E-Book, Deutsch, Band 1, 536 Seiten
Reihe: Das Pegasosgen
Grass Das Pegasosgen
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-946381-34-1
Verlag: Shadodex - Verlag der Schatten
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Marias Geheimnis
E-Book, Deutsch, Band 1, 536 Seiten
Reihe: Das Pegasosgen
ISBN: 978-3-946381-34-1
Verlag: Shadodex - Verlag der Schatten
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eve Grass schreibt über sich: Geboren bin ich 1957 in der schönen Stadt Nürnberg. Meine Mutter aber stammt aus Bayerisch Eisenstein, einem Grenzort zu Tschechien. Aus diesem Grund habe ich viel Zeit meiner frühesten Jugend dort verbracht. Auf einer Wiese mitten in dieser kleinen Ortschaft durfte ich im Alter von sechs Jahren das erste Mal Bekanntschaft mit Pferden machen. Der Dorfmetzger hielt sich ein Pony, und ich begriff rasch, wie toll man sich auf dem Rücken eines Pferdes fühlte. Von diesem Augenblick an war ich fasziniert von diesen Tieren. Schreiben und Lesen hat mir meine Mutter bereits vor der Schule beigebracht, weil ich Buchstaben und Worte als magisch empfand. Sie waren der Grundstock für Geschichten, die ich so sehr liebte. Beobachtet von den Augen des großen Arber, der mich - so erzählte es mir die Großmutter - bewachen würde, wagte ich mich als Grundschülerin bereits an fantasievolle Kurzgeschichten, die ich stolz meinen Eltern präsentierte. In der fünften Klasse mussten wir eine Erlebniserzählung schreiben. Meine Fantasie kannte keine Grenzen, und ich erfand eine herzzerreißende Pferdestory, die gänzlich meinen Tagträumen entsprang. Die Aufsatzhefte wurden eingesammelt, und ein paar Tage später bezichtigte man mich, aus einem Roman abgeschrieben zu haben. Meine Eltern wurden zur Lehrerin gerufen und der Aufsatz mit einer Sechs bewertet. Man glaubte mir nicht, dass es meine Geschichte war, die ich im Aufsatzheft verewigt hatte. Mein Vater riet mir schließlich, mit meinen Fantasiegeschichten aufzuhören und den Fokus auf einen anständigen Beruf zu lenken. Ich begann mit sechzehn Jahren eine Lehre zur Industriekauffrau, und diesem Beruf blieb ich bis 2015 treu. Nebenher fungierte ich als Hausfrau und Mutter, betrieb mit meinem damaligen Ehemann einen kleinen Reitstall für Westernreiten im Schwarzwald und schrieb viele Artikel für den 'Schwarzwälder Boten und den 'Südkurier'. 1987 wurde mein Sohn von einem Auto angefahren, und dieses Schicksal verband mich unauslöschlich mit der Fliegerei. Nach bangen sechs Monaten in der Uniklinik Freiburg ging es dem Kind gottlob besser. Eines schönen Morgens entdeckte er einen Helikopter am Stadtrand von Donaueschingen und rannte dem verdutzten Piloten in die Arme. Mein Sohn erzählte dem Fremden von seinem Unfall und seinen Erfahrungen mit dem Rettungshubschrauber. Erste zarte Blicke huschten zwischen ihm und mir hin und her. Es kam, wie es kommen musste. Die Ehe im Schwarzwald verging, der Pilot blieb, und in meinem Leben vereinten sich Pferde und Fliegerei zu einer einzigen Liebe. Im Jahr 1999 machte ich schließlich meinen Pilotenschein, und mein Lebensgefährte und ich unternehmen seither immer wieder Touren mit unserem kleinen Flieger. 2015 verlor ich meinen Job am Airport Nürnberg durch Um-strukturierungen innerhalb der Firma. Dies gab schließlich den Ausschlag, mich wieder intensiv dem Schreiben zu widmen. Ich wollte einen Roman verfassen, und was lag näher, als Fliegerei und Pferde darin zu verewigen? Seit Oktober 2017 bin ich stolze Besitzerin einer Ferienwohnung in Bayerisch Eisenstein, wo ich mich durch die Augen des Großen Arber wieder beim Schreiben inspirieren lasse. Die Handlungsorte meines Debütromans 'Das Pegasosgen - Marias Geheimnis' habe ich fast alle persönlich besucht, und wer weiß, wie turbulent die Geschichte um die fliegenden Pferde in den Folgebänden noch werden wird? Eve Grass
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Teil I
1100 vor Christus, nahe dem Olymp
(aus den Erzählungen der alten Maria)
Seit Tagen regnete es in Strömen, und die Bewohner des kleinen Dörfchens Ithrakus verkrochen sich in ihren Hütten. Schon lange hatten sich die gras- und strohbedeckten Dächer der Lehmhütten mit Wasser vollgesogen, sodass die Menschen sich in den Ecken ihrer Behausungen zusammenkauerten, weil über ihnen das Wasser durch die Ritzen sickerte und zu Boden tropfte. Feuerstellen verloschen, der festgestampfte Fußboden drohte aufzuweichen, Kinder weinten und einige mutige Männer verfluchten Zeus.
