E-Book, Deutsch, Band 29, 184 Seiten
Reihe: edition fünf
Garréta Sphinx
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-942374-86-6
Verlag: edition fünf
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 29, 184 Seiten
Reihe: edition fünf
ISBN: 978-3-942374-86-6
Verlag: edition fünf
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Anne Garréta wurde 1962 in Paris geboren. 'Sphinx', erschienen 1986 bei Grasset, ist ihr erster Roman. Die amerikanische Übersetzung erregte 2015 großes Aufsehen. Garréta arbeitet als Dozentin an der Université de Rennes 2 und hat auch in den USA unterrichtet. 2000 wurde sie aufgrund von 'Sphinx' in den Autorenkreis Oulipo aufgenommen - als erstes Mitglied, das nach der Gründung der Gruppe (1960) geboren wurde. Sie hat bisher sechs Romane geschrieben, zuletzt 'Éros mélancolique' (mit Jaques Roubaud), erschienen 2009. Für ihren Roman 'Pas un jour' erhielt sie 2002 den Prix Médicis, der jährlich für das Werk eines großen, aber viel zu unbekannten literarischen Talents verliehen wird.
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M
eine Begegnung mit A*** brachte den Lebenswandel, den ich mir seit einigen Monaten angeeignet hatte, nicht sofort durcheinander. Ich fügte den Nächten lediglich eine weitere Station als Auftakt hinzu, den obligatorischen Abstecher ins . Doch aus meiner Faszination wurde Leidenschaft, die nach mehr verlangte. Sie ließ sich nicht länger mit dem täglichen Höflichkeitsbesuch zufriedenstellen.
A*** pilgerte natürlich gern durch die Discos, sobald die Show im zu Ende war, und schaute so auch bald regelmäßig im vorbei, mit einem Teil der Truppe des im Schlepptau. Zu meiner Freude tanzten sie viel, und ihre gekonnten Einlagen machten mir wieder Lust auf die Arbeit. Manchmal gesellte sich A*** einen Moment zu mir in meinen Glaskäfig. Dann konnte ich nicht nur zusehen, wie mein Gast beim Tanzen allen anderen die Schau stahl, sondern auch diesen unwiderstehlichen Akzent genießen, wenn wir uns unterhielten. Und meinte, so manches Mal, in der durchtriebenen und zugleich charmanten Naivität, die dabei zutage trat, die geistige Entsprechung von A***s Tanzstil zu erkennen.
Wir kamen uns recht schnell so nahe, dass wir fast jeden Tag gleich nach dem Aufwachen miteinander telefonierten und mindestens einmal pro Woche gemeinsam zu Abend aßen, nur wir beide, worauf ich mir erlaubte, A*** bis zum zu begleiten. Dann trafen wir uns, wie schon erwähnt, im wieder, und manchmal trieben wir uns hinterher noch andernorts herum. Die seltsame Vertrautheit zwischen uns entsprang weder einem besonderen Einverständnis noch vereinten Interessen; sie war auch nicht Ausdruck oder Folge einer Freundschaft oder Liebe zwischen uns. Das Vergnügen, das mir A***s Gegenwart bereitete, war nicht an besonders originelle Ansichten oder gemeinsame Vorlieben geknüpft; es gab zwischen uns weder Streit noch tiefere Gespräche. Ich genoss unsere Nähe und unsere Unterhaltungen ganz ähnlich wie auch A***s körperlichen Charme und A***s Art zu tanzen: wie etwas Ästhetisches, das ich nur einer Leichtigkeit des Seins zuschreiben konnte, die aber nicht ins Belanglose abglitt. Leichtfertig und tiefgründig, besser kann ich A*** nicht fassen, präsent und unaufdringlich zugleich.
