Wilson | All the Devils | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 448 Seiten

Wilson All the Devils

Die Dark-Academia-Sensation. Roman
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-641-32016-4
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Die Dark-Academia-Sensation. Roman

E-Book, Deutsch, 448 Seiten

ISBN: 978-3-641-32016-4
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Andy Emmerson trauert um ihre Schwester Violet, die bei einem Unfall an der Ravenswood Academy ums Leben kam. Doch bei der Beerdigung findet sie heraus, dass die Tote im Sarg nicht ihre Schwester ist. Violet ist noch am Leben, und Andy ist sich sicher, dass jemand an der Ravenswood Academy weiß, wo sie ist. Kurzerhand schreibt sie sich an dem Elite-Internat ein. Schon in der ersten Nacht findet Andy einen verschlüsselten Hinweis ihrer Schwester. War Violet Mitglied einer Geheimgesellschaft? Und was hat der so geheimnisvolle wie gut aussehende Jae Han mit ihrem Verschwinden zu tun?

Catelyn Wilson studierte kreatives Schreiben an der Southern New Hampshire University. Sie kann nicht anders, als sich in moralisch fragwürdige Charaktere zu verlieben, und hat eine ungewöhnlich starke Verbindung zu ihren beiden Schwestern. Diese Liebe ist in ihren Debütroman All the Devils eingeflossen.
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1 FEBRUAR


Ich habe das Konzept mit dem offenen Sarg nie verstanden. Die Schlange aus Trauernden, die sich anstellen, um einen Blick in eine rechteckige Kiste zu werfen, in der ein geliebter Mensch liegt, zugekleistert mit Make-up, das die fahle Haut und die blauen Lippen kaschieren soll. Der eklig süßliche Geruch des Bestattungsinstituts, das erstickende Aroma des endlosen Blumenmeeres.

Beerdigungen sind so schon makaber genug. Und jetzt, wo ich in den Eichensarg hinabblicke, in dem meine Schwester liegt, die Hände unnatürlich auf ihrem Bauch gefaltet, geht mir nur ein einziger Gedanke durch den Kopf: Das alles hier ist falsch, so falsch.

Das ist nicht Violet. Sie kann es nicht sein.

»Mein herzliches Beileid. Sie war ein so wunderbares Mädchen.« Derselbe verdammte Spruch, an meine Eltern gerichtet, immer und immer wieder. Über den Körper meiner Schwester hinweg zwischen verkrampften Lippen hindurchgepresst.

Ich ignoriere die Leute, die im Gänsemarsch hereingeströmt kommen und über den ausgeblichenen rosa Teppich in Richtung Sarg gehen, schmelzender Schnee auf ihren Mänteln.

Die Zähne fest zusammengebissen, um ja nicht weinen zu müssen, starre ich auf Violet hinab und befingere die zerknitterte Botschaft, die sie mir vor etwa einer Woche zurückließ und die jetzt tief in der Tasche meines schwarzen Kleides steckt.

Acta deos numquam mortalia fallunt.

Hüte dich vor Klaue und Zahn. Folge dem Pfad von Anubis.

Violet

Das Wachssiegel ist von meinem ständigen Gefummel abgebröckelt, die Kanten des dicken Papieres sind nach innen gewellt. Die Wörter rollen über meine Zunge, als ich leise die Übersetzung wiederhole.

Als sich die Menschen langsam in die Kapelle nebenan schieben, sackt meine Mutter in sich zusammen.

»Fast vorbei, Andy«, sagt sie mit einem schwachen Lächeln auf den schmalen Lippen.

Dad spricht nicht, er blickt nur mit leerem Ausdruck auf Violet hinab. Er versucht, stark zu sein, nicht zu weinen. Aber er kann das Schimmern, das sich in seine Augen stiehlt, als er nach Violets leblosen Händen greift, nicht verbergen. Als die letzten Trauernden die Kapelle betreten, ergreift Dad die Flucht und schließt sich ihnen an.

Auch ich sollte gehen, ich weiß, aber meine Füße gehorchen mir nicht. Ich kann mich nicht bewegen, kann nicht denken, kann nicht atmen. Meine Gedanken kreisen unaufhörlich um die mysteriöse Botschaft. Ich werde das Gefühl nicht los, etwas übersehen zu haben.

