Cast Beseelt
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-86278-569-8
Verlag: MIRA Taschenbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
New Tales of Partholon
E-Book, Deutsch, Band 6, 480 Seiten
Reihe: Tales of Partholon
ISBN: 978-3-86278-569-8
Verlag: MIRA Taschenbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Nur wenn sie die gefährliche Seelenreise in die Anderwelt antritt, kann Brighid ihren Geliebten retten.
Auf keinen Fall will Brighid die Nachfolge ihrer Mutter antreten! Deshalb hat sie ihre Familie verlassen und auf der Burg MacCallan ein neues Zuhause gefunden. Erst als Cuchulainn die Burg nach dem grausamen Tod seiner Verlobten verlässt, wagt Brighid sich aus den schützenden Gemäuern, um ihn zu suchen. Weit draußen im Ödland findet sie ihn - bei den geflügelten Kindern, die in das Land ihrer Mütter zurückgeführt werden müssen. Während Brighid mit ihm einen Weg sucht, die Kinder zu retten, spürt sie Cuchulainns Schmerz und kann sich vor ihrem schamanischen Erbe nicht länger verschließen. Will sie die Seele des stolzen Kriegers heilen, muss Brighid ihren Schwur brechen und in die ihr unbekannte Anderwelt reisen. Aus Liebe zu Cuchulainn wagt sie diesen Schritt - nicht ahnend, dass sie damit das eigene Schicksal für immer besiegelt.
P.C. Cast ist in Illinois geboren und pendelte während ihrer Jugend oft nach Oklahoma. Dort hat sie ihre Liebe für Quarter Horses und Mythologie entdeckt. Im Gegensatz zu anderen Kindern konnte sie zuerst reiten und lernte danach das Gehen. Später las sie jedes Buch, das sie in die Hände bekommen hat, bis ihr Vater der Zehnjährigen den Herr der Ringe geschenkt hat. Nach Tolkiens Meisterwerk hat sie Anne McCafferys Pern-Romane für sich entdeckt, und damit war ihre Leidenschaft für Fantasy vollends entbrannt.
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1. KAPITEL
Elphame befand sich genau dort, wo Brighid sie zu finden erwartet hatte – nicht, dass es der Fähigkeit einer zentaurischen Jägerin bedurft hätte, um den Spuren der Clanführerin zu folgen. Die Angewohnheit der MacCallan, diese spezielle Felsformation an der Klippe aufzusuchen, war allgemein bekannt. Auf dem erhöhten Aussichtspunkt aus großen, wettergegerbten Steinen konnte Elphame sitzen und nach Norden in Richtung der Berge Trier schauen, die in der Entfernung als zerrissene Zackenlinie in den Himmel stachen. Aus dem Wunsch heraus, in das dahinterliegende Ödland zu sehen, starrte sie oft stundenlang auf die weit entfernte Bergkette.
Brighid näherte sich Elphame leise, sie störte sie nur ungern. Obwohl sie schon einige Mondzyklen in ihrer Nähe lebte und eng mit ihr zusammenarbeitete, berührte der Anblick dieses einzigartigen Wesens, das ihre Clanführerin und auch ihre Freundin geworden war, sie immer noch tief. Als älteste Tochter der inkarnierten Göttin Partholons und ihres zentaurischen Schamanen war Elphames Körper nur bis zur Taille menschlich; ihre Beine hingegen glichen denen eines Pferdes. Sie waren sehr muskulös, mit feinem, glänzendem Fell bedeckt und endeten in ebenholzschwarzen Hufen.
Es war aber nicht nur diese Andersartigkeit, die Elphame von allen anderen unterschied. Sie trug Kräfte in sich, die ihr von Epona verliehen worden waren. Wegen einer Verbundenheit mit der Magie der Erde konnte sie mit der Natur kommunizieren. Elphame hörte die Geister der Steine der MacCallan-Burg. Sie hatte außerdem eine besondere Beziehung zu Epona. Brighid spürte oft die schützende Anwesenheit der Göttin Partholons, wenn Elphame das Morgengebet sprach oder Epona am Ende eines produktiven Tages dankte. Und natürlich hatten alle gesehen, wie sehr sie Epona am Herzen lag, als Elphame die Stärke und Liebe ihrer Göttin anrief, um den Wahnsinn der Fomorianer zu bezwingen.
Die Jägerin erschauerte. Sie wollte sich nicht an diesen entsetzlichen Tag erinnern. Es reichte zu wissen, dass ihre Clanführerin eine mysteriöse Mischung aus Zentaur und Mensch, Göttin und Sterblicher war.
