Gernhardt Der letzte Zeichner
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-10-403214-6
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Aufsätze zu Kunst und Karikatur
E-Book, Deutsch, 352 Seiten
Reihe: Fischer Klassik Plus
ISBN: 978-3-10-403214-6
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Robert Gernhardt (1937-2006) lebte als Dichter und Schriftsteller, Maler und Zeichner in Frankfurt am Main und in der Toskana. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Heinrich-Heine-Preis und den Wilhelm-Busch-Preis. Sein umfangreiches Werk erscheint bei S. Fischer, zuletzt »Toscana mia« (2011), »Hinter der Kurve« (2012) und »Der kleine Gernhardt« (2017).
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II Zu Künstlern
Die tollen Streiche der florentiner Renaissance-Künstler
Im Jahre 1482 verläßt der dreißigjährige Leonardo da Vinci die Kunststadt Florenz, um fortan für Ludovico Sforza und seinen Mailänder Hof tätig zu sein. Als Grund für diesen Wechsel nennt Leonardos Biograph, der englische Kunsthistoriker Kenneth Clark, die Unvereinbarkeit von Mensch und Stadt – Leonardo sei stets sorgfältig gekleidet gewesen, dabei zurückhaltend und geheimnisvoll im Auftreten: »Ein solcher Charakter kam ihm im öffentlichen Leben von Florenz nicht zugute, mit den offenen Werkstätten, den harten sarkastischen Kritiken und den furchtbaren Streichen, die in den zeitgenössischen Lebensbeschreibungen der Künstler eine so große Rolle spielen.«
Künstlerstreiche vertreiben Universalgenie – trifft diese Behauptung wirklich zu? Welcher Art waren diese Florentiner Streiche denn wirklich? Waren sie wirklich so furchtbar? Und war Leonardo wirklich nur Opfer?
Die Antwort findet sich in den Aufzeichnungen zeitgenössischer Zeugen; im ›Decamerone‹ des Dichters und Humanisten Giovanni Boccaccio (1313–1375), in den ›Dreihundert Novellen‹ des Gesandten und Statthalters Franco Sacchetti (um 1330–1400), in der ›Geschichte vom dicken Holzschnitzer‹ des Mathematikers und Architekten Antonio Manetti (1423–1497), vor allem aber in dem achtbändigen Standardwerk ›Lebensläufe der berühmtesten Maler, Bildhauer und Architekten‹ des Malers und Architekten Giorgio Vasari (1511–1574). Schreiten wir in Sachen Florentiner Künstlerstreiche zunächst zur Bestands- und Beweisaufnahme.
»Die Toskaner sind alle Spaßvögel«, läßt Sacchetti einen Florentiner Kriminalrichter sagen, und an anderer Stelle befindet er selber, »daß es in allen großen Städten Spaßvögel gibt«. Nun war Florenz seit dem 13. Jahrhundert nicht nur die größte Stadt der Toskana, sondern eine der größten Europas – dementsprechend groß war die Zahl der dortigen »Spaßvögel« und »Possenreißer«, deren Hauptvergnügen darin bestanden zu haben scheint, ihre Mitmenschen in jeder nur denkbaren Hinsicht zu täuschen: ›Der Apostel Giovanni, der den Frommen spielt, verschafft sich Einlaß in eine Einsiedelei und erfreut sich dort an drei Einsiedlerinnen‹ heißt eine der Erzählungen Sacchettis.
›Man gibt Messer Dolcibene zum Hohn eine Katze zu essen. Einige Zeit darauf setzt er denen, die ihm die Katze servierten, Mäuse vor‹, ist eine andere überschrieben, der Titel einer dritten lautet ›Der Possenreißer Gonella verlangt von zwei Kaufleuten Geld, das ihm nicht zukommt‹ – und wenn es jemanden gab, der so etwas wie den Superlativ des toskanischen Spaßvogels darstellte, dann war das der Florentiner Künstler. »Von jeher hat es unter den Malern sehr ungewöhnliche Menschen gegeben« – derart allgemein läßt Sacchetti eine Novelle beginnen, deren Held der legendäre Maler Buffalmacco (keine genauen Daten) ist, doch schon der erste Satz der Erzählung »Die Kunst der Frauen« stellt den Zusammenhang zwischen Kauz und Künstler unmißverständlich her: »In der Stadt Florenz, die immer einen Überfluß an kuriosen Käuzen gehabt hat, lebten einst einige Maler« – ein Befund, den jeder Florenzbesucher seufzend bestätigen kann, meist ohne zu ahnen, daß fast alle dieser ehrfurchtgebietenden Meister auch meisterhaft zu täuschen und zu narren verstanden.
Das aber hatte unmittelbar mit ihrem Gewerbe zu tun. Ein Florentiner Leineweber oder Advokat konnte seinen Beruf und seine Berufung zur possenreißerischen Täuschung trennen, beim Florentiner Maler oder Bildhauer waren die Grenzen stets fließend, da bereits ihre Kunst das erklärte Ziel hatte, die Natur mit allen malerischen Mitteln und sämtlichen perspektivischen Tricks täuschend ähnlich nachzuahmen.