Ich schaue Violet an. flehe ich.

Aber das tut sie nicht. Natürlich nicht.

»Na komm.« Mom streckt ihre Hand nach mir aus, ein Zittern geht durch ihre Finger. »Grandpa Emmerson hält die Trauerrede.«

Aus den Augenwinkeln beobachte ich die offenen Türen zur Kapelle und die wartenden Trauergäste. Sobald ich diesen Raum verlassen habe, wird der Bestatter den Sarg verschließen. Und ich werde Violets Gesicht niemals wiedersehen.

Ein Tosen fährt mir in die Ohren. Ich schüttle den Kopf, versuche, wieder klar zu denken. Mein Herz rast, ich höre mein Blut rauschen.

Meine tränenverschmierte Brille verrutscht, als ich mir die Augen reibe, und noch mehr Mascara landet auf meinen Wangen. »Ich brauche noch einen Moment. Bitte.«

Moms Gesicht wird noch ein wenig blasser. Jegliche Farbe ist nun daraus gewichen, wie bei einem Gemälde, das zu lange der Sonne ausgesetzt war. Ein Kind zu verlieren, ist das Schmerzhafteste, was es gibt, heißt es immer. Das konnte ich im Laufe der letzten Woche, seit dem Anruf von Violets Schuldirektor, beobachten. Wie Mom schrie, ihr Telefon fallen ließ. Wie das Gesicht meines Vaters ganz weiß wurde.

Und ich? Ich lief in mein Zimmer und kotzte auf den Teppich.

Tot mit achtzehn. Violet würde meckern und darauf bestehen, dass achtzehneinhalb in der Traueranzeige steht. Bei so was ist sie speziell.

War sie speziell.

Mom legt mir ihre dünne Hand auf die Schulter, aber ich nehme es kaum wahr. »Gut, lass dir Zeit. Aber, Andy, ich weiß, dass Violet nicht gewollt hätte, dass du dich quälst.«

Es liegt mir auf der Zunge zu sagen, das Gleiche gelte auch für sie, aber Mom sieht zu zerbrechlich aus. Wahrscheinlich hat sie noch weniger geschlafen als ich. Ihr Haar, dunkelbraun und gelockt wie meines, rahmt müde ihr hohlwangiges Gesicht ein. Sie ist ein Schatten ihrer selbst.

»Sag Lebwohl, aber komm bald nach.« Mom beugt sich hinunter und küsst Violets kalte Stirn. Dann wischt sie sich über die Wangen, richtet sich auf, strafft die schmalen Schultern und macht sich auf den Weg zur Kapelle.

Endlich bin ich allein. Ich weiß, der Bestatter wartet, seine Haare glänzen wie schwarzes Öl. Aber es ist mir egal. Ich betrachte Violets Gesicht genauer. Das ist sie … nein, ist sie nicht. Ihr Ausdruck ist zu matt, da ist kein Funken Feuer. Ihr schwarzes Haar ist glatt und ordentlich hindrapiert, aber an den Augenbrauen hat der Bestatter ein paar Härchen übersehen.

Bei dem Gedanken an die Hände eines Fremden, die über den Körper meiner toten Schwester fahren, wird mir schlagartig übel. Meine Finger krallen sich in den Rand des Sarges, und mein Hals schnürt sich zu.

»Es tut mir so leid, Vee. Ich hätte mit dir sprechen müssen, dich dazu bringen müssen zuzuhören.« Meine Hand greift nach ihrem Bein, und ein ersticktes Schluchzen entfährt meiner Kehle.

Es ist so kalt. Hier gibt es keinen Trost. Hier gibt es nichts außer dem nackten, klaffenden Loch, das meine Schwester hinterlassen hat.

Zu diesem Zeitpunkt sollte sich Violet eigentlich auf ihr letztes Jahr in Ravenswood vorbereiten, einer Schule, die so besonders ist, dass sie dreizehn statt der üblichen zwölf Jahrgänge hat. Violet war schlau, der Star der Familie. Ein Licht, so hell, dass es einen verbrannte, aber ich nahm ein paar Narben gern in Kauf, wenn das bedeutete, dass Violet glücklich war. Gesehen wurde.

Sie sollte nicht von Eltern begraben werden müssen, die noch kein einziges graues Haar auf dem Kopf haben.