„War die morgendliche Jagd erfolgreich?“, fragte Elphame, ohne sich zu ihr umzudrehen.
„Ja, sehr.“ Brighid war nicht überrascht, dass ihre Stammesführerin ihre Anwesenheit spürte. Elphames übernatürliche Kräfte waren scharf und präzise. „Die Wälder, die die Burg MacCallan umgeben, sind seit über einhundert Jahren nicht mehr ordentlich bejagt worden. Das Wild springt mir förmlich vor meine Pfeile und bettelt darum, erlegt zu werden.“
Um Elphames Lippen zuckte ein kleines Lächeln. „Wildbret mit Todessehnsucht? Das klingt nach einem wahrhaft einzigartigen Mahl.“
Brighid schnaubte. „Erzähl es nur nicht Wynne. Die Köchin wird sonst verlangen, dass ich bei der Auswahl des Wilds sorgfältiger auf dessen Laune achte, damit ihr Eintopf den richtigen Geschmack bekommt.“
Die MacCallan löste den Blick von den Bergen in der Ferne und lächelte. „Bei mir ist dein Geheimnis sicher.“
Als Brighid ihrer Freundin in die Augen schaute, erschrak sie über die Traurigkeit, die sich darin abzeichnete. Nur Elphames Lippen lächelten. Niemals würde die MacCallan diesen gequälten Gesichtsausdruck der Öffentlichkeit zeigen – es war ein seltenes Privileg, eine so persönliche Seite zu sehen zu bekommen. Brighid befürchtete im ersten Moment, dass der fomorianische Wahnsinn, der tief im Blut ihrer Freundin lauerte, erwacht war, verwarf den Gedanken jedoch schnell wieder. In Elphames Blick hatte sie weder Hass noch Wut gesehen – nur tiefe Traurigkeit, von der sie ahnte, woher sie stammte. Ihre Freundin war glücklich mit Lochlan verbunden. Der Wiederaufbau der Burg MacCallan ging gut voran. Die Mitglieder des Clans waren gesund und gediehen prächtig. Ihre Führerin könnte zufrieden sein. Brighid wusste, dass Elphame das auch war – bis auf ein entscheidendes Detail.
„Du sorgst dich um ihn.“ Sie studierte Elphames starkes Profil, während deren Blick wieder zum Horizont glitt.
„Natürlich sorge ich mich um ihn!“ Sie presste die Lippen zu einer dünnen Linie zusammen. Als sie wieder sprach, klang ihre Stimme traurig und resigniert: „Es tut mir leid. Ich wollte es nicht an dir auslassen, aber seit Brennas Tod kreisen meine Gedanken ständig um ihn. Er hat sie so sehr geliebt.“
„Wir alle haben die kleine Heilerin geliebt.“
Elphame seufzte. „Ja, weil sie etwas ganz Besonderes war. Ihr Herz war unglaublich groß.“
„Du machst dir Sorgen, dass Cuchulainn sich von seinem Verlust nicht erholen wird.“
Elphame starrte auf die Berge. „Es wäre nicht so schlimm, wenn er hier wäre – wenn ich mit ihm sprechen könnte und wüsste, wie es ihm geht.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich durfte ihn allerdings nicht aufhalten. Er sagte, in der Burg erinnere ihn alles an Brenna, und hier könne er niemals lernen, ohne sie zu leben. Als er ging, war er nur ein Schatten seiner selbst. Nein …“ Sie überdachte den Vergleich. „Nicht ein Schatten seiner selbst. Mehr ein Schatten dessen, was er einst gewesen war …“
Elphames Stimme erstarb. Brighid blieb an ihrer Seite, während die Clanführerin stumm gegen die Sorge um ihren Bruder ankämpfte. Ihre eigenen Gedanken wandten sich der Erinnerung an die kleine Heilerin zu. Genau wie sie war Brenna auf der Suche nach einem Neuanfang und einem besseren Leben auf die MacCallan-Burg gekommen, doch die von Narben entstellte Heilerin bekam mehr. In den Armen des Kriegers Cuchulainn, dem Bruder der Clanführerin, fand sie die Liebe. Er schaute nicht auf ihr von fürchterlichen Brandnarben gezeichnetes Äußeres, sondern sah die Schönheit ihres Herzens. Brighid erinnerte sich daran, wie unglaublich glücklich ihre Freundin gewesen war – bis zu ihrem viel zu früh eintretenden Tod. Dass ihre Ermordung die Ereignisse in Gang setzte, die zur Erlösung einer ganzen Rasse führten, trug wenig dazu bei, die Wunde zu heilen, die ihre Abwesenheit hinterließ. Und nun war Cuchulainn im Ödland, um das Volk nach Partholon zurückzuführen, das die Mörderin seiner Geliebten hervorgebracht hatte.
