E-Book, Deutsch, 384 Seiten
Chomin Schneeflockenmagie
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-95967-588-8
Verlag: HarperCollins
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 384 Seiten
ISBN: 978-3-95967-588-8
Verlag: HarperCollins
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Zauber der ersten Schneeflocken
Vier Wochen vor Weihnachten wird Claire vor dem Altar stehen gelassen und flüchtet in die weiße Winteridylle der französischen Alpen. In einem kleinen verträumten Bergdorf will sie wieder zu sich finden. Doch es kommt alles anders, als sie Hugo Moreton begegnet. Zuerst will er sie nicht in seinem Chalet haben; nach einem Tag ist jedoch klar, dass Claire bleibt. Nach zwei Tagen denkt er darüber nach, ob sie ihn attraktiv findet. Dann nimmt er ihr die Angst vor seinen Hunden. Und plötzlich sieht es ganz danach aus, als sei mit dem ersten Schnee auch der magische Funken der Liebe geweckt.
»Tiefe Emotionen, amüsante Dialoge und das alles in den traumhaft schönen französischen Alpen.«
(Piste, 30.11.2020)
Weitere Infos & Material
Ankunft einer Durchgeknallten.
Ein Monat und ein Tag in der Verbannung.
Es ist unglaublich. Ich hätte nicht gedacht, dass es noch schlimmer kommen könnte. Bis sie aufgetaucht ist.
Seit einem Monat, einem langen und nicht enden wollenden Monat, bin ich allein hier. Ich gebe auf, Mama. Ich schaffe das nie. Ich habe es dir versprochen, ich weiß, und ich habe mein Bestes gegeben. Du hast doch immer gesagt, dass nur das zählt, stimmt’s? Aber ich tauge einfach zu nichts, ich habe keine Ahnung, wie man eine Herberge führt, geschweige denn ein Hotel, so wie ihr es euch vorgestellt habt, Marlène und du. Daraus wird also leider nichts. Ich bin noch nicht bereit, Gäste zu empfangen, und ich glaube auch nicht, dass ich es jemals sein werde. In zwei Wochen beginnen die Weihnachtsferien, aber ich werde den Saisonauftakt verpassen. Stattdessen schlage ich mich mit dem verfluchten Heizkessel herum. Tut mir leid, Mama.
Einerseits geht es mir gut hier, allmählich rückt der Big Apple und alles, was dazugehört, in den Hintergrund. Andererseits hat sich mein Leben so radikal verändert, dass selbst ich manchmal Schwierigkeiten habe mitzuhalten. Inzwischen bin ich an dem Punkt angelangt, an dem ich am liebsten alles hinwerfen würde. Ich bin nicht mein Vater, und das werde ich auch nie sein. Meine Mutter wusste das, deswegen hat sie mich auch nicht darum gebeten, nach Hause zu kommen, als sie spürte, dass ihre letzten Tage gekommen waren. Seit einem Monat gehe ich das alles immer wieder gedanklich durch, aber ich finde nichts, was meine Nerven beruhigen würde. Die Verrückte, die im Wohnzimmer vorm Kamin sitzt und bibbert, wird daran auch nichts ändern. Woher soll ich wissen, ob sie nicht eine psychische Erkrankung hat? Selbst wenn es recht eindeutige Hinweise darauf gibt: Als ob sie direkt vorm Haus von Wölfen verfolgt werden würde, also wirklich!
Ich bereite einen Kräutertee zu, so wie meine Mutter es mir als kleiner Junge beigebracht hat: ein paar Blätter Eisenkraut, einen Spritzer Zitrone, einen großen Löffel Honig und einen Kaffeelöffel braunen Rum. Wenn das sie nicht beruhigt …
Ich frage mich, ob das tatsächlich ihr Hochzeitskleid war. Ist ihr Mann womöglich verstorben, und sie trägt es einmal im Jahr als Trauerritual? Hat sie das Kleid in einem Laden oder jemand anderem geklaut? Oder ist sie die Art Kindermädchen, das für eine reiche und berühmte Frau arbeitet und sie derart um ihr Leben beneidet, dass sie ihr das Kleid stiehlt? Nun gut, ich werde sie ausfragen und dabei streng bleiben müssen. Ich weiß nichts über sie, außer dass sie in Paris lebt, aber ich erkenne Qualität, wenn ich sie sehe, und der Stoff des Kleids, das sie ins Feuer geworfen hat, sagt mir, dass das kein wertloser Plunder war. Nur warum hat sie das Kleid überhaupt in die Flammen geworfen? Ist sie womöglich selbstmordgefährdet oder gar gefährlich? Ich habe aber auch wirklich kein Glück. Schon als ich klein war, habe ich ständig irgendwelche verirrten und halbtoten Tiere aufgelesen, das hat meine Mutter zumindest immer gesagt, und das hat sich offenbar nicht geändert. Großartig. Nur dass das verirrte und halbtote Tier jetzt eine vom Himmel gefallene Frau ist.
