E-Book, Deutsch, 144 Seiten
Wilde / edition Ein Granatapfelhaus
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-7347-8348-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Neu bearbeitete Auflage (Klassiker der ofd edition)
E-Book, Deutsch, 144 Seiten
ISBN: 978-3-7347-8348-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Oscar Wilde (1854 - 1900), irischer Schriftsteller und Dramatiker, vor allem bekannt als Autor des Romans "Das Bildnis des Dorian Gray".
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Der junge König
Es war am Vorabend seines Krönungstages, und der junge König saß allein in seinem schönen Gemach. Seine Höflinge hatten sich alle von ihm verabschiedet, indem sie nach der feierlichen Sitte des Tages ihre Köpfe bis zur Erde verneigten, und waren jetzt in dem großen Saal des Palastes versammelt, um von dem Professor für Umgangsformen ein paar letzte Anweisungen zu erhalten. Denn es gab unter ihnen einige, die noch ein ganz natürliches Verhalten zeigten, was bei einem Höfling, man braucht das kaum zu erwähnen, ein sehr schwerer Verstoß ist.
Der Jüngling – denn er war nur ein Jüngling, da er erst sechzehn Jahre zählte – grämte sich nicht über ihr Fortgehen. Mit einem tiefen Seufzer der Befreiung hatte er sich auf die weichen Kissen seines bestickten Lagers zurückgeworfen und lag nun dort mit wilden Augen und offenem Munde wie ein brauner Waldfaun oder ein junges Tier aus dem Forst, das soeben dem Jäger in die Falle geraten ist.
Und es waren ja auch wirklich Jäger, die ihn gefunden hatten, die fast durch Zufall auf ihn gestoßen waren, als er barfüßig, eine Flöte in der Hand, der Herde des armen Ziegenhirten folgte, der ihn aufgezogen und für dessen Sohn er sich immer gehalten hatte. Er stammte aber aus einer heimlichen Ehe der einzigen Tochter des alten Königs mit einem Manne, der weit unter ihr stand – einem Fremden, wie einige sagten, der durch den wundervollen Zauber seines Lautenspiels der jungen Prinzessin Liebe erobert hatte, während andere von einem Künstler aus Rimini sprachen, dem die Prinzessin viel, vielleicht zu viel Ehre erwiesen hatte, und der plötzlich aus der Stadt verschwunden war, ohne sein Werk im Dom vollendet zu haben. Das Kind stahl man, als es kaum eine Woche alt war, von der Seite seiner schlafenden Mutter weg und gab es einem einfachen Landmann und seiner Frau, die selbst keine Kinder hatten und im entlegensten Teil des Waldes, mehr als einen Tagesritt von der Stadt entfernt, lebten. Kummer oder die Pest, wie der Hofarzt feststellte, oder, wie manche glaubten, ein schnelles italienisches Gift, das in einem Becher gewürzten Weins gereicht wurde, tötete innerhalb einer Stunde nach seinem Erwachen das zarte Mädchen, das ihn geboren hatte, und als der treue Bote, der das Kind auf seinem Sattelbogen trug, von seinem müden Pferd herabstieg und an die grobe Tür der Hütte des Ziegenhirten klopfte, wurde die Leiche der Prinzessin in ein offenes Grab hinabgelassen, das auf einem verlassenen Kirchhof jenseits der Stadtmauern gegraben war, in ein Grab, von dem es hieß, dass in ihm schon eine andere Leiche lag, die eines jungen Mannes von wunderbarer und fremdländischer Schönheit, dem man die Hände mit verschlungenen Stricken auf dem Rücken zusammengebunden hatte und dessen Brust viele rote Stichwunden zeigte.
So wenigstens lautete die Geschichte, die sich die Menschen zuflüsterten. Und sicher war es, dass der alte König, als er auf dem Sterbebett lag, entweder aus Reue über seine große Sünde oder einfach, weil er nicht wünschte, dass das Königreich an eine andere Linie fallen sollte, den Jüngling holen ließ und ihn in Gegenwart seines Staatsrats als Erben anerkannte.
Und es scheint, dass er von dem ersten Augenblick seiner Anerkennung an Merkmale jener seltsamen Leidenschaft für Schönheit gezeigt hatte, die bestimmt war, einen so großen Einfluss über sein Leben zu haben. Diejenigen, die ihn zu der Zimmerflucht begleiteten, die man zu seiner Benutzung ausgewählt hatte, sprachen oft von dem Freudenschrei, der seinen Lippen entfuhr, als er das feine Gewand und die zahlreichen Juwelen sah, die man für ihn bereithielt, und von der fast wilden Lust, mit der er seinen groben Lederrock und den rauen Schaffellmantel von sich schleuderte. Er vermisste zwar manchmal die schöne Freiheit seines Waldlebens und war stets geneigt, sich über die langweiligen Hofzeremonien zu ärgern, die ihm jeden Tag so viele Zeit raubten, aber der wundervolle Palast, den man den Freudenreichen nannte und in dessen Besitz er sich jetzt wusste, erschien ihm wie eine neue Welt, die zu seinem Entzücken eigens geschaffen war. Und sobald er der Ratsversammlung oder dem Audienzzimmer entfliehen konnte, lief er die große Treppe mit ihren Löwen aus vergoldeter Bronze und ihren Stufen aus schimmerndem Porphyr hinab und wanderte von Zimmer zu Zimmer und von Flur zu Flur, wie jemand, der im Schönen ein Heilmittel gegen den Schmerz, eine Gesundung aus dem Siechtum sucht.
