka, und im Hintergrund singt Fairuz mit ihrer sanften Stimme. Das ist die morgendliche Göttin des Gesanges, eine libanesische Sängerin, deren Lieder jeden Tag von sechs bis neun Uhr in der Früh an jeder Ecke von Damaskus gespielt werden. »Wieso bist du noch da?«, fragt Salma ihren Sohn. »Vielleicht solltest du dir irgendwann doch einen Wecker anschaffen, sonst schließt du dein Studium erst mit Krücken ab«, sagt sie, und die Nachbarinnen kichern. Von der Erfindung des Weckers hält Tarek nicht viel. Er behauptet immer, dass der Wecker ihn dumm mache und ihm den ganzen Tag eine Blockade im Kopf bescheren würde. Er wache lieber von selbst auf. Es mache ihn produktiver. Eigentlich ist Tarek mit seinen Gedanken ganz woanders. Er verspätet sich absichtlich, um im Bus Sanaa zu sehen, eine Studentin, die an derselben Universität studiert wie er. Sie ist bereits im dritten Semester und für sie beginnen die Vorlesungen erst um neun. Auf der Uni will Tarek sie nicht ansprechen, aber zum Glück wohnt sie in der Nähe und nimmt manchmal den gleichen Bus wie er, um zur Uni zu fahren. Heute will er die Gelegenheit nutzen, um sie endlich einmal anzusprechen. Er zieht sich mit großer Sorgfalt an und besprüht sich übermäßig mit seinem »Amber«-Parfum. »Trinkst du jetzt einen Mokka mit uns oder nicht?«, ruft Salma ungeduldig. »Sag etwas oder hat die Katze deine Zunge gefressen?«, fügt sie hinzu. Tarek geht zu ihnen auf den Balkon und küsst seine Mutter auf die Stirn. »Zu deinem Mokka kann ich nicht Nein sagen, das ist der beste Wecker auf der Welt«, antwortet Tarek. Salma kann kaum atmen, die Duftwolke, die Tarek umgibt, ist zu stark. Sie hält sich einen Teil ihres Kopftuches vor den Mund. Auf dem Balkon muss sie Kopftuch tragen, da ist sie in der Öffentlichkeit. »Es ist immer wieder verwunderlich, wie du dich in diesem Saustall von einem Zimmer so hochzeitsreif herrichten kannst«, stichelt Salma weiter. »Und was ist der Anlass, dass du dich so fein machst?«, wundert sich Wisal. »Habe ich sonst schlecht ausgeschaut?«, will Tarek wissen. »Das mache ich nur für mich«, fügt er hinzu. »Hol dir eine Tasse aus der Küche«, fordert ihn Salma auf. Aber Tarek will keine Zeit verschwenden. Er gießt sich aus der Kupferkanne einen Mokka in Salmas Tasse, trinkt ihn im Stehen in einem Schluck aus und verabschiedet sich. Als Kind liebte er es, in der Runde von Salmas Nachbarinnen zu sitzen und zuzuhören. Die Frauen erzählten die spannendsten Geschichten, besonders aufregend waren die von Wisal. Sie arbeitete bis zu ihrer Pensionierung als Gerichtsschreiberin und ihre geheime Schatztruhe ist voller Geschichten. Salma ruft ihm nach: »Du bist ein echter Dimashqi, wie dein Vater, euch bringen nur Frauen zum Aufblühen!« Tarek läuft die Treppen hinunter. Sein Nachbar aus dem vierten Stock, der Apotheker, schließt gerade hinter sich die Wohnungstür ab. »Gott beglücke deinen Morgen, Nachbar«, begrüßt ihn Tarek im Vorbeigehen. »Wohin, wohin? Warte kurz, ich wollte dich fragen, wo ihr eure neue Klimaanlage gekauft habt. Ich habe von meiner Frau gehört, dass sie gut ist. Es ist mittlerweile Juni, wir haben mittags schon 35 Grad, wie wird das erst im August werden? Unsere alte funktioniert nicht mehr gut«, will der Apotheker wissen. »Die Europäer würden ›Klimawandel‹ sagen«, erwidert Tarek. »Die Europäer haben andere Probleme. Sag mir, was eure Anlage gekostet hat. Sie scheint teuer zu sein, denn der äußere Teil ist sehr leise«, sagt der Apotheker neugierig. »Mein lieber Nachbar, ich schicke dir die Nummer des Installateurs, und er wird dir weiterhelfen. Die Preise ändern sich ständig«, meint Tarek im Weitergehen. »Warte kurz! Ich fahre bei deiner Uni vorbei, du kannst mitfahren!«, bietet ihm der Nachbar an. »Ich gehe heute nicht zur Uni, ich muss meinem Bruder im Geschäft helfen. Salam aleikum«, lügt Tarek. Tareks Bruder Salman hat eine Schneiderei für Damenbekleidung. In Wirklichkeit hat Tarek seinem Bruder noch nie ausgeholfen. Ihr Verhältnis ist nicht besonders gut. »Für deine Gedichte bekommst du nur dann Geld, wenn du sie als Einwickelpapier für Falafelröllchen verwendest«, spottet Salman, wenn bei Familientreffen über Tareks Zukunftsperspektiven gesprochen wird. »Was stört dich daran? Es ist doch gut so, du machst Kleider für Frauen, die sich für ihre Männer hübsch machen wollen, und ich schreibe Lieder für Frauen, die ihre Männer vermissen. Außerdem es ist eine super Werbekampagne, wenn meine Schriften als Einwickelpapier genutzt werden. Ich erreiche die Menschen zu einer besonderen Zeit, dann haben sie etwas für den Magen und die Seele gleichzeitig«, kontert Tarek. In Wahrheit jedoch jobbt er auf einer Baustelle bei einem Elektriker. Tarek tritt auf die Straße. Es ist ein herrlicher Tag, wolkenloser Himmel, die Sonne steht noch nicht im Zenit, es ist angenehm warm. Die Vögel zwitschern so enthusiastisch, dass man die einzelnen Stimmen nicht unterscheiden kann. Der Geruch des Frühlings liegt noch stark in der Luft. Die Dimashqis wohnen in Barzeh, einem...


Jad Turjman, geboren 1989 in Damaskus, studierte englische Literatur und war bis zu seiner Flucht 2014 in der Stadtverwaltung von Damaskus tätig. Seit 2015 lebt Turjman in Salzburg, er arbeitete bis 2018 für den Arbeitersamariterbund und seit 2018 für das Projekt "Heroes". Sein erstes Buch "Wenn der Jasmin auswandert. Die Geschichte meiner Flucht" (2019), aus dem Turjman seitdem bei unzähligen Auftritten gelesen hat, wird zum Erfolg. Sein erstes Soloprogramm, mit dem er seit 2019 auftritt, nennt er "Der Flüchtling Ihres Vertrauens". Zuletzt erschienen: "Der Geruch der Seele" (2021).

www.jadturjman.com



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