E-Book, Deutsch, 359 Seiten, eBook
Turowski Sozialdemokratische Reformdiskurse
1. Auflage 2010
ISBN: 978-3-531-92400-7
Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
E-Book, Deutsch, 359 Seiten, eBook
ISBN: 978-3-531-92400-7
Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
In diesem Buch werden Reformdiskurse sozialdemokratisch geführter, europäischer Regierungen untersucht, die in den 1990er und 2000er Jahren unter dem Druck der Globalisierung und des demographischen Wandels Sozialstaatskorrekturen durchführen mussten, welche einen Kontrast zu ihrer traditionellen programmatischen Identität und Grundwertesubstanz darzustellen schienen. Wie kommunizierten Sozialdemokraten ihre Reformprogramme? Wie verknüpften sie rhetorisch die von ihnen eingeleiteten Veränderungen mit ihrem sozialdemokratischen Wertesystem? Auch wenn die Stoßrichtung der sozialdemokratischen Reformdiskurse in allen drei Ländern ähnlich war, sie blieben in ihren nationalen Kontext eingebettet, der bestimmte strategische Diskursführungen ermöglichte oder behinderte. Der Vergleich der nationalen Diskurskontexte und der tatsächlich durchgeführten Reformdiskurse öffnet den Blick für diskursive Spielräume in den jeweils gegebenen Konstellationen und zeigt, dass der Erfolg der jeweiligen Reformdiskurse maßgeblich davon abhing, wie sie mit ihren Diskurskontexten korrespondierten.
Jan Turowski ist Politikwissenschaftler und Kulturtheoretiker in Berlin.
Zielgruppe
Professional/practitioner
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1;VORWORT;5
2;Inhaltsverzeichnis;7
3;Tabellen- und Abbildungsverzeichnis;11
4;Abkürzungsverzeichnis;12
5;1 Einleitung: Reform und Diskurs;13
5.1;1.1 Fragestellung;27
5.2;1.2 Methode und Aufbau;29
6;2 Der öffentliche Diskurs: Methodische Abgrenzung, inhaltlich-konzeptuelle Begriffsverwendung und erkenntnisleitende Problembegrenzung;37
6.1;2.1 Diskurs und Diskursforschung: Ein kurzer Abriss der Diskursverwendungen;37
6.2;2.2 Der öffentliche Diskurs: Inhaltliche und methodische Abgrenzung;41
6.3;2.3 Was ist ein öffentlicher Reformdiskurs?;44
6.4;2.4 Funktionsund Wirkungsweisen des öffentlichen Diskurses;47
7;3 Der sozialdemokratische Grundwertediskurs: Ziele und Politikinstrumente in neuen Spannungsfeldern;51
7.1;3.1 Reformen, Diskurse und Parteiendifferenz: Die Notwendigkeit der richtungspolitischen Einordnung von Reformdiskursen;51
7.2;3.2 Normen und Ideen sozialdemokratischer Reformdiskurse: Programmatische Veränderungsprozesse und inhaltliche Neujustierungen;59
7.2.1;3.2.1 Gründe und Motivationen der programmatischen Revision: Veränderte Rahmenbe-dingungen für sozialdemokratische Politik;62
7.2.2;3.2.2 Anthony Giddens’ Idee und Konzept des ‚Dritten Weges’ „Der Dritte Weg“;69
7.3;3.3 Der ‚Dritte Weg’: Partei- und Kommunikationsmodernisierung;74
7.4;3.4 Der ‚Dritte Weg’ als diskursiver Rahmen sozialdemokratischer Standortbestimmung;87
7.5;3.5 Die normative Paradigmenverschiebung im sozialdemokratischem Diskurs;95
8;4 Nationale Input- und Output-Filter öffentlicher Reformdiskurse;102
8.1;4.1 Input-Filter: Das politische System;104
8.1.1;4.1.1 Großbritannien;108
8.1.2;4.1.2 Deutschland;111
8.1.3;4.1.3 Schweden;113
