Garrido | Das Pergament des Himmels | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 571 Seiten

Garrido Das Pergament des Himmels

Roman
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-8412-1331-0
Verlag: Aufbau Digital
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 571 Seiten

ISBN: 978-3-8412-1331-0
Verlag: Aufbau Digital
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Das Schicksal des Abendlandes.

Die junge Byzantinerin Theresa will Pergamentmacherin werden - ein Unding in der Würzburger Zunft des Jahres 799. Ihr Aufbegehren löst eine Katatrophe aus und mit knapper Not entkommt sie nach Fulda. Dort verwickelt sie der strenge Kirchenmann Alkuin von York, Ratgeber Karls des Großen, immer tiefer in die mörderischen Intrigen um eine gefälschte Urkunde. Von diesem Dokument hängt nicht weniger als die Herrschaft über das Abendland ab ...



Antonio Garrido, Jahrgang 1963, ist Professor an der Polytechnischen Universität in Valencia. Sein erster Roman Das Pergament des Himmels wurde in 16 Sprachen übersetzt und war ein internationaler Bestseller.
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1


An Allerheiligen wollte es in Würzburg nicht hell werden. Die Tagelöhner auf den Feldern deuteten besorgt zum Himmel, der sich dunkel blähte wie der Leib einer trächtigen Kuh. Die Hunde, die das Unheil witterten, heulten, und kurz darauf ging ein solcher Sturzregen auf die Erde nieder, dass selbst die bedächtigsten Bauern zitternd das Ende der Welt nahe wähnten.

Theresa lag fröstelnd in einem unruhigen Halbschlaf, geängstigt von dem grimmigen Trommeln bedrohlich lauten Hagels, der das Hüttendach aus Weidengeflecht in Stücke zu schlagen drohte, und versuchte den Moment des Aufstehens hinauszuzögern. Ihr war bewusst, dass sie sich beeilen musste, wollte sie nicht am wichtigsten Tag ihres Lebens zu spät in der Werkstatt sein. Warum nur lief ihr bei dem Gedanken an die Prüfung, die sie so sehr herbeigesehnt hatte, ein Schauer über den Rücken? Ein Schauer, der nichts mit dem Unwetter zu tun hatte.

Erst eine Woche zuvor hatte der Pergamentermeister Korne ihren Wunsch, die Gesellenprüfung abzulegen, aufs Schärfste zurückgewiesen. Er tobte und donnerte, so etwas habe es bei den pergamentarii noch niemals gegeben, eine Frau, die Geselle werden wolle, und als sie ihn daran erinnerte, dass die festgesetzten zwei Jahre, nach deren Ablauf jeder Lehrling die Aufnahme in das Handwerk fordern konnte, verstrichen waren, regte er sich umso mehr auf.

»Jeder Lehrling, der einen schweren Pergamentballen heben kann«, hatte er verächtlich geschnaubt.

Gestern nun war Korne am Ende des Tages in der Werkstatt erschienen und hatte sie mürrisch davon in Kenntnis gesetzt, dass er ihrer Bitte entsprechen wolle und die Prüfung unverzüglich stattfinden werde.

Dieser plötzliche Sinneswandel machte Theresa misstrauisch, und trotz ihrer Freude über die Nachricht hörte sie nicht auf, darüber zu grübeln, was Korne wohl zu diesem Umschwung bewogen haben mochte. Der Prüfung selbst fühlte sie sich durchaus gewachsen: Sie konnte ein Pergament aus Lammhaut von einem Ziegenvelin unterscheiden, sie straffte und spannte die feuchten Häute besser als der Meister selbst, und sie verstand es, Spuren von Pfeilen und Bissen in einer Weise zu tilgen, dass die Tierhäute danach so weiß und rein leuchteten wie das Hinterteil eines Neugeborenen. Und das war es schließlich, worauf es ankam.

