Feist Die Midkemia-Saga 2
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-641-18563-3
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der verwaiste Thron
E-Book, Deutsch, 576 Seiten
Reihe: Fantasy
ISBN: 978-3-641-18563-3
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der ehemalige Magierlehrling Pug ist als Kriegsgefangener zu der gefährlichen Arbeit in den Sümpfen Tsuranis verdammt. Doch da erkennt einer der überaus mächtigen Magier Tsuranis Pugs wahres Talent und übernimmt dessen Ausbildung. Pug ist ihm dankbar, und je mehr er über die Kultur der Tsurani lernt, desto mehr schätzt er sie. Ihm wird sogar erlaubt, die Frau, die er liebt, zu heiraten. Aber tief in seinem Herzen hat Pug nie vergessen, dass er aus Rillanon stammt - und dass die Tsurani seine Feinde sind!
Raymond Feist wurde 1945 in Los Angeles geboren und lebt in San Diego im Süden Kaliforniens. Viele Jahre lang hat er Rollenspiele und Computerspiele entwickelt. Aus dieser Tätigkeit entstand auch die fantastische Welt seiner Romane: Midkemia. Die in den 80er-Jahren begonnene Saga ist ein Klassiker des Fantasy-Genres, und Feist gilt als einer der wichtigsten Vertreter der Fantasy in der Tradition Tolkiens.
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Der Landsitz
In den letzten drei Wochen war es kälter geworden.
Doch noch immer deutete alles auf die Hitze des Sommers hin. Der Winter, wenn man ihn überhaupt so nennen konnte, dauerte in diesem Land nicht länger als knappe sechs Wochen und brachte nur kurze, kalte Regen aus dem Norden. Die Bäume behielten den Großteil ihrer blaugrünen Blätter, und nichts zeigte an, dass der Herbst verstrichen war. In den vier Jahren, die Pug in Tsuranuanni gelebt hatte, konnte er keines der vertrauten Anzeichen für die verschiedenen Jahreszeiten bemerken: keine Vogelwanderungen, keinen Frost am Morgen, keinen Regen, der gefror, keinen Schnee, auch nicht das Knospen wilder Blumen. Dieses Land schien sich immer im ewigen Sommer zu befinden.
Die Shinzawai-Karawane näherte sich den Grenzen des Familienbesitzes im Norden. Pug und Laurie hatten unterwegs nur wenig zu tun gehabt. Nur ab und zu erhielten sie kleine Aufgaben: Sie mussten die Kochtöpfe reinigen, den Kot der Needras fortschaffen und Vorräte auf- und abladen. Jetzt fuhren sie hinten auf einem Wagen mit. Ihre Beine baumelten über den Rand. Laurie biss genüsslich in eine reife Jomach-Frucht. Er spuckte die Kerne aus und fragte: »Was macht deine Hand?«
Pug musterte seine Rechte und untersuchte die rote Narbe, die über die ganze Handfläche verlief. »Immer noch steif. Ich glaube, besser wird sie nicht mehr.«
Laurie warf einen Blick darauf. »Glaube kaum, dass du je wieder ein Schwert halten wirst.« Er grinste.
Pug lachte. »Du wohl auch nicht. Jedenfalls glaube ich nicht, dass sie für dich einen Platz bei der Kaiserlichen Garde finden werden.«
Laurie spuckte erneut einen Schwall Kerne aus. Sie prasselten auf die Nase der Needra, die den Wagen hinter ihnen zog. Das sechsbeinige Tier schnaubte, während der Fahrer wütend mit seinem Stock fuchtelte.
»Merk dir eines, mein lieber Freund«, erklärte Laurie in hochmütigem Ton. »Wir Troubadoure werden oft von Männern bedrängt, die wenig vornehm sind, von Räubern und Halsabschneidern zum Beispiel, die es auf unser schwer verdientes Geld abgesehen haben. Da bleibt man nicht lange im Geschäft. Wenn du verstehst, was ich meine.«
Pug lächelte. Er wusste, dass ein Troubadour in jeder Stadt fast als Heiliger galt. Wurde ihm ein Leid zugefügt oder wurde er ausgeraubt, dann verbreitete sich die Kunde darüber blitzschnell, und kein anderer Troubadour suchte diese Stadt jemals auf. Aber unterwegs auf der Straße, da war das etwas anderes. Er zweifelte nicht an Lauries Fähigkeit, sich selbst zu verteidigen. Dennoch wollte er nicht, dass der Sänger in diesem hochmütigen Ton mit ihm sprach.
