E-Book, Deutsch, 376 Seiten
Adler Rabenaas
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-95991-195-5
Verlag: Drachenmond Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wie man die Schatten fängt
E-Book, Deutsch, 376 Seiten
ISBN: 978-3-95991-195-5
Verlag: Drachenmond Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Hallo! Nun, was sagt man in solchen Texten schon über sich? Lass mich nachdenken. Ich bin Sarah, Jahrgang 1994, und habe das beklemmende Gefühl, dass es für eine halbwegs aufschlussreiche Autoreninfo entweder viel zu viel oder viel zu wenig zu sagen gibt. Die wesentlichen Punkte lauten, denke ich, folgendermaßen: Ich interessiere mich brennend für alles Alte und irgendwie Gammlige (vermutlich eine der Hauptvoraussetzungen für Archäologiestudenten), verbringe den Großteil meiner Freizeit mit meiner Tastatur und wollte Autorin werden, seit... nun, seit ich meine ersten Geschichten verfasste, in denen es meistens um Kaninchen und magische Eichhörnchen ging. Wohlwollend könnte man sagen, dass ich mich seither zumindest ein wenig verbessert habe. Das geschriebene Wort war mir (auch, wenn es momentan womöglich nicht den Anschein hat) schon immer das Liebste. Ich verschlinge alles, das mit Buchstaben geschmückt ist, lese ab und zu zum Spaß im Wörterbuch und mache mir ständig Notizen, wenn mir merkwürdige Redewendungen auf- oder Ideen für meine Geschichten einfallen. Kurzum: Ich bin ein echter Junkie. Ein Leben ohne Schreiben ist für mich nicht möglich... und anders möchte ich es auch gar nicht haben.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1 - Fionagh
Selbst in der Küche hingen Mirembes Worte immer noch hartnäckig in der Luft. Die Finger knöcheltief im Essiggurkenglas vergraben, richtete Fionagh den Blick auf die Gebäude von Avanis, die sich wie endlose, bunt schillernde Schneckenhäuser gen Himmel schraubten, und dachte darüber nach, wie ihr die Hexe zum ersten Mal begegnet war.
Es war lange her.
Nach dem Essen trug Brutus, der Firmenzentaur, drei benutzte Teller zurück in die Küche und stapelte sie fein säuberlich in der Spüle auf. Sein langes braunes Haupthaar fiel ihm glänzend über die nackten Schultern, und als er den Abwasch machte, spielten die Muskeln unter seiner bronzefarbenen Haut wie aneinandergebundene kleine Fässer. Außerdem summte er ein Lied aus der Werbung, in dem es um krankhafte Verstopfung ging. Leider kam es auf Dauer recht kostspielig, einen tonnenschweren Pferdemenschen mit dem Appetit eines Mähdreschers und dem verwöhnten Gaumen einer Hauskatze durchzufüttern, aber ein hauseigener Zentaur machte durchaus etwas her. Sein beeindruckendes Aussehen (dunkle, stechende Augen, bloßer Oberkörper und ein Gürtel mit gefühlt mehr Dolchen und Krummsäbeln, als jemals geschmiedet worden waren) wurde nur geringfügig von der Tatsache geschmälert, dass Fionagh ihn innerhalb der Detektei dazu zwang, handgestrickte Wollschoner über den Hufen zu tragen. Das Parkett hatte sie erst vor drei Jahren neu legen lassen und Hufeisenabdrücke waren sehr undekorativ. Dafür eignete Brutus sich aber für viele unheimlich nützliche Dinge: Er verscheuchte lästige Kunden, kannte sich bestens mit Buchhaltung aus und man musste sich nie ein Taxi nehmen, wenn man mit ihm unterwegs war. Allerdings behauptete er hartnäckig, dass ihm von Straßenarbeit übel wurde. Wozu er all die Waffen mit sich herumtrug, konnte Fionagh beim besten Willen nicht sagen, da er sowieso von morgens bis abends nur im Büro versauerte … aber einmal hatte sie ihn dabei erwischt, wie er einen frisch geschliffenen Säbel als Brieföffner benutzt hatte. Na ja, irgendwer musste sich ja um die vielen Rechnungen kümmern. Warum nicht ein furchtloser Steppenkrieger, dem beim Anblick von Blut und blauen Flecken schwarz vor Augen wurde? Fionagh sah ihm dabei zu, wie er die Teller einschäumte, rieb ihre schmerzenden Schläfen und versuchte sich in einem plötzlichen Anflug von Hoffnung wieder auf den Papierkram zu konzentrieren. Aber es half nichts. Der Tag verging wie zäher, heißer Teer, der eine flimmernde Straße entlangkroch. Wie immer gab es viel zu viel zu tun, wobei eine launische Spielerei der Realität es irgendwie schaffte, dass es zugleich viel zu wenig zu tun gab. Bis zu dem exakten Moment, in dem das ganze Schlamassel endlich seinen Anfang nahm, denn diesem Moment begann die Geschichte, wie so viele Geschichten vor ihr.
