E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Wells Guides - Die erste Stunde
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-95967-650-2
Verlag: HarperCollins
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
ISBN: 978-3-95967-650-2
Verlag: HarperCollins
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Niemand weiß, was sich in dem gigantischen UFO befindet, das die Welt nach seinem Absturz in Atem hält. Und Alice ist sicher: Niemand außer ihr Vater, der für die NASA arbeitet, hätte seine siebzehnjährige Tochter jetzt auf ein Internat nach Minnesota gebracht - ausgerechnet mitten ins Zentrum der Katastrophe. Hier kommt Alice der Wahrheit hinter den Nachrichten gefährlich nahe. Doch mit der Wahrheit kommt auch die Angst vor den unbekannten Geschöpfen, die das Raumschiff verlassen ...
'Ein Buch, das bis ins Mark erschüttert. Eine kluge Prämisse, ein schnelles Erzähltempo und Charaktere, denen man sofort folgt - dies sind die Zutaten für eine rasante Wells-Lektüre.' Publishers Weekly
'Ein durchdacht ausgearbeitetes Action-Abenteuer, das die Leser auch nach der letzten Seite noch nachhaltig beeindrucken wird.' Kirkus Reviews
'Wells steht für überraschende Wendungen und das pure Grauen. Fantastisch!' Ally Condie, #1 NYT-Autorin
Unter Science Fiction-Fans und Kritikern hat sich der Autor bereits durch die Romane VARIANT und BLACKOUT einen Namen gemacht - seine Leserinnen lieben ihn für seinen feinen Humor und seinen fesselnden Erzählstil. Seine Bücher wurden in neun Sprachen übersetzt.
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EINS
Die Aliens waren möglicherweise genauso angepisst, im Mittleren Westen zu landen, wie ich es war. Ich bezweifle, dass sie tatsächlich vorhatten, kurz in Iowa aufzusetzen und dann noch zweihundertfünfzig Meilen nördlich von Minnesota entlangzuschlittern.
Das Cockpit war wahrscheinlich voll von Aliens, die laut „Verdammt!“ gerufen haben, oder wie auch immer Aliens fluchen. Dann haben sie aus dem Fenster gesehen und gesagt: „Echt jetzt, Captain? Hier ist es?“
Nicht, dass ich irgendwas gegen den Mittleren Westen hätte. Es ist nur, dass ich eigentlich nach Florida gehöre. Nach Miami. Die Stadt der Sonne. Und nicht nach Minneapolis. Die Stadt der Windmühlen. Die außerdem so weit vom Ozean entfernt liegt, wie es nur irgendwie geht. (Ich hab das zwar nicht ausgerechnet oder so, aber es klingt doch glaubhaft, oder?)
Aber was das angeht, hatte ich eh nichts zu melden.
Bevor sich auch nur der Staub über der Absturzstelle verziehen konnte, hatte mich mein Dad schon an der Minnetonka-Schule für Begabte und Talentierte eingeschrieben, damit er mich nicht zurücklassen müsste, während er nach Minnesota reiste. Dad war der Leiter für besondere Projekte bei der NASA im Kennedy Space Center. Und wenn überhaupt etwas als besonderes Projekt durchgeht, dann das hier.
Aliens, die mitten in den Staaten landen. Ziemlich besonders.
Aber ich saß schon im Privatjet, drei Shirts in meinem Rucksack, dazu ein zweites Paar Stiefel und meinen Laptop, bevor mir Dad überhaupt sagte, dass ich aufs Internat gehen würde. Er schien überrascht zu sein, dass ich das nicht wusste. Als hätte ich irgendein Memo verpasst.
„Wir sind nur zu zweit, Dad“, sagte ich ihm. „Deine Sekretärin lässt mich ja nicht in den inneren Kreis.“
„Und genau deswegen ist ein Internat das Beste für dich, Alice“, sagte er und klappte seinen Laptop auf, obwohl wir noch gar nicht abgehoben waren. Aber solche Dinge tut man wohl, wenn man in Krisenzeiten in einem Privatjet der NASA hockt und geradewegs auf die Absturzstelle eines UFOs zufliegt.
