Burnside | What light there is | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 144 Seiten

Burnside What light there is

Über die Schönheit des Moments
aus dem Englischen von Bernhard Robben
ISBN: 978-3-7099-3929-1
Verlag: Haymon Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Über die Schönheit des Moments

E-Book, Deutsch, 144 Seiten

ISBN: 978-3-7099-3929-1
Verlag: Haymon Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



JOHN BURNSIDES HYMNE AUF DIE MAGIE DER VERGÄNGLICHKEIT: EINBLICK IN EINEN SCHARFEN GEIST UND EINE EMPFINDSAME SEELE.

John Burnside – ein virtuoser Verehrer des Flüchtigen
Für eine Sekunde nur ist er da, flackert auf, offenbart und entzieht sich uns wieder: der Augenblick. Er berührt uns in Form einer möglichen, aber nie geliebten Liebe, in der Anmut einer Schneeflocke, die sich sogleich auf unserer Haut in Wasser verwandelt, oder als kostbare Erinnerung gebannt in einer Fotografie. Betörend schön wirkt das Was-gewesen-Wäre auf uns, fesselt uns das Unwiederbringliche und verlockt uns das, was wir nicht festhalten können.

"Entscheidend war immer der Moment im Augenblick des Vergehens. Der Moment, der Moment, der Moment – auf nichts sonst kommt es an. Der Moment war vorbei, ehe irgendwer von uns ihn ergreifen konnte, und doch blieb er, während er uns zwischen den Fingern zerrann, lebendig, kaum noch da und zugleich unauslöschlich."

Ein betörend schönes Buch über die Faszination des Vergänglichen
John Burnside – Autor von Werken wie "In hellen Sommernächten" und "Lügen über meinen Vater" – war einer der bedeutendsten Schriftsteller der europäischen Gegenwartsliteratur. 2019 stand er mit "Über Liebe und Magie" an der Spitze der SPIEGEL Bestseller-Liste und der SWR-Bestenliste. In "What light there is" macht er uns die Magie der Vergänglichkeit begreifbar: Er lässt uns teilhaben an den intensiven Wahrnehmungen seiner Kindheit, führt uns in das Innenleben eines Antarktis-Forschers im Angesicht des Todes und sinniert über das Verschwinden der Stille in unserer rastlosen Zeit. In persönlichen Erinnerungen, Reflexionen und anmutig-sinnlicher Sprache macht uns der Lyriker und Romancier unserer eigenen Endlichkeit bewusst und lädt ein zum Innehalten und Staunen. Eine beglückende Verneigung vor dem Zauber des Moments im Augenblick seines Erlöschens.