8.2;4.2 Input-Filter: Die wohlfahrtsstaatliche und politisch-ökonomische Ausgangssituation;117
8.2.1;4.2.1 Schweden: Sozialdemokratisches Wohlfahrtsregime und national koordinierte Marktwirtschaft;120
8.2.2;4.2.2 Großbritannien: liberaler Wohlfahrtsstaat und unkoordinierte Marktwirtschaft;122
8.2.3;4.2.3 Deutschland: konservativer Wohlfahrtsstaat und koordinierte Marktwirtschaft;125
8.2.4;4.2.4 Unterschiedliche Wohlfahrtsregime, unterschiedliche Reformdiskurse;127
8.3;4.3 Output-Filter: Politische Kultur;129
8.3.1;4.3.1 Politische Kultur und Diskurs, Politische Kultur als Diskurs;130
8.3.2;4.3.2 Postmaterialismus, Individualisierung, Subjektivierung und postmoderner Werte-wandel;132
8.3.3;4.3.3 Differenzen nationaler politischer Kulturen: Unterschiedliche Vorstellungen, Ein-stellungen und Erwartungen, unterschiedliche Diskurskontexte;143
8.3.4;4.3.4 Schweden;146
8.3.5;4.3.5 Deutschland;152
8.3.6;4.3.6 Großbritannien;155
8.4;4.4 Output-Filter: Mediensysteme;160
8.4.1;4.4.1 Medien und politische Öffentlichkeiten im Wandel;162
8.4.2;4.4.2 Der politische Diskurs in zersplitterten Medienwelten und anti-hegemonialen Öf-fentlichkeiten;166
8.4.3;4.4.3 Reformdiskurse in unterschiedlichen nationalen Mediensystemen;173
8.4.4;4.4.4 Großbritannien;182
8.4.5;4.4.5 Schweden;186
8.4.6;4.4.6 Deutschland;190
8.4.7;4.4.7 Unterschiedliche Diskursbedingungen unterschiedlicher Mediensysteme?;198
8.5;4.5 Nationale Diskurskontexte;200
9;5 Verlauf öffentlicher Reformdiskurse: Inhaltlich-strategische, kommunikative und normative Positionierung sozialdemokratischer Diskurse;206
9.1;5.1 Großbritannien: Der idealtypische sozialdemokratische Reformdiskurs?;210
9.1.1;5.1.1 New Labours interaktiver Diskurs;211
9.1.2;5.1.2 Die ideenbegründete Diskursdimension: New Labours Diskurs der Modernisierung;218
9.1.3;5.1.3 New Labours öffentlicher Reformdiskurs im britischen Diskurskontext;228
9.1.4;5.1.4 Verschiebung des nationalen Diskurskontexts. Die Labour Party Zurück zum Aus-gangspunkt;230
9.2;5.2 Schweden: Die diskursive Neubestimmung des schwedischen Modells;238
9.2.1;5.2.1 SAPs interaktiver Diskurs;242
9.2.2;5.2.2 Der ideenbegründete Diskurs: Bewahrung im Angesicht der Zukunft;247
9.2.3;5.2.3 Die Stabilisierung des schwedischen Diskurskontexts;256
9.3;5.3 Deutschland: Der unentschlossene, geliehene und verspätete Reformdiskurs;261
9.3.1;5.3.1 Der Interaktive Diskurs;266
9.3.2;5.3.2 Koordinierte Diskursdimension;281
9.3.3;5.3.3 Der ideenbegründete Diskurs;284
9.3.4;5.3.4 Verschiebung des deutschen Diskurskontextes;299
10;6 Schlussbetrachtung und Ausblick;308
10.1;6.1 Welcher öffentliche Reformdiskurs unter welchen nationalen Bedingungen?;310
10.2;6.2 Der ideologische Diskurs der Sozialdemokratie;319
11;7 Literatur;327
Einleitung: Reform und Diskurs.- Der öffentliche Diskurs: Methodische Abgrenzung, inhaltlich-konzeptuelle Begriffsverwendung und erkenntnisleitende Problembegrenzung.- Der sozialdemokratische Grundwertediskurs: Ziele und Politikinstrumente in neuen Spannungsfeldern.- Nationale Input- und Output-Filter öffentlicher Reformdiskurse.- Verlauf öffentlicher Reformdiskurse: Inhaltlichstrategische, kommunikative und normative Positionierung sozialdemokratischer Diskurse.- Schlussbetrachtung und Ausblick.