Getäuscht werden sollte natürlich der Betrachter, als besonders kunstvoll aber galt die Täuschung eines Kollegen. Das gelingt bereits dem Ahnherrn aller Florentiner Künstler, Giotto (um 1270–1337), von dem Vasari erzählt, »Giotto habe als Knabe, als er noch bei Cimabue in der Lehre war, einmal einer Figur seines Meisters eine Fliege so natürlich auf die Nase gemalt, daß Cimabue, als er zurückkehrte und sich wieder an die Arbeit setzte« – die Pointe dieser Wanderlegende dürfte bekannt sein. Authentischer klingt da schon, was Vasari von Brunelleschi (1377–1446) und Donatello (1386–1466) zu berichten weiß: Letzterer hat ein Kruzifix vollendet, stolz zeigt er es dem Kollegen. Der, in Erwartung eines besonderen Meisterwerks, äußert enttäuscht, »es dünke ihn, er habe einen Bauern ans Kreuz genagelt« – und nicht einen Christus. Worauf Donatello mit der ältesten Künstlerretourkutsche der Welt reagiert: »Nimm doch ein Stück Holz und versuche selber, einen Christus zu machen.« Brunelleschi tut dies denn auch in aller Heimlichkeit, bringt das Kruzifix »zu höchster Vollendung«, bittet Donatello zum Essen, kauft mit ihm auf dem alten Markt ein und fordert ihn gleisnerisch auf, doch schon mal mit den Lebensmitteln vorzugehen, er käme gleich nach: »Als nun Donatello das Haus betreten hatte, erblickte er das Kruzifix Filippos in guter Beleuchtung« – und ist so außer sich vor Staunen, daß er die Hände öffnet: »Da fielen ihm die Eier, der Käse und alles andere zu Boden.« Auf Brunelleschis lachende Frage, was sie denn nun essen sollten, erwidert er: »Was mich betrifft, so habe ich heute schon meinen Teil gehabt« – kein furchtbarer, eher ein fruchtbarer Streich, da er Donatello zu einer derartigen Kunstfertigkeit in der Naturnachahmung antrieb, daß er selber die Grenzen zwischen Kunst und Leben nicht mehr wahrhaben mochte: Als er an der Figur des Propheten Habakuk arbeitete – sie steht heute am Campanile des Doms und wird im Volksmund Zuccone, Kürbiskopf, genannt – da schaute er ihn nach Vasaris Worten an, »und rief in einem fort zu ihm: ›So sprich doch, sprich doch, sonst sollst du den Blutschiss bekommen.‹«
Die natürliche Zielscheibe der Florentiner Künstlerstreiche freilich waren nicht die Kollegen, sondern die Kunden, zumal die schlichteren Gemüts und aus einfacherem Stand. Wieder setzt Giotto Maßstäbe, und diesmal übernimmt Vasari ganz einfach eine Erzählung Sacchettis: ›Giotto, dem großen Maler, wird von einem unbedeutenden Mann ein Schild gebracht, den er bemalen soll; er macht sich den Spaß, bemalt den Schild nach Vorschrift, doch so, daß jener in Verwirrung gerät‹: Da hat sich offenbar jemand in der Werkstatt geirrt und in Giotto getäuscht, hält den für einen schlichten Gebrauchsmaler, stellt sich nicht vor, verlangt ohne weitere Angaben, daß der Meister sein Wappen male, und geht, nachdem er den Liefertermin festgelegt hat. Giotto, von Vasari als »sehr fröhlich« beschrieben, macht sich den Doppelsinn des Wortes »arene« zunutze und läßt einen Gehilfen kein »Wappen«, sondern »Waffen« auf das Schild malen, eine Sturmhaube, ein Schwert, ein Schild und anderes. Der ge- und enttäuschte Kunde zieht vor Gericht, wird dort jedoch, da der Künstler den Auftrag ja wortgetreu ausgeführt habe, zur Bezahlung des »Wappen«schildes verdonnert – eine Eulenspiegelei, die vorwegnimmt, was allen anderen Florentiner Bürgern widerfährt, die sich mit ihren Künstlern anlegen.
Als »den spasshaftesten aller Männer« bezeichnet Vasari den Maler Buonamico, Spitzname »Buffalmacco«, eine äußerst schwankende Gestalt der Kunstgeschichte – einige Fachleute bestreiten seine Existenz, andere schreiben ihm die Fresken im Pisaner Camposanto zu. Dafür sind jede Menge Schwänke überliefert: Ein Kunde schließt mit ihm einen Vertrag über ein 12 Ellen großes Christophorus-Wandbild ab, der Meister mißt die Kapelle aus und stellt fest, daß die nur neun Ellen hoch, breit und tief ist. Daher malt er den Heiligen liegend an eine der inneren Seitenwände, und da auch die nicht ausreicht, biegt er ihn ab den Knien um die Rückwand: Klage des Kunden, Freispruch des Malers, der vertragsgemäß bezahlt werden muß.
Bürger ziehen vor Gericht, Künstler wissen sich anders, eleganter zu helfen. Einer will eine Madonna nicht zahlen, die er sich auf seine Hauswand hat malen lassen? Buffalmacco nimmt »Farben, die bloß mit Wasser und ohne Leim angemacht sind und verwandelt das Kind in den Armen der Madonna in einen kleinen Bären.« Verzweifelt bittet der nunmehr zahlungswillige Kunde, die Verwandlung rückgängig zu machen, lachend streicht der Künstler das Geld ein und wischt den Bären mit einem nassen Schwamm ab.
Andere Künstler setzen noch einen drauf: Ihnen gelingt es, krittelnde Kunden durch schieres Nichtstun zufriedenzustellen. Im Auftrag der Zunft der Leinenhändler verfertigt Donatello eine Statue des Evangelisten Markus für die Fassade von Or San Michele. Den erhöhten Standort berücksichtigend war sie Vasari zufolge »mit solcher Überlegung geschaffen, daß sie in ihrer Vollkommenheit zu ebener Erde von Nichtkennern nicht erfasst werden konnte«. Schon wollen die Konsuln der Zunft das Werk ablehnen, da bittet Donatello darum, die Statue am vorgesehenen Platz abstellen und noch zwei Wochen lang bearbeiten zu dürfen. Er tut das erstere, verbirgt die Figur hinter einem Holzverschlag und unterläßt das zweite: »Vierzehn Tage hielt er sie verschlossen...




