E-Book, Deutsch, 224 Seiten, Format (B × H): 115 mm x 187 mm
Reihe: Politisches Fachbuch
Benz Alltagsrassismus
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7344-0992-9
Verlag: Wochenschau Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Feindschaft gegen „Fremde“ und „Andere“
E-Book, Deutsch, 224 Seiten, Format (B × H): 115 mm x 187 mm
Reihe: Politisches Fachbuch
ISBN: 978-3-7344-0992-9
Verlag: Wochenschau Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Prof. Dr. Wolfgang Benz, Historiker, war bis 2011 Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin. Er hatte Gastprofessuren u.a. in Australien, Bolivien, Nordirland, Österreich und Mexiko inne und hat zahlreiche Publikationen zur deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert, zum Nationalsozialismus, zu Antisemitismus und Ressentiments vorgelegt. Veröffentlichungen: Geschichte des Dritten Reiches (2000); Was ist Antisemitismus (2004); (Hrsg.) Handbuch des Antisemitismus, 8 Bände (2008-2015), Deutsche Juden im 20. Jahrhundert. Eine Geschichte in Porträts (2011); Wie es zu Deutschlands Teilung kam: Vom Zusammenbruch zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1945-1949 (2018); zuletzt: Gewalt im November 1938. Die 'Reichskristallnacht' - Initial zum Holocaust (2018).
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
I. Ressentiments und Methoden der Ausgrenzung
Vorurteile und Feindbilder
Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit
Rechtsextremismus als Gesinnung
Populismus: Techniken der Verhetzung
Integration statt Ausgrenzung
II. Historische Dimensionen des Rassismus
Das Erbe des Kolonialismus
Die Rassenlehre des Nationalsozialismus
Nationalsozialistische „Volkstumspolitik“
Flucht aus Nazideutschland
„Bevölkerungstransfer“: Vertreibung als Folge des Zweiten Weltkriegs
III. Rassismus als Ideologie
Rasse und Rassismus
Was ist Kulturrassismus?
Islamfeindschaft
Antiziganismus: Vorbehalte gegen „Zigeuner“
Antisemitismus: Ressentiment gegen „Rasse“, Kultur und Religion der Juden
Antizionismus: Hass gegen Israel
IV. Theorie und Praxis des Rassismus: Begriffe und Postulate
Abendland
Apartheid
Arier
Asyl
Ethnie und Ethnische Säuberung
Ethnopluralismus
Fremdenfeindschaft
Heimat
Leitkultur
Nation
„Recht des Stärkeren“
Sozialdarwinismus
Völkermord
Volkstum und völkische Ideologie
V. Rassistische Propaganda: Parolen und Phrasen
Ausländerkriminalität
„Ausländer raus!“
Asyltourismus
„Deutschland schafft sich ab“
Lügenpresse
„Stolz, deutsch zu sein“
Überfremdung
Volksverräter
Biodeutsche
Gutmenschentum
Political Correctness
VI. Gruppen und deren Abwertung
Afro-Deutsche
Hereros
Jenische
„Juden“
„Kopftuchmädchen“
Muslime
„Neger“
Sinti und Roma
„Zigeuner“
Islam
Islamismus
VII. Akteure und Aktionsfelder des Rassismus
Rechtsextreme Organisationen
Pegida
Alternative für Deutschland (AfD)
„Die Rechte“
„Der III. Weg“
Die Neue Rechte
Identitäre
Soziale Medien
Rassismus im Fußballstadion
VIII. Strukturen und Formen rassistischer Gewalt
Applaus für Fremdenfeinde: Hoyerswerda 1991
Vom Bürgerzorn zum Pogrom: Rostock-Lichtenhagen 1992
Ein zerstörtes Asylbewerberheim: Dolgenbrodt 1992
Brandstiftung und Mord: Mölln 1992
Mord aus Rassenhass: Solingen 1993
Hetzjagd auf Ausländer: Mügeln 2007
Rechtsradikale machen Druck: Tröglitz 2015
Rückzug der Demokraten: Freital 2015
Angriff auf den Rechtsstaat: Heidenau 2015
Soziale Spannungen zwischen Einheimischen und Asylsuchenden: Cottbus 2017
Fremdenfeinde im Schulterschluss: Chemnitz 2018
Staatsversagen und gesellschaftliche Katastrophe: Der „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU)
II. Historische Dimensionen des Rassismus
Das Erbe des Kolonialismus
Die historische Herrschafts- und Wirtschaftsform des Kolonialismus, die mit der Entdeckung und Eroberung des Kontinents Amerika durch Spanien und Portugal zu Beginn der Neuzeit entstand und im 19. Jahrhundert als imperialistische Ausbeutung Afrikas und Asiens durch die europäischen Staaten Großbritannien und Frankreich, Belgien, Niederlande, Italien und zuletzt Deutschland den Höhepunkt erreichte, war zutiefst von der Ideologie des Rassismus geprägt. Kolonialismus gründete sich auf das Bewusstsein der „rassischen“ Überlegenheit der Europäer als „Weiße“. Sie fühlten sich als Herrenmenschen, die das Recht beanspruchten, Menschen angeblich minderen Wertes zu beherrschen, ihrer Ressourcen zu berauben und bei Verstößen gegen die auferlegten Regeln und Strukturen nach Belieben zu bestrafen. Gerechtfertigt und dargestellt wurde die koloniale politische Praxis als Mission der Zivilisierung und der Kulturvermittlung. Der angebliche Zivilisierungsauftrag schloss körperliche Gewalt („väterliche Züchtigung“ bei Vergehen gegen die von der Kolonialherrschaft verfügte Ordnung) und Brechung von Widerstand bis zum Völkermord (an den Hereros in Südwestafrika 1904, im Maji-Maji-Aufstand in Ostafrika 1905/06) ein, um nur zwei Beispiele aus der deutschen Kolonialgeschichte zu nennen.