Als Theresa endlich den schäbigen Fellüberwurf zurückschlug, spürte sie, wie bitterkalt es über Nacht geworden war. Sie richtete sich auf und tastete im Dunkeln nach der verschlissenen Decke, die wie ein Vorhang ihre Pritsche von der ihrer Eltern trennte. Sie nahm sie ab, wickelte sich darin ein und schlang sich ein Stück Seil um die Taille. Dann schlich sie sich leise hinaus. Nachdem sie im Hof, zitternd vor Kälte und nur von einem schmalen Dachüberhang vor dem Hagel geschützt, ihre Notdurft verrichtet hatte, wusch sie sich mit einer Handvoll Wasser und lief über einen Teppich aus eichelgroßen, eisigen Körnern zurück ins Haus. Drinnen zündete sie ein rußiges Öllämpchen an und kauerte sich auf die große, eisenbeschlagene Truhe. Das Licht erhellte nur schwach den niedrigen rechteckigen Raum, in dessen Mitte in einer im Boden ausgehobenen Mulde sich kleine bläuliche Flammen mühten, ein wenig Wärme zu verströmen. Es war der einzige Raum des Hauses, in ihm musste die ganze Familie Platz finden.

Die Kälte und die Nässe schmerzten Theresa, und als das Feuer endgültig zu verglimmen drohte, warf sie vorsichtig ein wenig Torf hinein und stocherte mit einem Stock in der Glut. Mit klammen Fingern griff sie nach einem Topf und machte sich daran, die angebrannten Grützereste vom Vorabend herauszuschaben, als sie in ihrem Rücken eine Stimme hörte.

»Darf man fragen, was zum Teufel du hier treibst? Schnell wieder ins Bett mit dir.«

Theresa wandte sich um und blickte ihren Vater entschuldigend an. Sie hatte ihn nicht wecken wollen.

»Es ist wegen der Prüfung. Ich kann nicht schlafen«, erklärte sie mit gedämpfter Stimme.

Gorgias reckte sich, brummte etwas vor sich hin und trat an die Herdstelle. Der Schein der Flammen, die, von Theresas Unruhe angesteckt, aufgeregt durcheinander tanzten, erhellte sein knochiges Gesicht unter dem zerzausten grauen Haarschopf. Er setzte sich neben Theresa und legte ihr den Arm um die Schultern.

»Es ist nicht die Prüfung, meine liebe Tochter. Es ist diese elende Kälte, die uns noch alle ins Grab bringen wird«, flüsterte er, während er ihr die Hände rieb. »Und lass doch diese trockene Grütze, die würden ja die Ratten nicht mehr anrühren. Rutgarda wird schon etwas zum Frühstück für uns finden. Aber du solltest diese Decke nachts wirklich lieber zum Zudecken benutzen, statt sie da mitten ins Zimmer zu hängen. Du brauchst vor uns doch nicht so schamhaft zu sein.«

»Aber das tue ich nicht aus Scham, Vater«, widersprach Theresa. »Ich hänge die Decke auf, damit ich Euch nicht störe, wenn ich noch lese.«

»Es ist mir gleich, warum du das machst. Eines Morgens wirst du starr wie ein Eiszapfen hier liegen, und dann spielt der Grund auch keine Rolle mehr.«

Theresa lächelte und schabte weiter Grützereste aus dem Topf. Sie hielt sie ihrem Vater hin, der sie gierig hinunterschlang, während er ihr zuhörte.

»Aber es ist wirklich nicht die Kälte, Vater. Gestern, als Korne einwilligte, mir die Prüfung abzunehmen, da hat er mich so seltsam angesehen. Ich weiß nicht … Sein Blick hatte etwas Furchteinflößendes.«

Gorgias strich seiner Tochter zärtlich über das Haar, das im flackernden Licht des Feuers schimmerte wie schwarzblaue Tinte, und beteuerte, dass alles gut gehen würde.

»Du kennst dich doch mit Pergamenten besser aus als der alte Korne selbst. Der ärgert sich nur, dass seine Söhne nach zehn Jahren in seinem Handwerk immer noch nicht die Haut eines Esels von einer Handschrift des heiligen Augustinus unterscheiden können. Nachher wird er dir ein paar Bogen zum Binden geben, du wirst es vortrefflich hinbekommen und die erste Pergamentergesellin im Frankenreich werden. Ob es Korne nun gefällt oder nicht.«

»Ich weiß nicht, Vater … Er wird nicht zulassen wollen, dass eine frischgebackene …«

»Und was tut es schon, wenn er nicht will? Korne mag Pergamentermeister sein, aber die Werkstatt gehört immer noch Wilfred, und vergiss nicht, dass auch er dabei sein wird.«

»Wollen wir es hoffen!«, sagte Theresa und stand auf.