Unser gemeinsames Erscheinen überall, die Aufmerksamkeit, die wir einander entgegenbrachten, gab Anlass zu Gerede; unsere Treffen, die nur in der Öffentlichkeit stattfanden, ließen eine intimere Beziehung vermuten, die damals noch gar nicht existierte. Im und anderswo bekam ich zu hören, was für ein ungleiches Paar wir doch seien, man scherzte über den Kontrast unserer Hautfarbe, hob unsere Unterschiede hervor: A***s verrücktes, übermütiges und weltoffenes Wesen, das hemmungslose Gestikulieren und Sprechen im Gegensatz zu meiner Zurückhaltung und maßvollen Art. A*** hingegen musste die unablässigen Bemerkungen über mich und meinen religiösen und sozialen Hintergrund ertragen. Ständig wurde über meine unbegreiflichen Absonderlichkeiten geredet: meine Isolation und meinen Hang zum Alleinsein, gepaart mit dem Eintauchen in diese neue Welt; den ungewöhnlichen Verzicht auf eine Universitätskarriere, von dem inzwischen alle wussten, zugunsten eines Jobs als Aushilfs-DJ. Weil es keine stichhaltige Erklärung gab, musste sich dahinter doch irgendein Laster oder eine Perversion verbergen.
Was fand ich nur daran, meine Zeit mit jemandem zu verbringen, mit dem mich weder eine gesellschaftliche, intellektuelle noch eine ethnische Gemeinsamkeit verband? So lautete der Kern der Frage, die die Geister umtrieb. Schwarze Haut, weiße Haut: Unser Äußeres sprach gegen uns, unsere Intimität verstieß gegen den gesunden Menschenverstand, der wollte, dass sich Gleiches zu Gleichem gesellte. Und weil die Farbkombination als unmöglich galt, wurde unsere Verbindung überhaupt als widernatürlich empfunden.
Um dem Ärgernis ein Ende zu bereiten, musste sie in die Schranken des Bewährten und Altbekannten verwiesen werden; das Ungeheuerliche unserer Beziehung, ihre Dualität, war nicht zu dulden. Man versuchte also, mir einzureden, dass wir unvereinbar seien, und mich so von A*** abzubringen. Doch ich schenkte der ganzen Aufregung, die meine Bindung zu meinem vermeintlich absoluten Gegenbild provozierte, keinerlei Beachtung. Man sprach in meiner Gegenwart von der Flatterhaftigkeit, den vielen Affären und der Unmöglichkeit, A*** ganz für mich zu gewinnen. Man informierte mich wohlmeinend darüber, dass wir beide nicht vom selben Schlag seien, ja nicht einmal dieselbe Spezies. Man riet mir davon ab, aus dem Verhältnis eine ernsthafte Beziehung entstehen zu lassen, falls ich das denn wolle, und für den Fall, dass es leider doch schon so weit wäre, die Sache möglichst rasch zu beenden, bevor es zu schmerzlichen Krisen und Kummer und Sorge kam.
Ich scherte mich nicht um diese Meinungen, Ratschläge und Warnungen, diese Lästereien und Verleumdungen. Dass A*** leichtlebig, sprunghaft und launisch war, wusste ich selbst. Und stellte mich taub für das Konzert der gut gemeinten Gehässigkeiten und freundschaftlichen Bezichtigungen, die darauf zielten, mich zu entmutigen.
Eines Morgens im , der letzten Anlaufstelle für Nachtschwärmer, sah mich ein alter Gauner, den ich kannte und kaum mehr schätzte als seine Berufskollegen, mit A*** hereinkommen und rief mich zu sich an die Bar, wo er wie immer saß, um mir nach der üblichen feierlichen Begrüßung, untermalt von vielsagendem Augenzwinkern, den folgenden seltsamen Vortrag zu halten.