Die Ideale der Aufklärung, Freiheit und Gleichheit aller Menschen, verwirklicht in der Französischen Revolution und im Unabhängigkeitskrieg der Vereinigten Staaten von Amerika, galten für Europäer bzw. Weiße europäischer Abstammung, nicht für die aus Afrika verschleppten Sklaven auf den Plantagen der Gründungsväter der USA, nicht für die autochthone Bevölkerung in den Kolonien der europäischen Nationalstaaten in Afrika, Asien oder Lateinamerika. Diesen war die demütige Hinnahme der Dominanz europäischer Händler, Missionare und Kolonialbeamten als gottgewolltes Schicksal zugedacht. Die Zerstörung indigener, politischer und sozialer Strukturen, von eigener Tradition und Kultur galt als Voraussetzung eines notwendigen Kulturtransfers. Die Ausbeutung der Ressourcen der „unterentwickelten“ Regionen der Erde wurde als gerechtfertigt durch die überlegenere weiße „Rasse“ verstanden und die Kolonialisierung als Hilfe zur Entwicklung stilisiert. „Rasse“ wurde von den europäischen Eroberern durch körperliche Merkmale definiert und durch anthropologische Vermessung, durch Körperabformungen, durch Bestimmung der Augenfarbe usw. „wissenschaftlich“ fixiert. Das diente der Legitimierung der Herrschaftspraxis. Der Völkerkunde und dem Kolonialgedanken gewidmete Museen bewiesen mit ihren Exponaten die „rassische“ und kulturelle Unterlegenheit der „Wilden“. Um 1900 erfreuten sich „Völkerschauen“, wie sie der Hamburger Zoodirektor Hagenbeck präsentierte (und seinem Vorbild folgten andere Unternehmer) großer Beliebtheit. Menschen wurden in ihrer exotischen Andersartigkeit zur Schau gestellt, um die Überlegenheitsgefühle der europäischen Betrachter zu bestätigen.
Carl Peters und Adolf Lüderitz, die deutschen Kaufleute, die als Vortrupp der Kolonisation in Afrika mit Eingeborenen Handel trieben und ihnen zu dubiosen Bedingungen Land abkauften, das später als deutsches Staatsgebiet deklariert wurde, werden immer noch als Entdecker und Pioniere gefeiert, weil sie den Anfang des deutschen Kolonialismus in Afrika verkörpern. Die Verbrechen an den Völkern der Herero und Nama in Südwestafrika sind ungesühnt. Für die Landnahme gab es keine Entschädigung. Ein Bewusstsein für das Unrecht und seine Folgen steht, einhundert Jahre nach dem Ende der deutschen Kolonialherrschaft, erst in den Anfängen.