Ich reiche ihr die Tasse, und als sie den Blick hebt, habe ich den Eindruck, als würde sie mich zum ersten Mal sehen und sich nicht daran erinnern, wie sie hier gelandet ist. Verdammt, ich hoffe, sie leidet nicht an dieser Goldfischkrankheit, bei der das Gedächtnis alle paar Stunden wieder bei null anfängt, das halte ich nicht lange durch. Ich muss sie irgendwie loswerden.
»Wann fahren Sie wieder?«, frage ich sie, und meine Stimme klingt ein wenig barsch.
Sie bleibt stumm. Vielleicht war das tatsächlich zu grob. Ich korrigiere mich.
»Also, ich meine, wohin sind Sie unterwegs?«
»Da mein Auto auf Ihrer Wiese feststeckt, komme ich nicht mehr weit, ich würde sagen, irgendwohin, wohin ich in dieser Eiseskälte in kurzen Hosen zu Fuß laufen kann.«
Diesmal bleibe ich stumm. Das hier wird offenbar schwierig.
»Fangen wir noch einmal von vorne an. Wer sind Sie? Frau Stan…«
»Stanlais, Claire Stanlais. Immer noch Stanlais …«
Sie fängt wieder an zu weinen.
Ich stehe auf und lege Holz nach; das Kleid hat das Feuer schneller herunterbrennen lassen. Keine fünf Minuten ist eine Frau hier, und schon ist alles doppelt so aufwändig.
»Es tut mir furchtbar leid. Sie müssen mich für verrückt halten«, setzt sie mit flehendem Blick wieder an.
Sie hat ausgesprochen schöne grüne Augen. Ich glaube zumindest, dass sie unter ihrem Junkie-Look mit all der zerlaufenen schwarzen Schminke grün sind. Kommt das vom Weinen oder von der Kälte draußen? Ich weiß es nicht, von so was habe ich keine Ahnung.
»Ach, woher denn«, sage ich mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Heute war mein Hochzeitstag.«
»Heute?«
»Ja, genau. Heute sollte ich heiraten.«
»Wer heiratet denn mitten im Dezember bei solchen Temperaturen?«
»Ist doch egal, wer im Dezember heiratet! Außerdem hat in Paris die Sonne geschienen, und es war auch nicht so kalt, wie Sie meinen. Sie stellen wirklich komische Fragen. Wollen Sie jetzt, dass ich Ihnen meine Geschichte erzähle, oder nicht?«
»Nein! Ich habe Sie doch gar nicht nach Ihrer Geschichte gefragt. Ich möchte einfach nur, dass Sie wieder gehen.«
»Ah, verstehe. Wirklich toll, die Gastfreundschaft in den Bergen. Und Sophie erzählt mir, alle hier in Cambairoux seien so wundervoll. Sicher doch, ich komme bestimmt wieder.«
»Hören Sie mal, ich bin nicht jeder. Ich habe Sie eingesammelt, weil ich Sie da draußen panisch herumirren gesehen habe, Sie konnten sich vorm Kamin aufwärmen und ich habe Ihnen einen Kräutertee angeboten, aber meine Gastfreundschaft hat ihre Grenzen. Das war schon deutlich mehr, als ich normalerweise anbieten würde.«
»Okay, okay. Ich sehe schon, dass wir nicht die gleiche Auffassung von Gastfreundschaft haben. War schön, Sie kennenzulernen, Herr Unbekannt. Sie haben mir ja nicht einmal gesagt, wie Sie heißen. Ich lasse Sie jetzt allein und gehe nach draußen, um dort zu erfrieren und mich von Huskys, die wie Wölfe aussehen, in Stücke reißen zu lassen.«
Ohne dass ich Zeit habe, etwas zu erwidern, steht sie auf, durchquert, immer noch in die Wolldecke eingewickelt, das Wohnzimmer, zögert kurz vor der Tür, bis sie sie schließlich öffnet und entschlossenen Schrittes hinausgeht und sie hinter sich zuschlägt.