»Du weißt, dass ich dich mag. Also, hör mir mal zu. Diese ganzen Deppen, die haben ja keine Ahnung. Bloß weil ich manchmal mit dir quatsche, dich ein bisschen kenne, kommen sie seit einer Woche ständig bei mir an und sagen, du spinnst, du bist verrückt. Na ja … dass du ohne Sinn und Verstand der hübschen Kreatur da nachläufst [er meinte A***]. Weißt du, was sie sagen? Dass es zwischen Schwarzen und Weißen nicht funktionieren kann … dass das vorne und hinten nicht passt … Tanzen und Studieren, verstehst du? … [Er machte eine kurze Pause, um seinen Whisky auszutrinken.] … Aber die kapieren überhaupt nichts, sag ich dir … Seit zwei Wochen beobachte ich sie, deine Eroberung … Und ich kenn mich aus mit Schwarzen … In den letzten zehn Jahren sind mir so einige von denen untergekommen … Also hör zu, wenn du wirklich dranbleibst, dann hast du bald gewonnen … Diese ganzen Idioten reden Schwachsinn … Dass du dich unter Wert verkaufst! Das sagen sie doch, oder nicht? Wenn du mit denen redest, die schnallen es einfach nicht: kapieren nicht, was du dran findest … [Er bestellte sich noch einen Whisky und zündete seine Zigarre wieder an.] Aber ich weiß, was du dran findest … Komm in einem Monat wieder, dann reden wir noch mal drüber. Ja, ja! Das ist noch nicht in trockenen Tüchern, das braucht Zeit. Ich sags dir! Verführen! Zieh alle Register, lass dir was einfallen … Das dauert, aber du bist ja geschickt … Nur Geduld, und Herrgott nochmal, dann kriegst du, was du willst! Dann können sie sich ihr dummes Geschwätz sonst wo hinstecken.«
Er schüttelte mir kräftig die Hand, nachdem er seinen Monolog beendet hatte, heiser und mit dem kehligen Akzent, der allen, die nicht daran gewöhnt waren, wie er die Silben verfälschte, vollkommen unverständlich war. Die Edelnutte an seiner Seite schaute verwirrt und blinzelte. Ruggero, so nannte er sich, sah mich väterlich an, die Zigarre zwischen den Zähnen, und genoss meine Überraschung. »Bleib dran, sonst kriegst du’s mit mir zu tun … Wenn du den Sieg einfährst, geb ich Champagner aus. Lass dich nicht vom Gerede unterkriegen, von dem ganzen Klatsch und Blabla … Und jetzt geh und kümmer dich um die Liebe.«
A*** hatte, wie sich herausstellte, nichts von der ganzen Predigt mitbekommen, die ich mir hatte halten lassen. Während der zehn Minuten, die ich mit Ruggero verbrachte, hatten sich offenbar andere dazu berufen gefühlt, ihrerseits darauf hinzuweisen, dass ich mit allen Mitteln um A***s Aufmerksamkeit buhlte und mehr. Man sah uns überall zusammen, doch keine Haltung, keine Geste ließ auf eine Affäre schließen. Man wusste nicht, woran man war, und fand es unerträglich. Ein kurzes Techtelmechtel, einen One-Night-Stand ohne Gestern und Morgen hätte man entschuldigt. Doch eine Verbindung, die scheinbar nicht sexueller Natur war, ließ sich einfach nicht rechtfertigen.
Trotzdem hatte Ruggero in derben Worten genau das formuliert, wonach ich unbewusst strebte. Durch seinen Monolog waren mir meine Absichten klargeworden. Denn genau darum ging es mir im Grunde. Die Zuneigung, die ich A*** gegenüber empfand, verlangte danach, ausgelebt zu werden, das Vergnügen, das ich empfand, wenn wir zusammen waren, forderte Raum zur Entfaltung. Ja, ich wollte A***, und gegenüber diesem einen Wunsch verblassten alle anderen Sehnsüchte, Bedürfnisse und Pläne. Der Vollzug meiner Liebe wurde plötzlich zur Notwendigkeit.
Zu meiner Überraschung wurde ich so von Begehren überschwemmt,...