Es war kurz vor Einbruch der Dunkelheit, als der Besucher in die Detektei kam. Fionagh und Mirembe steckten bis zum Haaransatz in Personalakten, die es schon vor Tagen zu bearbeiten gegolten hätte. Draußen vor dem Fenster ging langsam, mit der Besinnlichkeit einer alten Dame auf einem Zebrastreifen, die kleine Sonne unter, und die große folgte ihr wenige Minuten später nach. Der Himmel überzog sich mit jenem lilafarbenen Schleier, welcher der Nacht vorauseilte. Einige der zahmen Sumpflichter, die im Miniaturmoor in der Badewanne hausten, flackerten grünlich leuchtend ein paar Handbreit über dem Schreibtisch auf. Was auch immer hinter dem leeren Bilderrahmen neben der Tür lebte, fing an, ein kehliges Klicken und Schnurren von sich zu geben. Die kompliziert verknoteten Tentakel der Hausschlingpflanze wanden sich schläfrig an der Decke entlang. Tom, der Haushaltstroll, schlurfte lustlos grummelnd in der Küche herum und riss sich ihre Eierbecher unter den Nagel. Brutus hatte sich bereits vor einer halben Stunde (elegant über den Fußboden schlitternd und seine Hufschoner verlierend) verabschiedet und ihnen eine kleine, freundliche Notiz am Kühlschrank hinterlassen, dass sie schon wieder mit der Miete im Rückstand waren und er, ungeachtet der roten Zahlen, so langsam dringend eine Gehaltserhöhung verdient hätte. Allmähnlich wurden Fionaghs Augenlider schwer, das anstrengende Singen ihrer Nerven flaute unmerklich ab …
… Die Tür schwang auf und schlug mit einem lauten Krachen gegen die Wand. Die Sumpflichter zischten wie undichte Luftballons ziellos durch das Zimmer und vergingen mit einem leisen Puffen. Der Raum versank in Dunkelheit. Erst als Fionaghs Augen sich an die Schatten gewöhnt hatten, bemerkte sie, dass der Bleistift in ihrer Hand vor Schreck zu Staub zerfallen war.
Und dann fiel ihr Blick auf den Fremden, der reglos in der Tür stand. Seine Silhouette wurde dramatisch vom golden blinkenden Licht des Notausgangs auf der anderen Seite des Korridors umspielt. Nach einem Moment des Zögerns steckte er einen klobigen Gegenstand unter seine Weste, der verdächtig nach einer gewaltigen Pistole aussah. Und dann, als er sich vollkommen sicher war, dass sie angemessen beeindruckt dreinschauten, trat er ins Zimmer.
»Starker Auftritt«, kommentierte Mirembe hoheitsvoll, während Fionagh mit zittriger Hand den Papierstapel auflas, den sie vom Tisch gefegt hatte. Der Fremde schien der Detektei nicht zu trauen. Er stopfte sich die Hände in die Hosentaschen und warf eine Handvoll skeptischer Blicke auf seine Umgebung, als sei sie solcherlei Almosen gar nicht wert?– die abblätternden Wände, die die Bezeichnung »eierschalenfarben« nicht wirklich verdienten, die paar strategisch über Wasser- und Plasmaflecken platzierten Bilder an der Wand, die knautschigen Sitzsäcke, aus denen die Füllung quoll, weil in ihrem Inneren seit Generationen eine Horde Mühlmäuse hauste, das Aquarium mit den vegetarischen Egelschnecken und letztendlich die Vorhänge, die sich ganz von allein zu bewegen schienen und ein zorniges Wispern von sich gaben. Fionagh knipste die Leselampe auf dem Tisch an und wünschte sich sofort, sie hätte es nicht getan. Im plötzlichen Licht warf das Chaos hässliche Schatten, die leider nur hervorhoben anstatt zu kaschieren. An manchen Tagen war sogar ihre eigene Lampe gegen sie! Dem Gesicht des Besuchers hingegen schmeichelte das Licht: fransiges blondes Haar, spöttische Augen, obligatorische Hakennase, und als er grinste, blitzte ein Goldzahn auf. In Fionaghs Magen krampfte sich so einiges zusammen, von dem sie an guten Tagen gar nicht wusste, dass es existierte – der Mann gab sich äußerste Mühe, verwegen und draufgängerisch auszusehen. Und er hielt sich für etwas Besseres. Nichts davon konnte etwas Gutes bedeuten.
»Setzen Sie sich doch«, lud sie ihn mit einer eisklirrenden Stimme ein, die hoffentlich klarmachte, dass es ein ausgesprochen gefährlicher Zeitpunkt war, ihre Detektei zu kritisieren. Der Fremde hatte Talent. Er sah sich genau eine weitere Millisekunde zu lang um, bevor er lederknirschend nähertrat und sich lässig in den Korbsessel vor dem Schreibtisch sinken ließ. In einem Anflug von Gehässigkeit hoffte Fionagh, dass es der mit dem abstehenden Ästchen war, das einem beim Hinsetzen in den Hintern pikte.
»Danke«, erwiderte er mit genau dem richtigen Fünkchen Sarkasmus in der Stimme. Seine Worte klangen nach Rauch. »Ich hoffe, ich störe nicht – so spätabends.«
Eine kleine Anmerkung: Später würde Fionagh aufgehen, dass das ganze Schlamassel in genau dem Moment seinen Lauf genommen hatte, in dem sie ihm erlaubte zu sprechen. Sie hätte ihn gleich wieder rausschmeißen müssen. Stattdessen lehnte sie sich vor, verfing sich im Klang seiner...