„Ich werde keine Zeit haben, mich um dich zu kümmern. Und komm mir jetzt nicht mit deinem ‚Du hast doch nie Zeit für mich‘. Du hast für mich genauso wenig Zeit. Letzte Woche erst dachte ich, wir sehen uns diesen Film an. Wie hieß der noch? Du meintest jedenfalls, du wärst zu beschäftigt.“
„War ich auch“, sagte ich. „Muss ich von meinem Dad geerbt haben.“
„Das ist unfair von dir. Schließlich habe ich extra darauf geachtet, dass es eine gemischte Schule ist. Würde das ein mieser Vater etwa tun?“
„Also willst du mich nicht nur loswerden, sondern auch gleich verheiraten? Ich bin gerade erst siebzehn.“
„Okay, du hast mich erwischt. Vielleicht dürfen Siebzehnjährige in Minnesota ja heiraten“, meinte er. „Ich gebe dir hiermit mein Einverständnis. Gib dir Mühe, und versuch, einen netten Arzt oder so abzukriegen.“
„Ich wette, die Schule ist voller angehender Ärzte“, erwiderte ich mit verzogener Miene.
„Oder Politikern. Auf jeden Fall wurde sie von den Obersten in Washington empfohlen.“
„Seit wann kennst du denn Leute in Washington?“
„Aly, du weißt doch, dass ich besondere Projekte bei der NASA leite. Ernsthaft, ich bin wichtiger, als du vielleicht glaubst.“
„Ich gebe mir Mühe, häufiger zu salutieren.“
Er beugte sich vor und küsste mich auf die Stirn, dann widmete er sich wieder seinem Computer. Ich holte währenddessen mein Handy raus, um Minnetonka im Internet zu suchen. Während die Homepage der Schule lud, dachte ich darüber nach, in welche Kategorie ich wohl passte. Begabt oder talentiert?
Meine Noten waren ganz gut, aber deswegen gleich begabt? So was hatte mir bisher noch keiner unterstellt. Ich könnte Klavier spielen, wenn ich dazu gezwungen würde, was nicht gerade häufig vorkam. Also vielleicht talentiert?
Als die Homepage endlich geladen hatte, wurde ich Bildern von geschwungenen Hügeln und riesigen Grünflächen ausgesetzt. Einige der Gebäude sahen brandneu aus, alles aus Metall und Glas, während andere aus grauem Stein und roten Ziegeln gebaut waren.
Grinsende Teenager posierten auf den Stufen des Hauptgebäudes in ihren Schuluniformen. Röcke, weiße Oxfordhemden, grüne Sweater. Die Jungen trugen Krawatten. Fünf der sechs Leute auf dem Bild waren weiß, vier davon hatten blondes Haar.
Ich betrachtete den einsamen schwarzen Jungen.
War wirklich ein Sechstel der Schüler schwarz, oder hatten sie ihn extra für das Foto engagiert, um eine Quote zu erfüllen?
Ich fragte mich, was sie wohl über mich denken würden. Meine Mum war eine Navajo, und ich hatte ihre dunkle Hautfarbe und das schwarze Haar.
Und obwohl ich mich nicht gerade als Rebellin bezeichnen würde, habe ich mir die Haare gefärbt, bevor wir Miami verlassen haben.
Aber da ich ohnehin die Neue sein würde – das neue Navajo-Mädchen –, konnte ich genauso gut das neue Navajo-Mädchen mit der blauen Strähne in den Haaren sein.
Dad hasste die Farbe natürlich, aber er duldete es und meinte, ich würde nur eine Phase des Ungehorsams durchmachen, was ganz natürlich wäre in stressigen Zeiten. Ich meinte, seine Mutter würde eine Phase durchmachen. Touché!
Ich schielte zu dem Computer meines Dads hinüber. Sein Desktophintergrund war ein Bild der Absturzstelle.
„Eine merkwürdige Form für ein Raumschiff“, sagte ich. „Sieht aus wie eine Duracell-Batterie.“
„Das hat mit der Schwerkraft zu tun. Bau einen zylindrischen Körper, lass ihn rotieren, und so erzeugst du künstliche Schwerkraft. Die Leute laufen dann im Inneren des Schiffes wie in einem großen Hamsterrad. Es gehört zwar noch etwas mehr dazu, aber das war schon mal das Wichtigste. Zentripetalkraft für Dummies.“
„Ganz toll, Dad, danke.“
Ich versuchte, mir vorzustellen, wie ich in dem Raumschiff loslaufe, nur um dann irgendwann am selben Ort wieder anzukommen. Star Wars hatte damit wenig am Hut.