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    Es ist ein windiger Tag, wie eine Banshee heult oben irgendwo ein schadhafter Lüfter, während die Patienten im Wartezimmer des Landarztes, ausnahmslos in verschiedenen Schattierungen von Dunkelbraun, Pestpink oder Pergamentfleckig gekleidet, schniefen und schnupfen und die Gardeners’ World durchblättern, dabei aber immer nur einen Blick auf die Bilder werfen und nie innehalten, um etwas zu lesen. Plötzlich wabern – ausgerechnet – die Anfangstöne von Metallicas Fade to Black aus der gegenüberliegenden Ecke herüber, und erst glaube ich, die Musik kommt über die Lautsprecher (fraglos das Neuste und technologisch Modernste im ganzen Gebäude), was einen Moment lang zu einiger Verwirrung führt, die in ihrem Ausmaß nur existentiell genannt werden kann, ein flüchtiger Blick ins schwarze Loch, das hinter jedem gewöhnlichen Mittwoch wie ein undeutlicher, kaum ausgeformter, letztlich aber erdrückender Dämon lauert. Endlich begreife ich, dass die Musik von einem Handy kommt: ein Klingelton, den sich – wie sich jetzt herausstellt – ein dunkelhaariges, etwa siebzehn Jahre altes Mädchen auf ihr Samsung S7 heruntergeladen hat, das sie nun hastig aus der Tasche fischt, um leicht beschämt den Anruf zu beantworten, während die übrigen Patienten im überheizten Wartezimmer so tun, als würden sie das Mädchen nicht für einen Fluch halten, der über ihren ansonsten so ereignislosen Nachmittag hereingebrochen ist. Ein flüchtiger Blick. Ein Augenblick. Coup d’oeil. Was wir nie recht wahrnehmen, bleibt; was wir nur flüchtig sehen, haftet in der Erinnerung; nicht als etwas, das wir verloren, sondern als etwas, das wir nie ganz besessen haben, wodurch es einen größeren Zauber entwickelt als alles, was zu behalten uns gestattet ist, jene Objekte inbegriffen, die durch ihren Verlust einen ganz eigenen Glamour gewannen. Die junge Frau, die ich eines Morgens auf dem Hof der Winchester Cathedral sah, damals, als ich in der Stadt wohnte: Ich ging zur Arbeit; sie war in einer Gruppe von Freunden, vielleicht auch Kollegen, und wie durch ein Wunder tauschten wir den Blick aus, ehe wir (widerstrebend, wie ich hinzufügen möchte) unserem jeweiligen Tag entgegengingen. Den Druck eines Bildes von Hasui, den ich eines Abends in Amsterdam in einem Schaufenster sah, das Einzige, was ich je wirklich haben wollte, doch dann wurde ich am nächsten Morgen gerade lange genug aufgehalten, dass jemand anderes den Laden betreten und das Bild nur eine halbe Stunde, ehe ich selbst eintraf, an sich nehmen konnte. Wie schön sie geworden sind – diese junge Frau, das Blatt bedruckten Maulbeerpapiers –, weil sie nie wiedergesehen wurden! Sicher, diese Bilder, die ich im Hinterzimmer meines Geistes ans Licht halte, sind so ganz anders als die Frau, hätte ich sie kennengelernt und wären wir ein Paar geworden oder auch nur Freunde, ganz anders als Hasuis Bild, hätte es die letzten dreißig Jahre an der Wand meines Arbeitszimmers gehangen. Auf diese Weise aber funktioniert die Zeit in der langen Version des Verlustes. So wie auch das Glück – dringt man zu dieser Disziplin vor – nichts im Vergleich mit unserer Vorstellung von Glück ist, welche man in den Tagen vor dem Verzicht auf alle Wünsche hegte, die uns eine Last waren. Denn letztlich verzichten wir nur auf ebenjenen Geisteszustand, in dem die falschen Begrifflichkeiten des Glücks geprägt werden. In seinem Gedichtband Cose leggere e vaganti (Leichtes und Flüchtiges) veröffentlichte Umberto Saba 1920 das Gedicht Mezzogiorno d’inverno, mit dem er besser als mit jedem anderen den Schmerz des Verlustes so vollkommen einfängt, dass ich es, seit ich es vor vierzig Jahren zum ersten Mal las, nie wieder vergessen habe – auch wenn das Bild, um das es sich dreht, das Bild eines Ballons, der sich aus dem Griff eines Jungen löst und über einen gut besuchten Platz davonschwebt, dem Urklischee von Verlust so nahekommt wie kaum etwas anderes in der Geschichte der Literatur. Man erinnert sich gerne an die Szene in Albert Lamorisses Kurzfilm Le ballon rouge, in der der Junge Pascal von einigen Nachbarkindern durch die Gassen von Paris gehetzt wird, die, als sie ihn schließlich einholen, mit Zwillen auf seinen roten Ballon schießen, bis der, in einem gespenstischen Moment der Stille, aufzugeben scheint, langsam zu Boden sinkt und dort nahezu reglos verharrt, bis ihn einer der Jungen in den Dreck tritt. Pascals Reaktion auf diesen Coup de grâce bekommen wir nicht zu sehen, stattdessen zeigt uns die Kamera zwei Kinder, die durch eine ganz andere Straße laufen und deren zwillingsblaue Ballone sich plötzlich losreißen und davonfliegen, fast, als würden sie gelenkt; gleich darauf reißen sich überall in der Stadt Ballone jedweder Farbe aus den Händen ihrer Besitzer und steigen über die Dächer auf oder schweben – wobei es seltsamerweise aussieht, als besäßen sie einen eigenen Willen – zielgerichtet durch die Straßen, manchmal ein halbes Dutzend oder mehr, bis sie kurze Zeit später auf unseren entzückten Helden niedergehen. Eine derartige Entschädigung ist in einem Film über Kinder zweifellos verständlich und wird sicher jene trösten, die, wie der Kinderbuchautor Chris Raschka, glauben: »Wenn einem Kind der nahende Tod bewusst wird und es Gelegenheit bekommt, die eigenen Gefühle zu malen, malt es oft einen blauen oder roten Ballon, der losgelassen wird und frei davonschwebt.