»Du kannst mich nicht hier zurücklassen«, flüstere ich. Der Stoff ihres Rockes kratzt gegen meine Handfläche. »Was wolltest du mir sagen? Was bedeutet deine Nachricht?«

Aber natürlich antwortet Violet nicht. Mein Bein juckt, und ich reibe über die Strumpfhose, die das Tattoo auf meinem Oberschenkel verbirgt, von dem meine Eltern nichts wissen. Das gleiche Tattoo, das auch Violet hat.

Mein Blick wandert zu ihrem Handgelenk, an dem das Armband hängt, das auch ich trage. Die Anhänger sind alle da: das silberne Geweih, die goldene Mondsichel, der zinnerne Nachtfalter. Meine Finger streifen mein eigenes Armband, an dem die gleichen Anhänger befestigt sind, bis auf einen. Violet schickte ihn mir zusammen mit der Botschaft nur drei Tage vor ihrem Tod. Ein gebogener Zahn, ähnlich dem Schneidezahn eines Wolfes.

Der Bestatter versucht, sich bemerkbar zu machen, läuft hinter mir vorbei. Sein Schatten huscht durch die Halle. Ich atme schwer ein und richte mich auf, die Hand noch immer auf Violets kaltem Bein. Mein Tattoo juckt nun heftig, und plötzlich habe ich das starke Bedürfnis, das von Violet zu sehen. Das war das letzte Mal, dass wir miteinander sprachen, als wir uns an ihrem achtzehnten Geburtstag diese Tattoos stechen ließen.

Das Rauschen in meinen Ohren kehrt zurück, noch lauter als zuvor. Mit zitternden Fingern schiebe ich Violets Lieblingsrock ein paar Zentimeter hoch. Dort erwarte ich, die schwarze Tinte auf ihrer kreidebleichen Haut zu sehen: ein Geweih, das einen Nachtfalter und eine Mondsichel in sich birgt.

Doch da ist nichts, nur nackte Haut.

Meine Zunge klebt an meinem Gaumen. Ich schiebe den Saum noch ein Stückchen höher. Nichts.

Eiserne Kälte kriecht in meine Adern. Make-up. Es muss das Make-up sein. Tote werden doch geschminkt, auch am Körper, oder? Damit sie weniger falsch aussehen. Mit einer Hand klammere ich mich am Sarg fest, mit der anderen beginne ich, über Violets steife, kalte Haut zu reiben. Die fahle Oberfläche ihres Beines bleibt unverändert. Ich lecke meinen Daumen an und reibe stärker.

Weg.

Mit einem Ruck reiße ich die Hand zurück, mein Magen hebt sich …

Der Raum beginnt sich zu drehen, meine Gedanken, all meine Sinne wirbeln durcheinander, mir wird schwindelig. Ich taumle rückwärts und falle auf die Knie, den Blick voller Panik auf den Sarg geheftet.

Diese Haare, dieses Gesicht, diese Haut. Das überwältigende Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt, pflügt durch meinen Magen. Meine Finger krallen sich in den Teppich, ich ringe nach Luft. Eine weite, endlose Schwärze trübt die Ränder meines Blickfeldes. Ich spüre den Teppich unter Händen und Knien nicht mehr.

Ein dumpfes Geräusch hallt in meinen Ohren wider, mein Herz donnert gegen meine Brust und ich fahre herum. Der Bestatter sieht mit strapaziertem Mitgefühl zu mir herunter, seine über die Glatze gekämmten Haare glänzen. Er stellt sich zwischen mich und den toten Körper und schließt den Sargdeckel.

Kalter Schweiß bedeckt meine Haut. Ich zittere, zusammengekauert wie ein Tier sitze ich auf dem ausgeblichenen, muffigen Teppich und versuche, meine Atmung zu beruhigen. Der Stoff unter meinen Fingern ist feucht.

Der Bestatter reicht mir eine Hand und nickt Richtung Kapelle. »Der Gottesdienst fängt an. Du...


Wilson, Catelyn
Catelyn Wilson studierte kreatives Schreiben an der Southern New Hampshire University. Sie kann nicht anders, als sich in moralisch fragwürdige Charaktere zu verlieben, und hat eine ungewöhnlich starke Verbindung zu ihren beiden Schwestern. Diese Liebe ist in ihren Debütroman All the Devils eingeflossen.



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