Chaplet | Landliebe mortal | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 73 Seiten

Chaplet Landliebe mortal

Kriminalgeschichten aus der mörderischen Provinz
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-95530-403-4
Verlag: Edel Elements - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Kriminalgeschichten aus der mörderischen Provinz

E-Book, Deutsch, 73 Seiten

ISBN: 978-3-95530-403-4
Verlag: Edel Elements - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Anne Chaplet ist '... ein Glücksfall für die deutsche Kriminalliteratur.' (Der Spiegel) Gewarnt sei, wer das Landleben für friedlich und idyllisch hält! Denn den wird Anne Chaplet, die vielfach preisgekrönte deutsche Krimi-Schriftstellerin, mit ihren grandiosen Kriminalgeschichten aus der mörderischen Provinz eines Besseren belehren...

Anne Chaplet ist ein Pseudonym von Cora Stephan. Unter diesem Pseudonym veröffentlich die Autorin Kriminalromane.
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Freundinnen
„Wir könnten heute Nachmittag ins Kino gehen“, sagte Cat, wickelte sich eine dunkle Haarsträhne um den Zeigefinger und legte den Kopf schräg. „Ich hab den neuen Harry Potter noch nicht gesehen.“ Sie stellte sich auf die Fußballen und wippte unternehmungslustig. Sacha ließ den Rucksack auf die Bank fallen, auf der schon eine ältere Frau saß und missbilligend guckte. Sacha hätte am liebsten zurückgeglotzt. Konnte sie vielleicht etwas dafür, dass der Bus schon wieder Verspätung hatte?
„Na, was ist? Um fünf? Vorm Eldorado? Oder soll ich dich zu Hause abholen?“
Sacha versuchte, dem Blick der Schulfreundin auszuweichen, und tat so, als ob sie dringend etwas aus ihrem Rucksack holen müsste.
„Also gut.“ Cat klang geradezu aufreizend heiter. „Ich hol dich ab.“
„Cat ... Ich weiß nicht ... Also heute Nachmittag ...“ Sacha wagte noch immer nicht aufzusehen. Ihr Gesicht brannte. Und jetzt fing sie auch noch an zu stottern. „Da kommt der Bus“, sagte Cat.
Sacha stopfte den Pullover zurück in den Rucksack und stieg hinter der älteren Frau in den Bus. Die Frau roch irgendwie muffig. Nach Zigarettenrauch und ungelüfteter Kleidung.
Der Bus war überfüllt, kein Wunder, offenbar war eine Fahrt ausgefallen. Sacha atmete tief durch. Cat stand im Gang hinter einem großen Mann mit Glatze und winkte ihr zu. Wenigstens brauchte sie sich in den nächsten zehn Minuten nicht mit ihr zu unterhalten. Gartenstraße. Die Tür öffnete sich. Sacha musste raus. Cat rief über die Köpfe der anderen hinweg: „Ich bin um halb fünf bei dir.“ Sacha stieg mit hängendem Kopf aus. Schicksal. Rechts in die Brüningstraße, links in den Curtiusweg. Kein Auto vor der Nummer 11. Papa war noch nicht da. Auf den letzten paar Metern ging sie immer langsamer, öffnete das Gartentor und schlurfte die Treppe zur Haustür hoch, zu müde, um die Füße zu heben. Sie wusste ja, was sie erwartete.
Sie steckte den Schlüssel ins Schloss, öffnete die Haustür und lauschte. Nichts. Als ob niemand da wäre. Aber es roch. Wie die ältere Frau von vorhin. Nach kaltem Zigarettenrauch. Und ... Sie mochte das Wort nicht denken. Aber es drängte sich in ihren Kopf. Es roch nach … nach etwas Krankem. Nach ...