«1 Saba bietet keine Wiedergutmachung und keinen Trost; das Kind lockert nur kurz den Griff, und der Ballon fliegt davon: un turchino vagante palloncino nell’azzurro dell’aria, ed il nativo cielo non mai come nel chiato e freddo mezzogiorno d’inverno risplendente.2 ein dahinwehender dunkelblauer (turchino) Ballon in hellblauer (azzurro) Luft, der heimische Himmel nie so klar und kalt wie an diesem glitzernden Winternachmittag. Dem Gedicht ist daran gelegen, den Kontrast zwischen dem Ballon und dem Himmel zu minimieren: Sie sind beide blau (der eine im Ton nur etwas heller als der andere), obwohl im Bildsinne ein stärkerer Kontrast (etwa Rot auf Blau) effektiver wäre. So aber scheint der Ballon schon fast zum Himmel zu gehören und wird unvermeidlich zu ihm hinaufgezogen, vorbei an: i vetri delle case al sol fiammanti, e il fumo tenue d’uno due camini3 den in der Wintersonne blitzenden Hausfenstern und dem dünnen Rauch aus ein, zwei Schornsteinen und weiter: tra il Palazzo della Borsa e il Caffè dove seduto oltre i vetri ammiravo io con lucenti occhi or salire or scendere il suo bene.4 zwischen dem Palast, der Börse und dem Café, von wo ich, durch ein Fenster, mit glitzernden Augen Aufstieg und Fall des verlorenen Geschenks verfolge. Das Gedicht endet mit diesem Bild, das den Sprecher des Gedichtes zeigt, einen Mann, der offenbar einen geliebten Menschen verloren hat und der den blauen Ballon in den blauen Himmel aufsteigen sieht; das Kind dagegen verleiht seinem Kummer über den großen Verlust mit Worten Ausdruck – einen Verlust so groß wie nur irgendeiner, den das lyrische Ich aus eigener Erfahrung anzubieten vermag –; eigentlich aber zielt das Gedicht auf die scheinbare Unvermeidlichkeit des Verlustes, während das, was dem Himmel angehört, wenn auch nur bildlich gesehen, ins weite Blaue schwindet, und das, was der Zeit angehört – eine verlorene Liebe, ein Augenblick vergangenen Glücks – im unauslotbaren Lauf der Zeit untergeht. In einem seiner schönsten Gedichte (The Buried Life, 1852 verfasst) beklagte Matthew Arnold, dass unsere Erfahrung dieser Welt in eine äußere, soziale Existenz und in ein ›vergrabenes Leben‹ geteilt ist, dessen ›wahrem, eigentlichem Lauf‹ wir anscheinend nicht folgen können. Für den großen Dichter, »Demokrat nicht nach Temperament, doch nach Überzeugung« (so seine Freundin Florence Earle Coates), steigt die Melancholie »aus Luft und jenen flüchtigen Echos« auf, die aus der unterirdischen Tiefe »… wie aus einem unendlich fernen Land« zu uns dringen, und das Gedicht beschreibt die Sehnsucht, »das Geheimnis dieses Herzens zu erkunden,/das so wild und tief in uns schlägt«.5 Mit den letzten Worten des Gedichts behauptet Arnold charakteristischerweise, wir seien in der Lage, diesem vergrabenen Leben Ausdruck zu verleihen, zumindest in einem gewissen Maße, wenn »nur – und dies geschieht selten –/eine geliebte Hand sich in unsere legt«.6 Das ist rührend und sehr der Zeit verhaftet, doch ist es auch jenes eine Element in seiner Argumentationskette, das ich, wenn nicht hinterfragen, so doch erweitern möchte. Womit Nachstehendes und nichts weiter gesagt sein will: dass die Erfüllung, die sich Arnold erhofft, nicht allein durch die geliebte Hand kommt, die sich in unsere legt, sondern auch durch die unvermeidliche Geste, die auf diese Berührung folgt, die Geste – ohne Hast ausgeführt, kaum wahrnehmbar –, mit der die Hand wieder aus den Fingern des geliebten Menschen gleitet und stattdessen nur eine Blutwärme...


JOHN BURNSIDE wurde 1955 in Schottland geboren und war einer der bedeutendsten Schriftsteller der europäischen Gegenwartsliteratur. Für sein Werk, das in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde, wurde er bereits mehrfach ausgezeichnet. Neben seinen Romanen, Kurzgeschichten und Gedichtbänden glänzt John Burnside mit autobiografischen Werken, wie zuletzt "Über Liebe und Magie. I put a spell on you" (2019), in denen er tiefe Einblicke in seine Lebensund Gedankenwelt gewährt. John Burnside verstarb im Mai 2024.



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