„Also ist da drinnen jetzt alles ziemlich durcheinander, oder?“
„Hmm?“
„Na ja, das Schiff ist doch so gebaut, dass es immer rotiert, oder? Müsste dann nicht alles auf dem Kopf stehen, wenn sich das Raumschiff nicht mehr bewegt? Und die Leute liegen an der Decke herum oder stapeln sich auf dem Boden der Gänge.“
„Ein kluger Gedanke“, murmelte Dad, hörte sich aber an, als wäre er mit dem Kopf woanders.
„Ich brauche mehr Klamotten“, erklärte ich ihm, während er eine Kalkulationstabelle öffnete. „Ich bezweifle, dass ich die angemessene Anzahl an Pullovern dabeihabe für den Winter in Minnesota.“
Sein Blick ruhte weiter auf dem Bildschirm seines Laptops. „Du kannst doch mit einer Kreditkarte umgehen. Wusstest du, dass die Mall of America in Minnesota gebaut wurde? Das ist wie Amerika, nur als Einkaufszentrum.“
„Und was wird aus den einheimischen Läden?“
Er grinste schief. „Na jedenfalls, in der Mall gibt es eine Achterbahn, ein Aquarium und wahrscheinlich haufenweise Klamottengeschäfte – und vielleicht sogar Smoothies. Ich bin sicher, du wirst eine Möglichkeit finden, Geld auszugeben.“
Ich beugte mich vor und hob die Schultern. „Und was ist mit Bluebell?“
„Sie wird ein neues, schönes Zuhause kriegen. Vielleicht auf einer Farm.“
„Daddy“, fing ich an und packte die schweren Geschütze aus. „Liebster Daddy, du lässt mich doch nicht ganz allein ohne Bluebell, oder?“
Er seufzte. „Mein Assistent hat schon alles in die Wege geleitet. Bluebell kriegt einen schönen großen Platz in einem schönen großen Truck, und bald hast du sie wieder ganz für dich allein.“
Ich sank in meinen Sitz zurück und griff nach einer Diät-Cola. „Danke, Daddy.“
Bluebell war ein BMW 550i Gran Turismo.
Wüsste meine Mutter von ihm, würde sie glatt der Schlag treffen. Wenn der sie nicht schon getroffen hätte und sie nicht gestorben wäre, als ich acht Jahre alt war.
Ich will nicht gefühllos über ihren Tod sprechen, aber ganz ehrlich, sie hätte aufhören sollen zu rauchen.
Ihr früher Tod war ihre eigene Schuld, also hatte sie auch kein Mitspracherecht über das Auto, das mir Dad zum Führerschein gekauft hat.
Zugegeben, der Wagen war zu teuer gewesen. Aber das war einer der Vorteile, wenn man aus reichem Hause stammt.
Dads Job, obwohl ganz gut bezahlt, war nicht unbedingt die ultimative Einkommensquelle. Diese Ehre gebührt eher unserer jährlichen Pilgerfahrt ins Heimatland unserer Ahnen nach Upstate New York, wo Dad mit Grandma Gin Tonic trinkt, während Grandpa und ich uns Virgin Margaritas genehmigen. Eine Woche später sind wir dann mit genügend Geld für ein weiteres Jahr versorgt. Für gewöhnlich verlangen diese Besuche von mir, auf dem Klavier vorzuspielen (würg) oder zu singen (doppelwürg!), aber bis es dazu kommt, haben wir alle schon so viel getrunken und gegessen, dass keiner mehr so richtig hinhört.
Zwar bin ich kein Fan dieses Lebensstils, aber es ist eine ganz nette Absicherung.
Ich hatte auch mehrfach versucht, der Mutter meiner Mutter, meiner Shimasani, mit dem Geld auszuhelfen.
Aber sie weigerte sich immer, etwas davon anzunehmen.
Sie meinte dann, das Leben im Navajo-Reservat gefällt ihr genau so, wie es ist.
„Was meinst du eigentlich, warum die Aliens ihr Schiff noch nicht verlassen haben?“, fragte ich. „Immerhin sind sie jetzt schon seit...