5 Verlauf öffentlicher Reformdiskurse: Inhaltlichstrategische, kommunikative und normative Positionierung sozialdemokratischer Diskurse (S. 206-207)
Öffentliche Reformdiskurse sind immer in ihren jeweiligen nationalen Diskurskontext eingebettet, der die Diskursprotagonisten mit jeweils höchst unterschiedlichen kommunikativen Ressourcen und Restriktionen ausstattet und Reformdiskurse sowie die in ihnen formulierten und programmatisch gestützten Reformideen durch ein historisch gewachsenes Wertesystem unterschiedlich filtert. Doch unabhängig davon, wie die jeweiligen kommunikativen Ausformungen der Diskurse durch ihre nationalen Diskursbedingungen determiniert sind, bleibt der öffentliche Diskurs überall gleichermaßen ein zentraler Bestandteil demokratischen Regierens, durch den politische Ziele definiert und Ereignisse interpretiert werden ebenso wie die Auswahl möglicher Policy-Optionen begründet wird.
Der nationale Diskurskontext stellt somit ein Raster dar, in dem sowohl unablässig politische Diskurse und Wandel stattfinden als auch Regeln und Bedingungen der politischen Auseinandersetzung kontinuierlich neu konstruiert werden. Auch wenn es in der liberalen Demokratie für politische Akteure im Grunde genommen keine Möglichkeit gibt, einen öffentlichen Diskurs als kohärente Konstruktion ihrer politischen Handlungsideen und als interaktiven Prozess nicht zu führen, da dieser eine notwendige kommunikative Machtressource zur Durchsetzung eigener Ziele wie auch eine Legitimation von Entscheidungen darstellt, können sich öffentliche Diskurse in Inhalt, Stil, Ausmaß und Zweck stark unterscheiden.
Hinzu kommt, dass die Begrenzungen nationaler Diskurskontexte jeweils so weit gefasst sind, dass innerhalb des jeweils gegebenen nationalen Rahmens eine Vielzahl unterschiedlicher diskursiver Strategien, kognitiver Argumentationen, rhetorischer Figuren und normativer Bezugspunkte möglich ist. Der nationale Diskurskontext kann somit von den Diskursprotagonisten zur Erreichung ihrer Ziele – hier über einen öffentlichen Diskurs Zustimmung zur Durchsetzung von sozial- und wirtschaftspolitischen Reform-Policies zu gewinnen – entweder optimal oder unzureichend ausgeschöpft werden.
Der nationale Diskurskontext stellt somit einen diskursiven Handlungsrahmen dar, der einerseits die Möglichkeiten der jeweiligen Reformkommunikation spezifisch begrenzt, und dabei andererseits den unterschiedlichen politisch-kulturellen und institutionellen Strukturen, den wohlfahrtsstaatlichen Arrangements und nationalen Akteurskonstellationen zu Beginn der Reformen komplementär entspricht. Dies bedeutet umgekehrt, dass in dem Maße, in dem es über einen erfolgreichen Reformdiskurs gelingt, die ehemals starren nationalen Ausgangsbedingungen aufzubrechen, dominante Werte zu re-konzeptualisieren und (zumindest teilweise) eine bestehende Pfadabhängigkeit hinter sich zu lassen, sich gleichermaßen der nationale Diskurskontext verschiebt und sich auf diese Weise die kommunikativen wie normativen Ressourcen zukünftiger sozialdemokratischer Diskurse entweder vergrößern oder – weil sich die erfolgreiche Durchsetzung von Reform-Policies über eher kurzfristige, insgesamt aber kontraproduktive diskursive Geländegewinne herleitete – verkleinern.
Es ist ebenso möglich, dass ein erfolgreicher sozialdemokratischer Reformdiskurs den gegebenen nationalen Diskurskontext (als Kontinuität im Wandel) stabilisiert und dadurch – je nachdem, ob der Kontext für sozialdemokratische Diskurse ursprünglich eher günstig oder ungünstig gewesen ist – sich langfristig diskursive Ressourcen sichert oder die Sozialdemokratie sich weiterhin auf eher ‚fremdem Terrain’ artikulieren muss.
Der öffentliche Reformdiskurs erzeugt somit Wandlungseffekte in zweifacher Hinsicht: Erstens legitimiert er – sofern erfolgreich – die Durchsetzung von Reform-Policies gegen den Widerstand etablierter Interessen und eingespielter Erwartungshaltungen, älterer Organisations- und Verteilungsformen. Indem der Reformdiskurs seine kognitiven Problemlösungsargumente dabei immer an normative Neukonzeptionen von Werten, Sinnstrukturen und Begriffsdefinitionen koppelt, verändert sich zweitens – über eben diese diskursive Verwandlung dominanter Werteordnungen und Gerechtigkeitsvorstellungen – zugleich das bestehende Kräfteverhältnis der kommunikativen Konzept- und Deutungsressourcen.