Adloff | Philanthropisches Handeln | Buch | 978-3-593-39265-3 | sack.de

Buch, Deutsch, 474 Seiten, Format (B × H): 141 mm x 219 mm, Gewicht: 632 g

Adloff

Philanthropisches Handeln

Eine historische Soziologie des Stiftens in Deutschland und den USA

Buch, Deutsch, 474 Seiten, Format (B × H): 141 mm x 219 mm, Gewicht: 632 g

ISBN: 978-3-593-39265-3
Verlag: Campus Verlag GmbH


Die Zahl der Stiftungen in Deutschland steigt seit Jahren kontinuierlich an, ist im Vergleich zu den USA aber immer noch gering. Doch welche Rolle genau spielen Stiftungen in der modernen Gesellschaft? Frank Adloff vergleicht die Stiftungswesen in Deutschland und den USA aus einer historisch-soziologischen Perspektive von etwa 1800 bis zur Gegenwart. Er fragt nach der sozialen Bedeutung von Stiftungen und untersucht, welche sozialen Eliten dieses Instrumentarium für welche Zwecke nutzen, wie sich das Stiften vom Spenden unterscheidet, was die Bedingungen für Stiftungsbooms sind und was Stiftungen eigentlich leisten können.
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Inhalt

Vorbemerkung

Einleitung

Teil I: Theoretische Sondierungen

1. Erklärungsansätze für philanthropisches Handeln: Rational Choice vs. Altruismus?

2. Zur Theorie der Gabe
2.1 Gabe und Reziprozität bei Marcel Mauss
2.2 Reziprozität in der Sozialtheorie: Nicht-individualistische und utilitaristische Fortentwicklungen
2.3 Die Gabe jenseits von Interesse und Norm

3. Ein interaktionistisches Mikromodell philanthropischen Handelns

4. Gabe und Institution
4.1 Zur Theorie der Institution
4.2 Institutionalisiertes Geben oder das Charisma der Stiftung

Teil II: Gegenwartsbezogene empirische Sondierungen

5. Philanthropie in den USA und Deutschland: Ein Überblick
5.1 Zivilgesellschaft und Nonprofit-Sektor
5.2 Empirische Befunde zur Soziologie des Spendens
5.2.1 Spenden und Spendenverhalten in den USA
5.2.2 Spenden und Spendenverhalten in Deutschland
5.3 Die Rationalisierung des Fundraisings
5.4 Stiftungen in den USA
5.5 Stiftungen in Deutschland
5.6 Europäische Stiftungssektoren im Vergleich

6. Gemeinwohl und Gemeinnützigkeit

7. Stiftung, Vermögen und Erbschaft

Zwischenfazit

Teil III: Stiftungen in Deutschland und den USA: Historisch-soziologische Zugriffe

8. Forschungsdesign: Ein historisch-soziologischer und komparativer Ansatz
8.1 Die Methodik des historisch-soziologischen Vergleichs
8.2 Gesellschaftsvergleich und amerikanischer Exzeptionalismus

9. Stiftungen in der Vormoderne
9.1 Antike europäische Wurzeln des Stiftungswesens
9.2 Transformationen des Stiftungswesens: Vom Mittelalter bis zur Reformation und zum Charity Law

10. Philanthropie in den USA und Deutschland im 19. bis zum frühen 20. Jahrhundert
10.1 Charity und Religion in den Vereinigten Staaten des 19. Jahrhunderts

Exkurs: Die frühe Philanthropie als social control?