Ein gewaltiger Blitz zuckte vom Himmel. Grollender Donner folgte sogleich.
Adrastea ließ ihren Krug fallen und bedeckte beide Ohren mit den Händen. »Oh, Hera!«, rief sie, während sich ihre drei kleinen Schwestern weinend unter einer dicken, golddurchwirkten Decke versteckten. Ihr Vater hatte die Decke erst letzte Woche aus Kalivia mitgebracht. Er war stets darauf bedacht, in seinem Häuschen besondere Luxusgüter zur Schau zu stellen. Immerhin war der inzwischen vierzig Jahre alte Achilleus Ortsvorsteher von Ithrakus. Man bezeichnete ihn als streng und nachtragend. Viele munkelten, er stehe in persönlichem Kontakt zu den Göttern im Olymp, und sie fürchteten deren Zorn. Adrastea erinnerte sich nur ungern an den Sommertag, als ein kleiner Junge in ihrem Garten hinter dem Haus einige Rüben aus der Erde gezogen hatte und flink wie ein Wiesel davonlief. Noch im Laufen hatte er die rohen Rüben aus Hunger in seinen Mund gestopft.
Achilleus hatte den Diebstahl entdeckt, als das Kind mit dem dreckverkrusteten Gesicht über den niedrigen Flechtzaun springen wollte und dabei stürzte. Er hatte den kleinen, mageren Körper gepackt, ihn grün und blau geprügelt und im Anschluss bis zum Rand des Dorfes zu seiner Mutter geschleift. Die Frau hatte bitter für die Verfehlung ihres Sohnes büßen müssen. An einen Olivenbaum gefesselt war sie zwei volle Tage und Nächte ohne Nahrung und Wasser, bis Achilleus ein Einsehen hatte.
Die Angst vor diesem Mann waberte über dem Dorf, und auch Adrastea fürchtete ihn.
Wieder zuckte ein Blitz hernieder. Adrastea war allein mit den Schwestern im Haus. Dank des Reichtums ihres Vaters hatte dieses ein dichtes Dach aus teuren, gebrannten Lehmziegeln, und sie musste nicht befürchten, bald wie all die anderen Bewohner von Ithrakus im Schlamm zu sitzen. Die meisten Behausungen des Dorfes waren ärmlich und einfach. Gerade Holzbalken bildeten das Gerüst der im Grundriss quadratischen Häuschen, die nur aus einem Raum bestanden. Es gab Wände aus Binsen, sorgfältig mit Lehm verputzt. Nur die reicheren Menschen hier konnten sich ein Heim aus Stein leisten. Aber alle Hütten und Häuser zierte ein kleiner Garten, den man zum Anbau von Gemüse, Blumen und Heilkräutern nutzte.