Auf diesen Entdeckungsfahrten, wie er sie wohl nannte und die für ihn wirkliche Reisen durch ein wunderbares Land waren, wurde er oft von den schlanken, blonden Hofpagen mit ihren wehenden Mänteln und den fröhlich flatternden Bändern begleitet. Aber noch viel öfter war er allein, denn mit einem schnellen, sicheren Instinkt, der fast Hellseherei gleichkam, fühlte er, dass die Geheimnisse der Kunst nur im Geheimen gelernt werden können und dass Schönheit, so wie Weisheit, den einsamen Anbeter liebt.
Viele seltsame Geschichten wurden zu dieser Zeit über ihn berichtet. Man erzählte, dass ein würdiger Bürgermeister, der gekommen war, für die Bürger der Stadt eine mit blühenden Phrasen geschmückte Denkschrift zu überreichen, gesehen hatte, wie er in tiefer Ergebenheit vor einem großen Gemälde kniete, das man gerade aus Venedig gebracht hatte und das die Verehrung neuen Götter zu verkünden schien. Ein anderes Mal wurde er mehrere Stunden vermisst, und nach langem Suchen fand man ihn in einer kleinen Kammer in einem der Nordtürme des Palastes, wie er ganz verzaubert auf ein griechisches Schmuckstück starrte, in die die Figur des Adonis eingeschnitten war. Man hatte ferner beobachtet, wie er seine warmen Lippen auf die marmorne Stirn einer antiken Statue drückte, die man beim Bau einer Steinbrücke im Flussbett gefunden hatte und die den Namen eines bithynischen Sklaven Hadrians trug. Und eine ganze Nacht verbrachte er damit, die Wirkung des Mondlichts auf eine silberne Statue des Endymion zu betrachten.
Alle seltenen und kostbaren Gegenstände übten jedenfalls einen starken Zauber auf ihn aus, und in seinem Verlangen, sie sich zu verschaffen, hatte er viele Kaufleute ausgesandt, einige, um von dem rauen Fischervolk der Nordsee Meerschaum einzuhandeln, andere, um in Ägypten nach jenen merkwürdigen grünen Türkisen zu suchen, die man nur in den Gräbern der Könige findet, und von denen man sagt, dass sie magische Eigenschaften besitzen. Noch andere mussten nach Persien reisen um seidene Teppiche und bemalte Töpferwaren zu besorgen oder nach Indien, um Florgewebe zu kaufen und buntes Elfenbein, Mondsteine und Armbänder aus Achat, Sandelholz und blaues Emaille und Halstücher aus weicher Wolle.
Aber, was ihn am meisten beschäftigt hatte, war das Gewand, das er bei seiner Krönung tragen sollte, das Kleid aus gewebtem Gold, die rubinengeschmückte Krone und das Zepter mit seinen Kränzen und Reihen von Perlen. Und auch an diesem Abend dachte er daran, als er auf seinem kostbaren Lager lag und den großen Block von Tannenholz betrachtete, der langsam in dem offenen Kamin verglühte. Die Entwürfe aus den Händen der berühmtesten Künstler waren ihm schon vor vielen Monaten vorgelegt worden, und er hatte Befehl gegeben, dass die Handwerker Tag und Nacht arbeiten sollten um sie auszuführen, und dass man die ganze Welt nach Juwelen durchsuchen sollte, die dieser Arbeit würdig waren. In Gedanken sah er sich bereits in dem strahlenden Gewand eines Königs vor dem Hochaltar des Domes stehen, und ein Lächeln umspielte seine jungen Lippen und entfachte strahlenden Glanz in seinen dunklen Waldaugen.
Nach einiger Zeit erhob er sich von seinem Lager, lehnte sich gegen den geschnitzten Vorbau des Kamins und sah sich in dem matt erleuchteten Raum um. Die Wände waren mit reichen Gobelins behangen, die den Triumph der Schönheit darstellten. Ein großer, mit Achat und Lapislazuli ausgelegter Schrank nahm die eine Ecke ein, und dem Fenster gegenüber stand ein seltsam gearbeiteter Juwelenschrank mit einer Lacktäfelung aus gepulvertem und in Mosaik ausgelegtem Gold, auf dem einige kostbare Kelche aus venezianischem Glas und ein Becher aus dunkelgeädertem Onyx standen. Die seidene Bettdecke war mit bleichen Mohnblumen bestickt, als seien sie der müden Hand des Schlafes entfallen, und schlanke Stangen aus geriffeltem Elfenbein trugen den samtenen Betthimmel, von dem große Büschel von Straußenfedern wie weißer Schaum zu dem bleichen Silber der gegitterten Decke emporsprangen. Ein lachender Narziss in grüner Bronze hielt einen polierten Spiegel über seinen Kopf. Auf dem Tisch stand eine flache Schüssel aus Amethyst.
Draußen konnte er den hohen Bau des Domes, der wie ein Scheingebilde über den schattenversunkenen Häusern emporragte, und die müden Schildwachen sehen, die auf der nebligen Terrasse am Fluss auf und ab gingen. Weit entfernt sang eine Nachtigall in einem Obstgarten. Ein leichter Jasminduft kam durch das offene Fenster. Er strich seine braunen Locken aus der Stirn, nahm eine Laute und ließ seine Finger über die Saiten gleiten. Seine schweren Augenlider sanken und eine seltsame Erschlaffung überkam ihn. Bis dahin hatte er den Zauber und das Geheimnis schöner Dinge noch nie so eindringlich oder mit einer solchen köstlichen Freude empfunden.
Als es von dem Glockenturm Mitternacht schlug, klingelte er, und seine Pagen traten ein und entkleideten ihn mit großer Feierlichkeit, indem sie Rosenwasser über seine Hände gossen und Blumen auf sein Kissen streuten. Wenige Minuten, nachdem sie das Zimmer verlassen hatten, schlief er ein.
Und als er schlief,...




