E-Book, Deutsch
Fessel Unter meinen Händen
1. Auflage 2004
ISBN: 978-3-89656-545-7
Verlag: Querverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Roman
E-Book, Deutsch
ISBN: 978-3-89656-545-7
Verlag: Querverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Gunn ist rastlos. Lange Jahre hat sie in ihrem Beruf als Hebamme gearbeitet, sich mit ihrer besten Freundin Greta ins Berliner Nachtleben gestürzt, reihenweise Frauen erobert - jetzt aber genügt ihr das alles nicht mehr. Sie braucht eine Auszeit. So beschließt die charismatische Butch, allen und allem für eine Weile den Rücken zu kehren. Sie streift die von ihr erwarteten, auch selbst kultivierten Rollen ab: die der zuverlässigen Geburtshelferin, der kumpelhaften Trinkkumpanin, der unwiderstehlichen Verführerin. Doch je näher der Abschied rückt, desto mehr zweifelt Gunn. Und gerade, als alles so richtig aus den Fugen gerät, macht Gunn eine verstörend-aufregende Bekanntschaft und neue Zweifel an der Entscheidung machen sich breit. Ein erotisch-literarischer Roman von Karen-Susan Fessel.
Autoren/Hrsg.
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I
Montag Rasmus ist erst einen Tag alt, aber sein Vater scheint ihn schon sehr gut zu kennen. „Das hat er nicht so gerne“, sagt Luis, als ich Rasmus an den Füßen fasse und er zu schreien beginnt. Ich schiebe meine freie Hand unter den kleinen, kräftigen Körper, hebe ihn an und bette den Jungen an meine Brust. Sofort hört Rasmus auf zu weinen und sieht mich aus hellblauen Augen verwundert an. Ich blicke zu seinem Vater. „So, das hat er also nicht so gern?“ Luis zuckt mit den Schultern. „Nein, eigentlich nicht“, sagt er und lächelt verlegen. Rasmus zieht die winzige Stirn kraus. „Uh“, macht er und strampelt mit den Beinen. Dann seufzt er und verzieht den Mund. Ich fahre mit einem Finger über seine kaum vorhandenen Augenbrauen und schnalze mit der Zunge. Rasmus starrt mich an. Er schielt, wie fast alle Neugeborenen. „Siehst du aber intelligent aus, mein Kleiner!“, sage ich und wiege ihn leicht. Rasmus gluckst bestätigend. Neben mir wechselt Luis das Standbein. Ich spüre, dass er den Kleinen nur zu gern aus meinen Armen nehmen und selber halten möchte. Aber noch muss er sich gedulden. „Wo ist die Waage?“, frage ich. Luis stolpert fast über die eigenen Füße, als er mich durch den Flur ins Bad führt, wo die Waage auf der geliehenen Wickelkommode steht. Durch die offene Tür kann ich Vera sehen, die im Bett liegt und schläft. Sie sieht sehr mitgenommen aus, genau wie Luis auch. Im Geiste notiere ich mir, dass ich mich nachher noch um eine Haushaltshilfe für die beiden kümmern werde. Rasmus protestiert mit ärgerlichem Gejammer, während ich seine Nabelschnur untersuche, seine Temperatur messe und ihn wiege. Er hat zehn Gramm abgenommen seit gestern, aber das ist normal. Ansonsten ist er gesund. Klein und mickrig zwar, aber gesund. Noch keine Anzeichen von Gelbsucht, normal entwickelte Lungen. Die Atmung ist gut. Als ich ihn wieder hochnehme und sein Gewicht spüre, bin ich für einen Moment sehr gerührt. Wie hilflos er ist, dieser winzige Mensch in meinen Händen, der sein Leben noch vor sich hat. Jedes Mal wieder rührt mich das an. Ich blicke zu Luis. „Hast du gut gemacht“, sage ich und grinse. Luis wird rot. „Ach“, sagt er und windet sich, ohne den Jungen aus den Augen zu lassen. „Ach, ich … Ich hab doch gar nichts gemacht. Leider.