Ihre Mutter kannte Adrastea nicht gut. Sie wusste vom Vater nur, dass sie eitel war. Sie liebte Gold und Geschmeide und hatte sich lieber mit den exklusiven Dingen des Lebens beschäftigt. Deswegen vertraute sie ihrer ältesten Tochter schon früh die Pflege der Geschwister an. Sie wollte nicht in einem Dorf wie Ithrakus versauern. Kalivia war der Ort ihrer Träume. Dort, wo die reichen Händler lebten und der Wein in Strömen floss.
Irgendwann war sie ganz verschwunden. Achilleus hatte den Leuten im Dorf erzählt, sie habe die gottgleiche Helena herausgefordert. Sie wäre in ihrer Überzeugung, schöner als diese zu sein, von den Göttern bestraft und vernichtet worden.
Adrastea glaubte das nicht. Den Verdacht, ihr eigener Vater hätte die Mutter wegen ihrer Eitelkeit ermordet, hegte sie schon lange.
Die drei Mädchen wimmerten und krallten ihre schmutzigen Hände in die teure Decke.
Adrastea ging zu ihnen. »Hera wird uns schützen«, murmelte sie. »Sie wird nicht zulassen, dass Blitz und Donner des Pegasos uns vernichten.«
Eines der Kinder reckte sein Köpfchen unter der Decke hervor und fixierte das Gesicht der Schwester. »Aber Zeus ist der Gottvater«, sagte sie angsterfüllt. »Und Hera kann gegen ihn nichts ausrichten. Das erzählte uns Vater.«
Adrastea kniete sich neben ihre Schwester. »Andora, Hera ist sehr mächtig«, sagte sie und fing an, sanft über das Haar des Mädchens zu streicheln. »Sie kämpft mit den Waffen der Frau. Selbst Zeus kann sich nicht dagegen wehren.«
Ein heftiger Windstoß riss die Eingangstür des Häuschens auf, und eine Wolke aus feuchtem Schmutz fegte durch den Innenraum. Die Schwestern schrien erschrocken auf, und auch Andora versteckte sich wieder unter der Decke. Adrastea sprang auf die Füße und drückte entschlossen die Holztür zu. Danach setzte sie sich wieder zu den Kleinen. »Habt keine Angst. Hera wird dem Sturm bald ein Ende bereiten.«
Adrasteas Worte waren kaum verklungen, da ließ der Wind nach, und das Donnergrollen hörte sich an, als hätte es sich hinter dem Olymp versteckt.
Andoras Kopf erschien erneut aus dem warmen Versteck. »Hera hat Pegasos besänftigt«, flüsterte sie. »Du hattest recht, Adrastea«.
Liebevoll küsste die junge Frau ihre Schwester auf die Stirn und streichelte über die beiden anderen Kinderköpfe, die noch immer unter der Decke verborgen waren. Ihre Gedanken aber schweiften ab, und langsam füllten sich ihre Augen mit Tränen.
Sie wusste es besser. Bellerophon, ihr heimlicher Geliebter, hatte ihr die Wahrheit erzählt. Pegasos, das geflügelte Pferd der Götter, war kein teuflisches Wesen, und es brachte weder Blitz noch Donner auf diese Welt. Außerdem lebte das Tier nicht allein. Vaters Geschichten waren nichts als Lügen. Er verfolgte damit nur das eine Ziel: die Dorfbewohner einzuschüchtern und auch seine Kinder.
Durch einen Schleier von Tränen blickten ihre Augen zum Fenster und in die felsige Landschaft, die Ithrakus umgab wie ein überdimensionaler Kessel aus Stein.
Eines Tages würde sie mit Bellerophon fliehen. Sie wollte weg von diesem Dorf und weg von ihrem Vater. Lange hatte sie dazu jedoch nicht mehr Zeit, denn vor einigen Tagen hatte ihr Achilleus mit einer Zwangsehe gedroht. Der Händler, der ihm die golddurchwirkte Decke verkauft hatte, hieß Dimitri. Adrastea konnte ihn nicht leiden. Er war dick, geldgierig und drehte den Leuten im Dorf viele Dinge an, die sie gar nicht benötigten. Oft schon hatte er den Mädchen Kämme aus Holz aufgeschwatzt, die angeblich mit Edelsteinen besetzt waren. Die Steine aber waren nur kleine Kristalle, wie man sie rund um Ithrakus in den Bergen leicht finden konnte. Achilleus hatte dem Händler kein Geld für die Decke gegeben. Als Bezahlung sollte seine Tochter dienen.
