Hafner | Subversion im Satz | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 208 Seiten, Gewicht: 1 g

Hafner Subversion im Satz

Die turbulenten Anfänge der «Neuen Zürcher Zeitung» (1780–1798)
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-03810-120-8
Verlag: NZZ Libro
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Die turbulenten Anfänge der «Neuen Zürcher Zeitung» (1780–1798)

E-Book, Deutsch, 208 Seiten, Gewicht: 1 g

ISBN: 978-3-03810-120-8
Verlag: NZZ Libro
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Sie waren jung und rebellisch, auf der Flucht und im Gefängnis. Sie trotzten der Zensur, legten sich mit kirchlichen und weltli-chen Autoritäten an und hofften auf eine freie und gerechte, auf eine 'aufgeklärte' Welt. Sie waren belesen und schrieben Bücher, sie lebten in Not und zweifelten an Gott, sie waren verfemt und zäh. Und sie immigrierten fast alle aus dem katholischen Süddeutschland - die ersten Redaktoren der NZZ. Heute steht der Zeitungsjournalismus auf dem Prüfstand. Wie er die Herausforderungen der Digitalisierung und der veränderten Lesegewohnheiten der Digital Natives meistern wird, ist offen. In diesem für den Journalismus prekären Moment ist der Blick in seine Anfänge erhellend. Die Entstehungsgeschichte der 1780 gegründeten 'Zürcher Zeitung', der ältesten Zeitung der Schweiz und einer der ältesten politischen Zeitungen weltweit, zeigt beispielhaft, wie sich der moderne liberale Journalismus formiert hat: mutig, kämpferisch, aufklärerisch.

Urs Hafner, Dr. phil., arbeitet in Bern als freier Wissenschaftsjournalist und Redaktor. Vor allem für die 'Neue Zürcher Zeitung' verfasst er regelmässig zeitkritische Analysen, Rezensionen historischer und soziologischer Bücher sowie Ausstellungs-und Tagungsberichte. Vorher arbeitete der promovierte Frühneuzeit-Historiker als Wissenschaftsredaktor für den Schweizerischen Nationalfonds.
Hafner Subversion im Satz jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


I.
Zornige junge Männer
Die ersten Redaktoren
der
Neuen Zürcher Zeitung

Sie waren jung und rebellisch, auf der Flucht und im Gefängnis. Sie trotzten der Zensur, legten sich mit Autoritäten an und hofften auf eine freie und gerechte, auf eine «aufgeklärte» Welt. Sie waren belesen und schrieben Bücher, sie lebten in Not und zweifelten an Gott, sie waren verfemt und zäh. Und sie wanderten fast alle aus Süddeutschland ein, die ersten Redaktoren der Neuen Zürcher Zeitung: Johann Kaspar Riesbeck, Johann Michael Armbruster, Peter Philipp Wolf, Franz Xaver Bronner.5

In den ersten knapp 20Jahren ihres Bestehens wurde die 1780 gegründete Neue Zürcher Zeitung – die Zürcher Zeitung, wie sie damals hiess – fast ausnahmslos von Redaktoren gemacht, die politische Flüchtlinge, regimekritische Migranten und wissensdurstige Abenteurer waren. Die jungen, bestens gebildeten Männer, die im katholisch-fürstlichen Südwesten Deutschlands aufgewachsen waren, gerieten mit den geistlichen und weltlichen Autoritäten in Konflikt und erhofften sich im Ausland mehr Freiheiten. Das nahe gelegene Zürich schien ihnen diese zu bieten.

Nannte man die Stadt mit ihren rund 5000 Einwohnerinnen und Einwohnern nicht das «Athen an der Limmat», in dem schon um die Mitte des 18.Jahrhunderts die beiden europaweit bekannten Aufklärer, die Literaten Johann Jakob Bodmer, Professor für Geschichte an der Hohen Schule, und Johann Jakob Breitinger, daselbst Professor für Hebräisch und Griechisch, gewirkt hatten? Kehrten in Zürich nicht Berühmtheiten wie Christoph Martin Wieland, Friedrich Gottlieb Klopstock und Goethe ein?6 War der Stadtstaat nicht eine demokratische Republik, in dem nicht ein Fürst oder ein Bischof, sondern ein mehrköpfiger, sich aus Zunftmitgliedern zusammensetzender Rat das Sagen hatte? Und war die Religion der Republik nicht der Protestantismus, eine vergleichsweise rationale, sich auf das Schriftprinzip berufende Konfession, die, anders als der Katholizismus, jedem Pomp und Aberglauben abhold war?

