Gysi / Sonneborn | Gysi vs. Sonneborn | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Gysi / Sonneborn Gysi vs. Sonneborn

Kanzlerduell der Herzen

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

ISBN: 978-3-8412-2675-4
Verlag: Aufbau Digital
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Ein ganz linkes Ding. Ein Zwei-Personen-Stück. Ein Pingpong mit Geistesblitzen. Ein jeder des anderen Sparring-Partner. Der versierte Oppositionspolitiker und der ebenso versierte Clown streitend vereint: im Einsatz gegen politische Routine. Gregor Gysi, der die Politik mit Witz reicher machen möchte; Martin Sonneborn, der mit seinem Witz der Politik ein Armutszeugnis ausstellt – zwei testen im Gespräch, wie weit man gehen muss, um aus dem Rahmen zu fallen. „Die PARTEI und die Linke an der Macht: Martin, da wäre was los in Deutschland!“ „Punk! Es wäre Punk. Purer Punk!“
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G  Kurt Tucholsky beantwortete die Frage, was Satire dürfe, ganz knapp: Alles. Ich frage dich: Was darf sie? S  Wieso fragst du mich? Es war eine von Tucholsky selbst gestellte Frage, und er beantwortet sie sich höflicherweise auch selbst. Ich zitiere ihn: Alles. G  Nicht zu verwechseln mit gängiger Politik: Die nimmt sich alles heraus. Satire muss inzwischen allerdings mit der Einschränkung klarkommen, dass sie weit mehr als früher mit Klagen rechnen muss. Oder? S  Hm, in meinen »Titanic«-Jahren konnten wir mit Klagen eigentlich ganz gut umgehen. Wogegen man sich nicht so gut wehren kann, sind Kalaschnikows. Nach den Anschlägen auf »Charlie Hebdo« in Paris mit elf Toten habe ich gegenüber der dpa gesagt: »Das ist nicht komisch. Mit Anzeigen, Abokündigungen oder Kalaschnikow-Geballer auf Satire zu reagieren, gilt in der Szene als unfein. Unser Mitleid gilt den französischen Kollegen. Bei Titanic könnte so etwas nicht passieren, wir haben nur 6 Redakteure.« Zu meiner Zeit hatten wir mal einen internen Wettbewerb in der Redaktion dazu, wer als Erster eine Fatwa auf sich zieht. Ich dachte eigentlich, ich würde gewinnen, als ich 2001 nach den – leicht überzogenen – Anschlägen von New York unter der Überschrift »Nimm dies, Araber!« angebliche Bilder des Propheten Mohammed veröffentlichte – natürlich mit Hinweis auf das Bilderverbot. Unter skurrilen alten 70er-Jahre-Fotos mit so Männern in Schlaghosen hab ich geschrieben: »Mohammed bringt seiner Frau Blumen mit«, »Mohammed mit einem Glas Schweinebraten« oder »Mohammed beim Oktoberfest«. Komischerweise ist niemand zur Heftkritik bei uns in der Redaktion aufgetaucht. G  Es gibt kein Feld, auf dem man mit Satire niemanden verletzte. S  Robert Gernhardt hat mal gesagt, Witze könne man eigentlich nur noch über Wüsten und unentdeckte Planeten machen. Denn bei jedem anderen Thema wird sich immer jemand finden, der betroffen ist oder eine Stellvertreterbetroffenheit ins Feld führt. Die Satire von heute ist tatsächlich politisch viel korrekter, und damit natürlich auch langweiliger. Es fehlt das Moment der Überraschung, die leichte, verspielte, unverschämte Komik. Politische Korrektheit schadet jeder Kunst. G  War denn früher wirklich alles besser? Das ist doch auch so eine zähe Sparte: die Besserwisser, die verklären, was es so nie gab. S  Das wird besonders im Internet deutlich, in Corona-Zeiten auch noch gepaart mit einer aggressiven Grundhaltung. Nach Jahrzehnten fortschreitender Enttabuisierung und der Dekonstruktion bürgerlicher Wertvorstellungen, die zum Beispiel Fäkalschlachten unter Nackten auf der Bühne zeigte, gibt es heute die Gegenbewegung einer – ausgerechnet von der Jugend forcierten – neuen Bürgerlichkeit, die offensiv ihre Räume absteckt. Und zum Beispiel fragt, ob