„Sacha? Bist du es?“ Mutter.
Sacha ging die Treppe hoch, langsam und lustlos.
„Sacha!“
„Ich komme“, murmelte sie.
Mutter lag im Bett, bei zugezogenen Vorhängen. „Gott sei Dank. Du bist da. Ich habe mir schon Sorgen gemacht. Gib mir einen Kuss.“ Mutter, mit dieser Kleinmädchenstimme, die Sacha überhaupt nicht mochte.
Widerwillig setzte sie sich in Bewegung. Mutter lag blass und mit ungekämmten Haaren in den zerwühlten Kissen, sie lächelte dieses schrecklich dünne Lächeln. Widerwillig hauchte sie ihrer Mutter einen Kuss auf die feuchte Stirn und hätte sich am liebsten losgerissen, als sie die warme Hand auf ihrem Unterarm spürte.
„Komm, Schätzchen. Ich weiß, wie du dich fühlst.“
Sacha verschränkte die Arme vor der Brust. Niemand wusste, wie sie sich fühlte. Niemand hatte auch nur eine Ahnung.
Widerwillig setzte sie sich auf den Bettrand. „Du bist sehr tapfer, kleines Mädchen“, murmelte Mutter und drückte ihr die Hand. Am liebsten hätte sie sie weggezogen. „Es ist vorbei. Alles ist vorbei.“ Und dann fing sie an zu weinen, was Sacha den Vorwand gab, aufzustehen und nach Papiertaschentüchern zu suchen.
Nichts war vorbei. Es fing gerade erst an.
Auf dem Küchentisch lag die Zeitung. Sacha überflog die Schlagzeilen und blätterte dann weiter. Tagelang war die Sache Thema auf Seite eins gewesen. Heute reichte es nur noch für Seite drei.
In der Küchenschublade lagen noch zwei Päckchen Taschentücher. Sie schrieb „Tempo!!!“ mit drei Ausrufezeichen auf den Einkaufszettel an der Wand, wo schon „Apfelsaft!“ stand und „Zitronen“, ohne Ausrufezeichen, in Mutters Handschrift. Sie sah sich um, wie immer, bevor sie nach dem Portemonnaie mit dem Haushaltsgeld griff, das im Schrank unter dem Stapel mit den Geschirrtüchern lag. Es enthielt eine Pay-back-Karte, zwei Kassenbons von Tchibo, eine Sicherheitsnadel, zwei Euro und 30 Cents und in der Tasche für die Geldscheine – einen Fünfer.
Kinogehen ist nicht, Cat, dachte sie. Der Gedanke erleichterte sie. Einerseits. Andererseits ... Vor Cat musste man sich hüten. Sie ließ keine Ausrede gelten.
Aber wenn sie ihr sagte ... Sacha biss sich auf den Daumennagel. Wenn sie ihr sagte: Ich kann meine Mutter nicht schon wieder um Haushaltsgeld angehen, die kriegt das langsam spitz, trotz der Heulerei und allem, die hat schon vorgestern gesagt, sie versteht überhaupt nicht, wo das ganze Geld bleibt?
Sacha hörte Cat antworten: Das Fernsehen. Ich weiß doch, dass die dir Geld bezahlt haben. Also stell dich nicht so an. Und erzähl mir bloß nichts.
Doch, dachte Sacha. Mein Vater hat die Scheine, die mir das Fernsehteam zugesteckt hat, auf mein Sparbuch eingezahlt. Da komm ich nicht ran. Versteh doch, Cat.
1.000 Euro für ein Exklusivinterview. Das war richtig viel Geld, das hatte sie gleich begriffen – allerdings nicht, was die mit einem Exklusivinterview meinten.
„Ganz einfach: Du redest bis morgen früh mit keinem anderen, verstehst du?“ Die Frau trug die glänzende, braune Mähne zu einem nachlässigen Knoten hochgesteckt und sah unnachahmlich elegant aus in dem strahlend blauen Kostüm. Sacha spürte in ihrer Anwesenheit jeden Pickel auf dem Kinn und jedes einzelne ihrer mausbraunen und viel zu dünnen Haare. Sie nickte stumm.