“ Ich reiche ihm den Kleinen und sehe zu, wie Luis mit der typischen ängstlichen Unsicherheit aller frisch gebackenen Väter das Neugeborene entgegennimmt und vorsichtig in die Armbeuge bettet. „Natürlich hast du. Das ist dein Sohn.“ „Ich wünschte, es wär so“, sagt Luis mit einem Anflug von Traurigkeit und betrachtet den Kleinen, der jetzt, erschöpft von der Anstrengung, die Augen geschlossen hat und dabei ist, einzuschlafen. „Ich wünschte, es wär so.“ Draußen ist es schwül. Die Wolkendecke, die seit Tagen über der Stadt hängt, ist aufgebrochen, und die Sonne strahlt durch den Dunst wie durch ein Brennglas auf die Straßen hinunter. Als ich den Wagen aufschließe, strömt mir aufgehitzte Luft entgegen. Ich bleibe einen Moment stehen und betrachte die Häuserzeile gegenüber, den Park am Ende der Straße, das Stück diesigen Sommerhimmel darüber. Weit oben schleppt ein Zeppelin seine Werbebotschaft durch die Luft. Die Werbefahne hängt schlaff herunter, ich kann nur wenige Buchstaben entziffern. Eine dunkelhaarige Frau geht dicht an mir auf dem Bürgersteig vorbei, mit träge klappernden Absätzen. Als ich sie ansehe, blickt sie zur Seite. Etwas in ihren Augen erinnert mich an Kim. Dann ist die Frau fort, und mit ihr die Erinnerung. Ich lege den Kopf in den Nacken und merke, dass ich Hunger habe. Heute ist Montag. Noch zwei Wochen. Noch genau vierzehn Tage, dann lasse ich all das hinter mir – die brütende Hitze der Stadt, ihre Staub und Dreck ausschwitzenden Straßen, die angestrengten Gesichter ihrer Bewohner, die spätgebärenden Mütter darunter und ihren Nachwuchs. Noch zwei Wochen. Aber noch immer weiß ich nicht, wo ich dann hingehen werde. Und was danach kommt. Als ich einsteige, spüre ich die schmerzhafte Stelle in meinem Rücken. Ich schiebe den rechten Fuß nach vorn und verlagere das Gewicht, und der Schmerz geht. Zeit für Inga. Aber nicht heute. Ich fahre die Kreuzbergstraße hinunter und dann in die Bergmannstraße. Jetzt, wo die Sonne sich hervorgekämpft hat, sind auch die Leute aus ihren Löchern gekrochen. Eine Traube von Touristen hängt vor einem Souvenirladen und betrachtet die aushängenden Postkarten. Der Gemüsehändler ein Stück weiter preist lautstark seine Waren an, und an den Tischen der Cafés ringsum hocken sonnenbebrillte Gäste und versuchen so auszusehen, als betrieben sie hier seit den Morgenstunden Müßiggang. Vor dem japanischen Imbiss langweilt sich ein Sushi-Koch, und beim Thailänder ein Haus weiter sind fast alle Bänke besetzt. Aber die letzte ist frei. Und der Parkplatz direkt davor auch. Die Sonne verschwindet wieder hinter den Wolken und wirft gnädigen Schatten über mich, als ich mein Essen auf den Tisch stelle und mich in die Sitzbank schiebe. Gebratene Garnelen mit Gemüse, heiß, scharf, köstlich. Ich genieße jeden Bissen, ohne den Blick vom Teller zu heben. Als ich fast fertig bin, stützen sich plötzlich zwei Hände rechts und links davon flach auf dem Tisch auf. Frauenhände, schlank und gepflegt. Mein Blick fährt an nackten Oberarmen empor und hält bei einer verspiegelten Sonnenbrille inne. Das von einer blonden Mähne eingerahmte Gesicht dahinter kenne ich. Tanja. „He, da hat aber jemand Hunger gehabt.“ Sie richtet sich auf und schiebt ihre Sonnenbrille nach oben. Ihre grünen Augen blitzen mich an. „Wie geht’s dir denn so?“ „Bestens. Und selbst?“ Und dann, während Tanja fragend auf den Platz mir gegenüber deutet und ich nicke, dann fällt mir auch der Name ihres Sohnes ein. Ein kräftiger Kerl mit einem Wahnsinnsorgan, der pünktlich zur Welt kam und sofort losschrie. „Und Laszlo?