10.2 Staat und Stiftungen in Deutschland im 19. Jahrhundert
10.3 Die Erfindung der amerikanischen philanthropic foundation im frühen 20. Jahrhundert
10.4 Stiftungsboom in Deutschland um 1900

Exkurs: Transatlantische Ähnlichkeiten und Verbindungen

11. Stiftungen im 20. Jahrhundert
11.1 Amerikanische Stiftungen und die New Deal coalition der 1930er bis 1970er Jahre
11.2 Studien amerikanischer Philanthropie oder: Wer sind die Stifter?
11.3 Die Auflösung des liberalen Konsens: Stiftungen in den USA seit den 1970er Jahren

Exkurs: Interorganisatorische Reziprozität 338

11.4 Philanthropie in Deutschland nach 1945: Eine Annäherung
11.5 Stiftungen in Deutschland und ihre Einbettung in Staat und Gesellschaft
11.5.1 Die Zweiteilung des deutschen Stiftungssektors
11.5.2 Stiftungen als Instrumente der Grenzüberbrückung
11.5.3 Zur Gegenwart und Zukunft deutscher Stiftungen

Schluss
Literatur
Anhang


Es stellt sich nun die Frage, wie das theoretische und normative Konzept der Zivilgesellschaft empirisch operationalisiert werden kann. Dabei stößt man unweigerlich auf einen weiteren Forschungsstrang: In den amerikanischen Sozialwissenschaften wurde vor einigen Jahrzehnten erstmalig davon gesprochen, dass es in der modernen Gesellschaft ein drittes Prinzip der Vergesellschaftung und Ressourcenbereitstellung neben dem des Staats und des Markts gibt. Wenige Jahre nachdem er eine Theorie einer "aktiven Gesellschaft" entworfen hatte, brachte Amitai Etzioni den Begriff "Dritter Sektor" in die Sozialwissenschaften ein (Etzioni 1975, 1972). Dieser Sektor stellt für ihn neben Markt und Staat einen eigenen unabhängigen gesellschaftlichen Bereich dar, der die Vorteile von Wirtschaftsunternehmen und staatlicher Koordination miteinander vereinige. Als Beispiele für solche Organisationen führt er das Rote Kreuz oder Nonprofit-Organisationen wie die Ford Foundation an. Etzioni entwickelte diesen Forschungsansatz selbst nicht weiter, aber andere Sozialwissenschaftler griffen diese Perspektive auf, und seitdem etablierte sich allmählich eine Forschung zum Dritten beziehungsweise Nonprofit-Sektor in den amerikanischen Sozialwissenschaften: in der Geschichtswissenschaft, Soziologie, der Politikwissenschaft und der Wirtschaftswissenschaft. Es dauerte jedoch einige Jahre bis sich ein kohärentes und einigermaßen unverzerrtes Bild des amerikanischen Nonprofit-Sektors herausschälte. Mittlerweile wird dieser Sektor häufig als der gesellschaftliche Bereich definiert, in dem sich zivilgesellschaftliche Akteure tummeln - eine Vielzahl der den Nonprofit-Sektor konstituierenden Organisationen, so wird behauptet, korrespondieren mit der Idee der Zivilgesellschaft (vgl. Zimmer 2003).

Zunächst unterstellte die in den USA beginnende Forschung, dass der Nonprofit-Sektor ein amerikanisches Phänomen sei. Die spezielle zivilgesellschaftliche, amerikanische Tradition mit ihrer Betonung der Selbstverwaltung und Staatsferne wurde als zentraler Faktor zur Herausbildung eines solchen Sektors gedeutet. Bis in die 1980er Jahre bemerkte man kaum, dass man den Nonprofit-Sektor in allen modernen Gesellschaften vorfinden kann - zwar in verschiedenen Ausprägungen und Umfängen, aber durchaus deutlich sichtbar. Damit hing eine zweite Fehleinschätzung zusammen: Eine weit verbreitete Vorstellung in der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion war - und ist es teilweise immer noch -, dass der Sektor am besten in Unabhängigkeit vom Staat gedeiht und die Expansion wohlfahrtspolitischer Programme in den USA während der 1930er und der 1960er Jahre die Nonprofit-Organisationen ersetzt beziehungsweise ihren Niedergang herbeigeführt habe (Salamon 1995). Man stellte sich das Ganze als ein Nullsummenspiel vor: Je weniger Staat, umso mehr Nonprofit-Organisationen und umgekehrt. Das Gegenteil ist jedoch richtig: Der Nonprofit-Sektor hat eine zunehmende Bedeutung innerhalb des amerikanischen Wohlfahrtsstaats gewonnen, weil der Staat Nonprofit-Organisationen damit beauftragte, öffentlich finanzierte Dienstleistungen anzubieten. Dadurch entstand ein weit verzweigtes Netzwerk kooperativer Arrangements zwischen Staat und Nonprofit-Organisationen. Diesen Verschränkungen geht die sozialwissenschaftliche Forschung erst seit Ende der 1980er Jahre intensiver nach, vorangetrieben vom Johns Hopkins Comparative Nonprofit Sector Project unter der Leitung von Lester M. Salamon und Helmut K. Anheier (vgl. Salamon 1992).

