E-Book, Deutsch, 279 Seiten
Couperus Heliogabal
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8496-0790-6
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 279 Seiten
ISBN: 978-3-8496-0790-6
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein historischer Roman über den Sonnenkaiser Heliogabal. Schon als Kind von 15 Jahren wurde er auf den Thron gehoben und das römische Reich lag ihm zu Füßen. Aber gerade mal drei Jahre später wurde er auf brutale Weise ermordet ....
Weitere Infos & Material
An den hohen Kaktushecken entlang, die die Tempelgärten mit ihren stachligen Blättern umrahmten, strömte die Menge von links und von rechts herzu, und mit dem lichten Zittern der widerhallenden Gongschläge mengte sich der feine Staub, der von den tausend Sandalen aufgewirbelt wurde und glitzernd wieder herabfiel. Anstürmend mit einem Getöse wie Meeresbrausen, überdröhnt von den donnernden Gongs, flutete die Menge sturmgleich von links und von rechts durch die Tempelpforte in die Gärten hinein. Der breite Weg nach dem Tempel war besetzt von der städtischen Kohorte, unter Befehl des städtischen Tribunen.
Die Seitenpforten waren alle weit geöffnet und dem Aufgebot der Berittenen und der Aufsicht der städtischen Kohorte zum Trotz strömte die Menge in stets anschwellender Flut in die Apadana hinein.
Von überall her waren sie gekommen, von Damaskus, von Tyrus, von Sidon, von Heliopolis, von Palmyra, sogar von Jerusalem. Sie hatten nicht nur alle Herbergen in Emesa überfüllt, sondern sich in dieser sternklaren Nacht der Erwartung auch überall gelagert, wo nur eine Treppe, eine Stufe, ein Stein zu finden war, wenn sie nicht gar im mondbetauten Gras geschlafen hatten. Als die ersten Gongschläge dröhnten und die Menge in den Tempel Heliogabals riefen, war sie zusammengeströmt über den weißbestaubten Weg, in fieberhafter Spannung, in heißer Erregung, so wie die Menge zu jedem Schauspiel zu eilen pflegt, zu jeder Darstellung, zu jedem Aufzuge, allein noch toller, noch erregter, noch fieberhafter, aus frommer Verehrung für den Sonnengott, dessen Hohenpriester, den jungen Bassianus, sie um den Schwarzen Stein tanzen sehen wollte. Die Kunde von der göttlichen Anmut des Bassianus war nach jedem dreimonatlichen Opferfest weithin gedrungen und der Tag des großen Dienstes und des Tanzes war zu einem Sonnenfest voll jubelnder Begeisterung geworden, neben dem selbst die großen Festtage in den Tempeln zu Heliopolis verblaßten und ihr Ansehen verloren. Die den Hohenpriester gesehen hatten, gingen wieder, die ihn nicht gesehen hatten, mußten dem unwiderstehlichen Verlangen, ihn einmal zu sehen, nachgeben, ja es gab Arme, die tagelang hungerten, um einige Drachmen als Reisegeld zurückzulegen. Am Tage des Tanzes ging ein jeder nach Emesa, der nicht lahm, blind oder krank war. Vornehme Männer kamen mit Kamelen und Scharen von Sklaven, Betagte auf Krücken, Mütter schleppten ihre Kinder mit; Hunderte von Bettlern begleiteten die Menge und Taschendiebe machten reiche Beute.
Die Menge strömte in die Apadana hinein. Leicht bewaffnete Velites bildeten eine breite Kette quer durch die Mitte der Apadana, indem sie zwischen den Säulen ihre langen Speere in Brusthöhe horizontal ausgestreckt hielten, von dem freigelassenen Haupteingang bis zu den Treppen des Allerheiligsten. Schwere Vorhänge, die wie in bronzenen Falten herabhingen, entzogen dieses den Augen der Menge, die unaufhaltsam dichter herandrängte. Eine Bande von fünf, sechs Gladiatoren bahnten sich mit ihren breiten Schultern, ihrer gewölbten Brust und ihren muskelstarken Armen brutal einen Weg, mitten durch die bunte scheltende Menge, die mit Füßen gestoßen und erbarmungslos aneinander gepreßt ward. Zusammengeschlossen stürmte die Bande vorwärts und der Vorderste, ein Mirmillo und Germane, rief seinen Gefährten laut zu:
"Vorwärts, vorwärts, noch dichter anschließen!"
Die anderen folgten dem Germanen, brutal lachend. Aber noch mehr wurde die Menge gedrängt und gepreßt, als ein Trupp römischer Legionäre hereinströmte. Frauen schrien und kreischten. Dolche wurden gezückt. Der Gladiatorenbande folgte ein Inder dicht auf den Fersen. Er war nackt, leicht gebräunt, hatte ein Tuch um die Lenden gegürtet und einen weißen Turban um den Kopf gewunden. Hager und schlank, doch anmutig, hielt er mit den Gladiatoren gleichen Schritt, ließ sie den Weg bahnen und ging mit ihnen, drängte nach vorn, hinter ihnen her und gewann so einen immer besseren Platz. Jetzt hatte er sich mit schlauem Lächeln bis in die Mitte ihrer muskelstarken Gruppe zu drängen gewußt und stand da, von ihrer Stärke beschützt und behütet; seine Lippen lächelten, seine Augen lächelten, während er auf den bronzeschweren Vorhang starrte.
"He, Freundchen, was bedeutet das?" fragte der Germane. "Ihr seid stark und ich bin schwach," antwortete der Inder mit einem schmeichelnden fremdenTonfall in seinem singenden Syrisch. "Der Schwache sucht Schutz bei dem Starken. Aus dem Park bin ich hinter euch hergekommen. Hier haben wir einen recht guten Platz, um den Tanz Seiner Heiligkeit zu sehen."