Gerade setzte er zu einer Erwiderung an, als Rufe von der Spitze des Zuges ihn schweigen ließen. Soldaten eilten vorwärts, und Laurie wandte sich an seinen kleineren Kameraden. »Was, meinst du, hat das zu bedeuten?«
Ohne auf eine Antwort zu warten, sprang er vom Wagen und eilte hinter den Soldaten her. Pug folgte ihm. Als sie die Spitze der Karawane erreichten und hinter der Sänfte des Herrn der Shinzawai verharrten, konnten sie Gestalten auf der Straße sehen, die auf sie zuhielten. Laurie packte Pug am Ärmel. »Reiter!«
Pug wagte seinen Augen nicht zu trauen. Tatsächlich schien es so, als näherten sich ihnen Reiter auf der Straße vom Herrenhaus der Shinzawai. Als sie näher kamen, konnte er erkennen, dass es sich jedoch nur um einen Mann zu Pferde und drei Cho-jas handelte, die alle dunkelblau gefärbt waren.
Der Reiter, ein junger braunhaariger Tsurani, größer als die meisten von ihnen, stieg ab. Seine Bewegungen waren ungelenk. »Die werden niemals eine militärische Bedrohung darstellen, wenn sie nicht besser reiten lernen«, bemerkte Laurie. »Sieh nur, er hat weder Sattel noch Zaumzeug. Nur ein paar Lederriemen, mit denen er das Pferd lenkt. Und das arme Tier sieht aus, als wäre es seit mindestens einem Monat nicht mehr anständig versorgt worden.«
Der Vorhang der Sänfte wurde beiseitegezogen, als sich der Reiter näherte. Die Sklaven setzten die Sänfte ab, und der Herr der Shinzawai stieg aus. Hokanu war an die Seite seines Vaters getreten und umarmte den Reiter zur Begrüßung. Dann drückte der junge Mann den Herrn der Shinzawai an sich. Pug und Laurie konnten hören, wie er sagte: »Vater! Es ist schön, dich zu treffen!«
Der Herr der Shinzawai entgegnete: »Kasumi! Es ist eine Freude für mich, meinen erstgeborenen Sohn zu sehen. Wann bist du zurückgekehrt?«
»Vor weniger als einer Woche. Ich wäre nach Jamar gekommen, hörte aber, dass Ihr nach hierher aufgebrochen seid. Also habe ich gewartet.«
»Ich bin froh. Wer ist da bei dir?« Der Gebieter der Shinzawai deutete auf die Gestalten.
»Dies«, sagte sein Sohn und zeigte auf den Vordersten, »ist Befehlshaber X’calak. Er ist soeben vom Kampf gegen die Kurzen unter den Bergen von Midkemia zurückgekehrt.«
Das Wesen trat vor und hob die rechte Hand zum Gruß, eine sehr menschliche Geste. Dann erklärte es mit hoher, piepsiger Stimme: »Heil, Kamatsu, Gebieter der Shinzawai. Ehre sei mit deinem Hause.«
Der Herr der Shinzawai verbeugte sich leicht aus der Hüfte heraus. »Seid gegrüßt, X’calak. Ehre deinem Schwarm. Die Cho-jas sind uns immer willkommene Gäste.«
Das Wesen trat zurück. Der Herr wandte sich um und starrte das Pferd an. »Was ist das, worauf du sitzt, mein Sohn?«
»Ein Pferd, Vater. Eine Kreatur, auf der die Barbaren in die Schlacht reiten. Ich habe dir schon früher davon erzählt. Es ist wahrhaftig ein wunderbares Wesen. Auf seinem Rücken bin ich schneller als der schnellste Cho-ja-Läufer.«
»Wie bleibst du oben?«
Sein älterer Sohn lachte. »Nur mit großen Schwierigkeiten, leider. Die Barbaren haben da Tricks, die ich erst noch lernen muss.«
Hokanu lächelte. »Vielleicht können wir für Unterricht sorgen.«
Kasumi schlug ihm spielerisch auf den Rücken. »Ich habe mehrere Barbaren gefragt. Aber dummerweise waren sie alle tot.«
»Ich habe hier zwei, die es nicht sind.«
Kasumi schaute an seinem Bruder vorbei und entdeckte Laurie, der einen ganzen Kopf größer war als alle anderen Sklaven, die sich hier versammelt hatten. »Das sehe ich. Nun, wir werden ihn fragen. Vater, mit deiner Erlaubnis werde ich jetzt zum Haus zurückreiten und alles für dein Kommen vorbereiten lassen.«
Kamatsu umarmte seinen Sohn erneut und willigte ein. Kasumi stieg wieder auf und ritt nach einem kurzem Winken davon.
