Beck / Heibert Und Gad ging zu David
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-86034-501-6
Verlag: Edition diá Bln
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Die Erinnerungen des Gad Beck. 1923 bis 1945
E-Book, Deutsch, 208 Seiten
ISBN: 978-3-86034-501-6
Verlag: Edition diá Bln
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Gad Beck wurde 1913 als Sohn einer christlich-jüdischen Familie in Berlin geboren. Er war von 1977 bis 1988 Leiter der Jüdischen Volkshochschule in Berlin und arbeitete eng mit Heinz Galinski zusammen. Gad Beck starb 2012 in Berlin.
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Vorspiel
"So, das war's!" Mit diesen Worten begann mein Leben.
Meine Schwester Margot lag strampelnd auf dem Tisch, krähte und freute sich ihres Daseins. Dr. Neumann wischte sich den Schweiß des dumpfen Spätjuninachmittags ab, packte sein Besteck zusammen und verabschiedete sich.
Und "das" wäre es beinahe schon gewesen. Meine Mutter war vollkommen erledigt, und die Hebamme wartete auf die Nachgeburt, um den Vorgang ordnungsgemäß abzuschließen. Da kam aber nichts. Meine Mutter begann allmählich zu fiebern. Die Hebamme verstand etwas von ihrem Geschäft. "Da steckt noch wat", stellte sie trocken fest und schickte das Dienstmädchen los, um den Arzt zurückzuholen. Der kam auch gleich, packte hinein und stimmte zu: "Oje, da ist ja noch einer drin."
Er holte mich heraus und warf mich auf den Tisch: ein Junge, aber ein "blaues Baby". Ich gab keinen Ton von mir, das sah nicht gut aus. Neumann fing gleich an, meinen Vater zu trösten: "Ihr habt doch eine wunderbare, gesunde Tochter ..."
Aber die Hebamme sorgte mit ein paar fachgerechten Schlägen auf den Allerwertesten dafür, dass auch ich zu atmen und zu schreien begann. Ich glaube übrigens fest daran, dass meine Lebensfreude und mein Optimismus auf diese "Gnade der Nachgeburt" zurückgehen.
Meine Mutter sah in den Umständen meiner Geburt ebenfalls erste schicksalhafte Weichenstellungen. Meine beiden liebsten Laster waren, keine Frage, seit jenem 30. Juni 1923 in mir angelegt: "Der war ja schon als Baby blau", kommentierte sie, die ihren Humor erst in den fünfziger Jahren in Israel richtig entwickeln konnte, als ich es mir - oft recht beschwingt - im Gelobten Land gut gehen ließ; und dass die Hebamme mich beherzt ins Leben hineingeklopft hatte, betrachtete sie als frühe Sensibilisierung eines später in besonderer Weise empfindsamen Körperteils.
Eine andere frühkindliche Erfahrung hatte dagegen die Wirkung einer Aversionstherapie. Margot und ich lagen als Säuglinge im Zwillingskinderwagen einander gegenüber: Sie hatte den Kopf draußen, wo die laue Sommerluft wehte und sie die Welt betrachten konnte, ich hingegen, als der Zartere, war wohlbehütet und abgeschirmt unter das wesentlich langweiligere Verdeck des Wägelchens platziert worden. So kutschierte man uns durchs Berliner Scheunenviertel, wo die Familie lebte. Nun ist ein Kinderwagen etwas besonders Anziehendes für Mütter jeden Alters, und die jüdischen Mammes im Scheunenviertel machten da keine Ausnahme. So auch eine besonders monumentale Dame namens Strasberg, die sich ständig unter Ausrufen wie "Och, wie süüß!" über mich beugte; dabei schoben sich zwei riesige Brüste in mein Blickfeld, verdunkelten den Himmel, raubten mir das Tageslicht, die Luft zum Atmen, die Welt - kein Wunder, dass ich zeit meines Lebens keinerlei Lust auf weibliche Brüste verspürte.
Mehr Erklärungen habe ich nie dafür gebraucht, dass mir Jungs besser gefallen als Mädchen. Und meine Familie auch nicht. Schließlich war unser Leben, gerade in der Zeit meiner Jugend, voll von anderen, von wirklichen Problemen. Und die meisterten wir, zusammen.