Langsam sickerte ein wenig graues Morgenlicht durch den groben Holzladen vor dem einzigen Fensterloch. Auch Gorgias erhob sich, streckte und dehnte sich noch einmal wie eine Katze.

»Also gut. Warte, ich trockne nur schnell meine Griffel, dann begleite ich dich bis zur Werkstatt. Bei diesem Unwetter lasse ich dich nicht allein durch die Stadt spazieren.«

Während Gorgias sein Schreibzeug zusammenpackte, schob Theresa den schweren Riegel vor der Eingangstür zurück, öffnete sie einen Spaltbreit und blickte durch einen wild wogenden grauen Vorhang aus Regen und Eis auf die zerbrechlich wirkenden Dächer der Unterstadt. Im Schutze der Stadtmauern drängten sich die armseligen kleinen Holzhütten aneinander wie zu magere, nasse Schafe, die sich gegenseitig das Stück Boden streitig machten, mit dem sie sich begnügen mussten, während in der Oberstadt die befestigten Bauten stolz wie das Vieh des Fürsten die Straßen und Plätze schmückten.

»Beim heiligen Erzengel Gabriel!«, rief Gorgias aus, als habe er das Unwetter völlig vergessen. »Endlich kommt dein neues Kleid einmal zu Ehren!«

Theresa musste trotz ihrer Verzagtheit lächeln. Vor einigen Monaten hatte der Vater ihr ein wunderschönes Kleid geschenkt, tiefblau wie der Himmel in einer Sommernacht, das zu ihrem rabenschwarzen Haar passte, über das sich manch aschblonde Fränkin den Mund schon zerrissen hatte. Das Kleid hatte sie zu ihrem achtzehnten Geburtstag bekommen, aber sorgsam für eine besondere Gelegenheit aufbewahrt.

Bevor sie, beide in grobgewebte Umhänge gehüllt, aus dem Haus gingen, trat sie an den Strohsack, auf dem ihre Stiefmutter schlief, und gab ihr einen Kuss auf die Wange.

»Wünscht mir Glück«, flüsterte sie ihr ins Ohr.

Rutgarda brummte etwas und nickte. Doch als die Tür hinter den beiden zugefallen war, betete sie, dass Theresa die Prüfung nicht bestehen möge.

Vater und Tochter stiegen, so zügig es ging, den morastigen Weg zur Schmiede an der Ecke hinauf, wobei sich Gorgias trotz des peitschenden Regens in der Mitte der Straße hielt, denn in den dunklen Winkeln konnte sich alles mögliche Schurkenpack verbergen. In der Rechten trug er eine unnütz gewordene Fackel, den linken Arm hatte er Theresa um die Schultern gelegt und sie so noch zusätzlich mit in seinen Umhang gehüllt.

Sie waren schon bis zur Bogenstraße gekommen, als Theresa einfiel, dass sie ihre Wachstafeln vergessen hatte.

»Lauft weiter, Vater. Ich bin gleich zurück.«

Erschrocken wollte Gorgias sie aufhalten, doch schon war seine Tochter in der Menge der Bauern verschwunden, die ihr wie nasses Vieh entgegendrängten. Viele der kleinen Gassen hatten sich bereits in Sturzbäche verwandelt, Holzscheite, kaputte Körbe, tote Hühner und ein Bündel von Lumpen rauschten an Theresa vorbei. In der Gerberpassage kletterte sie über einen Wagen, der quer zwischen zwei überfluteten Häusern eingekeilt war, und rannte die Alte Straße hinab. Als sie atemlos an der Rückseite ihres Häuschens ankam, überraschte sie einen Gassenjungen, der eben den Fensterladen aufbrechen wollte. Diese dreckige...



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