Hastig kehrten Pug und Laurie wieder auf ihre Plätze auf dem Wagen zurück. »Hast du schon mal solche Wesen gesehen?«, erkundigte sich Laurie.
Pug nickte. »Ja. Die Tsurani nennen sie Cho-jas. Sie leben wie die Ameisen in großen Haufen. Die Tsurani-Sklaven, mit denen ich im Lager gesprochen habe, haben mir erzählt, dass sie dem Kaiserreich treu ergeben sind, aber ich meine mich erinnern zu können, dass irgendjemand mir erklärt hat, dass jeder Schwarm seine eigene Königin hat.«
Laurie spähte nach vorn am Wagen vorbei. Er musste sich dazu mit einer Hand festhalten. »Ich möchte keinem zu Fuß begegnen. Schau nur, wie die rennen.«
Pug sagte nichts. Die Bemerkung des ältesten Shinzawai-Sohns über die Kurzen unter den Bergen hatte alte Erinnerungen in ihm wachgerufen. Wenn Tomas noch lebt, dachte er, dann ist er jetzt ein Mann. Wenn er noch lebt.
Das Herrenhaus der Shinzawai war riesig. Mit Ausnahme von Tempeln und Palästen war es das größte einzelne Gebäude, das Pug je gesehen hatte. Es stand oben auf einem Hügel, und von dort aus hatte man einen meilenweiten Blick über die Landschaft, die es umgab. Das Haus war eckig wie das in Jamar, aber es war einige Male so groß. Das Stadthaus hätte leicht im zentralen Garten dieses Gebäudes Platz gefunden. Dahinter lagen die Nebengebäude, das Kochhaus und die Sklavenunterkünfte.
Pug verrenkte sich den Hals, um sich den Garten anzusehen, denn sie gingen hastig hindurch, und er hatte nur wenig Zeit, um alles in sich aufzunehmen. Der Hadonra Septiem schalt ihn. »Trödle nicht.«
Pug beschleunigte seinen Schritt und holte Laurie ein. Aber selbst auf den ersten kurzen Blick war der Garten eindrucksvoll. Mehrere Schattenbäume standen neben drei Tümpeln, welche wiederum inmitten von Miniaturbäumen und blühenden Pflanzen lagen. Es gab Steinbänke, auf denen man ausruhen konnte, und überall führten Kieswege entlang. Um diesen kleinen Park herum erhob sich das Haus. Es war drei Stockwerke hoch. Die beiden oberen hatten Balkone, und mehrere Treppen führten hinauf. Man konnte Bedienstete sehen, die auf den oberen Ebenen entlangeilten. Doch im Garten schien außer ihnen niemand zu sein.
Sie erreichten eine Schiebetür, und Septiem wandte sich zu ihnen um. Streng erklärte er: »Ihr beiden Barbaren werdet euch vor den Herren dieses Hauses benehmen. Oder, bei den Göttern, ich werde jeden einzelnen Zentimeter Haut auf eurem Rücken mit der Peitsche bearbeiten. Jetzt seht zu, dass ihr alles tut, was ich euch gesagt habe, oder ihr werdet euch noch wünschen, Meister Hokanu hätte euch in den Sümpfen zurückgelassen, um dort zu verfaulen.«
Er schob die Tür zurück und kündigte die Sklaven an. Sie erhielten den Befehl einzutreten, und Septiem drängte sie hinein. Sie befanden sich in einem hell erleuchteten Raum. An den Wänden hingen Wandteppiche, Gemälde und Schnitzereien, alles sehr fein gearbeitet, kunstvoll und zart. Gemäß der Sitte der Tsuranis war der Boden mit einer dicken Lage aus Pelzen und Kissen bedeckt. Auf einem großen Polster thronte Kamatsu, der Herr der Shinzawai. Ihm gegenüber saßen seine beiden Söhne....