Der Redaktorenposten der jungen Zürcher Zeitung, der ältesten Zeitung der deutschen Schweiz und einer der ältesten Tageszeitungen überhaupt, versprach Sicherheit und intellektuell anregende Arbeit. Sie war die erste schweizerische Zeitung, die von einem eigens angestellten Redaktor betreut wurde,7 und sie war, wie sie in ihrer ersten Ausgabe vom 12.Januar 1780 schrieb, eine «politische Zeitung». Sie wollte ihre Leserschaft – zunächst zweimal wöchentlich – über die «Weltbegebenheiten» auf dem Laufenden halten, über das Geschehen an den grossen Höfen und in den europäischen Kolonien. Die Beschaffung schwierig zu erhaltender Informationen war das eine, das Ökonomische das andere: Die Besitzer der Zeitung wollten mit ihr Geld verdienen. Die Aufklärung des Publikums diente der Veredelung der Menschheit, aber sie musste sich auszahlen. Verhiess der Realitätssinn der Zeitungsgründer nicht Stabilität?

Stabilität verhiess der Verlag. Herausgegeben wurde die Zeitung durch Orell, Gessner, Füssli & Comp. Der Verlag trat mit hochwertigen und freiheitlichen Büchern prominenter Aufklärer und Literaten in Erscheinung. Zu seinen Autoren zählten etwa Christoph Martin Wieland, Isaak Iselin, Johann Caspar Lavater, Sophie von La Roche sowie, in Übersetzungen, Shakespeare, Jean-Jacques Rousseau, Jonathan Swift und Denis Diderot.8

Doch der Schein war trügerisch. Im viel besungenen Limmat-Athen herrschte gegen Ende des 18.Jahrhunderts, wie die jungen deutschen Redaktoren, die im Haus zum Elsässer an der Münstergasse arbeiteten,9 alsbald realisierten, eine gestrenge Zensur, die hauptsächlich von den Geistlichen der reformierten Kirche ausgeübt wurde. Ihr kam die Stellung einer Staatskirche zu. Die in ganz Europa viel gepriesene «Aufklärung» fand in Zürich allenfalls im privaten Kreis oder in den «Gelehrten Gesellschaften» und «Sozietäten» statt; in der Öffentlichkeit und in den Zeitungen hatte sie offiziell nichts zu suchen. Es war der Zürcher Zeitung wie den anderen Blättern verboten, über Geschehnisse in Zürich oder der Eidgenossenschaft zu berichten; verboten waren auch Artikel, die der Lehre der Kirche widersprachen oder befreundete und alliierte Mächte kritisierten. Die Ausgangslage für die neue politische Zeitung war also alles andere als ideal.

War dies der Grund, dass Salomon Gessner, der Initiator und Mitbesitzer des Blatts, nur dessen erste zwei Ausgaben redaktionell betreute und dann, bis zu seinem Tod 1788, in den Hintergrund trat? Gessner war einer der im damaligen Europa bekanntesten Schriftsteller und Maler; seine Idyllen-Dichtungen wurden in rund ein Dutzend Sprachen übersetzt, seine arkadischen Landschaften waren begehrte Schmuckstücke. Oder fehlte dem 50-Jährigen der Elan für das schwierige Tagesgeschäft des Unternehmens – oder die Geduld? Gessner war ein kluger, europaweit vernetzter Kopf. Er kam aus einem etablierten Bürgergeschlecht, das zu den wichtigsten Buchdruckerfamilien Zürichs gehörte. Die Familie war politisch und sozial ins Machtgefüge der Republik integriert: Ihre Mitglieder sassen sogar im Kleinen Rat ein. Allerdings waren die Gessners, weil sie sich beruflich mit der Herstellung, der Publikation und dem Verkauf von Büchern befassten, potenzielle Aussenseiter. Der Buchstabe kann der der Heiligen Schrift und des Gesetzes sein, aber auch der des Pamphlets.