Sie standen auf dem Platz vor dem Schwimmbad, der Mann mit der Kamera, ein anderer mit dicken Kopfhörern auf den Ohren, ein dritter, der die zwei Scheinwerfer bediente. Um sie herum sammelten sich die Menschen, jeder, der vorbeikam, blieb stehen, um zuzuschauen. Sacha hätte sich am liebsten unsichtbar gemacht.
„Erst Anmoderation, dann Interview“, sagte die Frau mit einem knappen Kopfnicken zu dem Mann hinter der Kamera. „Wann immer du so weit bist“, antwortete der Mann.
Die Frau in Blau straffte die Schultern, setzte ein feierliches Gesicht auf und hob das Mikrofon, das sie in der Hand hielt.
„Es ist ein traumhaft sonniger Sonntag im Mai, viel zu warm für die Jahreszeit.“ Die Stimme der Frau klang anders als eben noch; verwandelt. Wärmer. „Die Kinder und Jugendlichen stürmen das Stadtbad, das erst in der Woche zuvor wieder eröffnet hat. Auch die zwölfjährige Sacha ist dabei mit ihrem kleinen Bruder. Auch Giselle, Cat und Marla, ihre Freundinnen. Auch die drei Brüder Kasnic, die, wie alle anderen der schon etwas älteren Jungs, über die Liegewiesen stolzieren, auf der Suche nach Mädchen, die sich von ihnen beeindrucken lassen.“
Sacha hatte Kindergekreisch im Ohr, den lauten Platsch, wenn einer der Landplagen aus der 7a sich mit ausgebreiteten Armen und Beinen rücklings ins Wasser fallen ließ. Und das Geräusch, das die vielen Wassertropfen machten, die vom Aufprall aus dem Schwimmbecken hochgeschleudert wurden und auf die Fliesen am Beckenrand prasselten. Von der oberen Wiese her hörte man die Jungs einen Fußball durch die Gegend dreschen, hörte sie johlen und „Gib ab, du Pfeife!“ und „Hierher! Hierher, sag ich!“ brüllen. Es war wie jedes Jahr. Und alles war anders.
„Sachas Eltern wissen, dass sie die Kinder allein zum Schwimmbad gehen lassen können. Dass Sacha aufpassen würde auf ihren kleinen Bruder.“ Die Frau mit dem Mikrofon sah sie aufmunternd an.
„Wenn du nicht ruhig bist, nehm ich dich nicht mit, du hässlicher Zwerg“, hatte Sacha dem lieben Kleinen morgens beim Frühstück zugezischt, als er, statt zu essen, auf seinem Stuhl herumkasperte.
„Das sag ich Mama, das sag ich Mama“, sang er triumphierend, mit dem Löffel in der Hand, und unterstrich jede Silbe mit einem Schlag gegen die Teekanne.
Sie hätte ihn erwürgen können. „Nimm dich in Acht, sonst wirst du ersäuft, du kleine Ratte!“ Er rümpfte die Nase, kniff die Augen zu Schlitzen zusammen und streckte ihr die Zungenspitze entgegen.
„Na, freut ihr euch schon aufs Schwimmbad?“ Vater hatte die Jeans angezogen und ein Cordhemd und sah sich nach Mutter um. Die fuhr sich nervös durchs Haar und suchte irgendetwas in ihrer Handtasche.
„Chic“, murmelte Sacha und starrte ihr auf die Beine.
„Meinst du?“ Mutter beugte sich tatsächlich nach hinten und kontrollierte den Sitz ihrer Strümpfe. „Kann ich das noch tragen?“
Helle Strumpfhosen! Sacha hätte sich fast geschüttelt. Und ein viel zu kurzer Rock! „Natürlich“, antwortete sie.
„Sacha muss zur Toilette. Sie schärft dem Brüderchen ein, nicht ohne sie ins Wasser zu gehen.“ Die Frau vom...



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