Lars Eidinger auf der Bühne Richard III. so darstellen darf, wie er es tut. Das gipfelt in der völlig absurden Fragestellung, ob Othello überhaupt von jemandem gespielt werden kann, der nicht Othello ist. Ihr habt doch sicherlich auch viele Dogmatiker in euren Reihen, oder? G  Die Bemerkung mit der Linkspartei überhöre ich. Magst du Karl Kraus? S  Sehr, ich habe lange auf eine Ausgabe der »Fackel« gespart. Als ich in Wien Germanistik studierte, sagte der Professor, bei dem ich war, Kraus gelte in Wien nur als zweit- bis drittklassiger Denker. Aber so sind die Österreicher, wenn es um die eigenen Leute geht, Sissi und Hitler ausgenommen … Und Europas führenden Operettenkanzler Kurz natürlich. Der hat in Südeuropa kürzlich »kaputte Systeme« diagnostiziert. Steile These für jemanden, der einen versoffenen Neonazi zum Vizekanzler beförderte, nachdem der den verfilztesten Teil der Alpen an eine falsche russische Oligarchennichte verscherbeln wollte … G  Geschmacklos. S  Und ob! Wir als PARTEI sind übrigens der Meinung, dass wir die einzigen sind, die geschmacklose Witze machen dürfen. Wir belästigen die Menschen allerdings, wenn man aufmerksam hinschaut, nur mit jenem Blödsinn, den sie selbst zu verantworten haben. Es geht in vielen Fällen nicht mehr darum, den Irrsinn zu entlarven, denn der entlarvt sich mehr und mehr selbst, sondern: ihn mit einem guten Witz erträglicher zu machen. G  Ist das nicht zu wenig? S  Fragt ihr euch das eigentlich auch mal selbst? Wir haben aber noch andere Tricks: Wir bringen wichtige Inhalte in die zunehmend inhaltsleeren Wahlkämpfe ein. Wir haben vor der Bundestagswahl 2017 ein gefaktes CDU-Plakat mit dem toten Flüchtlingsjungen Alan Kurdi in Umlauf gebracht. Das ist wohl das traurigste Bild, das ich in diesem Leben gesehen habe, ein zweijähriges Kind, tot am Strand. Tragisches Symbolbild für die menschenverachtende Politik, die die CDU in der EU betreibt. Das Plakat hat viele Menschen schockiert und die Pressestelle der CDU zum Fluchen gebracht – aber es bringt auch Leute dazu, hinzuschauen, zu fragen, was sich dahinter verbirgt. Wir haben auch Wahlplakate der NPD überklebt. Die Neonazis hatten ein Plakat, auf dem ihr Bundesvorsitzender Udo Voigt auf einem Motorrad zu sehen war, darunter groß der Slogan »Gas geben!«. Dieses Plakat hing hier in Berlin, genau vor dem Jüdischen Museum. Ich bin an der Laterne hochgeklettert und habe es überklebt: mit einem Foto von Jörg Haider in seinem zerschmetterten Autowrack, nach seinem tödlichen Unfall. Mit demselben Slogan, denn Haider hatte ja auch schön erfolgreich Gas gegeben. G  Eine andere Aktion: Du hast CDU-Funktionäre zu angeblichen Schwarzgeldkonten in die Schweiz gelockt. Wie gelang das? S  Hahaha, wir hatten bei »Titanic« einen Schweizer Praktikanten, den guten Zeichner Ruedi Widmer. Ich war mit ihm Pizza essen, ich fragte ihn, wie sie schmecke. Es dauerte, bis die Antwort kam: »Joaaaa, ei-gänt-lich gaanz guät«. Tempolosigkeit und Tonlage gefielen mir, ich dachte: Das ist ein Talent, das wir nutzen müssen. Das war, als die CDU-Schwarzgeldaffäre gerade öffentlich wurde: Der ehemalige CDU-Schatzmeister Leisler-Kiep hatte auf seinem Privatkonto eine Million gefunden, die wohl nicht ihm gehörte, sondern der CDU. Smiley! Wir riefen also in der CDU-Zentrale an, und unser Schweizer musste am Telefon sagen: »Grüezi, hier ist der Herr Widmer von der Crédit Suisse, Luzern. Wir haben gerade ein Konto von Ihnen gefunden, das ausläuft, wohin sollen wir die 1,3 Millionen Schweizer Franken denn überweisen?