Das Zwiespältige tritt in Salomon Gessners Biografie früh hervor. Eigentlich hätte er nach dem Willen des Vaters Buchhändler werden sollen, doch viel lieber dichtete und malte er. Nachdem er die Lehre abgebrochen und auch noch eine Frau geheiratet hatte, die dem Vater nicht genehm war, kam es zum Bruch. In den jugendlichen Schriften betätigte er sich als Kulturkritiker und prangerte das soziale Gefälle zwischen Reich und Arm an. Als Erwachsener liess er zwar das Stürmen und Drängen seiner Jugend hinter sich; er übernahm das Geschäft des Vaters und machte politische Karriere als Rat und Obervogt. Dennoch bewahrte er sich die Distanz des Intellektuellen. Die Empörung und der Protest von früher wichen der Satire, dem Sarkasmus und dem Spott, mit dem er seine Zeit bedachte. Zu Gessners Lieblingsautoren gehörten Miguel de Cervantes mit seinem Don Quijote und Jonathan Swift, der auf seine Veranlassung hin ins Deutsche übersetzt wurde. Christoph Martin Wieland soll er zur Verfassung des satirischen Romans Geschichte der Abderiten (1774) angeregt haben.10

Der Gessnersche Geist sollte die neue Zeitung prägen. Gessner sorgte dafür, dass sein Nachfolger in die gleiche Kerbe hieb – wobei diesem wie auch den anderen frühen Redaktoren wegen der Zensur oft kein anderes Mittel als der Humor blieb, auch wenn sie oft wenig zu lachen hatten. Erschwerend kam hinzu, dass jeweils einer allein für das schmale Blatt verantwortlich war. Als Aussenseiter und arme Schreiberlinge waren Johann Kaspar Riesbeck, Johann Michael Armbruster, Peter Philipp Wolf und Franz Xaver Bronner nach Zürich gekommen, und als solche zogen sie fast alle weiter, manche krank und lebensmüde. Nur einer der vier ersten Redaktoren wurde in der Schweiz sesshaft.

Johann Kaspar Riesbeck bekleidete den Redaktorenposten während rund dreier Jahre, von 1780 bis Anfang 1783. Voller Hoffnung war er 1779 von Salzburg nach Zürich gereist, um für den Verlag Orell, Gessner, Füssli & Comp. zu arbeiten; Goethe soll ihn als Redaktor empfohlen haben. 1754 in Höchst am Main zur Welt gekommen, war der sprachgewandte Riesbeck ein Freigeist, der wie Gessner mit seinem Vater in Konflikt geriet. Der wohlhabende Weber und Leinwandhändler hatte bestimmt, dass aus seinem Sohn ein Geistlicher werden solle, doch diesem missfiel das Leben in der Klosterschule, in der er sich allerdings gründlich bildete. In Mainz studierte er Rechtswissenschaften, führte aber ein Boheme-Leben, das ihn in Kontakt mit Vertretern der Sturm-und-Drang-Bewegung brachte. Nach einer tätlichen Auseinandersetzung mit einem Domherrn flüchtete er nach Salzburg und Wien, wo er sich als Schauspieler, Journalist und Übersetzer durchschlug.

Über die Theorien der Physiokraten, die sich gegen den fürstenstaatlichen Protektionismus des Merkantilismus wandten, begann Riesbeck sich für Politik und Ökonomie zu interessieren. Das grösste Hemmnis für die Entfaltung der Wirtschaft wie des Denkens sah er in der katholischen Kirche. 1780 erschienen bei Orell, Gessner, Füssli & Comp. seine anonymen, bissigen Briefe über das Mönchswesen von einem katholischen Pfarrer an einen Freund, in denen er Mönche und Fürsten auf die Schippe nahm. Während er für das Zürcher Blatt als Redaktor arbeitete, schrieb er an der Fortsetzung.

1783 publizierte Orell, Gessner, Füssli & Comp. seine Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland an seinen Bruder in Paris, aus Vorsicht wiederum anonym. Das Werk wurde zum Grosserfolg. Ins Französische, Italienische, Holländische und Schwedische übersetzt, avancierte der deutsche Titel in der entstehenden bürgerlichen Öffentlichkeit gar zum geflügelten Wort. Auch wenn sich die Briefe eines reisenden Franzosen auf die vielen Staatsgebilde des Heiligen Römischen Reichs beschränkten, standen sie für die gewitzte und furchtlose Diskussion der politischen, ökonomischen und kulturellen Zustände der Zeit.11 Radikal forderte Riesbeck das Selbstbestimmungsrecht der Bürger sowie Handels- und Gewerbefreiheiten, resolut führte er den Obrigkeiten ihre Pflichten vor Augen. Seine Leuchtgestalten waren die...


Urs Hafner, Dr. phil., arbeitet in Bern als freier Wissenschaftsjournalist und Redaktor. Vor allem für die 'Neue Zürcher Zeitung' verfasst er regelmässig zeitkritische Analysen, Rezensionen historischer und soziologischer Bücher sowie Ausstellungs-und Tagungsberichte. Vorher arbeitete der promovierte Frühneuzeit-Historiker als Wissenschaftsredakteurr für den Schweizerischen Nationalfonds.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.