Als Postkolonialismus wird das Fortwirken der ökonomischen und politischen Dominanz der ehemaligen Kolonialherrschaften bezeichnet. Die Debatte über Restitutionsleistungen und den Umgang mit der jeweiligen Kolonialgeschichte kam erst lange nach dem formalen Ende der Abhängigkeit und den afrikanischen Staatsgründungen seit den 1960er Jahren in Gang. Auf der politischen Agenda stehen drei Komplexe aus dem Erbe des Kolonialismus. Erstens die offizielle Bitte der deutschen Regierung an die Adresse der Regierung Namibias um Vergebung für den Völkermord an den Herero und Nama. Zweitens der Umgang mit Kunstschätzen und anderen Kulturzeugnissen, die zur Kolonialzeit geraubt und in die Museen Europas verschleppt wurden. Drittens die Entwicklung von solidarischen Umgangsformen und daraus resultierenden seriösen Antworten auf die ökonomischen, sozialen und politischen Probleme des Kontinents Afrika: Armut und Fluchtbewegungen, zu der die Ausbeutung zur Kolonialzeit den Grund gelegt hat. In Sachen Entschuldigung für den Völkermord – d.h. Anerkennung kolonialer Verbrechen – taktiert die Bundesregierung seit Jahr und Tag. Spät bat im Sommer 2018 der Berliner Justizsenator für die genozidalen Grausamkeiten deutscher Truppen in den Jahren 1904 – 1908 in „Deutsch-Südwestafrika“ Vertreter aus Namibia um Vergebung. Ein Jahr zuvor hatte das schon der Hamburger Kultursenator getan, ihnen folgte die Staatsministerin im Auswärtigen Amt Michelle Müntefering. Es waren stets Gelegenheitsanlässe, nicht die große Zeremonie. Die Bundesregierung verhandelt seit Jahren hinter verschlossenen Türen, auf Wunsch der namibischen Regierung ohne die wichtigsten Opferverbände. Dafür gibt es einen Afrikabeauftragten der Bundesregierung. Dieser, ein prominenter Bürgerrechtler der DDR, zog im Herbst 2018 Kritik auf sich, als er in einem Zeitungsinterview Ahnungslosigkeit angesichts des kolonialen Erbes erkennen ließ und sich Parolen der einstigen Kolonialpropaganda („Zivilisationsmission“) zu eigen machte. Ansätze zur entschiedenen politischen Reaktion auf die historischen Folgen des kolonialen Rassismus, die den Regierungen und Gesellschaften Afrikas wirksame Hilfe leisten würde, sind noch nicht zu erkennen.
Über den Umgang mit Kulturgut kolonialer Herkunft ist eine Debatte in Gang gekommen, die durch die Neueröffnung des Afrika-Museums im belgischen Tervuren, einem Ort an der Peripherie Brüssels, einen wichtigen Impuls empfing. Das Museum wurde 1898 von König Leopold gestiftet als Werbemaßnahme zur Kolonisierung des Kongos, der Privatbesitz des Königs war. Durch die Renovierung sollte das Museum ein Ort der Auseinandersetzung über den Kolonialismus werden. Das ist jedoch kaum in Ansätzen gelungen. Nicht nur der Denkmalschutz des Gebäudes ist daran schuld, dass die koloniale Sichtweise nicht recht überwunden wurde. Mit der belgischen Retrospektive korrespondiert das Zögern deutscher Kultureinrichtungen hinsichtlich der Rückgabe des Kunstraubes. Zwar gibt es seit kurzem den Entwurf eines offiziösen „Leitfadens des Deutschen Museumsbundes“, wie mit kolonialen Sammlungen in deutschen Museen zu verfahren sei. Aber für das Humboldt-Forum im rekonstruierten Berliner Schloss gab es kurz vor der Eröffnung noch keine Anzeichen für ein Umdenken. Das riesige aus Afrika stammende Dinosaurierskelett im Berliner Naturkundemuseum ist eine weltweite Attraktion. Aber wem gehört sie wirklich? Wie geht man mit Ritualobjekten um, die in europäischen Museen profaniert und ausgestellt sind?
Besonders sensibel sind menschliche Überreste, die aus Kolonialraub stammen. In feierlichem Ritual der Diplomatie wurden 2011 einige Schädel an die Regierung von Namibia zurückgegeben. Sie waren zu rassistischen Forschungen vor einem Jahrhundert aus Südwestafrika nach Deutschland gebracht worden. NGO-Vertreter hatten den Akt der Rückgabe durch die Forderung nach einer Entschuldigung für die Kolonialverbrechen gestört. Damit sich das nicht wiederholen sollte wurden im Sommer 2018 Aktivisten gar nicht eingeladen, als im französischen Dom in Berlin menschliche Überreste (Schädel, Knochen, Hautstücke), einer Delegation aus Namibia zurückgegeben wurden. Mit dem Rückzug auf interne Provenienzforschung schotten sich deutsche Museumsleute gegen Rückgabeforderungen ab und spielen auf Zeit, verweigern Transparenz und Konsequenz der Erwerbungsgeschichte ihrer Kunstwerke aus Übersee. Frankreichs Präsident Macron beauftragte dagegen zwei Experten, die Berliner Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy und den Wirtschaftswissenschaftler Felwine Sarr mit einem Gutachten über den Umgang mit geraubter Kunst aus den Kolonien. Sie kamen ohne Umschweif zum Schluss, Raubkunst müsse restituiert werden und zwar vollständig. Der Präsident begann unverzüglich mit der Umsetzung der Empfehlung.
Der deutsche Kolonialismus endete nicht im Ersten Weltkrieg. Das Problem hatte eine weitere Dimension: Dem Verlust der spät erworbenen Kolonien Deutsch-Südwest- und DeutschOstafrika (heute Namibia bzw. Tansania, Ruanda, Burundi, Kionga-Dreieck in Mosambik), Kamerun und Togo sowie dem Besitz in der Südsee trauerten nach dem...