„Er hat darauf bestanden“, sagte Elphame leise, als spürte sie ihren Gedankengang. „Er macht die anderen Fomorianer nicht für Brennas Tod verantwortlich. Er versteht, dass ihre Mörderin vom Wahnsinn beherrscht wurde, gegen den sie alle ankämpften.“
Brighid nickte. „Cuchulainn gibt sich die Schuld. Die hybriden Fomorianer nach Hause zu führen ermöglicht es ihm vielleicht, mit der Sache abzuschließen. Lochlan sagt, dass viele Mitglieder seines Volkes noch Kinder sind. Womöglich hilft das, das Herz des Kriegers zu heilen.“
„Ohne die Berührung einer Heilerin zu genesen, ist ein schwieriger Prozess“, murmelte Elphame. „Ich hasse den Gedanken, dass er Schmerzen leidet und niemand …“ Sie brach mit einem trockenen Lachen ab.
„Was?“, drängte Brighid sie.
„Ich weiß, es klingt dumm. Cuchulainn ist ein Krieger, der für seine Kraft und seinen Mut bekannt ist. Aber es ist furchtbar, dass es ihm schlecht geht, und niemand aus seiner Familie ist bei ihm.“
„Vor allem nicht seine große Schwester?“
Elphames Lippen zuckten. „Ja, vor allem seine große Schwester.“ Sie seufzte erneut. „Er ist schon so lange fort. Ich dachte, dass er inzwischen längst zurückgekehrt sein würde.“
„Du weißt doch, im Bericht von der Wachtburg hieß es, dass es einen mächtigen Frühlingsschneesturm gegeben hat, der in den Bergen tobte und den Pass zum Ödland unpassierbar machte. Cuchulainn wird auf Tauwetter warten müssen und selbst dann nur langsam vorankommen, weil er sicher darauf achtgibt, die Kinder nicht zu überanstrengen. Du musst geduldig sein“, sagte Brighid.
„Geduld ist noch nie eine deiner Stärken gewesen, mein Herz.“
Die tiefe Stimme erklang hinter ihnen. Jägerin und Clanführerin drehten sich um und sahen zu, wie der geflügelte Mann die letzten Meter auf sie zukam. Brighid fragte sich, ob sie sich jemals daran gewöhnen würde, dass solche Wesen existierten. Teils Fomorianer, teils Mensch war Lochlan eine ganz besondere Kreatur, die, wie andere auch, in der Verborgenheit des harschen Ödlands nördlich der Berge Trier von ihren Müttern, Frauen Partholons, aufgezogen worden waren. Er war groß, sehnig und muskulös. Seine menschlichen, attraktiven Gesichtszüge wirkten wie gemeißelt. Der helle, beinahe farblose Ton seiner Haut deutete auf sein dunkles Erbe hin. Und dann waren da noch die Flügel. Im Moment ruhten sie dicht an seinen Rücken gelegt, sodass nur die grau melierte Oberseite zu sehen war. Brighid hatte sie auch schon voll ausgebreitet in ihrer grausamen Schönheit erlebt. Ein Anblick, den sie so schnell nicht vergessen würde.
„Guten Morgen, Jägerin“, grüßte er warmherzig. „Wynne hat mir erzählt, dass du heute früh einen spektakulären Fang gemacht hast und wir uns zum Abendessen auf Hirschsteaks freuen können.“
Brighid nahm das Kompliment mit einer leichten Neigung des Kopfes an und trat einen Schritt zur Seite, damit Lochlan seine Frau begrüßen konnte.
„Ich habe dich vermisst.“ Er führte Elphames Hand ganz langsam an seine Lippen und küsste sie zart.
„Es tut mir leid. Ich konnte nicht schlafen und wollte dich nicht wecken, also bin ich …“ Sie zuckte mit den Schultern.
„Du erwartest ungeduldig die Rückkehr deines Bruders, und das macht dich ruhelos“, sagte er.
„Ich weiß, dass er ein Krieger ist und dass ich mit dem Herzen einer Schwester denke, anstatt mit dem Kopf einer Stammesführerin, doch ich mache mir Sorgen um...