“ „Wächst und gedeiht“, sagt sie und setzt sich. „Dass du dir den Namen gemerkt hast!“ Sie schiebt ihre gefalteten Hände nach vorne. Schon damals haben die mir gefallen. Genau wie die ganze Frau. Was durchaus auf Gegenseitigkeit beruht hat. Selten hat mich eine Patientin so angebaggert wie Tanja. Aber für mich war sie natürlich tabu. Meine eigene goldene Regel. „Klar hab ich das“, sage ich und lächele Tanja an. Sie lächelt zurück, einen Tick zu lang. Dann schiebt sie sich die Sonnenbrille tiefer ins Haar, ohne mich aus den Augen zu lassen. „Wo steckt der Kleine? Wie alt ist er jetzt, vier? Oder fünf?“ „Fünf. Er ist gerade für zwei Wochen mit Zoran in Kroatien. Zoran ist sein Vater, das weißt du ja vielleicht noch.“ Ich nicke. „Lebt ihr noch zusammen?“ Tanja schüttelt den Kopf. Natürlich. Fünf Jahre später hat die Welt sich ziemlich oft um sich selber gedreht. „Aber du wohnst noch in der Fidicin, oder?“, frage ich. Jetzt ist es Tanja, die nickt. „Laszlo ist ein ganz Süßer, echt“, sagt sie, wie um die Scharte auszuwetzen, die ihre gescheiterte Beziehung hinterlassen haben könnte. „Aber ziemlich quirlig manchmal, puh.“ „Genau wie er rausgekommen ist. Die wichtigsten Eigenschaften zeigen sich eben meistens sofort.“ Sie lächelt, und ihre grünen Augen tasten mein Gesicht ab. Ich spüre, wie sich etwas in meinem Bauch zusammenzieht. Tanja ist genau der Typ Heterofrau, um den ich normalerweise einen großen Bogen mache: gut aussehend und gut situiert, elegant mit einem Schlag ins Biedere, gelangweilt vom Leben und permanent notgeil. Im Bett aber, das hab ich in früheren Jahren ziemlich zügig gelernt, ist bei solchen Frauen sehr schnell die Luft raus. Doch bei Tanja vermute ich mehr. Sie könnte bestimmt eine ganz heiße Nummer hinlegen. Das interessiert mich. Immer. Und im Moment ganz besonders. „Ich hab manchmal an dich gedacht in den fünf Jahren“, sagt Tanja unvermittelt, und ihre Stimme ist eine Nuance tiefer geworden. „Wie es dir wohl so geht.“ „Ach?“ Ich hebe eine Braue, schiebe meinen Teller zur Seite und beuge mich vor. „O ja“, sagt sie und lächelt lasziv. Ich bin ihr so nah, dass ich den leichten Schweißfilm auf ihren Schlüsselbeinen sehen kann. Augenblicklich bekomme ich Lust, meinen Finger dort hinübergleiten zu lassen. Ich möchte sehen, wie Tanja unter meiner Berührung erschauert. „Und du möchtest, dass ich dir jetzt erzähle, wie es mir geht, ja?“, frage ich leise. Tanja steigt drauf ein. „Oder bei einer anderen, einer besseren Gelegenheit“, sagt sie, lehnt sich zurück und sieht mich herausfordernd an. Eine Schar lachender Kinder läuft dicht an unserem Tisch vorbei, und an der Kreuzung quietschen Bremsen. Tanja und ich schweigen, während ich meinen Blick langsam an ihr heruntergleiten lasse. Ihr Dekolleté bietet einen reichlich tiefen Einblick. Sieht so aus, als wären ihre Brüste gut in Form geblieben. Ich muss daran denken, dass ich ihren Körper ziemlich gut kenne. Ich weiß, wie sie aussieht. Ich habe sie an vielen Stellen berührt. Und in ihr drin war ich auch schon. Als ich ihr wieder in die Augen sehe, merke ich, dass sie an genau dasselbe gedacht hat wie ich. Ich merke es an der Art, wie sie mich ansieht. Eine Spur zu intensiv. Sie legt es wirklich drauf an. Wenn sie es so haben will – bitte. „Okay“, sage ich und lächele ihr zu....