Was für eine dumme Idee! Ich stehe auf, um sie zurückzuholen. Ich weiß nicht, weshalb, aber was ich getan habe, gehört sich nicht, und ich will auch nicht für ihren Tod verantwortlich sein. Gerade als ich die Tür öffnen will, schwingt sie auf, und der blonde Wirbelwind wirft sich kreischend auf mich, sodass ich beinahe rücklings zu Boden stürze. Sie schiebt mich aus dem Weg, schließt die Tür hinter sich, lehnt sich mit dem Rücken dagegen und schaut mich vollkommen panisch an.
»Okay, ich wollte die Stolze spielen, aber das übersteigt meine Kräfte. Sie sind da.«
»Wer ›sie‹? Werden Sie jetzt von einer Geheimorganisation verfolgt?«
»Die Wolfshunde.«
Sie bleibt mit dem Rücken an die Tür gedrückt stehen, als wollte sie sie fest verschlossen halten und sich vor Arthur und Hector in Sicherheit bringen.
»Ich habe Ihnen doch gesagt, dass sie harmlos sind.«
»Das mag ja sein, aber es sind … es sind … Hunde«, flüstert sie, als würde sie mir ein Staatsgeheimnis anvertrauen.
»Ja, genau, das haben wir ja bereits festgestellt. Eine Art Wolfshund, wie Sie selbst gesagt haben. Gut. Hören Sie zu, junge Frau, das ist ja nett, aber …«
»Nein! Ich bitte Sie! Werfen Sie mich nicht raus! Ich habe eine Hundephobie. Seit ich klein war. Ich muss wohl mal gebissen worden sein, das weiß man nicht, selbst meine Mutter hat keine Ahnung, warum, aber es ist nun mal so. Wenn ein Hund auf mich zukommt, dann sehe ich nichts als sein Maul und seine Zähne, und ich denke nur noch daran, dass sie zubeißen können …«
Da sie wieder in Panik zu geraten scheint und ich nicht weiß, ob mir die Erfrorene, die Heulsuse oder die hysterische Verrückte lieber ist, versuche ich, sie zu beruhigen.
»Selbst wenn sie beißen würden, Ihre Kleidung könnten sie nicht noch mehr zerfetzen …«
Ich fange leise an zu lachen, so skurril ist die ganze Situation, und ich bin sicher, dass sie mich gleich mit Beschimpfungen überhäufen wird, doch da beginnt auch sie zu lachen. Es gefällt mir, ihr Lachen klingt sanft, und sie wirkt weniger verrückt.
Nach ein paar Augenblicken sehen wir uns verlegen an, und es wird ganz still. Was soll ich nur mit ihr machen? Meine innere Stimme sagt mir, dass diese Frau nur Probleme bringt, doch ein Teil von mir amüsiert sich auch und würde gern mehr über sie erfahren. Schließlich hätte das auch den Vorteil, dass es mich von meinen eigenen Problemen ablenken würde.
»Kommen Sie, setzen Sie sich wieder vors Feuer, ich mache Ihnen noch einen Tee, und Sie erzählen mir, was Sie in unsere schöne Gegend geführt hat. Anschließend bringe ich Sie zu Ihrer Unterkunft. Allerdings hoffe ich, dass man Sie erwartet, es ist nämlich fast Mitternacht.«
»Mitternacht?« Wieder sieht sie mich panisch an.
»Was denn jetzt noch? Verwandeln Sie sich um Mitternacht etwa zurück in Aschenputtel? Ach nein, das sind Sie ja schon.«
»Hahaha. Für einen Bären haben Sie ja doch Humor.«
Ich gehe nicht auf ihre spitze Bemerkung ein, und während sie im Sessel Platz nimmt, gehe ich...