Gänsehaut erschien auf ihren Armen, und Ekel stieg in ihrer Kehle empor, als sie sich ausmalte, wie ein Leben an Dimitris Seite aussähe. Nein, sie musste einen Weg finden, mit Bellerophon zu fliehen. Der Jüngling, der direkt vom Olymp zu kommen schien, hatte ihr Herz erobert.
Ihrem Vater war der Bursche ein Dorn im Auge, er traute ihm nicht, weil niemand etwas über ihn wusste und er selbst nicht viel redete. Sollte dieser Mann gar mit den Göttern in direktem Kontakt stehen, würden seine Geschichten im Dorf bald auffliegen. Achilleus wollte aber keine Macht verlieren. Deswegen hatte er eines Morgens seine Tochter zum Schmied geschickt, um herauszufinden, was der göttergleiche Knabe in Ithrakus zu suchen hatte.
Als Adrastea den jungen Mann mit dem blonden, gelockten Haar vor der Dorfschmiede zum ersten Mal erblickte, war es um sie geschehen. Sein nackter Oberkörper schimmerte in der Sonne, und er lächelte sie an.
»Guten Morgen, hübsche Frau. Was für ein herrlicher Tag.« Grübchen bildeten sich rund um seinen sinnlichen Mund. »Wer bist du?«, fragte er erstaunt und musterte sie aufmerksam. »Ich habe dich hier im Dorf noch nie gesehen.«
»Ich bin Adrastea«, antwortete sie schüchtern, »die Tochter von Achilleus, dem Dorfvorsteher.« All die Fragen, die ihr Vater ihr zu stellen aufgetragen hatte, schienen in ihrem Hals stecken zu bleiben.
»Was für ein schöner Name. Was tust du beim Schmied?«
Adrasteas Wangen färbten sich rosa. Sie blickte zu Boden. »Ich, äh …« Sie stockte. »Ich kam rein zufällig vorbei, weil ich ein Stück rauf in die Berge gehen möchte. Es wird ein schöner Tag werden.«
»Wollen wir zusammen gehen und uns ins weiche Mattengras setzen? Der Morgen ist wie dafür gemacht.«
Adrastea nickte nur. Die Augen dieses Jünglings hatten sie in ihren Bann gezogen.
Während der Dorfschmied schmunzelnd weiter auf den glühenden Rohling einschlug, entfernten sich die jungen Menschen nahezu unsichtbar aus dem Dorf. Geschmeidig kletterten sie über einige Felsbrocken, um den Ort nicht auf dem Weg verlassen zu müssen.
Es war ein warmer Tag in den Bergen, aber Adrastea wusste, dass das Wetter hier schnell umschlagen konnte. Oft beobachtete sie die großen Raubvögel, die ihre Kreise über den Felsen zogen. Sie spürten, wann ein Unwetter nahte, und sie waren wunderschön mit ihren langen Flügeln, wenn sie kurz vor der Landung ihre Federn spreizten, um den Flug abzubremsen. Für Adrastea waren diese Tiere eine besondere Schöpfung der Götter.
»Sieh nur den braunen Vogel!« Sie wies mit einer Hand in den Himmel.
Der Bursche schirmte seine Augen ab, als er hochblickte. »Ich kann ihn sehen. Der Flug ist elegant.« Er blieb abrupt stehen, um das Tier zu beobachten. Dabei hob und senkte sich seine Brust in tiefen Atemzügen.
Unbekannte Gefühle stiegen in Adrastea empor.
»Er benötigt keinen Flügelschlag«, erklärte Bellerophon. Seine Augen folgten dem Vogel unbeirrt. »Sieh nur! Und trotzdem steigt er höher und höher.«
Adrastea war fasziniert...