Die neu etablierte Forschung konnte zeigen, dass der Nonprofit- oder Dritte Sektor sich aus einer Vielzahl verschiedener Nonprofit-Organisationen zusammensetzt, die in den USA üblicherweise definiert werden als "independent, self-governing corporations that employ people to provide certain health care, educational, social, cultural, religious, and advocacy purposes and that do not distribute profits to investors" (Hammack 2000: 3).

Zu einem bedeutenden Faktor in der amerikanischen Gesellschaft wurden Religionsgemeinschaften und andere Nonprofit-Organisationen im Verlauf des 19. Jahrhunderts. Um die Jahrhundertwende waren religiöse Institutionen und Privatschulen die größten Nonprofit-Arbeitgeber. Zwischen 1900 und 1960 erreichten die Beschäftigten im Nonprofit-Sektor einen Anteil von ca. 3,7 Prozent an der Gesamtbeschäftigung, im Jahr 2000 lag der Anteil bereits bei knapp unter 10 Prozent (Hammack 2000: 7). Dem Historiker David C. Hammack zufolge ist die Expansion des Sektors seit den 1960ern vor allem auf den gestiegenen Wohlstand der Amerikaner und die Sozialprogramme der Great Society zurückzuführen. Während das Spendenvolumen seit 1960 nur unwesentlich schwankte (zwischen 1,75 und 2 Prozent des Bruttoinlandprodukts), vervierfachte sich die Nachfrage nach Dienstleistungen in den Jahren 1945 bis 1990 (ebd.: 7). Die Sozialprogramme der 1960er Jahre (etwa Medicare und Medicaid im Gesundheitsbereich) weiteten die öffentliche Finanzierung des Nonprofit-Sektors über die direkte Finanzierung von Nonprofit-Organisationen durch bundesstaatliche Mittel aus. Seit den frühen 1980er Jahren beziehen Nonprofit-Organisationen rund ein Drittel ihrer Einnahmen aus staatlichen Mitteln (ebd.: 8), die sozialen Dienstleister unter den Nonprofit-Organisationen sogar rund 50 Prozent ihrer Einnahmen (Lipsky/Smith 1990: 625). Beispielsweise waren nur 25 Prozent der Krankenhäuser vor dem Zweiten Weltkrieg Nonprofit-Organisationen, die restlichen waren entweder staatlich oder als Forprofit-Organisationen organisiert. Erst einige politische Maßnahmen der 1950er Jahre (wie bestimmte Subventionen für NPOs) ließen den Anteil der NPO-Krankenhäuser auf etwa zwei Drittel im Jahr 1960 ansteigen (Hall 2003: 364f.).


Adloff, Frank
Frank Adloff ist Professor für Soziologie, insbesondere Dynamiken und Regulierung von Wirtschaft und Gesellschaft, an der Universität Hamburg.

Frank Adloff ist Professor für Allgemeine und Kultursoziologie an der Universität Erlangen.


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