Er sprach förmlich und höflich, mit leiser Stimme, unaufhörlich lächelnd, denn er fühlte sich in der Gruppe der Gladiatoren, an die er sich immer dichter anschloß, sicher und geborgen. Der Rücken des Germanen drückte gegen seine Brust; links und rechts preßten ihn zwei schwere Gallier, hinten drängten zwei Netzfechter und ein Tierkämpfer, und er ließ sich pressen und drängen, eingeklemmt von diesen Prachtkörpern, diesen Muskelmassen, die ihm entgegenschwollen, von den rauhen bestialischen Köpfen, die über ihn hinweg sahen, weil er kleiner war.
"Siehst du Bassianus zum erstenmal tanzen?" fragte der Inder den Mirmillo.
"Ja", antwortete der Germane kurz.
"Ich habe dich jüngst bei den Spielen gesehen", fuhr der Inder mit schmeichlerischem Lächeln fort, "du bist Gualterus; nun, man kennt dich ja genugsam. Ich habe dich bewundert, du hast dein Netz so kunstvoll hingelegt wie kein anderer. Wahrhaftig, das nenne ich Kunst, wie du es hinlegtest!"
Der Mirmillo brüllte laut vor Freude.
"Ja, ja, es war gut!" sagte er, selbstgefällig prahlend.
"Seht ihr den göttlichen Bassianus auch zum erstenmal?" fragte der Inder höflich, indem er rundum auf die andern blickte.
"Ja, ja", erwiderten sie.
"Wir haben ihn schon einmal opfern sehen ..."
"Aber tanzen noch nie ...?"
"Nein, tanzen sehen wir ihn heut zum erstenmal."
"Nun," sagte der Inder, "da werdet ihr Augen machen."
"Sahest du ihn denn schon tanzen?"
"Mindestens fünfmal. Es ist etwas, was man vor ihm nie gesehen hat und nach ihm nie wieder sehen wird. Es ist eine Weide für Herz und Augen. Ich bin Ganadasa, der Gymnosophist, ich komme vom Ganges und glaubte viel gesehen zu haben, aber ich hatte nichts gesehen, bevor ich den heiligen Bassianus tanzen sah. Götter, wie schön ist das! Ja, ich bin Gymnosophist, ich habe auf meinen Nabel gestarrt, um mich von der Welt abzukehren und in den unsichtbaren Dingen aufzugehen, doch seit ich Bassianus sah, bin ich nicht mehr Gymnosophist, seit ich Bassianus tanzen sah, bin ich Anbeter der Sonne und Anbeter des Bassianus. Götter, wie herrlich ist dieser Tanz, ein wahres Wunder!" "Ja, ja," meinte der Mirmillo, "das sagen alle."
"Dränge dich noch weiter vor!" riet der Inder mit leisem Schmeicheln, während er aus seinem Lendentuch einen halben Aureus in die Pfote des Gualterus gleiten ließ.
Die Gladiatoren stießen vor; sie spalteten die wütende Menge in zwei Teile. Jetzt näherten sie sich immer mehr dem Heiligtum, wo die Velites Wache standen.
"Hier seht ihr alles!" sagte der Inder Ganadasa, "die Estrade des Prokonsuls, der Präfekten und der drei Mütter! Das ist ein guter Platz, von hier lassen wir uns nicht vertreiben, nicht wahr?"
"Dafür wollen wir schon sorgen", schrien die Gladiatoren prahlerisch.
"Sag' mal, Freundchen," meinte der eine Gallier, während er den Inder um den Leib packte und die Falten seines Lendentuches betastete, "hast du nicht auch für mich einen Aureus?"
"Gewiß," lächelte der Inder, "schau her..."
"Und für mich? Und für mich?" riefen die anderen. Sie umdrängten Ganadasa, bis er ganz eingeklemmt war zwischen den Schenkel- und Bicepsmassen.
"Gewiß", sprach er mit unverwandtem Lächeln. "Seht hier! Und hier!"
Allen drückte er in die plumpen Fäuste Goldstücke, die er listig hervorzauberte, aus welchem Versteck, wußte niemand, denn sein Lendentuch war schmal und nur ganz locker geschlungen. "Für einen Philosophen vom Ganges bist du sehr reich", meinte der Mirmillo Gualterus.
"Nein, ich bin nicht reich," erwiderte Ganadasa mit sanfter Stimme, "aber von dem, was ich empfing, gebe ich meinen braven Gefährten, die stark sind, herzlich gerne, schon deshalb, weil ich irdische Schätze nicht achte und nur nach dem Unsichtbaren strebe, denn ich lebe von nichts und brauche nichts. Aber die ehrwürdige Mäsa, die Großmutter des Bassianus, ist reich. Sie hat mir Armem auch ein Almosen in Gold geschenkt, als sie an mir vorüberging, während ich grübelnd auf einem Stein saß. Wenn sie Kaiserin wäre, oder, besser noch, wenn unser herrlicher Bassianus Kaiser wäre, dann würde das Gold fließen, ohne Unterlaß, in die Taschen aller braven Gefährten und Gladiatoren ..."
"Wenn Bassianus Kaiser würde?" wiederholten die Gladiatoren fragend, während sie Ganadasa umdrängten.
"Gleich werdet ihr ihn tanzen sehen!" rief der Inder in einer Verzückung, die in Wahrheit in seiner Seele lebte und die er jetzt seinen Zwecken dienstbar machte. "Der Liebling!...