« Man hörte, wie auf der anderen Seite der Leitung jemand vom Stuhl fiel. Sofort schaltete sich ein Merkel-Vertrauter ein, Eckart von Klaeden, damals das kommende Nichts seiner Partei, heute Lobbyist bei Daimler. Er wollte sich möglichst schnell und unauffällig mit uns in Luzern treffen. Über Nacht nahmen wir uns einen Mietwagen und fuhren in die Schweiz. Mitgenommen hatten wir einen Leitz-Ordner und für Fotos fett »CDU-Schwarzgeld« draufgeklebt. Damit wir alles dokumentieren konnten. Dann haben wir in Luzern vor der Bank gewartet – und waren ziemlich überrascht, als neben von Klaeden auch CDU-Bundesgeschäftsführer Willi Hausmann plus Begleitung aufmarschierte. Wir wussten damals nicht, dass Helmut Kohl im Beirat der Crédit Suisse saß, und die Existenz von weiteren Schwarzgeldkonten für die CDU-Spitze zumindest eine sehr reale Möglichkeit war … Wir haben dann ein schönes Foto der CDU-Schwarzgeldaffäre gemacht, das anschließend auch die Leser der »Süddeutschen Zeitung« erfreute. G  Erstaunlich, was so alles möglich ist. »Verstehen Sie Spaß?« gelingt eben immer und überall. S  Spaß? In der CDU-Zentrale ging es rund. G  Mussten Leute bei denen abtreten? S  Eckart von Klaeden war der Einzige, der in den offiziellen Erklärungen der CDU genannt wurde, den Bundesgeschäftsführer versuchte man aus allem herauszuhalten. Ecki wollte damals gerade durchstarten, und ich denke, es hat seine Karriere schon ein bisschen geknickt. G  Du sagst, ihr habt mit lustigen Aktionen im Grunde für andere Parteien Wahlkampf gemacht. S  Ja, wir haben über die Parteien Wahrheiten verkündet, die zu sagen sie selber sich nicht trauten. G  Habt ihr auch für die CDU Wahlkampf gemacht? S  Klar. Man hilft, wo man kann. Es waren die Zeiten von Roland Koch, der danach zum Glück in den Bau ging. Bilfinger & Berger hieß der Konzern, wenn ich mich recht erinnere. Koch führte Wahlkampf mit ausländerfeindlichen Parolen und kündigte eine Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft an. Am nächsten Tag standen wir in Frankfurt mit Anzug und Pomade im Haar auf der Zeil, vor uns Plakate wie »Die Ausländer sind da! Schöne Scheiße, Ihre CDU!« und sammelten. Alte Damen kamen auf uns zu und fragten interessiert: »Wo kann man denn hier gegen die Ausländer unterschreiben?« Wir haben die Leute unterschreiben lassen und ihre Unterschriften dann aus dem Verkehr gezogen. Und natürlich alles in »Titanic« dokumentiert. Schade, dass es Koch ein bisschen den Wahlkampf verhagelt hat. G  Ich verspüre ehrliches Bedauern bei dir. S  Bedauern empfanden wir auch, als die SPD in Bayern unter zwanzig Prozent zu fallen drohte. Beim Bier konzipierten wir eine Imagekampagne zur Rettung. Wir liehen uns den größten roten Mercedes-Sprinter der Uni Frankfurt aus, und brachten groß »Wir geben auf. SPD« auf der einen Seite des Wagens an und »Mit Anstand verlieren. SPD« auf der...


Gysi, Gregor

Gregor Gysi, geboren 1948, Rechtsanwalt und Politiker. 1990 bis 2002 und 2005 bis 2015 Fraktionsvorsitzender der PDS bzw. der Partei Die Linke im Bundestag. Dort von 2020 bis 2023 außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion. Bei Aufbau erschienen die Autobiographie »Ein Leben ist zu wenig«, »Was bleiben wird« (mit Friedrich Schorlemmer), »Marx & wir«, »Mein Vater« (mit Gabriele Gysi), »Gysi vs. Sonneborn – Kanzlerduell der Herzen«.

Sonneborn, Martin

Martin Sonneborn, geboren 1965 in Göttingen, Studium der Publizistik, Germanistik und Politikwissenschaften in Münster, Wien und Berlin; Magisterarbeit über die absolute Wirkungslosigkeit moderner Satire. Mitherausgeber von Titanic. Hält es für witzig, trotz seinerzeit schlüssiger wissenschaftlicher Argumentation seit mittlerweile sieben Jahren im EU-Parlament zu sitzen. Zuletzt erschien von ihm das Buch »Herr Sonneborn geht nach Brüssel. Abenteuer im Europaparlament«.


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